30.12.2009

Kinofilm und Mini-Serie über den Terroristen "Carlos"

(ergänzt: 03.01.2010)

Regisseur Oliver Assayas bringt im Herbst 2010 einen Film über das Leben des berühmt-berüchtigten Illich Ramirez Sánchez alias „Carlos“ oder „Der Schakal“ als deutsch-französische Koproduktion in die Kinos: CARLOS THE JACKAL. Zuvor schon wird auf dem Sundance Channel, dem Fernsehkanal des berühmten Independent-Filmfestivals, im Frühjahr die längere dreiteilige Miniserie laufen.



Édgar Ramirez spielt den in Venezuela geborenen internationalen Terroristen, der u.a. mit der Geiselnahme im Wiener OPEC-Hauptquartier 1975 für Aufmerksamkeit sorgte. Nach einer Ausbildung in einem jordanischen Trainingslager der PFLP (Popular Front for the Liberation of Palestine / Volksfront zur Befreiung Palästinas) war „Carlos“ für die Volksfront aktiv, gründete später jedoch eine eigene Gruppe, die u.a. 1983 den Bombenanschlag auf das Maison de France in Berlin verübte.

Gedreht wurde u.a. in Berlin, deutsche Schauspieler sind u.a. Christoph Bach, Julia Hummer und Katharina Schüttler (ES KOMMT DER TAG). Die damalige "Bewegung 2. Juni"- und RAF-Aktivistin Inge Viett wird von Anna Thalbach gespielt, Carlos deutsche Geliebte Magdalena Kopp mimt Nora von Waldstätten

Assayas, der zusammen mit Dan Franck auch das Drehbuch zum Film basierend auf Prozessakten, Aussagen und sonstigem Dokumentarmaterial schrieb, schafft nicht die erste filmische Thematisierung des „Profirevolutionärs“ und Auftragsterroristen, der seit 1994 in französischer Haft sitzt.

Der „Schakal“ - in der Presse so benannt nach dem 1971 veröffentlichten Roman von Frederick Forsythe bzw. der titelgebenden Figur (einem Auftragsmörder) - ist das Ziel des Geheimagenten Bourne in Robert Ludlums ersten und zweiten Teil der „Bourne“-Romantrilogie und der entsprechenden TV-Adaption des ersten Bandes THE BOURNE IDENTITY / AGENT OHNE NAMEN (1988) mit Richard Chamberlain. (Die aktuellen BOURNE-Filme mit Matt Damon basieren bis auf die Grundidee des „Agenten ohne Namen“ nur lose oder gar nicht auf Ludlums Stoff).

In THE ASSIGNMENT / THE ASSIGNMENT – DER AUFTRAG (1997) wird in einer ähnlichen Annäherung ein US-amerikanischer Soldat (Aidan Quinn) auf Carlos angesetzt, da er ihm zum verwechseln ähnlich sieht.

Doch schon 1979 erschien der von René Cardona Sr. gedrehte mexikanisch-spanische CARLOS EL TERRORISTA / CARLOS THE TERRORIST mit Andrés García als Carlos.

In dem Thriller NIGHTHAWKS (1981) von Bruce Malmuth spielt wiederum Rutger Hauer den skrupellosen Terroristen Wulfgar, der von einem Straßenpolizisten (Sylvester Stallone) gejagt wird, nachdem er aus Europa geflogen und in New York eine Anschlagsserie beginnt. Wulfgar ist nach Carlos modelliert: Der führende internationale Auftragsterrorist, der in NIGHTHAWKS für die Iren ein Kaufhaus in England sprengt, der eine deutsche Terroristen-Geliebten (eine Verweis auf Magdalene Kopp) hat und der - hier jedoch in London - Polizisten erschießt, als sie ihn festnehmen wollen. Auch die OPEC-Attacke 1975 wird ihm bzw. seinen Leuten zugeschrieben.

Einen Bericht zum Dreh von CARLOS THE JACKAL gibt es bei Focus Online HIER, einen zu "Carlos" auf ZEIT Online HIER.

21.12.2009

Terroristen in den James-Bond-Filmen

von Bernd Zywietz



Gregory D. Miller präsentierte im Februar 2006 in Washington D.C. auf dem „Summer Workshop On Teaching Terrorism“ (SWOTT) der Political Science Association Teaching and Learning Conference einen Vortrag, in dem er sich dankenswerterweise in die Untiefen der filmfiktionalen Darstellung von Terrorismus begibt und nach dem Zweck jenseits der üblichen Kinounterhaltung fragt.

„Fear on Film: Can Hollywood Teach Us about Terrorism?“ heißt sein Papier. Auch wenn die empfehlenswertesten Filme zum Thema Terrorismus nach Millers Einschätzung leider trotz Titel nicht – oder nur mit THE SIEGE (USA 1998) – aus Hollywood stammen (Pontecorvos LA BATTAGLIA DI ALGERI / SCHLACHT UM ALGIER [I/ALG 1966] und THE TERRORIST, auf den Miller trotz Verweis in seinem Vortragspapier nicht weiter zu sprechen kommt und daher nur spekuliert werden kann, ob es sich dabei um THEEVIRAVAATHI [IND 1999] handelt), ist es begrüßenswert, dass nach dem Erkenntnisgewinn von und durch Spielfilme zum Thema Terrorismus gefragt wird.

Wenn es um die „Bildung“ geht, die solche Filme – zum Beispiel Studenten – vermitteln mögen, rührt freilich solche hüftsteife Annäherung. Filme sind kein Lehrbuch, und wenn Lehrer sie als solche nutzen oder aber kritisieren, kommt dabei oftmals Putziges heraus.

Vor allem wird aber einmal mehr (wenn hier auch nicht sonderlich schwerwiegend) deutlich, wie wenig „Laien“ zum einen von der Welt des Films und des Filmemachens wissen, und wie – nun ja, nicht gefährlich, aber unbequem dies werden kann. Da werden schon mal bei der Erforschung von Filmgewalt indizierte, nachgerade „perverse“ Underground-Horrorfilme mit kinderfreundlichen Jugendprodukten aus Hollywood in einen Topf geworfen – und auch wenn der Name „James Bond“ erklingt, wird sofort auf comic-haftes Überwältigungskino nicht nur bar, sondern fern jeder Substanz mental zurückgegriffen, ohne Rücksicht auf die kleinen aber feinen Unterschiede.

Was das nun mit Gregory D. Miller und James Bond zu tun hat? Unter „Movies with ‚terrorists‘ that I would not use“ vermerkt er: „Historically, many films have used the term terrorist as a vague label to suggest the ‚bad guy‘ in the film. James Bond films are notorious as using this device, but many other films have employed the same tactic“ (S. 4).

Das Problem hierbei: Es schleicht sich hier eine Art Meta-Klischee, ein stereotype Vorstellung über eine über stereotype Figuren und Konstellationen funktionierende Filmserie ein, eine Vorstellung, die in die Irre führt, die nicht zuletzt die erfolgreichste Reihe der Kinowelt ins falsche Licht rückt.

Grundsätzlich ist es legitim weil deutlich, wenn man die Darstellung von Terroristen als eine „wie in einem James-Bond-Film“ beschreibt: Diese Schurken-Figuren sind dann „larger than life“, überzeichnet, in einer fast juvenilen Welt angesiedelt und entsprechend rudimentär und tendenziös ausgestaltet, was auch und vor allem heißt: reduziert.

Wenn man es wörtlich nimmt, wird es allerdings heikel, denn tatsächlich ist man in Sachen Terrorismus einem so folgenschweren wie zugleich – zumindest film- und genregeschichtlich – aufschlussreichen Fehler aufgesessen, wie wenn man die Kinofigur auf einen „Kommunistenjäger“ herunterbricht, die der Agent 007 wenigstes im Kino so nie war.

Der Brite Ian Flemming, selbst während des Zweiten Weltkriegs im Geheimdienst aktiv, mag in seinen Roman in den 1950ern ehre noch die bösen Russen ins Feld geführt haben. In den zunächst von Albert R. Broccoli und Harry S. Saltzman, ab den 1970ern von Broccoli allein und seit Mitte der 1990er von dessen Tochter Barbara und seinem Stief- bzw. Adoptivsohn Michael G. Wilson produzierten Reißern ist dieses Element massiv in den Hintergrund gerückt worden. Der Geheimagent der Krone geht stattdessen überwiegend gegen megalomanische Superschurken vor, die Privatiers sind und mit denen gerade der Kapitalisten und Ausbeuter lustvoll neu- und zugleich dekonstruiert wie im Exzess zelebriert wird.

Ob mit Sean Connery, George Lazenby, Roger Moore, Timothy Dalton, Pierce Brosnan oder nun Daniel Craig: Die Nationalstaaten und ihre Ideologien mitsamt „ihrer“ Zeit des Kalten Krieges waren für den post-noblen Angestellten-Supermann zwischen Luxus, Libido und Lizenz zum Töten zu klein und steif. Schurken wie Dr. No oder Goldfinger oder mehrfach die Nemesis Ernst Stavro Blofeld waren eher die Kalter-Kriegsgewinnler, spielten die Staaten und Blöcke gegeneinander aus, erpressten sie, wollten einen Krieg zwischen ihnen anzetteln und nahmen immerzu die Privatisierung wie Globalisierung vorweg, wobei sie stets eine ökonomische Zwecklogik antrieb (die zwei Utopien-Schurken in THE SPY WHO LOVED ME / DER SPION, DER MICH LIEBTE und MOONRAKER / MOONRAKER – STRENG GEHEIM mal abgesehen).

Allein schon deswegen, wegen ihrer „Stillosigkeit“ und ihrem Ernst und Engagement für eine Glaubensfrage (ob sozialrevolutionärer, separatistischer oder religiöser Art), sind Terroristen als Gegenspieler für 007 schlecht geeignet weil ihm in seinem Hedonismus und seiner Abgeklärtheit bei allem Gutem Soldatentum unterlegen. Der richtige Bösewicht ist immer Gegenpart und Zerrbild des Helden und entsprechend müssen sie sich auf einer Ebene verständigen, sich in die Augen sehen, eine bestimmte Achtung und zugleich Verachtung für einander erübrigen können. Zum Beispiel, wenn es um das Edle und Teure geht, der Garderobe, der gesellschaftlichen Anlässe und ihren Institutionen – dem Golf- und Kartenspiel, dem Ball –, der Architektur, Autos, der Erotik und Exotik. Das ist der richtige Stand, und auch wenn sie beide, 007 und sein Gegenspieler, auf jeweils ihre eigene Art allen Luxus, der stets ein genüsslich egoistischer ist, als leere Hülle zurücklassen, braucht es in beiden einen (gemeinsamen) Level, auf den sie für sich, für einander und jeder für den Zuschauer damit „ihr“ Spiel treiben können.

Funktioniert das, wenn man vom – bestenfalls – Terrorfinanzier hinuntersteigt? James Bond im Smoking gegen die ETA? Oder am Roulette-Tisch gegen Osama Bin Laden?

Neben der strukturellen ergibt sich für die Terroristen noch eine weit simplere Hürde, die ihnen die Stellung als Weltverbrecher mit dem passenden Kaliber in den 007-Filmen verwehrt: Zu konkret und zu politisch würden sie mit ihrer unbequemen Ambivalenz den einfache Handling durch den Zuschauer in seiner Evasion stören und eine solche gewalttätige Realität mit einbringen, dass die unbeschwerte Gut-Böse-Balance kippte.

Die Spuren des Terrorismus sind denn auch sehr dünn in der nun bald 50-jährigen James-Bond-Filmgeschichte. Eine Sprengung in der Vortitel-Sequenz von GOLDFINGER, mit der (kubanische?) Revolutionäre in ihrem Treiben sabotiert werden, könnte man mit etwas gutem Willen noch dazu zählen, ansonsten aber hat sich 007 in den 1960ern und -70ern weder dem Linksextremismus (obwohl ein verlockendes Feindbild für den Snob Bond), noch dem internationalen Terrorismus der Palästinenser gewidmet – und wohlweislich schon gar nicht Nordirland, wo der britische Geheimdienst zu oft nicht sonderlich stilvoll und heldenhaft agierte und die Frage nach dem Verbleib des britischen Empires, das James Bond im Auftrag Ihrer Majestät als letzter Wachhund rund um den Globus kodiert verteidigt, allzu schmerzlich direkt an die Oberfläche getrieben und die Traum-Figur als solche entlarvt hätte (vgl. Bennett/Woollacott 1987; Zywietz 2007a).

1977 hatte Richard Maibaum allerdings die Idee, 007 gegen terroristische Nihilisten antreten zu lassen, die die alte Verbrecherorganisation SPECTRE übernehmen und kein anderes Ziel als die Weltvernichtung haben, was Broccoli zu politisch war (vgl. Tesche 2002, S. 147 f.; Cork/Scivally 2002, S 165). Stattdessen beabsichtigt nun der Schurke, der Schiffsmagnat Carl Stromberg, zwischen der Sowjetunion und den USA den Dritten Weltkrieg anzetteln, um auf dem Meeresboden eine neue Weltordnung zu begründen.



Erst zehn Jahre später, 1987 in THE LIVING DAYLIGHT /DER HAUCH DES TODES, wird Bond, nicht zuletzt mit Timothy Dalton als neuem Darsteller, etwas mehr „Realismus“ verliehen und Andreas Wisniewski als Killer Necros gegenübergestellt, dessen Kameraden vom Auftraggeber und Co-Ober-Schurken, dem Waffenhändler Whitaker (Joe Don Baker) für ihren „Kampf“ beliefert werden. Der gebürtige Westberliner gemahnt als Linksterrorist an die Zeit der RAF und ihre Ausbildung in Fatah-Lagern; hochgewachsen und blond ist er damit nicht nur einer der typischen, deutschen Helfershelfer wie „Hans“ (Ronald Rich) in YOU ONLY LIVE TWICE / MAN LEBT NUR ZWEIMAL (1967), sondern auch der perfide, hinterlistige infiltrierende Killer, der sich in Landhaus des Secret Services als Milchmann einschmuggelt oder mit „terroristischen“ Anschlägen Agenten tötet und damit im Kleinen den von größeren Schurken gesteuerten Radikalen gibt. Ein Jahr später war Wisniewski in DIE HARD zu sehen, als einer der als Terroristen „getarnten“ Gangster, die ein Hochhaus besetzen, um an die Wertpapiere in dessen Tresor zu kommen.

Mit den Mudschaheddin kämpft 007 in diesem Film auch in Afghanistan gegen die Russen – doch damals wie heute gilt und wird gerne vergessen, dass die Mudschaheddin nicht mit den Taliban gleichzusetzen sind wie auch diese nicht mit al-Qaida.

Der Begriff des „Terroristen“ findet erst in den 1990ern Einzug in den Sprachschatz der Serie. Abermals 10 Jahre später, 1997, erscheint in TOMORROW NEVER DIES Henry Gupta (Ricky Jay), der den üblichen Wissenschaftler für den diabolischen Medienmogul Elliot Carver (Jonathan Price) abgibt – der erneut einen Krieg für mehr Auflagen und die TV-Rechte für den chinesischen Markt lostreten will. Gupta, ehemals in Berkeley studiert, gelte, so Geheimdienstchefin M (Judi Dench), als Erfinder des „High-Tech-Terrorismus“, darf in Pluderhosen herumlaufen und auf einem Waffenbasar in – abermals – Afghanistan entdeckt werden. Darüber hinaus liefert er nur ein Gerät, mit dem Carver die GPS-Satelliten manipulieren kann und spielt keine größere Handlanger-Rolle als die Laser- und Atomwissenschaftler der übrigen Filme. Einen deutschen blonden Hünen als rechte Hand des Schufts, Stamper (Götz Otto), hat auch dieser Film.

Im nächsten Abenteuer findet sich endlich ein Terrorist - und ausgerechnet dieser Schurke ist einer der tragischsten und damit ambivalentesten der gesamten Bond-Reihe: Renard, dargestellt von einem fahlen, schmalen, hohlwangingen und -äugigen Robert Carlyle. Der Plot hat Züge einer klassischen Tragödie und kennt in seinen drei Hauptfiguren nur „lebende Tote“:



Nach dem Anschlagstod eines Erdölmagnaten, soll Bond (Pierce Brosnan) dessen Tochter und Erbin Elektra King (Sophie Marceau) beschützen, die in Aserbaidschan eine Ölpipeline baut. Vor Jahren wurde sie von dem weltbummelnden Terroristen Renard entführt. Doch dessen Lösegeldforderung wurde nicht erfüllt; Elektra konnte entkommen, und jetzt wird vermutet, dass Renard erneut hinter seinem Opfer her ist, sich gar mit der Ölkonkurrenz zusammengetan hat.

Doch tatsächlich sind Elektra und Renard zusammen, in einem gegenseitigen Stockholm-Syndrom verfangen: Elektra liebt Renard, der dank eines vom britischen Geheimdienst-Projektil im Schädel keine (physischen) Schmerzen mehr spürt und dem Tod geweiht ist; Renard wiederum will die seelisch vereiste Elektra die Welt zu Füßen legen, ihr bei ihrer Rache an denen helfen, die sie ihm damals überlassen haben (ihr Vater und die Geheimdienstchefin M, Bonds Vorgesetze).

Zuletzt muss Bond – qua Profession ebenfalls und notgedrungen abgestumpft – Elektra erschießen und Renard stoppen, der mittels eines russischen Atom-U-Boots den Bosporus atomar verseuchen, um Elektra das Monopol für ihre Öltransportlinie zu sichern. Soviel Emotionen hat man einem Bondschurken zuvor nicht zugestanden: Mitleid bekommt man angesichts Renards Schmerzensschreies, wenn er von Elektras Tod erfährt, sich, U-Boot und Istanbul nun in die Luft jagen will, weil es sonst nichts mehr gibt, wozu es sich zu leben lohnt. Wenn Bond ihn schließlich tötet, tauschen sie gar noch so etwas wie freundliche, mitfühlende Blicke, ein kurzes Innenhalten, und in des traurigen Renards fischige Augen schleicht sich so etwas wie Erlösung.

Auch in THE WORLD IS NOT ENOUGH schert man sich wenig um eventuelle politische Hintergründe; wie üblich bei Bond wird Renard in den schnellen Backgroundinfos des Secret Service zu einer Art Söldner gemacht, indem man einige Krisenherde als sein Betätigungsfeld aufzählt.

Auch im nächsten Bond nutzt man den in der Serie den da plötzlich in aller Munde geführten Begriff „Terrorist“, in DIE ANOTHER DAY / STIRB AN EINEM ANDEREN TAG der 2002 in die Kinos kam. Rick Yune spielt hier Zao, den Handlanger des nordkoreanischen Oberst Moon (Will Yun Lee), der sich per „Gen-Therapie“ in einen englischen Self-Made-Millionär namens Gustav Graves verwandelt (Toby Stephens) und per Killersatellit den Überfall des koreanischen Nordens auf den Süden zu forcieren. Entfernt sind hier politische Ziele erkennbar, doch Zao als Assistent wie Moon/Graves erfüllen nur wieder die typischen Bond-Schurken-Rollen, die hier in die wohl absurdesten Höhen der gesamten Serie geführt werden.

Auch der Neustart und „Prequel“ der Serie mit Daniel Craig in der Hauptrolle – CASINO ROYALE (2006) – gibt sich härter und realistischer, scheut aber weiterhin in der Frage des Terrorismus. Immerhin: Ein afrikanischer Warlord (Terrorist?) (Isaach De Bankolé) vertraut dem humorlosen Rechengenie und Finanzjongleur Le Chiffre (Mads Mikkelsen) sein Geld an – woraufhin Le Chiffre als „Bankier der Terroristen“ gehandelt wird. Einen Sprengstoffexperten (ebenfalls als Terrorist bezeichnet) kann Bond in Madagaskar ausschalten, den zweiten in letzter Sekunde davon abhalten, ein neues Flugzeugmodell in Miami in die Luft zu jagen. Doch keine ideologischen oder religiösen Gründe stecken hinter dem Attentatsplan, sondern Le Chiffres Aktienleerverkäufe der Fluggesellschaft. Nun lädt Le Chiffre zum exklusiven Pokerspiel, um den Verlust wett zu machen, derweil ihm die Afrikaner bereits wegen ihres verspekulierten Geldes im Genick sitzen.



Auch in CASINO ROYALE spielen die Macher mit dem Schauder und der Gefahr des Terrorismus, ohne ihm sonderlich nahe zu kommen oder sich die Hände daran schmutzig zu machen. Originell ist jedoch auch hier die Schurkenfigur – gerade in diesem Kontext. In der neuen Unübersichtlichkeit ist Schurke Le Chiffre, ganz in Schwarz, selbst nur ein Dienstleister, der unter Druck gerät und in als Rädchen in einem schmutzigen internationalen Getriebe selbst wiederum von einer namenlosen Dienstleistungsgesellschaft – repräsentiert von einem mysteriösen Mr. White (Jesper Christensen) – „vermittelt“ wird. Schon einen Film später, in QUANTUM OF SOLACE / EIN QUANTUM TROST (2008) kehrt man wieder zurück zu dem Großschurken, der ganze Länder beherrschen will. CASINO ROYALE aber vermittelt auf seine Weise einen – ganz und gar „Un-James-Bond-haften“ Eindruck von der modernen komplexen Vernetzung von Gewalttätern, Kriminellen, Spekulanten, Geheimdienstlern und Geschäftemachern, die alle verbunden und doch in ihrer Spezialisierung und Rationalisierung ganz für sich arbeiten bzw. keine Scheu haben, Aufgaben auszulagern. Nach der weltpolitischen ist bei Bond hier auch die wirtschaftstheoretische Wende eingeläutet.

SCHLUSS
Man sieht, die James-Bond-Filme halten sich fern von den Terroristen oder gehen mit ihnen recht vorsichtig um. Darüber hinaus sind die 007-Streifen jedoch höchst spannend, wenn es um die Terror- bzw. Katastrophen-Maschinen geht, die zumeist zur Erpressung eingesetzt werden, die die Großanschlagsszenarien und sonstige Super-Terror-Plots des (Terrorismus-) Actionfilms massiv mitbegründeten und den 11. September 2001 quasi „vorwegnahmen“.

Auch Bond selbst, bei allem Smoking und schießenden Luxusauto, verkörpert in gewisser Weise ein terroristisches Grundprinzip, wie es besonders nach 9/11 paradigmatisch in der Vorstellung geworden ist.

„[…] [G]erade in Zeiten des ‚Krieges gegen den Terror‘ [kann man] die Figur James Bond als durchweg pikanten Helden verstehen, was seiner Art der ‚Kriegsführung‘ betrifft. Wenn das Metier der Schurken in den 007-Filmen die Technikplanung ist, ist Bonds jenes der -improvisation, und wo es auf die Auseinandersetzung zwischen Höllenmaschine und Taschenmesser hinausläuft, kann man letzteres leicht als Teppichmesser lesen, mit dem sich z.B. Passierflugzeuge kapern lassen. Bond als asymmetrischer Krieger, der sich in den Apparat des Feindes einschleicht, um ihn mit allerlei Täuschung, von innen her zu besiegen? Man kann James Bond bei all dem spielerischen Charakter seiner Abenteuer als mittlerweile unangenehm vertraute Version des David sehen, der gegen Goliath antritt“ (Zywietz 2007b, S. 171).




Literatur:

Bennett, Tony / Woollacott, Janet (1987): Bond and Beyond. The Political Career of a Popular Hero. London: Routledge

Cork, John / Scivally, Bruce (2002): James Bond. Die Legende von 007. Bern, München, Wien: Scherz

Tesche, Siegfried (2002): Das große James-Bond-Buch. Berlin: Henschel

Zywietz, Bernd (2007a): Faszinosum 007. Mythos, Souveränität und Nostalgie oder: Wie „James Bond“ funktioniert. In: Andreas Rauscher / Bernd Zywietz / Georg Mannsperger / Cord Krüger (Hrsg.): Mythos 007. Die James-Bond-Filme im Fokus der Popkultur. Mainz: Bender Verlag,S. 16–35

Zywietz, Bernd (2007b): „Schmutziges Gerät“. Zur Technik der Bond-Schurken. In: Andreas Rauscher / Bernd Zywietz / Georg Mannsperger / Cord Krüger (Hrsg.): Mythos 007. Die James-Bond-Filme im Fokus der Popkultur. Mainz: Bender Verlag, S. 160–180

09.12.2009

DVD: DIL SE / VON GANZEM HERZEN


DIL SE (dt: VON GANZEM HERZEN) (IND 1996)

R + B: Mani Ratnam; (Dialoge: Sujatha, Tigmanshu Dhulia). P: Shekar Kapur, Mani Ratnam, Ram Gopal Varma. K: Santosh Sivan. M: A.R. Rahman. SCH: Suresh Urs
D: Shahrukh Khan (Amarkahnt „Amar“ Varma), Manisha Koirala (Meghna), Preity Zinta (Preeti Nair); Raghuvir Yadav (Shukla)

Format: Dolby, PAL, Surround Sound
Sprache: Deutsch / Tamil
Untertitel: Deutsch
Region: Region 2
Bildseitenformat: 16:9 - 1.77:1
Anzahl Disks: 1
FSK: ab 16 Jahren
Spieldauer: 159 Minuten


Die erste deutsche DVD-Veröffentlichung bot noch eine bescheidene Bildqualität und nur die Untertitelung der bereits in Hindi synchronisierten Fassung. Bei der Neuauflage von DIL SE hat Rapid Eye Movies nun diesem jungen Klassiker des indischen Films mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Die tamilische Originalsprachfassung von UYIRE (so der Tamil-Titel) ist zu haben, dazu noch eine deutsche Synchro-Version. Dass und wie letztere trotz der Schmähung der Genießer, die auf die Originalstimmen setzen, eine ganz eigene, aufwändige Kunst für sich ist, zeigt das Bonus-Material der neuen DIL-SE-DVD, in der u.a. Shahrukh-Khan-Sprecher Pascal Breuer bei seiner Arbeit gezeigt wird.

Damit ist geschickt kaschiert, was ansonsten etwas traurig ist: dass ein eigenes Making of von DIL SE oder dergleichen nicht zu haben ist – sicher weil es ein solches Material schlicht nicht gibt. Eine kleine Entschädigung bietet das 15-Seiten-Booklet mit einem Text von Susanne Marschall, Dozentin der Mainzer Filmwissenschaft und Expertin des indischen Kinos, die Hintergrundinformationen zu DIL SE beisteuert und auf diverse Vorzüge und Aspekte des Films hinweist.

DIL SE ist der dritte Teil von Mani Ratnams Trilogie über politische und religiöse Gewalt. Mit ROJA (1992) widmet er sich dem kaschmirischen Separatismus: Der Gatte der frischvermählten Südinderin ROJA wird dort gekidnappt, auf dass sie sich für seine Befreiung einsetzt. BOMAY / BUMBAI (1995) macht den Zwist zwischen Hindus und Muslimen zum Gegenstand; erst auf dem Land, wo sich Mann und Frau über die Religionsgrenzen hinweg verlieben, dann in der (titelgebenden) Großstadt, wohin sich die Beiden flüchten und wo sie vor ethnischen Differenzen scheinbar sicher sind – bis zu den Ayodhya-Unruhen mit ihren Grausamkeiten (1992/1993), die Indien bis heute traumatisiert haben.

Aus BOMBAY „mitgebracht“ hat Ratnam für DIL SE Manisha Koirala als seine Hauptdarstellerin. Sie spielt Meghna, eine scheue, abweisende junge Frau, in die sich der All-India-Radio-Reporter „Amar“, Repräsentant des zentralistischen, urbanen Indiens, Hals über Kopf bei seiner Reise in den unruhigen Nordosten verliebt. Shahrukh Khan gibt hier den für ihn typischen fröhlichen Charmeur mit Hoppla-jetzt-komm-ich-Attitüde, doch an Meghna beißt er sich die Zähne aus: Immer wieder begegnet er ihr, reist ihr nach, kommt ihr näher – und gibt schließlich doch auf, als sie erneut verschwindet. Er kehrt nach Delhi zurück, verlobt sich wie von den Eltern erwünscht (und arrangiert), ohne freilich Meghna vergessen zu können.



Diese steht dann pünktlich zur Verlobungsfeier vor Amars Tür. Denn was der Held noch nicht weiß: Meghna ist nicht (nur) die schutzbedürftige Frau, die es in und aus einer Welt der Gewalt zu retten gilt (wie es Amar sich in einer Song-and-Dance-Szene „erträumt“), sondern selbst eine durch politisches Trauma, Mord und Vergewaltigung seelisch verwüstete Aktivistin und Terroristin, die mit einer Gruppe einen Anschlag auf die indischen Unabhängigkeitsfeierlichkeiten plant. Die Polizei auf den Fersen, sucht sie nun Unterschlupf bei Amar und über seine Stellung bei der Presse Zugang zu den Festivitäten.

******* Achtung Spoiler! Informationen zu Wendungen und Ausgang des Films werden im Folgenden angesprochen und damit „verraten“ ****************

Amar gerät nun zwischen Polizei und Terroristen und kann Meghna, die bereits ihre Mission zu bezweifeln begann, aber sich die Liebe zu Amar nicht erlaubt (oder erlauben „kann“), abfangen, als sie sich mit der Sprengstoffweste versehen auf den Weg zum Attentat macht. In der typischen Bollywood-Welt der großen Geste kann und will Amar ohne Meghna nicht sein; auch sie ist hin und her gerissen – und ergibt sich, so schein’s, in ihr Schicksal. In höchster tragödischer Schließung werden Amar und Meghna von Meghnas Bombe zerrissen.

Ratnam, der in Madras (dem heutigen Chennai) an der Ostküste geboren wurde, arbeitet stets ein wenig außerhalb der „industriellen“ Standards, die das Bollywoodkino Mumbais vorgibt. Mit DIL SE hat er die Gesetze des „Masala“-Films jedoch zu sehr verletzt: Nach den Erfolgen von ROJA und BOMBAY wurde DIL SE erwartungsvoll in Hindi synchronisiert (normalerweise läuft es eher andersherum), doch der Film – im Ausland gepriesen – floppte trotz diverser Filmfare-Awards an den Kinokassen (so zumindest Virdi 2003).



So steht Amar mit seinem Darsteller Shahrukh Khan nicht nur für die indische Einheit, das ideale Hindustan und den Wert und Fortschritt der Nation beschwörenden Zentral-Inder, sondern auch für Bollywood mit seiner Leichtigkeit und damit dem Ungenügen gegenüber der realen Probleme und der Zerrissenheit des Landes an den Grenze. Diese symbolisiert Meghna, als Vertreter des „Anderen“, der Peripherie, für die die „heile Welt“ keine Gültigkeit haben kann (vgl. dazu auch Chakravarty 2005). Es ist denn auch nur bedingt richtig, wenn Susanne Marschall im Begleittext DIL SE als eine Auseinandersetzung mit dem Kaschmirkonflikt darstellt: Tatsächlich stehen Meghna, ihre Kampfgenossen, ihr Unfrieden, ihre Unzufriedenheit mit der Zentralregierung und die traumatische Gewalt, die sie radikalisiert haben stellvertretend für alle geographisch peripheren Krisenherde der Nation. Ratnam verwischt die konkreten Konfliktgrenzen bzw. verbindet sie: So beginnt der Film in Assam, wohin Amar reist, um die Bevölkerung zu interviewen. Er zeichnet Beschwerden über die Nichtbeachtung durch Delhi auf, befragt einen Rebellen- / Terroristenführer, der wegen der Unterdrückung für Unabhängigkeit kämpft. Erst später reist er Meghna nach Kaschmir nach, die dort schließlich in einer Hütte in einem Bergdorf den Terroristen-Eid ablegt.



Woher Meghna genau stammt, lässt der Film offen. Ihr Heimatdorf wird zum einen als schneebedeckt und bergig (Kaschmir), gleich im Anschluss als schneefrei und im Wald gelegen präsentiert – eine weitere Verlinkung des unruhigen Nordostens (mit Assam, Tripura, Nagaland etc.) und dem Kaschmirgebiet. Die entsprechende Rückblende wird jedoch deutlich und eindringlich, wenn es um ihr Schicksal geht, wenn er zeigt, wie die Menschen in ihrem Dorf getötet, ihre Schwester vergewaltigt und ihr (angedeutet) dasselbe widerfährt – eine Traumatisierung, die sie, mit ersticktem, zum Schrei erstarrtem Gesicht, wieder einholt. Amars traditionell virile Annäherung und die entsprechende Rollenverteilung vom erobernden Mann und der zu erobernden Frau des Bollywood-Kinos versagt damit besonders bitter.

Wenn Amar Meghna schließlich zur Rede stellt, bietet DIL SE einen ebenfalls besonders tiefgreifenden Schlagabtausch zwischen den beiden und die von ihnen repräsentierenden Positionen. Er will alles für sie aufgeben, davonlaufen sollen sie, Meghna alles vergessen. Die schreckliche Vergangenheit: Fehler einzelner. Und, ein besonders hartes Argument, von ihm, dem Sohn eines verstorbenen Militärs (und das Militär behauptet in Indien wie im Hindi-Kino eine besondere Ehrenposition): Ohne die Sicherheitskräfte würden sich die einzelne Stämme doch nur gegenseitig massakrieren. (Der Film zeigt denn auch die Grausamkeit in Meghnas Dorf nicht klar als eine der Armee, nur Waffen, Schemen, Subjektive der Vergewaltiger.)

Meghna kontert. Wirft ihm die Ferne zu den Schrecklichkeiten vor, die auch von den Sicherheitskräften begangen werden: Mord, Vertreibung, Vergewaltigung. Der Wunsch nach Rache entwächst daraus; darauf wird der Anschlag hinweisen – und wie kann Indien seine Unabhängigkeit feiern, wenn es zugleich die Völker an seinen Grenzen unterdrückt.



Beide haben sie Recht und beide irren sie, genauer: stecken hoffnungslos fest in ihrer Weltsicht und deren „Lösungen“. Die spröde, traurige Meghna kommt aus ihrem Hass, ihrem Kampf und der formalisierten Opferbereitschaft nicht (mehr) heraus; Meghna, der der Freiheitskampf die einzige Heimat und Identität verleiht. Amar wiederum hat und kann nicht mehr bieten als die fadenscheinigen Bollywood-Weisheiten vom Vergeben und Vergessen, dass lediglich Einzelne schuldig sind und die Liebe alles richten wird. DIL SE präsentiert diesen Widerstreit in letzter Konsequenz, wenn er seine beiden Liebenden zuletzt an und in ihren Gegensätzen, gegen und miteinander „zerreißt“.

Hierin ist und bleibt DIL SE freilich doch Bollywood, gibt Amar eher Recht und lässt ihn „gewinnen“: Der Anschlag wird verhindert (und für die restlichen Terroristen interessiert sich der Ratnam gar nicht mehr), Amar, der ohne seine Meghna nicht leben will, muss dies auch nicht; beide sind sie im Tod vereint. Immerhin findet so auch Meghna einen – wenn auch bitteren – Frieden. Warum die Bombe schließlich explodiert, einfach so oder bewusst gezündet, lässt DIL SE offen.

Letztlich ist DIL SE denn auch kein Politthriller, sondern „nur“ eine Liebestragödie, die jedoch bestechend direkt und eindringlich das Tragödische des Terrorismus einbindet und zur Schau stellt, indem er traurige Besessenheit mit Gutmenschen-Hoffnung kollidieren und beide aneinander ausradieren lässt. Dass er keinen Lösungsverweis jenseits der Welt des persönlichen Leids und seiner Kinotraumwelt anbietet, ehrt ihn dabei.



Für die richtige Mischung zwischen Kintopp und Problemfilm bieten denn auch die vorzüglichen Namen, die Ratnam hierzu versammeln konnte. Die mitreißende Musik stammt von A.R. Rahman, der 2009 den Oscar für SLUMDOG MILLIONAIRE (2009) erhielt, derweil die Tanzszenen von Farah Khan choreographiert wurden, die mit OM SHANTI OM (2007) und MAIN HOON NA (2004) selbst zur Erfolgsregisseurin avancierte.

Zwischen gelackter und poetischer Schönheit, Konstatierung und farbsymbolischer Kommentierung bezieht die Kameraarbeit von Santosh Sivan die richtige Zwischenposition – Santosh Sivan, der selbst als Regisseur arbeitet und sich mit THEEVIRAVAATHI: THE TERRORIST (1999) und TAHAAN (2008) dem Terrorismus und seinen Zu- und Umständen auf eine bisweilen fast elegische, impressive oder naturschwelgerische poetische Distanz gewidmet hat.

Bernd Zywietz

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Literatur:

Chakravarty, Sumita (2005): Fragmenting the Nation: Images of Terrorism in Indian Popular Cinema. In: J. David Slocum (Hg.): Terrorism, Media, Liberation. New Brunswick NJ / London 2005: Rutgers University Press, S. 232–247.

Marschall, Susanne (2009): Von ganzem Herzen. Mani Ratnams Meisterwerk. DVD-Begleitbooklet. Rapid Eye Movies.

Virdi, Jyotika (2003): The Cinematic ImagiNation. Indian Popular Films as Social History. New Brunswick, NJ / London: Rutgers University Press.

03.12.2009

DVD: DER BAADER MEINHOF KOMPLEX (TV-Fassung)

Nicht genug
Auch die TV-Langfassung DER BAADER MEINHOF KOMPLEX (TV-Fassung) ist kein guter Film - aber aus besseren Gründen schlecht, als mancher meint

von Bernd Zywietz



Statt im dramatischen Schwarz-Rot der ersten DVD-Veröffentlichung nun in gespenstischem Weiß: Die „authentischen“ Bilder Martina Gedecks, Moritz Bleibtreus und Johanna Wokalek lassen ihre Ulrike Meinhof, Andreas Baader und Gudrun Ensslin noch mehr zu Gespenstern werden, auf dem Cover der Doppel-Disc, mit dem nun die TV-Langfassung des BAADER MEINHOF KOMPLEX erschienen ist. Und tatsächlich geisterte die RAF nach der Ausstrahlung (22. u. 23. November) wieder umher: Eine Anne-Will-Talkrunde im Anschluss an den ersten Teil gab es – und auch das Schimpfen auf Ulli Edels (Regie) und vor allem Bernd Eichingers (Produzent u. Drehbuchautor) Parforceritt durch Stefan Austs Sachbuch: ein leises Echo all der Aufregerei, die der BAADER MEINHOF KOMPLEX vor einem Jahr provozierte.

Auf der Website der taz schreibt Stefan Reinecke:

„So jagt der "Baader Meinhof Komplex" von Kugelhagel zu Kugelhagel, von einer atemlos verlesenen Kommandoerklärung zu nächsten, von Leiche zu Leiche. Gudrun Ensslin (Johanna Wokalek), stets mit kajalstiftschwarzen Augen, ist eine mal kühle, mal geifernde Killerin. Und wie schon im Kino fragt man sich: Warum das alles?“

Schon zum Kinostart hatte Ulrich Kriest im film-dienst (Nr. 20/2008) erklärt, weshalb es den BAADER MEINHOF KOMPLEX nicht „braucht“; als „Porno“ wurde er der Film mehrfach bezeichnet.

Eichinger kam jetzt auch noch einmal auf der ARD-Website zu Wort:

Die Kritiker hackten geradezu tollwütig auf den Film und gegenseitig aufeinander ein. Es war unglaublich. Eine derartig massive Reaktion kann ich mir nur dadurch erklären, dass das Thema immer noch eine offene Wunde im kollektiven Unterbewusstsein ist. Ich glaube auch, dass die Reaktionen deshalb so überschäumten, weil wir in unserem Film keine einfachen Antworten auf das ‚wieso‘ und ‚warum‘ geben wollten. Das konnten wir auch nicht, weil es keine einfachen Antworten gibt. Deswegen heißt der Titel des Films auch ‚Der Baader Meinhof Komplex‘ und nicht ‚Simplex‘."

Zunächst mal: Die TV-Fassung erklärt nicht mehr. Szenen wurden verlängert, einige kamen hinzu – so wenn Baader und Mahler sich Aust und Peter Homann vorknöpfen wollen (weil Aust Meinhofs Kinder aus Italien geholt hat) und die beiden samt Damenbegleitung im letzten Moment zur Hintertür hinauskommen. Ausführlicher sind die Prügel der Polizei beim Schah-Besuch, der Aufstand im Jugendheim, aus dem sich Peter-Jürgen Book zu Ensslin und Baader flüchtet. Manches macht Sinn, korrigiert Anschlussfehler, gewährt mal hier, mal da eine Dialogzeile mehr. Manches, wie die Szene, wenn Meinhof ihren Mann beim Sex erwischt, ist schlicht sinnlos – der Flashback danach, in dem dasselbe erzählt wird, wurde nicht entfernt. (Eine detaillierte Übersicht über die Änderungen die Website Schnittbericht.com für den ersten Teil HIER, für den zweiten DA.)

Rund 13 Minuten länger ist das Ganze, und gerade eine neue Szene dürfte den Kritikern auf den Magen schlagen: Jene, in der Ensslin auf einer Kellerparty vom Tod Benno Ohnesorgs hört und sofort herumkrakeelt, man müsse sich jetzt bewaffnen.



Das ist natürlich ganz plump, verkürzt die Geschichte auf einfache Kausalität, ohne Rücksicht auf Zeit und Stimmung, auf Politik und Historie: Weil Ohnesorg erschossen und im Fernsehen Vietnam bombardiert wird, geht Ensslin in den Untergrund; weil Röhl auf einer Party fremdvögelt, kommt Meinhof mit. Natürlich war es nicht so einfach und so einfach macht es sich der Film schließlich auch nicht, weil es ihm gar nicht mal darum geht, Analyse zu betreiben. Er zeigt, was zu sehen war. Dabei haben sich Eichinger und Aust mit ihrem Pochen auf Authentizität und dem „So-war-es!“ selbst bzw. dem Film DER BAADER MEINHOF KOMPLEX ein Bein gestellt. Auf der anderen Seite spotten die Kritiker über den detailversessenen Bebilderungswahn und fallen doch, wie taz-Reinecke, darauf ein, indem sie sich überhaupt darauf einlassen:

Laut Stefan Aust ist alles ‚so authentisch, wie es in einem Spielfilm möglich ist‘. Die Autos, die Uniformen, jedes Detail, jedes Einschussloch so genau wie möglich. Man hat sogar das Originalklo aus Stammheim verwendet. Nur in der Szene, in der Jürgen Ponto von Mohnhaupt erschossen wird, stimmt offenbar nicht viel. So ernst ist es mit dem Authentischen dann doch nicht.

Ansonsten wird von Reinecke wie von vielen anderen bemängelt, dass alles viel zu schnell ginge und: dass der Filme keine Idee habe (Michael Althen von der FAZ warf dem BMK zum Kinostart Haltungslosigkeit vor).

Dies alles ist freilich ein bisschen arm, insofern man sich beim Nachzählen der Einschusslöcher nur auf dasselbe naive Realismuskonzept einlässt, das die Macher postulieren und damit wenig über den Film selbst aussagt. Dies fehle und jenes bliebe unerwähnt: natürlich! Wie auch nicht? Und ein wenig klingt „haltungslos“, „ohne Standpunkt“ und dergleichen denn auch etwas fade, einfach schon weil „keine Haltung“ in Sachen filmische RAF-Auseinandersetzung auch schon wieder eine Haltung bedeutet. Man kann den BAADER MEINHOF KOMPLEX als die Adaption eines Wikipedia-Artikels betrachte, auch als „Räuberpistole“ bezeichnen, wie es Thomas Krüger, Chef der Bundeszentrale für politische Bildung bei einer Veranstaltung tat, doch vielleicht ist genau eine solche einfach mal nötig.

Denn womöglich war es damals ja auch genau das, eine Räuberpistole, und nicht die Antigone-Tragödie, die Thomas Elsässer (vor allen in den Zugriffen DEUTSCHLAND IM HERBST und TODESSPIEL) ausmacht? Tatsächlich nämlich zeigt Eichingers und Edels DER BAADER MEINHOF KOMPLEX gar nicht, wie es wirklich war, sie zeigen (s)eine Oberflächenwahrnehmung. Ob in Fernsehen oder Kino: Der Film ist und muss geradezu platt und eindimensional sein, weil er die Wiedergabe nicht nur eines Sachbuchs ist, sondern auch von allerlei lllustriertentiteln und ihren -fotostrecken. DER BAADER MEINHOF KOMPLEX erzählt nicht die Geschichte, baut auch nicht an deren „Mythos“, sondern notiert deren hilflosen Grusel, ist hier ein bisschen BILD-Zeitung, da ein wenig „Tagesschau“ und sitzt letztlich ebenso nur mit den Ensslins auf der Couch wie er nur einer derer in der Masse um Holger Meins Grab ist oder sich nach Pulp-Manier den Tod der schönen Petra Schelm zusammenphantasiert. DER BAADER MEINHOF KOMPLEX ist somit zugleich RAF-Sympathisant und bürgerlicher Verächter von „solchem“ Studentenpack – kurz in allen Widersprüchen ziemlich bundesrepublikanisch-deutsch, was auch heiß, zwischen Dabeiseinszwang, analytischer Distanz und der Angst vor beidem weder Platz noch Ruhe noch Identität zu finden.



Nein, DER BAADER MEINHOF KOMPLEX baut selbst sicher nicht an einem „Mythos“. Überhaupt „Mythos“, was soll das heißen; der „Mythos RAF“ – eine spannende, aber leere selbstzweckhafte Chiffre, denn:

Der Mythos ist vor allem eine Narration. Er erzählt eine Geschichte, allerdings ohne einen individuellen identifizierbaren Geschichtenerzähler und ohne eine genauer bestimmbare Zuhörerschaft“ (Kraushaar 2006, S. 1186).

Und: „Je mehr das historische Bewusstsein anwächst, umso stärker büßt der Mythos auch an Energie, an Lebenskraft ein. […] Politische Mythen haben vor allem die Aufgabe, ein Kommunikationsdefizit zu kompensieren. An die Stelle, an der eine politische Aussage zu erwarten ist, die in Wirklichkeit jedoch leer bzw. verwaist bleibt, wird eine Form gesetzt, eine Form, die eine Botschaft enthält. Eine message ersetzt die Aussage“ (ebd., S. 1187).

Sicher, das mit der leeren Stelle, an der die Botschaft fehlt, das klingt nach DER BAADER MEINHOF KOMPLEX, doch dann wäre der Film der Mythos, nicht die RAF, die unter historischem Bewusstsein so sehr begraben ist, dass sie selbst nichts erzählt oder erzählt wird, dass schon eine simple Bombastproduktion wie Eichingers und Edels Film Abscheu und Hohn hervorrufen, indem er der erste Kino(!)film ist, der nicht um sie herumschleicht – Fassbinders großartigen und boshaften, nun auch 30 Jahre alten DIE DRITTE GENERATION [1979] vielleicht ausgenommen. Und während bei Fassbinder die Freizeit-Terroristen vom permanenten Medienhagel zugemüllt werden, bildet DER BAADER MEINHOF KOMPLEX diese Erfahrung der Bruchstückhaften und Inkonsistenzen, aber physisch Direkten ab.

Nein, wenn „BMK“ etwas erzählt, dann wie man sich die RAF gegenseitig erzählt hat und heute umso mehr erzählt. Kolportage war dabei, aber auch Märtyrertum (Holger Meins), und wenn der Film die berühmten Szenen, an denen sich die „Bilder-Geschichte“ entlang hangelt, nachstellt, dann vergisst er – ein kleiner aber feiner Zug – nie, immer auch noch zu zeigen, wie diese Bilder gerade gemacht werden: Benno Ohnesorg in seinem Blut oder die Verhaftung Baaders. Auch, dass der Film zum Ende hin immer mehr zerfällt, macht Sinn; waren nicht auch die Mitglieder der zweiten Generation, jene des Jahres 1977 - verglichen mit der ersten - fanatischer, irrlichternder, phantomatischer, vollends eine Zerfallen und Nachrücken; eine lose Gruppe, der es vor allem um die Freipressung der Inhaftierten ging, womit dem „Kampf“ etwas Selbstzweckhaftes zukommt? Dass die „dritte Generation“ gänzlich wegfällt, ist da nur konsequent.

Wie steht es sonst mit den Vorwürfen?
Jemand, der die Geschichte(n) und Hintergründe nicht kenne, könne kaum folgen. Freilich hatte dies auch niemanden an DEUTSCHLAND IM HERBST gestört, und wenn der BAADER MEINHOF KOMPLEX von der Québecer Befreiunsfront FLQ handeln würde, würde diese Konsequenz des „Nicht-Erzählens“ und Verweigerns als konsequent beklatscht werden.

DER BAADER MEINHOF KOMPLEX mache die RAF vollends zu Pop?
Filme im populären Sinn funktionieren über Identifikationsvorgänge; gesamtgesellschaftliche Phänomene werden beispielhaft an den Konflikten einzelner Helden oder Antihelden, auf individueller Ebene, nachvollziehbar gemacht – insofern ist es dem Medium eigen, zu entpolitisieren. Auch aus diesem Grund ist Film Popkultur“ - schrieb Petra Kraus mit anderen 1997 (S. 8), in einem Buch zu den RAF-Filmen.

An den BAADER MEINHOF KOMPLEX war da nicht mal zu denken, vielleicht war er aber zwangsläufig: Von den Sympathisantendramen, von Trottas DIE BLEIERNE ZEIT (1981), in der viel von einer Terroristin, Barbara Sukowa als kaschierte Gudrun Ensslin, aber wenig von Terrorismus zu sehen war, über Petzolds clever steril-reduziertes Drama DIE INNERE SICHERHEIT (2000) reicht der Entleerungs- und Pop-Bogen bis zu Christopher Roths grandioser Posse BAADER (2002), der den Terroristen-James-Dean (gespielt von Frank Giering) durchstilisiert, seine Geschichte schreibt, wie sie sich „gehört“, kurz: mit diesem Baader macht, was er will – ihn nächtens auf einsamer Landstraßen Horst Herold (Vladim Glowna) treffen und im Kugelhagel des Shootouts bei der Festnahme sterben lässt, zum Beispiel.

Will man dem BAADER MEINHOF KOMPLEX also etwas vorwerfen, dann dass er nach BAADER, aber auch TODESSPIEL ein bisschen zu spät kommt. Doch zu wenig Ideen hat dieser Film nicht, er hat zu viele Stimmen.

Das Beste an der neuen DVD-Erscheinung ist denn das (nicht mehr neue) Bonusmaterial. Es zeigt die detailversessenen Vorarbeiten für die passende Garderobe oder den richtigen Zeitschriftentitel am Kulissen-Kiosk, was eigentlich Quatsch ist, doch man kommt nicht umhin, die bemerkenswerte Arbeit all der Rechercheure, Requisiteure und Kostümschneider zu achten. Der großartige Thomas Thieme, der den Stammheim-Richter Prinzing spielt, darf hingegen „ungestraft“ erzählen, dass es halt ein Film ist, und es ihm herzlich egal bleibt, ob jedes Wort verbürgt ist; um eine andere Art von Aufrichtigkeit ist es ihm getan. Spätestens hier merkt man, dass DER BAADER MEINHOF KOMPLEX nochmal so lange hätte sein sollen und müssen, zumindest des „Handwerks“ wegen, das in dem Film steckt.

Auch Eichinger kommt zu Wort. In „Bernd Eichingers über die Dramaturgie des Films“ zeigt er sich bewusst über das Zerhackte des Films: Eine „Fetzendramaturgie“ hat der Film und sollte sie von Anfang an haben. Eichinger ist sich auch nicht zu fein dafür, auf die (schreckliche) Faszination, die von der Gewalt der RAF ausging, hinzuweisen und sie in den Mittelpunkt zu rücken.



Womöglich liegt hier das Problem des Films DER BAADER MEINHOF KOMPLEX: Die Intentionen sind spannend, das Blut der Opfer darf fließen (so begrüßte Hanns-Martin Schleyers Sohn Jörg in einem report München Beitrag vom 23. Nov. dass der Film endlich auch das Ausmaß der Gewalt zeigt). Doch die traditionelle Inszenierung eines Actionthriller verzeiht die Fetzendramaturgie nicht. Auch die Filmmusik, so wie sie ist, wird von den Komponisten klug erklärt („Die Musik“), soll Angst und Spannung vermitteln, auch den Film mit seinen Einzelfiguren zusammenhalten – und klingt schließlich doch (nur) haargenau wie John Powells drängender rhythmischer Streicher-und-Elektro-Sountrack zu den BOURNE-Filmen (2002, 2004, 2007).

Im Grunde hat also jeder im Einzelnen mit DER BAADER MEINHOF KOMPLEX gute Arbeit geleistet, doch das der Film insgesamt kein guter geworden ist, liegt nicht an seinem Anspruch, an der Authentizitätspenetranz (die ohnehin nicht die des Films ist, sondern die seiner Macher), nicht mal am Fehlen von Anspruch, Haltung und Geschichtlichkeit (als Kunstwerk oder in dem, was er erzählt); es liegt nicht mal im Scheitern oder am Bombast-Event-Getue und dem Bildungspopanz drum herum. DER BAADER MEINHOF KOMPLEX ist simpel insofern misslungen, als Form und Inhalt nicht recht zueinander finden, was wiederum einen Grund darin hat, dass der Film trotz seinem 20-Millionen-Budget und auch in der TV-Fassungslänge nicht extrem genug ist: „billiger“ und länger hätte er sein müssen oder noch geraffter, und teurer. Mehr Genre-Kino oder weniger oder ein eigenständigeres.

Kurzum: Es macht nichts, dass DER BAADER MEINHOF KOMPLEX eine „Räuberpistole“ ist, er ist nur nicht (seine eigene) Räuberpistole genug.



Literatur:

Das Erste online (2009): „Einfache Antworten gibt es nicht“. Interview mit Produzent Bernd Eichinger
Unter: http://www.daserste.de/baadermeinhofkomplex/allround_dyn~uid,4lw4vdqeylygrf1s~cm.asp

Elsaesser, Thomas (2007): Antigone BRD: Die Rote Armee Fraktion, Deutschland im Herbst und Todesspiel. In: ders: Terror und Trauma. Berlin: Kadmos, S. 49 – 111.

Kraus, Petra / Lettenewitsch, Natalie / Saekel, Ursula (1997): „Filme statt Bomben“ – Terrorismus im Film. In: Petra Kraus et. al. (Hg.): Deutschland im Herbst – Terrorismus im Film. (Begleitpublikation zur Filmreihe „20 Jahre Deutschland im Herbst“, Filmmuseum im Münchner Stadtmuseum). München: Münchner Filmzentrum, S. 6 – 10.

Kraushaar, Wolfgang (2006): Mythos RAF. Im Spannungsfeld von terroristischer Herausforderung und populistischer Bedrohungsphantasie. In: ders. (Hg.): Die RAF und der linke Terrorismus. Bd. 2. Hamburg: Hamburger Edition, S. 1186 – 1210.

Kriest, Ulrich (2008): „Action speaks louder than words“. Oder: Warum niemand den Film „Der Baader Meinhof Komplex“ braucht. In: film-dienst, Nr. 20, S. 6 – 9.

Reinecke, Stefan (2009)
: Simply the Best of RAF. „Baader Meinhof Komplex“ in der ARD. taz online. Unter: http://www.taz.de/1/leben/medien/artikel/1/simply-the-best-of-raf/



DER BAADER MEINHOF KOMPLEX – TV-Langfassung (2 DVD)
(HIER einfach und direkt in unseren Online-Shop zu bestellen).
Darsteller: Moritz Bleibtreu, Martina Gedeck, Johanna Wokalek
Regisseur: Uli Edel
Sprache: Deutsch (Dolby Digital 5.1), Deutsch (DTS 5.1)
Region: Region 2
Bildseitenformat: 16:9 / 1.77:1
FSK: ab 12 Jahren
Spieldauer: 160 Minuten
Bonusmaterial:
- Making Of
- Uli Edel (ca. 12 Min.)
- Über Authentizität (ca. 23 Min.)
- Die Musik (ca. 11 Min.)
- Die Schauspieler und ihre Rollen (ca. 38 Min.)
- Stefan Aust überm die RAF und ihre Zeit
- Bernd Eichinger über die Annäherung an den Film und die 60eru und 70ero Jahre (ca. 15 Min.)
- Bernd Eichingers über die Dramaturgie des Films (ca. 10 Min.)

26.11.2009

Buch: Araber im Actionfilm


Karin Gwinn Wilkins:
Home/Land/Security. What We Learn about Arab Communities from Action-Adventures. Lanham, MD: Lexington Books 2009.
ISBN: 978-0739127858

Karin Wilkins, Associate Professor an der Universität Texas, präsentiert in diesem rund 105 Seiten langen Bändchen die Ergebnisse ihrer Untersuchung zur Einschätzung von US-Actionfilmen, deren Darstellung des arabischen bzw. muslimischen Terroristen und der ideologische Kontextualisierung. Schon zuvor hat Wilkins dazu vorgetragen; entsprechende Papers, u.a. The Problem with Mediated Terrorism in US Action-Adventure Film: Explorations in Matters of Prejudice and Knowledge (präsentiert auf der Jahrestagung der International Communication Association in Dresden 2006) finden sich bei Allacademic.

Wilkins Ausgangspunkt ist kein neuer. Wie andere (z.B. Kathib) und in der Tradition des populären Vorstreiters gegen die Stereotypisierung von Arabern in den Medien und vor allem im Film, Jack Shaheen (auf die Wilkins auch verweist), geht sie von einem ideologischen vorgeprägten Bild des Arabers gemäß Edward Saids „Orientalismus“-Kritik aus. Dementsprechend bekannt sind die „Vorwürfe“: Neben der institutionalisierten Ideologie würden Medien ein simplifiziertes homogenes Araber-Bild konstruieren, das ihn irrational und als fremden „Anderen“ zeigt, wobei darin die westliche Überlegenheit behauptet wird. Die Darstellung der Araber würde sich so negativ – quasi im kollektiven Gedächtnis – festsetzen und Vorurteile bzw. Resentiments befördern, was insbesondere im Kontext von Terrorismus und Homeland Security eine Rolle spielt. Nach eigenen Angabe fragt Wilkins denn auch nach „the ways in which political power permeates about action-adventure-film, demonstrating how mediated Orientalism becomes manifest in the articulated discourse of the viewers“ (S. 23).

Für ihre Untersuchung hat Wilkins 63 Probanden in offenen Gesprächen über ihre Erfahrung, Meinung und Einstellung zu Actionfilmen befragt. In der Auswertung wird besonders dem Unterschied zwischen Arabisch-Stämmigen und non-Arab Americans Beachtung geschenkt; Zitate der transkribierten Aussagen verdeutlichen die jeweiligen Standpunkte.

Die Ergebnisse sind wenig überraschend: Arabisch-stämmige Probanden, weniger interessiert an Actionfilmen, stehen der Darstellung von Arabern (die meist die Rolle des Schurken übernehmen und Muslime sind) kritischere gegenüber, ebenso der Art der Präsentation des Nahen Ostens, der vereinheitlicht und als gefährlich gezeichnet erscheine. Entsprechend ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass Arab Americans erzählerische Komplexität einfordern und die Terrorismusdarstellung als der U.S.-Politik gemäß erachten. Den meisten Probanden erscheint der Schurke wenig realistisch und vereinfacht, wobei non-Arab Americans die Stereotypisierung eher als generelles Problem betrachten. Die Helden werden meist als deutlich westlich konnotierte weiße Amerikaner und Einzelgängertypen erinnert. In die Richtung der Kultivierungs(hypo)these geht das Ergebnis, dass Personen, die mehr Actionfilme schauen, weniger Wissen über den Nahen Osten haben und die Region als bedrohlicher erachten.

Auch wenn die Anlage der Untersuchung, zu der Wilkins in ihrem Buch selbst wenig Angaben macht, die üblichen Vorbehalte produziert (geringe Anzahl der Probanden, alle sind sie Studenten), ist es zunächst einmal positiv zu vermerken, dass hier mit den Mitteln der Empirie der möglichen Medienpräsenz von Stereotypenzeichnungen zuleibe gerückt wird. Allerdings bietet Home/Land/Security nicht nur eine vielversprechende Wortspielerei als Titel, sondern leider auch einige Kritikpunkte, von denen manchen insofern schwer wiegen, als sie regelmäßig in der Debatte um die „‘Evil‘ Arabs“ (Semmerling) auftauchen, ohne oft und stark genug abgeklopft zu werden.

Zunächst bleibt die Frage, was Wilkins wirklich untersucht, wenn sie ihre Testpersonen über Filme diskutieren lässt: Was über arabische Communities zu in den Action-Adventure-Filmen zu lernen ist, sicher nicht, denn Wilkins beruft sich zwar auf andere Quellen, geht aber die Filme selbst nicht an. Vielmehr präsentiert sie Einschätzungen von Rezipienten, die über die spezifische Situation, die die Form der Untersuchung bietet, z.B. durch soziale Erwünschtheit getrübt sein mögen: Manch einer wird sich in der reflektierenden Situation der offenen Diskussionen kritischer zu den Filmen äußern, als er ihnen im Alltag begegnen mag. Letztlich präsentiert Wilkins also nur Ergebnisse zur Publikumswahrnehmung, die über eine Wirkung nichts aussagt.

Auch die Feststellung, Action-Fans wüssten weniger über den Nahe Osten Bescheid und würden ihn als gefährlicher einschätzen, krankt, wenn es um die implizite Schlussfolgerung geht, an der bekannten Frage der Wirkrichtung, wie sie auch für die Kultivierung von Medien im Bereich der Gewalt- bzw. „Gewalttätigkeits“darstellung eine Rolle spielt: Denn ebenso, wie American-Arabs Actionfilme weniger mögen, weil sie deren Verkürzung, Verzerrung und Vereinfachung stärker wahrnehmen, können Actionfans aufgrund mangelnden Wissens (und womöglich Interesses) die Filme eher genießen bzw. aufgrund einer entsprechenden Disposition sich extra diesen Inhalten zuwenden. Nicht die Filme beeinflussen zwangsläufig die Weltsicht, sondern vielleicht die Weltsicht die Medienauswahl.

Freilich dürfte eine Wechselwirkung von (Medien-)Wirklichkeit und (Film-)Fiktion anzunehmen sein – ausgehend von ihrem „Orientalismus“-Ansatz, dem Wilkins immerhin auch die Möglichkeit eines unbewussten Einschreibens der Ideologie in Institutionen und Medienerzählungen zugesteht, statt ihn mit den üblichen paranoiden Argumentationszügen zur „bewussten“ Propaganda der Herrschenden zu erklären und das Publikum als (einem) weitgehend passiv und dumm zu „verkaufen“.

Die Einwände der Studenten ergeben allerdings letztlich dieselben, die man auch bei den üblichen Autoren findet, die ohne Versuchsanordnung ein spezifisches Araber-Stereotyp feststellen. Dass dabei individuelle Einschätzungen dominieren, liegt ebenso auf der Hand, wie der Umstand nahezu banal ist, dass Araber bzw. Arabisch-Stämmige durchschnittlich aufmerksamer, wissender und sensibler hinsichtlich der eigenen Identität, Herkunft und ihrer Heterogenität sind. Vereinfachung und Vereinheitlichung nehmen mit der Distanz zum Gegenstand zwangsläufig zu.

Besonders traurig ist, dass und wie wenig Wilkins auf die Bedingungen und Bedingtheit des filmischen Erzählens selbst eingeht. Von Probanden selbst wird darauf verwiesen, sie selbst tut es als „Entschuldigungen“ (S. 6) ab: dass Actionfilme, zumindest eine Gewisse Art davon, von eindimensionalen und damit zwangsläufig (im weiteren Sinne) rassistischen Schurken lebt, um ein möglichst klaren, auch kognitiv einfachen Gut-Böse-Antagonismus zu gewinnen.

Nun stellt sich generell die Frage, wie schändlich der Actionfilm tatsächlich mit den Arabern selbst umgeht, d.h. inwieweit nicht Extremfälle herausgepickt werden, diese ernster gelesen werden, als sie letztlich beim Publikum ankommen und wie überhaupt auch die dem Genre möglichen Mittel des Gegensteuerns ausgenutzt werden – wobei gerade hier sich wieder das Problem auftut, wann man mit seiner Darstellung bzw. Narration angemessen ist.

Wilkins Lösungsvorschläge sind denn auch bezeichnend, auch wenn es sehr lobenswert ist, dass sie sich überhaupt der Frage, wie man es besser machen könnte, annimmt. In Teil 5 von Home/Land/Security entwickelt sie verschiedene Strategien, wie das allgemein negative Araber-Bild zu verbessern wäre. Allerdings fallen ihr zunächst nur Mittel wieder ein, die auf verstärkten Druck und Einflussnahme bei der Produktion hinauslaufen und den leichten, trotzdem unangenehmen Geruch der Zensur mit sich führen. Interessanter ist da schon die Idee, eine Art Parallelindustrie zu begründen, in denen andere Filme produziert und vertrieben werden, die parallel zum Mainstream ein alternatives Angebot darstellen.

Was das Genre, von dem sie ausgeht, selbst betrifft, gibt sie allerdings dann doch zu, dass vielleicht Actionfilme mit ihrem Anspruch und den entsprechenden Grenzen generell das falsche Genre für eine vielschichtige Repräsentation der arabischen Communities bieten und z.B. in Komödien dies besser gelingen könnte.

Das bedeutet letztlich aber doch auch wieder, das Kind mit dem Bade auszuschütten: Gerade Actionfilme nach dem 11. September, die in der Untersuchung keine Rolle spielen, zeigen, dass dieses ideologisch (vermeintlich) so wirkmächtige Genre durchaus Potential zum „Besseren“ aufweist – so wenn in TRAITOR (2008), wie in der TV-Serie Sleeper Cell, ein US-kritischer Muslim den Helden spielt oder sich Filme wie THE KINGDOM / OPERTION: KINGDOM (2007) oder BODY OF LIES / DER MANN, DER NIEMALS LEBTE (2008) bei aller ihrer Begrenztheit (vor allem THE KINGDOM) dem arabisch-muslimischen Schurken zumindest im Nahen Osten begegnen und dabei im Kleinen ein Gespür für soziale und politische Konstellationen geben können, wie sie Hollywood schon mal in den 1970ern bis zum Beginn des „Reagan“-Actionkinos interessierte.


Bernd Zywietz


Literatur:

Khatib, Lina (2006): Filming the Modern Middle East. Politics in the Cinema of Hollywood and the Arab World. London / New York: I.B. Tauris.

Said, Edward W. (2009): Orientalismus. Frankfurt: S. Fischer.

Semmerling, Tim Jon (2006): „Evil“ Arabs in American Popular Film. Orientalist Fear. Austin, TX: University of Texas Press.

Shaheen, Jack G. (1997): Arab and Muslim Stereotyping in American Popular Culture. Washington, D.C.: Center for Muslim-Christian Understanding: History and International Affairs, Edmund A. Walsh School of Foreign Service, Georgetown University.

Shaheen, Jack G. (2001): Reel Bad Arabs: How Hollywood Vilifies a People. New York: Olive Branch Press.


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17.11.2009

Dokumentarfilm: DIE ANWÄLTE

Wer sich nicht verändert...


DIE ANWÄLTE – EINE DEUTSCHE GESCHICHTE
B + R: Birgit Schulz; Dramaturgische Beratung: Heiner Stadler; P: Jörg Kobel; K: Isabelle Casez, Axel Schneppat; Ton: Pascal Capitolin, Jens Krähnke; Schnitt: Katharina Schmidt; Musik: Pluramon
Filmverleih: Realfiction
Kinostart: 19.11.2009

Drei Anwälte, deren Lebenswege und Weltvorstellungen sich von einem Punkt aus in gänzlich andere Richtungen entwickelt haben – oder nicht. Darum geht es in Birgit Schulz' Dokumentarfilm DIE ANWÄLTE. Und diese drei sind nicht irgendwer: das „Gewissen der Grünen“-MdB Hans-Christian Ströbele, Ex-Innenminister Otto Schily und zum rechten, verurteilten Holocaust-Leugner mutierten Horst Mahler stehen im Mittelpunkt, und ein Foto von Anfang der 1970er zeigen sie gemeinsam im Gerichtssaal: Mahler, damals noch linksgerichtet, auf der Anklagebank, Ströbele und Schily als seine Anwälte.

Der Film schlägt den Bogen von ihrer (gemeinsamen) Zeit als Justitiare der „Außerparlamentarischen Opposition“ über Engagement für die RAF-Angeklagten, bzw. in Mahlers Fall „Mitarbeit“ im Untergrund bis in die Gegenwart.



Alle drei hat Schulz in einem Gerichtsaal vor die Kamera holen können (was besonders bei Schily nicht einfach war) und dort Auskunft geben lassen, jeden einzeln – Ströbele und Schily weigerten sich strickt, sich mit ihrem ehemaligen Mandanten Mahler (Schily: „Horst ist eine Tragödie“) in einem Raum aufzuhalten.

Allerdings sind die aktuellen Aussagen der drei nur punktuell erhellend; gar nicht mal weil sie als Selbstdarsteller agieren, sondern – was etwas anderes ist – Schauspieler in eigener Sache sind, die ihren Selbstbild-Part zu sehr verinnerlicht haben, um aus der Rolle zu fallen und mehr zu liefern, als man auch sonst von ihnen bekommt. Gerade für die bewegte gemeinsame Zeit.



Da kommentiert Schily das Vorgehen des Staates in den 70ern, doch ein Umschnitt zeigt, dass es nicht der Schily der Gegenwart ist, sondern der von einst, jünger, aus dem Archiv. Generell ist der Film vordergründig wenig ergiebig, wenn es um die Zeit der Studentenproteste oder der RAF geht. Vielleicht auch, weil man zu gerne mehr den damaligen Argumentationen der streitbaren Juristen zuhören würde, in den vorzüglich ausgewählten und fein montierten Erinnerungsdokumenten schwelgen.

Doch zum Auftakt bietet der Film einen erklärenden Off-Text (ansonsten wird nichts mehr kommentiert), einen schönen Kranschwenk, ansonsten die üblichen Erzählungen von brutaler Polizei und Springer-Protest, Erinnerungen an den Tod Benno Ohnesorgs - eigentlich müssten die drei Ex-Anwälte nur noch vor schwarzem Hintergrund sitzen, schon hätte man eine der viel gescholtenen ZDF-Dokuproduktionen. Natürlich: Welche Rolle Mahler in jener Zeit spielte, wie Ströbele und später Schily mit ihm zusammenfanden, ist interessant, bietet aber – zunächst - nur einen weiteren Facettenblick auf eine 1970er-Narrative ohne sie herauszufordern. Selbst die Musik von Pluramon verbindet hier stilistisch Gestern und Heute, wirkt aber recht dramatisch, wie eine fast reißerische Bedeutungszuschreibung, die etwas Fiktionalisierendes hat (dies ändert sich während des Films).

Der wahre Wert von DIE ANWÄLTE, das, was aus aus „ihnen“ wirklich „eine deutsche Geschichte“ und mehr macht, liefert letztlich der Bogen, der geschlagen wird. Auch und gerade, wenn es um Terrorismus geht. Die Übermacht und Aufrüstung des Staates gegen die linksextremistische Bedrohung wird in Szene gesetzt, von den Ausschnitten, von den Protagonisten im Rückblick. Stammheim, so Ströbele: Eine in Beton gegossene Vorverurteilung. Dass sie, sein Mandant (darunter Andreas Baader) und er abgehört würden, tat er zunächst als Paranoia ab. Nicht lange danach musste der Strafverteidiger, der noch vor dem Prozess ausgeschlossen und später verurteilt wurde, erfahren, dass „der Staat“ tatsächlich Mikrofone installiert hatte.

Auch Schily wird per Tondokument als streithafter Jurist in einer Auseinandersetzung mit den Stammheimprozessvorsitzenden präsentiert. Der „RAF-Anwalt“ - eigentlich zu dumm, um es zu kommentieren. Schily heute: Es waren Mandanten. Er war nicht Syndikus der RAF. Und jemand, der einen Mörder vertritt, sei schließlich auch kein „Mörder-Anwalt“.

Doch die Zeit und der Film schreitet weiter: Mahler liest im Knast Hegel (Schily hat ihm die Gesamtausgabe besorgt), wendet sich – in den Widersprüchen liegt die Wahrheit – dem Rechtsradikalismus zu. Einen Bruch sieht er darin nicht, eher ein Gleiten. Er könnte auch sagen: Eine bizarre „Folgerichtigkeit“.

Umwelt- und Friedensbewegung bringen mehr Leute auf die Straße als die 68er und die Grünen ins Parlament. Ströbele wechselt von der SPD zu den Grünen (was der Film nicht erwähnt), Schily später von den Grünen zur SPD. Ströbele protestiert – auch gegen die Verfahrensregeln des Bundestages - gegen den Einsatz in Kosovo; Schily übernimmt das Innenministerium. Und verteidigt in einer hochemotionalen Rede, bei der auf die Nazi-Opfer seiner Familie und den Schwiegervater, einem jüdischen Partisanen zu sprechen kommt, eben dieses militärische Engagement. Das ergibt eine Szene, die die Begrenztheit der Interview-Situation von DIE ANWÄLTE mit den medial gepanzerten Protagonisten besonders vor Augen führt.



Dann kommt der 11. September. Schily, der sich selbst mit Polizeihelm und erhobenem Schlagstock ablichten lässt, gibt den Hardliner. Der Schutz der Bürger hat Priorität vor der Überwachungsfreiheit. Passt das zusammen, mit dem linken Anwalt von damals? Der Film und sein Material präsentiert den Widerspruch, ohne dabei aufdringlich zu sein. Schily beruft sich auf Grundsätzlichkeit, das Durchsetzen des bestehenden Rechts, damals in den 70ern. Doch der zweite Teil seiner Argumentation verliert sich im Allgemeineren, einer Ethik, dem Schutz des Lebens. Überhaupt gilt ihm freilich: „Wer sich nicht verändert, ist ein Idiot.“

DIE ANWÄLTE ist dahingehend vielschichtiger, als es auf den ersten Blick scheint, denn tatsächlich hat der Terrorismus der RAF mit dem heutigen von al-Qaeda und Co. wenig gemein, und Schilys Verändern ist dazu eine Analogie: Das Verteidigen und die Durchsetzung von Recht und Gerechtigkeit ist etwas fundamental anderes, als die Formung, die Ausgestaltung und Bewertung von Rechtsgrundsätzen, auch und gerade bei der Terrorgesetzgebung. Schulz entlarvt mit ihrem Film über die biographische Ebene die Widersprüche der politischen, gesellschaftlichen und historischen Sicht als scheinbar oder zumindest konstruiert – über Etikettierungen, die sinnlos werden, weil sich das, was sie bezeichnen, wandelt. So wenig wie der linke Terrorismus des Innen (der einer Selbstversicherung und sozialen Standortbestimmung folgte) kaum durch einen transnationalen Terrorismus von „Außen“ argumentativ ersetzt werden kann, ist Schily nicht kein Idiot, sondern als Innenminister eben schlicht keine Anwalt mehr.

Der Film entlässt einen dahingehend mit einer wohltuenden Unbefriedigtheit: Wer der drei hat denn nun „Recht“? Sicher nicht der Verblender / Verblendete Mahler, aber Ströbele vielleicht? Nur weil dieser sich „treu“ geblieben ist, als ein Wert an sich? Keinem der drei – das macht der Film klar – mangelt es an Überzeugung, damals wie heute. Das ist das Dilemma, das Dilemma einer menschlichen, (eigen-) ideologischen und geschichtlichen Entwicklung.

Vielleicht sind die drei Anwälte nur wieder dort angekommen, wo sie aufgebrochen sind, noch vor dem vereinheitlichenden Moment, der Politisierung Ende der 1960er. Schily, der Dirigent werden wollte, im Elternhaus mit der natürlichen Autorität seines Direktoren-Vaters. Ströbele in seiner Jugend, wo beim Munitionsammeln ein Freund den Tod fand. Und Mahler?



Der Vorteil eines Filmfestivals: DIE ANWÄLTE lief am 16. November auf dem exground Filmfestival in Wiesbaden. Birgit Schulz konnte nach der Vorführung Fragen beantworten, ihren Film ergänzen, Informationen nachreichen. So z.B. dass Mahlers Vater, ein überzeugter Nazi, Selbstmord beging weil das „Dritte Reich“ untergegangen war. Dass Mahler, was im Film zu kurz kommt, mit seinem Rechtsschwenk vielleicht im Alter (und weltsichtigen Unbehaustheit) die Familienideale nachlebt und damit verteidigt. Dass er stets schon ein überaus richtungswechselndes Leben geführt hat, als Mitglied der SPD, der SED, als Marxist, jetzt als Rechter – immer in denkbarer Gegenposition zum politischen System.

Das mag billiger Biographismus sein, doch es erklärt genausoviel oder -wenig wie alles andere das Auseinanderdriften der drei politischen Lebensläufe, die für sich genommen auch nichts aussagen, insofern Lebensläufe aus dem Kopf herausführen mögen, seltenst aber hinein.

DIE ANWÄLTE präsentiert allerdings ein zweites überaus spannendes Thema: das der Juristerei selbst. Vielleicht, so Schulz, sei Mahler der ideologische Wechsel so leicht gefallen, weil er auf einem sehr hohen abstrakten Grad denke. Tatsächlich ist der Film über sein Protagonisten das Ausschnittsporträt eines eigenen, kommunikativen Systems und dessen Wahrnehmungsebene. Die Zeit der RAF als Rechtsgeschichte – da schimmert etwas durch, das Ulrich Kriest als die kommunikativen Verhältnisse bezeichnet hat, die zur Gründung zur RAF geführt haben und die filmisch nicht oder nur sehr schwer zu handhaben sind. Auch die Post-9/11-Welt ist aus und in der eigenen von Gesetzen, Recht und Gerechtigkeit strukturierten Wirklichkeit (heraus) eine andere als die der Kultur, der Medien mit ihren (Bild-) Erzählungen, der der geschichtlichen und sozialen Verläufe oder der politischen Zwangsläufigkeiten.

Das Recht ist dementsprechend nicht nur eine Waffe bzw. ein Instrument der wie auch immer gearteten Verteidigung. Es ist auch ein epistomologisches, ein distanzierendes Mittel in Zeiten der Undurchsichtigkeit und Vermischung.

Als Anwalt, so argumentierte Mahler einst, müsse man zur Verteidigung der Mandanten auch das Recht haben, deren Motive und Überzeugungen anzuführen. Ihre Ideale zu teilen, sei geboten. Das heiße aber nicht, auch die dafür aufgebrachten und eingesetzten Mittel gutzuheißen. Ein kleiner, ein feiner, vor allem aber klarer Unterschied.

Dass sich Ströbele und Schily, aber auch der rückwärtsgewandte Mahler, einander nicht mehr „verstehen“, liegt nicht zuletzt daran, dass sie keine „Anwälte“ sind, d.h.: dass sie die gemeinsame Verständigungsgrundlage aufgegeben haben.


Bernd Zywietz

01.11.2009

DIE ANWÄLTE - auf dem Wiesbadener exground Filmfest

Das 22. exground Filmfest findet vom 13. bis zum 22. November in Wiesbaden statt.
In diesem Rahmen wird am 16. Nov. um 20.oo Uhr in der Caligari FilmBühne der Dokumentarfilm

DIE ANWÄLTE - EINE DEUTSCHE GESCHIHTE (D 2009) von Birgit Schulz

gezeigt.



Ausgehend von einem Foto aus den 1970ern, das Otto Schily Hans-Christian Ströbele und Horts Mahler zusammen in einem Gerichtssaal zeigt, folgt Schulz (u.a. in intensiven Interviews mit ihnen) ausgehend von den gemeinsamen linksengagierten Zeit und ihren Idealen als APO-Anwälte und, im Falle Mahlers, RAF-Unterstützer über die auseinanderlaufenden Lebenslinien bis zu heutigen, konträren Positionen den Wegen der Dreien.

Ströbele wurde zum "linken Gewissen" der Grünen, Schily, der ehemalige "RAF-Anwalt" (eben als Verteidiger Mahlers), der dreißig Jahre später im legislativen Anti-Terror-Kampf eine harte Linie fährt - und Mahler, der sich vom Links- zum Rechtsextremisten gewandelt hat.

Offizieller Kinostart: 19.11.2009
Länge: 92 Min.

04.10.2009

DVD: HUNGER von Steve McQueen


HUNGER (GB/IRL 2008) - Special Edition (2 Disc-Set)

R: Steve McQueen; B: Steve McQueen, Enda Walsh; K: Sean Bobbitt; SCH: Joe Walker; M: Leo Abrahams, David Holmes; P: Robin Gutch, Laura Hastings-Smith
D: Michael Fassbender (Bobby Sands), Stuart Graham (Ray Lohan), Liam Cunningham (Father Morgan), Liam McMahon (Gerry) u.a.

Vertrieb: Ascot Elite
FSK 16
Ca. 91 Minuten
Sprache: Deutsch (DTS 5.1) u. Englisch (Digital Dolby 5.1)
Untertitel: Deutsch

Bonusmaterial: Beim Dreh; Amnesty International Trailer; Interviews mit jeweils: Steve McQueen, Michael Fassbender, Stuart Graham, Laura Hastings-Smith; Fragen an das Team



Steve McQueens HUNGER, 2008 in Cannes mit der „Camera d'Or“ ausgezeichnet, ist mit knapp einem Jahr „Verspätung“ auch in Deutschland gestartet und auf DVD erschienen. Nach der Einzel-Ausgabe hat Ascote Elite nun auch eine Special Edition nachgelegt, in der neben Aufnahmen beim Dreh umfangreiche Interviews mit der Produzentin, Darstellern, der Crew und natürlich dem Künstler und Spielfilmregiedebütant Steve McQueen Auskunft über Gedanken und Hintergründe des Films geben – wenn auch leider nicht so viel über dessen Gegenstand selbst: Bobby Sands, den Gefangenenhungerstreik von 1981 und sein Kontext, der Nordirlandkonflikt.



Vielleicht ist es nur konsequent, denn außer einigen kleinen Anspielungen oder besser: Stückchen von „konkreter“ politischer Realität, die in das Gefängnis einsickern, verbleibt der Films in einer nahezu traumhaften Zwischenwelt. McQueen, der seinen Film selbst als einen Fluss beschreibt, verweigert eine konventionelle Dramaturgie. In HUNGER geht es eher um eine Situation, um Stimmungen, ums Geworfensein und um nahezu kontemplative Augenblicke, die wiederum von denen der Brutalität und Unmenschlichkeit abgelöst werden oder mit ihnen ineinanderfließen. Laut McQueen werden besonders auch Rituale gezeigt, und über die oder das Indirekte und Doppelkodierte werden die Folgen für zwei verfeindeten Lager präsentiert, die sich in Reaktion und Gegenreaktion aneinander abarbeiten, zu Grunde richten, während das große Ganze bestenfalls als die forsche Stimme einer unbarmherzigen Margret Thatchers durch den Gang schleicht.

Es ist das Jahr 1981. Im nordirischen Maze-Gefängnis kämpfen die republikanischen Inhaftierten um ihren Status als politische Gefangene und damit zusammenhängende Sonderechte. Sie tun dies mittlerweile in Form des Dirty Protests. Lang sind die Haare und Bärte, Körperhygiene erfolgt nur unter Zwang; Decken sind das einzige Kleidungsmittel, Matratzen die einzige Zelleneinrichtung. Der Kot wird an die Wand geschmiert, Urin läuft unter den Zellentüren hindurch.

HUNGER widmet sich diesem extremen Kampf um Ideologien, Rechte und ihre Verletzungen. Dabei fängt er mit einem Wärter (Stuart Graham) an. Stumm sitzt er beim Frühstück; bevor er zur Arbeit fährt, kontrolliert er die Wagenunterseite. Seine Frau schaut durch die Gardine, hält den Atem an – und ist beruhigt, als das Fahrzeug normal anspringt und ihr Mann zur Arbeit fährt. Dort: Impressionen des Alltags, Detailaufnahmen, in denen der Film schwelgt, Alltäglichkeiten, die schließlich keine mehr sind (oder auf grausige Art genau solche darstellen).

Schneeflocken fallen auf die zerschundenen Fingerknöchel des Wärters, schmelzen dort. Er steht hemdsärmlich im Innenhof, raucht, aufgewühlt und erschöpft, sein Hemd ist nass. Später dann erfahren wir, wieso er da steht und weshalb er seine blutigen Hände mit zusammengebissenen Zähnen ins Wasser des Waschbeckens taucht: In einer brutalen Aktion werden die Häftlinge einzeln aus den Zellen und nackt durch den Flur getrieben, gegen ihren Willen bekommen sie die Haare geschnitten, werden in einer Badewanne abgeschrubbt. Prügel setzt es, und der Wärter hatte das Pech, dass sich bei seinem zweiten Faustschlag der unwillige Häftling wegduckte und er die Wand trifft.



In und zwischen den langen, einlullenden Einstellungen geht dieser Wärter verloren, indem er in einer besonders symbolischen wie entsetzlichen Szene ebenfalls Opfer des „Auge-um-Auge-Spiels“ wird, das auch außerhalb der Gefängnismauern weitergeht. Ein anderes Opfer: ein junger Polizist in schwarzer gepanzerter Uniform. Nachdem die Verhandlungsbedingungen – das Recht auf eigene Zivilkleidung – von „Staatsseite“ ausgehebelt wurde (auch etwas, das sich nur begrenzt aus dem Kontext ergibt), randalieren Bobby Sands und seine Kameraden, zerstören die nun wieder vorhandene Einrichtung der Zellen in einem wie alles unglaublich eindringlich gefilmten Anflug von Zorn. Mit Plastikschildern stehen die Polizisten anschließend Spalier, prügeln auf die ausgemergelten, bleichen, nackten Männer ein, die anschließend aufs Demütigenste rektal und oral kontrolliert werden. Dabei prügelt auch der junge Beamte plötzlich los – um sich hernach weinend angesichts der Gewalt, die Gewalt produziert (oder schlimmer noch: hervorruft), zu verstecken.

Weiter geht der Film freilich nicht, wenn es um die Verwundungen auf Seite von Polizei und Wächtern geht, die – nachdem sie wie der junge IRA-Häftling, über den in den Gefängnisalltag lakonisch eingeführt wird, ihre Schuldigkeit getan haben – schließlich Bobby Sands Platz machen.

Robert „Bobby“ Sands ist der berühmteste Märtyrer des Hungerstreiks, sein Foto die Ikone des Widerstands, er der erste, der verhungerte. Auch wenn die britische Regierung in Sachen politischer Status nicht nachgab, war der Hungerstreik und seine insgesamt 10 Toten angesichts der weltweiten Proteste und der solidarisierenden und radikalisierend Wirkung als Mythenbildung für die republikanische „Sache“ für England ein Desaster und die IRA (und die kleinere INLA) ein propagandistischer Triumph.



Die Diskussion über Sinn und „Recht“ des Hungerstreiks, seiner gegen sich selbst gerichteten„Selbstmordtaktik“ verhandelt der Film in einer kraftvollen, reduzierten Szene: einem Gespräch Sands mit einem katholischen Priester (Liam Cunningham) im Besucherraum. Zwanzig Minuten geht diese Szene – 17 davon sind in einer einzigen fixen Einstellung gedreht, die die beiden durchs Gegenlicht fast auf Silhouetten reduzierten Männer in der Totalen zeigt. Hier wird der mutige Film, der sich Zeit nimmt, Zeit einfordert und diese auch mehr als redlich vergeltet, der auf heute selten gewordenen Weise das Sehen in Beschlag nimmt, zu einem Film des Hörens. Nach dem gewitzten Small Talk kommen Politik und Moral, die – so macht der Film deutlich – zu einer ganz anderen Sphäre gehören jenseits dieser stummen, hermetischen Alltagsunterwelt, in der gesprochene, verständliche Worte nur Förmlichkeiten und Rituale sind wie die Witze der Wärter, die verweigernden Angaben des IRA-Neulings bei der Einlieferung oder die Messe des Priester, der keiner folgt weil es wichtigeres unter den Gefangenen (und für den Zuschauer unhörbar) zu diskutieren gibt.

Schließlich ist Sands im Hungerstreik. Dafür hat sich Darsteller Fassbender (zuletzt als britischer Offizier in Tarantinos INGLORIOUS BASTERDS zu sehen) in 10 Wochen Drehpause auf ein furchterregendes Gewicht heruntergehungert. Der Film betastet diesen Leidenskörper mit der Kamera wie Sands selbst in einer Einstellung seine hervorspringenden Rippen befühlt: etwas gänzlich Fremdes, Staunenswertes. Ein Arzt erklärt den Eltern, wie und was alles in seinem Körper versagen wird; Blut in der Toilettenschüssel, nachdem sich Sands übergeben hat, Blut- und Eiterflecken auf der Gummimatratze, Dekubitusstellen in Großaufnahme, die ein Pfleger salbt. Einige Visionen vor seinem Tod; Jugenderinnerungen – er als Junge, als Läufer, im Wald.

Schließlich ist Sands tot, ein weißer, fast marmorner Leichnam. Noch eine Texttafel über Opfer auf beiden Seiten, Verhungerte, ermordete Wärter, was geschichtlich noch passierte. Und dann ist HUNGER aus.

Keine Frage, Steve McQueen hat ein immens eindringliches und im besten Sinne stilwollendes suggestives Kunst- und darüber Meisterwerk geschaffen. Und doch bereitet es ein kleinwenig Magengrimmen, zumindest wenn man es nicht von seinem politisch-historischen Gegenstand so abstrahieren will und kann, wie es dem Film zwar durchaus zusteht, wie es aber andererseits darüber zu entscheiden allein seine Sache nun mal nicht ist.

Es ist nicht ganz einfach, den Finger drauf zu legen. Verglichen mit den konventionelleren Hungerstreik-Dramen wie SOME MOTHER’S SON (IRL/USA 1996) oder Les Blairs H 3 (IRL 2001) beschreibt HUNGER gerade wegen seiner Anti-Dramaturgie das Verfangen und Zermahlen von einzelnen Individuen in politischen Machstrukturen und ihren Kämpfen besser, weil er gleich noch die passende nachgerade archetypische Symbolik mitdenkt, die gar nicht so tut, als könne sie aus „unterdrückten“, bärtigen, ausgemergelten Revolutionären anderes als Christusfiguren machen (ein Thema, das der lange Dialog des Films boshaft punktgenau aufgreift). Der marmorbleiche Sands im Film ist so gesehen bereits Denkmal seiner selbst.

Vielleicht ist es entsprechend auch einmal mehr die eher „pro-republikanische“ Sicht. Der zu entgehen ist freilich schwer wenn es um nackte, idealistisch entschlossene Männer geht, die physisch Uniformierten mit Schlüsseln und Knüppeln gegenüberstehen und unterliegen müssen. Hier zeigt sich einmal mehr, dass Reduktion wie überhaupt jeder Schritt hin zu einer bestimmten Perspektive, sogar und besonders der einer wie auch immer gearteten Neutralität, eine Positionierung im Spektrum Pro und Contra bedeutet. Allein schon, weil eine Seite in einem Konflikt wie jenem in Nordirland immer auf einer abstrakteren Ebene operiert und appelliert als die andere. Der Gefängniswärter und sein Schicksal, der dem Film mittendrin wegfällt oder der kurze Rückgriff auf den Prügelpolizisten helfen ab, schmecken aber auch nach Alibi für die vehemente Gewalt von Staatsseite, die sich hier stets ins Unrecht setzt sowie dem Ausstellen der Wunden, ob aktiv oder passiv zugefügt. Dass und wie es anders geht und trotzdem eine Position behauptet werden kann, zeigt der erwähnte H 3, dem es freilich auch nicht derart ums Opfertum geht wie HUNGER. Doch nicht zu erklären, warum Sands im Gefängnis, ob er vielleicht wirklich ein Terrorist ist, ist eben etwas anderes, als nichts über die Hintergründe eines Polizisten oder Wärters auszusagen, die ihre Rolle qua Uniform auf dem Leib tragen. HUNGER ist nicht zu letzt ein Film über Körperpolitik in verschiedenster Hinsicht - nicht der erste, wenn es um Terrorismus geht.



Wenn der labile Sands in der Badewanne liegt, wird seine engagierter Pfleger durch einen anderen, bulligeren abgelöst. Der setzt sich rittlings auf den Stuhl, auf den Fingern eintätowiert sind die Buchstaben UDA – Kürzel der antirepublikanischen protestantischen Ulster Defence Association (auch hier braucht es ein bisschen Background, den eine kurze Doku oder wenigstens Texttafeln als Bonus hätten auf der DVD liefern können). Sands rappelt sich stolz aus dem Wasser, steht, wankt, bricht zusammen. Der Mann schaut zu. Zwar trägt er Sands anschließend in sein Krankenzimmer – und doch hätte es diesen Seitenhieb hier nicht (mehr) gebraucht, im Gegenteil.

So gesehen geht McQueen mit seiner Reduktion und Fokussierung womöglich nicht weit genug, um seiner Ästhetisierung den Weg so frei zu machen, wie sie es verdient hätte. Zu sehr bleiben denn auch sperrige Elemente der Realität, erscheint das Material so spürbar dem versunkenem Blick mit – nun ja – Gewalt untergeordnet oder von diesem ausgeklammert (wie Sands Eltern, denen Stimmung und Perspektive von HUNGER nur ein stoisches Leiden angesichts das des Sohnes zugestehen kann und auch sonst und generell kein wie auch immer geartetes privates Rütteln an der Positionierung als Widerständler erlaubt).

Überspitzt gesagt: HUNGER romantisiert das Blut der Helden und lädt die Scheiße an der Wand magisch auf – wie z.B. der Kot-Schmierkreis in der Zelle, der den Reinigungsmann praktisch hypnotisiert, ehe dieser mit dem Wasserstrahler drangeht. Ob und wie hier wer und was einfach nur banal und falsch sein könnte, wird damit unhinterfragbar, und ein derart mythisierend formal stilisierter Konflikt um verhärtete Fronten und Forderungen gewährt eben diesen eine fragwürdige Gewichtigkeit und Stabilität.

Wenn also HUNGER mit seinem Thema erstaunlich wenig Kontroversen in seiner Heimat ausgelöst hat, dann ist das nicht nur ein Zeichen für die Entspannung der Lage und die künstlerische transzendierende Güte des Films.

Es ist auch ein bisschen schade.


Bernd Zywietz


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