18.01.2015

Zu Besuch bei den Terroristen - Zur IS-(Meta-)Reportage von Todenhöfer u. RTL


Jürgen Todenhöfer hat den "Islamischen Staat" besucht, was RTL eine Nachtjournal-Spezial-Sendung wert war. Aufsehenerregend schon vorab, die Bilder, die Einschätzungen, die der Autor, ehemalige Richter und CDU-Bundestagsabgeordnete, von der "Normalität" im irakischen Mossul mitgebracht hat. Ein Coup für RTL, ein Husarenstreich Todenhöfers.


Medienjournalist und -kritiker Stefan Niggemeier auf seinem Blog wendet dagegen ein:

"Mag ja sein, dass Todenhöfer tatsächlich den Eindruck hatte, dass es in Mossul ganz heiter ist. Dass dies aber bloß eine geschickte Illusion ist, zeigt sich doch schon im Interview mit dem Überläufer, bei dem vier schwer bewaffnete IS-Kämpfer mit Sturmhauben permanent ringsum stehen. So normal ist das da in Mossul."

Und, was Todenhöfers Gespräch mit dem Solinger Jihadisten anbelangt:

"Natürlich ist es interessant, wie diese Typen ticken, die aus Deutschland nach Syrien oder den Irak gegangen sind, um sich dem IS anzuschließen, aber darüber, über den persönlichen Antrieb, erfährt man bei Todenhöfer nichts. Und was im Kopf der Terroristen vor sich geht (Alle umbringen!), kann man sich inzwischen auch ganz gut selbst ausmalen. Doch bei RTL darf der Terrorist das alles noch mal verbreiten. Todenhöfer fragt, ob denn mit Anschlägen in Deutschland zu rechnen sei? Der Überläufer sagt, man müsse sich gefasst machen. Und Todenhöfer hakt nach: 'Größere Anschläge? Oder Anschläge von Einzelpersonen?' Da fehlte es nur noch, dass sie eine Deutschlandkarte auspacken und rote Kringel einzeichnen."

Aber natürlich können Todenhöfer und RTL kein Psychogramm von "Abu Qatadah" alias Christian Emde liefern. Das wollen sie nicht und es wäre auch vermessen. Und natürlich wüssten wir (und vor allem die Sicherheitskräfte) gerne etwas über Anschlagspläne, um sie zu vereiteln.

Auch ist die "Normalität" vor Ort keine nach unserem Verständnis. Sie muss aber wiederum nicht zwangsläufig gänzlich wirklichkeitsferne Fassade sein, hinter der die Einwohner Mossuls permanent in Furcht und Schrecken vor dem Terror der Radikalfundamentalisten dahinvegetieren. Ein Bild übrigens, das in westlichen Medien gerne zumindest angedeutet wird, was wiederum den Auslands-Oscar-nominierte französisch-mauretanische Spielfilm TIMBUKTU von Abderrahmane Sissako so wertvoll macht. Dieser setzt eben nicht, auch wenn es verschiedene Kritiken (etwa Oliver Kaever auf Spiegel-Online) so irreführend darstellen, dumme wie perfide Jihadisten in Mali gegen arme, unterdrückte Bevölkerung, letztere von ersteren immerzu schickaniert oder unmenschlich behandelt, auf dass man die Hände ringen und die Fäuste gen Himmel schütteln möchte.

TIMBUKTU

TIMBUKTU hat keinen Respekt vor den Anliegen und Methoden der Islamisten, aber er zeigt sie auch, wie sie selbst immerzu mit der Scharia-Auslegung ringen müssen, und in der Freundlichkeit, mit dem sie einen Verurteilten auf den Laster helfen, der ihn zur Hinrichtung fährt, steckt mehr Kritik und Unbehagliches, als sie jede (Selbst-)Karrikatur des rasenden Radikalen verbreiten kann. 

Zurück zu Todenhöfer und RTL. Dass sie dem IS eine Bühne bieten, ist nun ein altes Einwandsmodell, wenn es um das Verhältnis von Terrorismus und Medien geht. Fairerweise muss man denn auch den Aufbau der Sendung in Rechnung stellen: Todenhöfer selbst steht mit seiner Subjektivität im Mittelpunkt, wird befragt und somit zum Gegenstand. Das hat unweigerlich etwas Eitles, ist jedoch Versuch einer Distanzhaltung über den Ansatz einer Meta-Berichterstattung.

Dass Todenhöfer ein geschöntes Bild Mossuls vor Ort bereitet wurde, sollte jedem klar sein - und ist aufgrund der Unweigerlichkeit deshalb dem Bericht nachzusehen. Die Alternative wäre, gar keinen Einblick nicht nur nicht zu liefern, sondern rundheraus zu gestatten. Die Sondersendung ist aber gerade deshalb so spannend, weil sie zwischen einer (wie auch immer gestalteten und gelungenen "neutralen") Beobachtung einerseits und einer Propaganda-Aktion andererseits einen haltbaren Standpunkt finden und verschiedene (Selbst-)Inszenierungen vereinen möchte: die des IS mit seinem deutschen ad-hoc-Sprecher, die von Todenhöfer - und die von RTL, dem, wiewohl sich als "Nachrichtensender" seriös gerierend, an einem unheimlichen Monster-Regime gelegen ist. Einem Regime, dessen Unterdrückungs- bis Ausrottungsziele man in einer animierten Infografik nachgerade selbstparodistisch zusammenfasst und veranschaulicht (die Juden und die Christen hier, die Schiiten dort ein Kästchen).

So ertappt man sich als Zuschauer, durch all die Instrumentalisierungen der Sichtbarkeit das Barth'sche "Punktum" zu suchen in den Bildern aus einem Mossul, das ja kein Potemkinsches Dorf oder das Seahaven einer Truman-Show ist. Der Verkehr fließt im Hintergrund, Menschen gehen ihrem Alltagsgeschäft nach. Die vermummten, bewaffneten Aufpasser tun wiederum das Übrige, das ihre, wirken dabei paradox. Als präpotente Demonstration der der Stärke sind sie doch nur Ausweis der Machtlosigkeit, die es nicht mal gestattet, den Schein der Normalität die wenigen Meter vor dem Kameraobjektiv von Todenhöfers Sohn hinzubekommen. Vielleicht aber hat genau das Todenhöfer beabsichtigt und inszeniert, um sich selbst zwar kokett in einer Ausnahmesituation als wagemutiger Handlungsreisender in Sachen Wahrheit zu präsentieren. Jedoch zugleich auch die Irrealität der (eigenen) Situation auszustellen, die anders nicht hätte hintergangen werden können.

Es hinkt denn auch Niggemeiers Vergleich mit den jüngsten "Augenzeugen"-Videos des IS-Gefangenen, dem britischen Journalist John Cantlie, der nach Lend-my-your-Ears-Kommentaren aus dem Kellerloch sich ebenfalls in Mossul umschauen und sogar Motorrad fahren durfte. Dieses Video ist zwar ebenfalls alles andere als eine neutrale Berichterstattung, auch dieses rückt den Berichterstatter selbst in den Mittelpunkt. Nur schlägt durch die Aufnahmen, die den Eindruck vom Leben in der Stadt "korrigieren" wollen - dabei vielleicht tatsächlich im Einzelnen wahr sein mögen (Dauer der Stromversorgung?) - stets das Drama Cantlies durch, der auch schon in zwei Dabiq-Magazinen, der offiziellen Hochglanz-PDF-Postille des IS, zu Wort kam und die US- und UK-Regierung, durchaus profund, aber eben angesichts seiner Lage nicht diskutabel, kritisierte.


Man könnte Cantlie als trauriges Beispiel für das Stockholm-Syndrom abtun, aber das ist zu einfach. Sieht man Cantlie, liest in Dabiq die Worte und dazu Rukmini Callimachis Bericht in der New York Times über Umstände der Geiselhaft entführter Westler und der Verbitterung, nach Scheinexekutionen und Folter, zusehen zu müssen, wie Gefangene anderer Nationen aufgrund Lösegeldzahlungen ihrer Länder freigelassen wurden, während zusammen mit der US-amerikanischen die britische Regierung auf dem strikten Nicht-mit-Terroristen-Verhandeln beharrte - ja, vor diesem Hintergrund mag man Cantlie gerne echte seelentiefe Enttäuschung zugestehen. Eine, die dann vielleicht weniger an den IS heranrücken lässt, aber mit ihm den gleichen Gegner teilt. Eine, die zum verzweifelten Kalkül hinzukommt, sich für eine propagandistische Instrumentalisierung herzugeben, um das eigene Leben vor der Kamera für die IS-Extremisten wertvoller zur machen als den Tod. 

Vergleicht man aber dieses letzte Cantlie-Video und mit der RTL-Sondersendung, fällt nicht nur einmal mehr die formale Professionalität des "al-Hayat Media Center" auf, sondern auch, dass ausgerechnet die Propaganda der Jihadisten zumindest in der rahmenden Präsentation in puncto Aufmachung und Tonalität weniger reißerisch und fast glaubwürdiger daherkommt als die Sendung des Privatsenders RTL. In "From Inside Mosul" sieht man keine Wächter in Sturmhaube, im Gegenteil, großen Wert darauf gelegt, nicht nur eine Normalität auf ihrem Territorium zu vermitteln,  sondern ebenso eine Cantlies.

Wenn man also die RTL-Sendung (negativ und freilich gleichsam hinkendend) vergleichen will, dann mit Medyan Dairiehs VICE-Dokumentation aus dem syrischen Raqqa, die ein Scoop war, weil es die ersten "eigenen" Bilder aus dem Kalifat (und noch dazu aus dessen Hauptstadt) lieferten. So gierig oder zumindest bedürftig war man, dass eine Spiegel-Titelgeschichte 2014 fast nur aus der Informationen aus diesen VICE-Aufnahmen bestand. Hier fehlte der relativierende Dokumentierer als Instanz in und vor den Bildern eklatant, und die sonnige Hochglanzoptik, die glücklichen Kinder und beseelten Indoktrinatoren, all das unterschied sich inhaltlich und gestalterisch erschreckend wenig von dem, was der IS selbst herstellt und verbreitet.  

Man kann denn auch den Aufnahmen Todenhöfers das Spektakelhafte einer Reise ins Herz der Finsternis vorwerfen, die Gefahr und Täuschung immer schon miteinkalkuliert und zum nervenkitzeligen Reiz erklärt, nicht aber bloße, schöne Vermarktung im Einklang mit den Zielen des IS.

Allein schon die trockene Frage des Besuchers nach dem Status der Schiiten in der Ordnungsvorstellung des IS, "Abu Qatadahs" sachlich-schreckliche Selbstverständlichkeit (eine, mit der Angler oder Modeleisenbahner über ihre Hobbies Auskunft geben), dazu die Situation per se: all das vermittelt jenseits des Inhalts der Worte eine so bizarre wie grausige Erkenntnis, ein Zusatz-Wissen, wie sie über die Vorstellungen der blutrünstigen Fanatiker ebensowenig zu haben ist wie in der kühlen Lage- und Ideologiebschreibung erklärender Nahostexperten oder der Tagesschau. Die Banalität des Bösen kommt manchmal eben im Kostüm einer Realsatire daher, die man intuitiv in sarkastischen extra-3-Bildbearbeitungen wie der folgenden diffus intuitiv registrieren, der man aber so nicht wirklich zu ihrem wahren Ausdruck verhelfen kann:


Im "Original" verweist der mollige Islamist mit dem Flusenbart auf durchaus unbequeme (Nach-)Fragen Todenhöfers auf das (Todes-)Urteil des Islams, das über Abtrünnige (hier eben: Schiiten) verhängt sei. Spricht's, lächelt und wackelt bubenhaft von einem Bein aufs andere. Die Aufnahme wird harsch unterbrochen, zurück in Landhausstudio zu Todenhöfer und RTLs Christoph Lang. Das klänge sehr unreflektiert, so Lang, daher: "Ist IS ein Sammelbecken für radikale Dumme?" Todenhöfer überlegt, dann: "Das sind hochintellektuelle Leuten im Hintergrund und dass wäre so ähnlich, als ob Sie sagen würden 'Lenin sei ein dummer Mensch gewesen'. Es war ein gefährlicher Mann, weil die Ideen so gefährlich und so einfach und so brutal waren [...]." So seien auch die Ideen des IS.

Soll man lachen, soll man weinen? Sich aufregen, weil Todenhöfer Lenin mit Abu Bakr al-Baghdadi vergleicht (irgendwie)? Sich ängstigen, angesichts dessen, was Abu Blabla im Alltagsdeutsch da von sich gibt, leider mit vermummten Kalaschnikow-Trägern im Rücken? Oder den Kopf schütteln, weil ja eigentlich jeder ideologischer Standpunkt, der sich auf eine höhere Autorität beruft, "irgendwie unreflektiert" klingt? In diesem wenigen Sekunden wird das ganze heillose Problem unseres "westlichen", genauer: demokratischen, säkularen, medialisierten, selbstreflexiven und -referenziellen, ironie-verliebenten, wertrelativisistischen, diskurs-ethischen (gerne auch alles für Skeptiker nach Bedarf in Anführungszeichen zu setzen) (Non-)Verhältnisses zu extremistischen Jihadisten nackt auf den Punkt gebracht. Inklusive des harten Schnitts, der unmittelbar zur absichernden Analyse und mithin Distanzierung führen muss. Die Meta-Ebene als Rettungsfloß.  

Todenhöfer - auch das übersieht Niggemeier (oder verweigert sich dem Zynismus, was ihn wiederum adelt) - liefert nicht nur dem IS das Bild, dass dieser von sich in den westlichen Medien gerne sieht, sondern das er sich auch selbst verheißt: Gekommen, um zu bleiben. Es ist kein Übergangphänomen. Da helfen auch keine Bomben, so Todenhöfer sinngemäß.

Das freut auf der einen Seite die Medien - nicht nur RTL -, weil es die einträgliche Gefahr und Dämonie nachrichtenwertig bestätigt, zugleich unterläuft es sie, weil sie mit der kühlen "Normalität", die Todenhöfer mitbringt, doch stets nicht soviel anfangen können, um sie nicht ins Heiße des Ausnahmezustands drängen und verschieben zu wollen. Schon die abwertenden, stets das Schreckliche, das "Andere" des IS beschwörende Anmoderation, staunt eher über Todenhöfer und seinen Besuch beim Teufel, weshalb auch der Journalist als das eigentliche wundersame Phänomen der Sendung daherkommt: In diese gänzlich ferne Fremde, wohin die verlorenene Seelen (der Fundamentalisten und Konvertiten hierzulande und sonstwo) hingehen, das kann man doch gar nicht betreten, als einer von uns. So als Ausnahme-"Normaler".


Todenhöfers Reisebericht bzw. die Sondersendung "Wer uns nicht anerkennt, den werden wir töten" finden Sie HIER auf der Website von RTL.

zyw