02.02.2013

VON DER KUNST, DEN PROPHETEN MOHAMMED NICHT ZU ZEIGEN

THE INNOCENCE OF MUSLIMS – Zwischen Hetze und Satire, Medium und Botschaft (II)

(Teil I: Einleitung HIER)

In Washington D.C. stürmten Anhänger einer obskuren radikalislamistischen Sekte unter Führung von Khalifa Hamaas Abdul Khaalis, geboren als Ernest McGhee im Bundesstaat Indiana, drei Gebäude. Im District Building nahe des Weißen Hauses, im Islamic Center of Washington sowie im Hauptquartier der jüdischen Organisation B’nai Brith nahmen die Bewaffneten 134 Menschen als Geisel und erschossen den 24-jährigen Radioreporter Maurice Williams. Nicht zuletzt durch die Intervention des ägyptischen, des pakistanischen und des iranischen Botschafters, gaben die Geiselnehmer nach 39 Stunden schließlich auf.

Einer der vorgeblichen Anlässe zu dieser terroristischen Aktion war ein Spielfilm, der sich mit dem Leben und Wirken des Propheten Mohammed befasst – ein Film, den sich jeder von uns frei im Internet herunterladen oder als Stream anschauen kann. Der Film wurde von Khaalis und seinen Gefolgsleuten als blasphemisch betrachtet; eine ihrer Hauptforderungen war seine Vernichtung.

Falls Ihnen dieses spektakuläre wie tragische Ereignis entgangen sein sollte, liegt das womöglich daran, dass besagte Geiselnahme Anfang März stattfand – im Jahr 1977. Der Film, um den es, zumindest teilweise, ging, war auch kein relativ günstig, in einem undurchsichtigen Umfeld produzierter Streifen, der seinen Weg via YouTube in die weite Welt fand wie THE INNOCENCE OF MUSLIMS, sondern um mit zehn Million US-Dollar Produktionskosten damals recht teures Kino-Epos mit dem (anfänglichen) Titel MOHAMMED, MESSENGER OF GOD (dt. MOHAMMED, DER GESANDT GOTTES) – zu finden heute nicht nur als DVD etwa bei Amazon, sondern auch in der Moving image collection des gemeinnützigen „Internet Archive“ (www.archive.org).


Produziert und inszeniert hat den dreistündigen Kostümfilm über die Anfangszeit des Islam Moustapha Akkad der 1930 im syrischen Aleppo geboren wurde. In den USA arbeitete Akkad als Assistent des Regisseurs Sam Packinpah, später beim Fernsehen, um schließlich ein Herzensprojekt zu verwirklichen: die Geburtsgeschichte des Islams nicht zuletzt aus Gründen der interreligiösen Verständigung mit Mitteln des Hollywoodkinos auf hohem technischen Niveau zu erzählen. Gerade die Qualitätsfrage war insofern von Belang, da Kino (wie später das Fernsehen) in Ländern des Nahen Osten von zweifelhaftem Ruf war (sei es der Inhalte wegen, sei es aufgrund der Lage der Filmtheater in anrüchigen Vierteln der Städte) und damit nicht zuletzt ästhetisch ungeeignet für die Behandlung religiöser Themen.

Akkads Filmprojekt förderte die arabischen Liga, Geldgeber waren neben dem Libanon und Kuwait vor allem Gaddafis Libyen, das mit Ägypten 1977 einen kurzen Grenzkrieg führte; insbesondere die libysche Partizipation sorgte für Spannungen, doch war das Geld aus Tripolis die Rettung, das während des Drehs die Finanzierung eingebrochen war. Gedreht wurde MOHAMMED, THE MESSENGER OF GOD in Libyen und Marokko, in einer englischsprachigen Fassung mit den Stars Irene Papas und Anthony Quinn (als Mohammeds Onkel Hamsa) sowie eine mit arabischen Darstellern in als entsprechende Sprachversion. Die – später Oscar-nominierte – Musik komponierte Maurice Jarre, der schon zuvor für die Untermalung von groß angelegten Historienfilmen zuständig gewesen war, etwa David Leans berühmte Pasternak-Adaption DOKTOR ZHIVAGO (1965) – und natürlich sein monumentaler LAWRENCE OF ARABIA (1962).

Viel Interessantes gibt es über den Film zu erzählen, nur zwei Punkte seien hier herausgegriffen. Zunächst den der Reaktion: Beim westlichen Publikum stieß der Film eher auf Desinteresse, während er für Muslime, sowohl im Westen wie im Osten, zu einer Cause célèbre wurde. Zwar hatte sich Akkad um möglichsten Respekt gegenüber dem Stoff und um Rückhalt bemüht, was im Vorspann des Films mit einer entsprechenden Einblendung, quasi als Zertifizierung der Unbedenklichkeit oder wenigstens Statthaftigkeit, ausgewiesen werden sollte:



Doch in Ägypten selbst war der Film nicht zu sehen, und ob die Azhar-Universität tatsächlich ihr „Okay“ gab, ist mehr als zweifelhaft. Als MOHAMMED, THE MESSENGER OF GOD schließlich aufgeführte wurde (nur in wenigen Ländern im Nahen Osten; oftmals in kleinem Kreis; später erfolgte die Verbreitung über Videokassetten), kam es zu Protesten –  auch in Deutschland, wo der Film zeitweilig oder ganz aus dem Kinoprogramm genommen wurde. In London fanden nach Bombendrohung weitere Aufführungen unter verstärkten Polizeischutz und -kontrollen statt.

In diversen arabischen Staaten wurde der Film zum Streitfall auf den unterschiedlichsten Ebenen, und ebenfalls die Titeländerung führt auf die Kontroversen zurück: So heißt der Film heute nicht mehr MOHAMMED, MESSENGER OF GOD, sondern schlicht: THE MESSAGE. Auf weitere Details zur Debatte für und gegen den in der arabischen Welt braucht hier nicht weiter eingegangen werden; der Islamwissenschaftler Werner Ende hat dies in einem von Hans R. Roemer herausgegebenen Sammelband ( Studien zur Geschichte und Kultur des Vorderen Orients. Festschrift für Bertold Spuler zum siebzigsten Geburtstag. Leiden: Brill, 1981) mit dem Aufsatz „Mustafa Aqqads ‚Muhammad‘-Film und seine Kritiker“ (online abrufbar HIER) eindrucksvoll und überaus informativ getan. Interessant ist beispielsweise Endes Rekonstruktion der Argumentation des marokkanischen Religionsgelehrten Scheich Mohammed Muntasir al-Kattani. Die Beleidigung des Propheten ergebe sich aus Spott, der wiederum als gegeben anzunehmen sei (oder zumindest konstatiert werden könnte), sobald ein Mensch einen anderen darstelle – was folglich generell auf die Schauspielerei bzw. schauspielerische Repräsentationen anwendbar sei (wobei sich al-Kattani besonders auf die Verse 65 und 66 der 9. Sure des Korans stützte) (vgl. Ende 1981, S. 41 f.).

So heißt es etwa im 65. Vers: „Und wenn du sie fragst, werden sie ganz gewiß sagen: „Wir haben nur (schweifende) Gespräche geführt und gescherzt.“ Sag: Habt ihr euch denn über Allah und Seine Zeichen und Seinen Gesandten lustig gemacht?“ (zit. n. Islam.de). Es geht dabei um Heuchler (munaafiquun), die – laut Vers 66 – ungläubig in und durch ihrer Spötterei geworden sind.

Al-Kattanis Schlussfolge von der Darstellung als Nachahmung und der Nachahmung als Verspottung gemahnt in ihrer Prämisse und Logik an Platons Bilder- und Mimesiskritik – und verurteilte nicht nur die Schauspieler als Imitatoren, sondern erstreckte sich auch auf alle an der Filmproduktion Beteiligten und Anwesenden (al-Kattani bezog sich nicht explizit auf Akkads Film, dass es ihm – auch – um diesen ging lag freilich auf der Hand) – und auch die „Herstellung von Bildern“ der Kaba, des Grabes oder der Gefährten des Propheten, oder Mekkas und Medinas (vgl. ebd., S. 42 f.).

Neben der Entstehungsgeschichte von MOHAMMED, MESSENGER OF GOD / THE MESSAGE und den Reaktionen, ist der Film aber auch formalästhetisch interessant. Zwar wurde er als eine Art typischen „Historienschinken“ abgetan. Doch was ihn von solchen deutlich unterscheidet, ist die durchaus illusionsbrechende Darstellung des Propheten Mohammed. Oder genauer gesagt: die betonte NICHT-Darstellung. Tatsächlich ist Mohammed im Film nicht zu sehen: In den meisten Szenen tritt er nicht auf, und in jenen, in denen er tatsächlich im filmischen Raum anwesend ist, nimmt die Kamera meist des Propheten visuellen Standpunkt ein, repräsentiert seinen Blick als Point-of-View-Shot, sprich: versetzt den Zuschauer an die Position und imitiert die optische Perspektive des Gesandten.

Dabei wird der Blick der mit ihm interagierenden Personen dicht an der Kamera vorbeigeführt oder direkt in diese gerichtet (und damit die sogenannte „vierte Wand“ zum Publikum hin) durchbrochen, was diesem seine Position als Zuschauerposition besonders bewusst macht. In einer Szene, in der es seinen Onkel Hamsa in den Krieg drängt, erheben „wir“ uns gar, bewegen „uns“ also mit (oder „als“) Mohammed. Zugleich hören zwar seine Gesprächspartner (die entsprechend darauf reagieren, beispielsweise, indem sie antworten), nicht aber wir als Zuschauer Mohammeds Worte. Untermalt werden die Szenen mit ihm durch sphärische Klänge – die eine Art göttliche Präsenz oder zumindest spirituelle Aura impliziert.
Unabhängig davon, ob tatsächlich von einem Abbildungsverbot im Islam ausgegangen werden kann, wie weit und wie streng dieses in den einzelnen Glaubensrichtungen und ihren Schulen ausgelegt und verfolgt wird, ist es ein bildtheoretisch und -philosophisch spannende Frage, ob die zeitgleiche An- und Abwesenheit des Propheten (im Kunstwerk und im Off) Kritikern wie al-Kattani Grund zur Klage geben würde. Wie ist es zu bewerten, dass zwar der Prophet zwar nicht gezeigt wird, dafür aber die Kamera und letztlich das Publikum selbst sozusagen an dessen Stelle tritt? Ist dies letztlich nicht gar frevelhafter? Klar wird hier jedenfalls, dass qua formal- und rezeptionsästhetischer Konstruktion des filmischen und diegetischen Raums und, zugleich, seiner immersiven Auflösung die Kunst- und Ausdrucksform Film anders zu denken und zu behandeln ist als die klassische der Malerei (zumindest, wie sie hier historisch-stilistisch und konventionell-symbolisch von Belang ist). Wie ließe sich dieses Blick-, Positions- und Adressierungsverhältnis auf traditionellen Gemälden, Wandteppichen etc. in vergleichbarer Weise denn auch nachbilden?

Moustapha Akkad drehte übrigens mit Anthony Quinn und weiteren Stars noch LION OF THE DESERT (1981) über den libyschen Befreiungskampf des Umar al-Muchtar gegen die Kolonialherrschaft des faschistischen Italiens. Bekannt wurde er zudem durch den Erfolg des von ihm Produzierten wegweisenden Horrorfilms HALLOWEEN von John Carpenter (sowie den Fortsetzungen). Am 11. November 2005 war er zusammen mit seiner erwachsenen Tochter Rima Akkad Monia im jordanischen Amman, um an einer Hochzeit teilzunehmen, als – vermutlich al Qaida im Irak – einen Bombenanschlag auf das Hyatt-Hotel verübten, in dem die beiden weilten. Akkads Tochter war sofort tot, er selbst erlag drei Tage später seinen Verletzungen. Er wurde 75 Jahre alt; bis zuletzt plante er noch einen Monumentalfilm über das Leben Saladins und die Kreuzzüge.  

Was THE MESSAGE betrifft: Im September 2012 zeigte ihn im indischen Teil Kaschmirs das Militär für die – in der Mehrheit muslimischen – Bevölkerung. Prompt kam es zu Protesten und Ausschreitungen: Angesteckt durch die aufgeheizte Stimmung im nahen Pakistan, wohl aber auch gezielt provoziert hatten viele geglaubt, es handele sich um den skandalösen THE INNOCENCE OF MUSLIMS, der international so viel Aufsehen erregte.

Bernd Zywietz

Weitere Literatur:

- 'The Message': The Movie About Islam That Sparked a Hostage Crisis in D.C. In: The Atlantic. (HIER)

- Mohammed oder Von Mekka nach Hollywood. Der Spiegel, 31/1977 (HIER