29.10.2010

Infomaterial zu CARLOS


Am 4. November startet wie hier schon mehrfach angekündigt Olivier Assayas Biopic CARLOS (dt. CARLOS - DER SCHAKAL).

Der deutsche Verleih NLP (Neue Film Produkton) hat dafür eine attraktiv aufgemachte Website gestartet, auf der sich auch - nach der Startseite über den Link "Bildungsmaterial" - ein 26-seitige Publikation als pdf-Datei herunterladen lässt: "Material für schulische und außerschulische Bildung ab Klasse 10 / 16 Jahre".

Im Stil der Filmhefte der Bundeszentrale für politische Bildung finden sich dazu Infos über die Filmhandlung, eine Chronik, Hintergrundmaterial zu den Figuren und dem damaligen internationalen Terrorismus, Erläuterungen zum Film, seiner Ästhetik und Thematik sowie Arbeitsaufgaben und Verweise auf weiteres Quellenmaterial (darunter die etwas mit spitzen Fingern anzufassende weil überaus "bewusst" subjektive Biografie von Magdalena Kopp aus dem DVA Verlag. Dass der DVA Verlag "Partner" ist, wird auf der NLP-Site erwähnt, nicht jedoch im Begleitmaterialheft - zumindest habe ich keinen solchen Hinweis gefunden).

So attraktiv und lobenswert das CARLOS-"Filmheft" auch aufgemacht ist, adelt es doch den Film unfreiweillig, insofern es selbst den Eindruck erweckt, dem Gegenstand, den CARLOS einzufangen versucht - eben die Figur des Illich Ramirez Sanchez -, leicht verzweifelt hinterherzuspüren versucht und dadurch Assayas Film bzw. TV-Dreiteiler selbst unverständlich gegenübersteht.

Gerade dadurch kommen, zum einen, interessante Ideen und Anregungen heraus:

"Diskutieren Sie, inwieweit Carlos persönliche Entscheidungen trifft und / oder politische. Stellen Sie diese in einer Tabelle gegenüber. Analysieren Sie nach Motivationen und Konsequenzen" (S. 21)
heißt es da, nach archetypischen Rollen innerhalb des Settings wird gefragt (S. 23), aber auch:

"Ziehen Sie zum Vergleich andere eindrucksvolle [sic!] reale oder fiktive Figuren heran (z.B. Che Guevara, Nelson Mandela, Dalai Lama, König Richard III., Lord und / oder Lady Macbeth, Barack Obama, Fritz Bauer)" (S. 21).

Wunderbar deutlich wird dabei, wie hier einer historischen, schillernden Figur eine Narrative unterlegt oder zugewiesen wird, jene vom Aufstieg und Fall: Da wird nicht nur gefragt, was ihn (Carlos) prägte und auszeichnet, ob man Stärken und Schwächen sieht, sondern auch, woran er gescheitert ist (ebd.)

Und hilflos klingt es, wenn es zugleich an die Eigendeutung geht:

"Carlos ist eitel, zutiefst von seiner Macht über alle überzeugt, narzisstisch, gierig, beherrschend, charmant, verführerisch, berechnend, süchtig nach Ruhm und Anerkennung. Frauen und Waffen sind Insignien seiner Macht. Indem er sie benutzt, erobert er sich die Welt" (S. 17).

Das mag alles nicht falsch sein, hat aber den Beigeschmack eines Kapitulierens durch Flucht in Fertigantworten und -beschreibungen.

Pädagogisch und politisch korrekt heißt es ebenso vorauseilend:

"Carlos ist dramaturgisch als Held gezeichnet, nicht in moralischer Wertung! Assayas betont gerade bewusst den Kontrast einer Figur, die sich selbst als mächtigen, einflussreichen, aber unterschätzten und betrogenen Star und Helden versteht, während andere ihn als nützlichen Söldner oder Marionette von Machtspielen benutzen" (S. 15).

Freilich ist dieser Hinweis an sich, die Unterscheidung zwischen dramaturgischem und "moralischem" Helden nicht so selbstverständlich, wie es sein sollte (auch für Filmemacher!).

Dieser Vermerk wirkt allerdings leicht hohl, weil die Wendung "Kontrast einer Figur" wie ein halbfertiges Argument wirkt und das Filmheft selbst im Sprung zwischen Dramaturgie und Moral im Sumpf der Faszinationskraft steckenbleibt - nicht nur der von Carlos ("Playboy Revolutionär Terrorist"), sondern auch der der fremden historischen Halbwelt des damaligen internationalen Terrorismus und seiner Zeit, der doch irgendwie, irgendein Geheimnis für die Gegenwart und ihr (nicht nur terroristisches) Unbehagen bereithalten MUSS.

So wirkt es jedenfalls, wenn es etwas konfus bis mysteriös heißt:

"Dass diese Terror-Welt viele Täter hat, zeigt Assayas als europäischer Regisseur einem Publikum im Jahr 2010, wo Schutzhandschuhe und -helme, Lichtschranken, Überwachungskameras und Rauchverbote innerhalb vermeintlich offener Grenzen um eine saubere, sichere Welt bemüht sind, aber wo sie schon längst nicht mehr begreifbar und berechenbar ist" (S. 17).

Bleibt noch anzumerken, dass Carlos seinen Beinamen "Schakal" nicht aus dem Roman von Frederik Forsythe hat, sondern allenfalls von ihm, zugeteilt durch die Presse. Einzige Verbindung: In einer der Wohnungen von Bekannten, die Carlos heimlich als Waffenversteck missbrauchte stand das Buch neben anderen in einem Regal (und gehörte höchstwahrscheinlich nicht mal Carlos). Dem Guardian war dies wie die passenden Ähnlichkeit zwischen dem Auftragskiller des Thrillers und der Figur Carlos genug [1]

Soll einer mal sagen, das Medien und Fiktionen keinen Terroristen machen...


Das Begleitheft zu CARLOS - DER SCHAKAL gibt es direkt HIER.

Eine Kritik zur TV-Langfassung erscheint (hoffentlich) auf Terrorismus & Film nächste Woche.


Bernd Zywietz




Anm.:

[1] vgl. Schröhm, Oliver [2004]: Im Schatten des Schakals. Carlos und die Wegbereiter der internationalen Terrorismus. Berlin: Aufbau Verlag, S. 59 f. Das Buch findet sich auch auf der Empfehlungs- und Quellenliste der CARLOS-Filmhefts.