21.04.2017

DIE HARD in Dortmund


Statt Terrorismus krimineller "Fake-Terrorismus": Vermutliche Hintergründe zum Anschlag auf BVB-Teambus erinnert an "Stirb-Langsam"-Hollywood-Szenario - in bezeichnender Weise 


Der Anschlag auf den Mannschaftsbus des Fußballvereins Borussia Dortmund scheint aufgeklärt – und zum jetzigen Stand weniger Terrorismus als eine Art „Fake-Terrorismus“. Hinter der dreifachen Bombenattacke und den merkwürdigen islamistischen Bekennerschreiben steckt offenbar ein 28-Jähriger, der observiert und bei Tübingen in einer Aktion der GSG-9 nun festgenommen wurde. Sergey W. soll aber nicht aus politisch- oder religiös- extremistischen Gründen gehandelt haben, sondern, ganz „unidealistisch“, aus rein kriminellen bzw. ökonomischen Eigennutz: Mit dem Sprengstoffanschlag auf den Mannschaftsbus am 11. April 2017 in Dortmund wollte W. für einen Kursverfall der BVB-Aktie an der Börse sorgen. Um davon zu profitieren, hat W. am Tag des Anschlags mit einem Verbraucherkredit sogenannte Put- oder Verkaufsoptionen erstanden. Mit diesen hätte er die Preisdifferenz zwischen der Höhe des Aktienhandelswerts und dem bei Fällig-Werden dieser Option eingestrichen. Tatsächlich sind die Anteile des Fußballklubs nach dem Anschlag gesunken – tiefer noch freilich wäre das sicherlich der Fall gewesen, wenn viele Mitglieder des Teams schwer verletzt oder gar getötet worden wären. So erlitt „lediglich“ Marc Bartra vor der Champions-League-Begegnung gegen AS Monaco u.a. einen Speichenbruch.

Aufsehen erregend ist W.s Plan nun nicht nur, weil es sich um eine überaus perfide, im höchsten Maße skrupellose Tat handelt, eine Kursmanipulation per Sprengstoffanschlag, die mit dem Tod von Menschen kalkuliert. Solche Gewinnaktionen wurden und werden auch bereits im Rahmen der Attacken des 11. September 2001 vermutet, allerdings waren diese, falls es sie gegeben hat, eher quasi-mafiöse Zusatzgeschäfte und nicht das Hauptmotiv. Darüber hinaus erinnert denn auch der BVB-Plan an den der STIRB-LANGSAM- bzw. DIE-HARD-Filme. Deren Held, der sarkastische Polizist John McClane (gespielt von Bruce Willis) kämpft im ersten, im dritten und im vierten Teil der wegweisenden Action-Reihe gegen Verbrecher, die je einen überbordenden Raub als Terrorismus tarnen, ihn gar durch mit solchen Vortäuschung erst ermöglichen.

So besetzen im ersten Teil von 1988, DIE HARD, ein Kommando hochgerüsteter Deutscher (die Nationalität wurde in der deutschen Filmfassung kaschiert) das Bürohochhaus eines japanischen Versicherungskonzerns in Los Angeles am Heiligabend, nehmen die Belegschaft auf ihrer Weihnachtsfeier als Geiseln und fordern die Freilassung diverser „politischer Gefangener“. McClane, barfuß, im Unterhemd und zunächst nur mit Dienstpistole bewaffnet, kann als einziger der Festsetzung entkommen und liefert sich eine Art Guerilla-Kampf gegen die „Terroristen“, die es tatsächlich aber nur auf die Dollar-Multimillion in Form von Schuldverschreibungen abgesehen haben, die im Tresor des Unternehmens lagern. Um diesen zu knacken und ihre Flucht zu tarnen, gerieren sich der feingekleidete Hans Gruber (mit exquisiter britischer Noblesse: Alan Rickman) und seine Gesellen als Politgewalt-Aktivisten. Das FBI-Einsatzprotokoll bei solchen Besetzungen sieht nämlich die externe Trennung des Gebäudes vom Hauptstromnetz vor (was einen Sicherheitsmechanismus des High-Tech-Safes ausschaltet) und das Chaos der finalen Groß-Explosion, die als missglückte Befreiungsaktion daherkommen soll, soll das heimliche Davon-Kommen der Verbrecher garantieren.

Ähnlich sind die Szenarien in den Fortsetzungen: In Teil 3 (DIE HARD WITH A VENGEANCE / STIRB LANGSAM – JETZT ERST RECHT) von 1995 inszeniert der Bruder des Gangsters aus dem ersten Teil (ein ehemaliger Stasi-Oberst) eine explosive Schnitzeljagd und Rache an McClane im sommerlichen Manhattan, um in deren Schatten die Federal Reserve Bank um ihre Goldreserven zu erleichtern; in Teil 4 (LIVE FREE OR DIE HARD / STIRB LANGSAM 4.0) von 2007 dient ein Cyber-Angriff auf die US-Westküste am Unabhängigkeitstag dazu, die gesamten Computertransaktionsdaten des Finanzsektors zu erbeuten.

In Sachen Terrorismus ist DIE HARD nun weniger als Begründer eines eigenen Action-Subgenres relevant, das seine Vorläufer in Katastrophen- und Erpresserfilmen der 1970er-Jahre hatte, sondern viel mehr insofern, als dass der Terrorismus hier explizit keiner ist bzw. nur eine vorgetäuschter. In der Romanvorlage des ersten STIRB-LANGSAM-Teils, in Roderick Thorps „Nothing Lasts Forever“ (erschienen 1979) sind es noch „echte“ europäische Sozialrevolutionäre mit Kalaschnikows und der besetzte Wolkenkratzer ist der eines Öl-Konzerns. Die Umwandlung in „kapitalistische“ Gangster in der Kino-Version ein Jahrzehnt später verweist darauf, wie der internationale palästinensische und der New-Left-Terrorismus der RAF, Roten Brigaden etc. als erzählerisches und alltagsjournalistisches Allgemeingut bekannt und – mehr noch – internationaler Terror zum Alltagsphänomen geworden war (nicht zuletzt dank Iran und Libyen als damals neuen sponsor-states).

Dass die Verbrecher sich diesen Terrorismus quasi selbst zu eigen und zum „Fake-Terrorismus“ machen, um auf die eingeübten (Über-)Reaktionen zu spekulieren (neben dem überheblichen FBI wird auch die Terrorismusberichterstattung vorgeführt inklusive dem tatsächlich auf DIE HARD zurückzuführenden Falschfachbegriff „Helsinki- Syndrome“ statt „Stockholm-Syndrom“) weist sie als Zeit-Zeichen in noch einer weiteren Hinsicht aus: Hans Gruber und Co. sind fast satirische Manifestationen eines als rücksichtslos erlebten, ungehemmten und zynischen Wirtschaftsliberalismus in der Ära Ronald Reagans und Margaret Thatchers, der unregulierten, gewinngeilen Dominanz des Kapitals und der Konzerne, der Banken und Börsen kurz vor dem Ende der Geschichte (sprich: dem Fall des kommunistischen Ost-Systems).

Dass und wie nun im Kleinen, in Dortmund, aber auch: in der Realität derlei kriminelle DIE-HARD-Logik samt ihrem Kalkül und dem Fokus auf die Medien- und Börsenreaktionen nachgespielt worden ist, lässt die BVB-Tat einmal mehr wirken als so etwas wie der Einbruch der Fiktion (oder des Hollywood-Kinos) in die Wirklichkeit, wie man dies angesichts seiner Katastrophen-Bilder auch für den 11. September ausgemacht hat – wenn in Dortmund nun auch eher auf Ebene des „Plots“ oder der „Story“.

Es wirkt aber auch signal- oder symbolhaft, zeigt auf – wenn man es so lesen mag –, wie sehr sich die 2010er-Jahre in gewissen Problemlagen und Mentalitätssituationen den 1980ern ähneln. Neben den Auswüchsen des (Finanz-)Kapitalismus und der sich popularisierenden Kritik daran infolge der Banken- und EU-Krise ist es der Terrorismus, der mittlerweile von Radikalislamisten (v.a. von oder im Namen des sog. „Islamischen Staats“) ausgehend in Westeuropa ebenso „angekommen“ ist wie der internationale Terrorismus als B-Movie-Story- und Figuren-Stereotyp in Hollywood.

Sergey W., als Tatverdächtiger, erscheint so betrachtet als Schmalspur-"Hans Gruber", der nicht nur im Windschatten von Terrorismusbedrohung und Web 2.0-Nachrichtenhochgeschwindigkeit Geld machen möchten, sondern direkt mit und durch sie. Im Fahrwasser "echter" Terroristen wollte er ganz unideologisch – ähnlich der rein kommerziell orientierten, kleinunternehmerischen Fake-News-Profiteure u.a. aus Mazedonien – das Beste aus öffentlicher Unsicherheit und Ängsten bis hin zur Hysterie machen: sein Geld. Eine Entleerung, die parallel läuft zu realen Terrorismuskonflikten, in denen nach einer Phase, in der zunächst im weiteren Sinne idealistisch motivierte und legitimierte Akteure auf allen Seiten mehr und mehr parasitär ergänzt oder gar ersetzt werden von solchen, die lediglich auf den eigenen Vorteil aus sind, in welcher Form auch immer.

Dass dieser Post-Idealismus des Scheinterrorismus auch im Gegenwartskino seinen Platz hat, zeigt der James-Bond-Film CASINO ROYALE (2006), der noch mehr vielleicht direktes Vorbild für Sergey W.s BVB-Idee war. Darin will der Terrorfinanzier LeChiffré (Mads Mikkelsen) die Aktienkurse einer Airline durch einen Anschlag auf dessen neues Großraumflieger bei der Einführungspräsentation auf dem Lufthafen von Miami in Keller stürzen, um am Kursverlust zu verdienen. In Dortmund gab es allerdings keinen Geheimagenten 007, der dies im letzten Moment verhindert hat. Geklappt hat es trotzdem nicht.


Mehr zu dem Thema „Fake-Terrorismus“ und den DIE-HARD-Filmen finden Sie in meinem Buch, einen Text zum „Virtuellen Terrorismus“ in STIRBLANGSAM 4.0 HIER.