30.03.2010
Terrorismus-Masala: Die aktuelle Terrorlage (und -stimmung) in Indien
Vorbemerkung
Vom 13. bis zum 25. März hatte ich das Glück und die Freude, an der Filmstudienreise der Johannes Gutenberg-Universität Mainz teilzunehmen. Geleitet wurde sie von Frau PD Dr. Susanne Marschall und Dr. Rada Bieberstein von der Mainzer Journalistik sowie von Dr. Ajit Singh Sikand, Dozent in Mainz (Indologie) und Frankfurt a. M.
An zwölf Tagen besuchten wir 6 Städte: Mumbai (das ehemalige Bombay), Pune, Kolkata (ehem. Kalkutta), Delhi, Agra und Jaipur. Dabei waren wir u.a. zu Gast beim Film and Television Institute of India (FTII), der Foundation for Liberal And Management Education (FLAME), dem Satyajit Ray Film & Television Institute und dem indischen Filmarchiv.
Neben dem film- und medienspezifischen Schwerpunkt habe ich natürlich stets die Augen hinsichtlich meines Themas offengehalten: das des Terrorismus, und hier natürlich dem in Indien.
Das Ergebnis ist zum einen eine große Menge günstig erstandener und hierzulande schwer oder praktisch nicht erhältlicher Fachliteratur zu meinem Forschungsgebiet, die mein Gepäckkontingent arg strapazierte. Diese neuesten „Schätze“ umfassen u.a. Bücher zur Rolle der indischen Polizei bei politischer Gewalt, den Konflikten im Südosten des Landes, zu den Ermittlung der Hintergründe des Rajiv-Gandhi-Attentats, eine Analyse des Versagens der indischen Armee bei der Guerillabekämpfung in Sri Lanka Anfang der 1980er, ein Reader mit poetischen und politischen Texten zu und von Freiheitskämpfern und Terroristen, zwei Bücher über die Bombay-Terrorangriff im November 2008, aber auch Bücher zur Zensur im indischen Kino, der Repräsentanz der Muslime in den Medien und der psychologisch-biographischen Betrachtung sektiererischer Gewalt.
Außerdem habe ich weitere Filme auf DVD zu Terrorismus und den entsprechenden Konflikten eingekauft, wenn auch nicht so viele, wie erhofft (und nicht jene, die ursprünglich gesucht).
Zum anderen ist mir natürlich auf der Reise gerade bei den touristischen Besuchen einiges zur Lage des Landes hinsichtlich eines terroristischen Alltags aufgefallen, z.B. angesichts der mal scharfen, mal rein demonstrativen Kontrolle an Hoteleingängen und Kinos (in Delhi durfte unsere Gruppe wegen Rucksäcken erst nach Verhandlungen ins Kino – und hätte so den fast den neuen, innovativen (Anti-)Bollywood-Film LOVE SEX AUR DOKHA, dessen Massenstart überrascht, verpasst).
Auch ein Blick in die Presse jener Tage zeichnet das Bild eines komplexen Terrorismuskontextes in Indien. Hierzu ein kurzer Beitrag:
Terrorismus-Masala
Im internationalen Kampf gegen Taliban und Dschihadismus steht Pakistan als Brückenkopf wie als Schlachtfeld im Fokus. Weniger Beachtung schenkt man dagegen dessen großen verfeindeten Nachbarn Indien. Ein Blick in die Presse zeigt jedoch, wie die Hindunation mit verschiedenen „alltäglichen“ Auswüchsen und Überbleibseln des Terrorismus zu kämpfen hat.
Die Nation „salutierte“ am Gedenktag ihren Märtyrern. Keine islamistischen Gotteskrieger wurden gefeiert, sondern weltliche Unabhängigkeitsaktivisten, deren Ehrung sich das indische Informations- und Rundfunkministerium eine Drittelseite in der Hindustan Times kosten ließ. Umgeben von feurigem Orange blicken Shaheed Bhagat Singh und zwei seiner Gefolgsleute den Leser an. Fesche ernste junge Männer, Singh mit dem Bleistiftbart und Hut, mit dem ihn fast jeder in Indien kennt. Alle drei sind am 23. März 1931 von den Briten hingerichtet worden, und mehrere Bücher und ein duzend Bollywood-Filme (z.B. THE LEGEND OF BHAGAT SINGH oder, indirekt, der Superhit RANG DE BASANTI von 2006) huldigen dem jungen Sikh, sozialistischen Revolutionär und Unabhängigkeitskämpfer, die gegen das britische Raj agitierte, einen Polizisten erschoss und eine Bombe ins indische Parlament warf. Penibel wird darauf geachtet, dass der Volksheld und Gegenfigur zum friedliebenden Gandhi, kein „Terrorist“ war – die Bombe in der Gesetzgebungsversammlung sollte keinen Opfer fordern, sondern, so Singh und der offizielle Tenor heute, einzig „Taube hörend machen“ und „ein Warnsignal setzen“.
Die traditionelle Huldigung des Märtyrers ist bezeichnend für das ambivalente Verhältnis Indiens zur politischen Gewalt und symbolischer Ausgangspunkt für die unterschiedlichen terroristischen Konflikte die von außen an der Patchwork-Nation zerren und im Inneren nagen. Einige davon hat der Staat in seiner siebzigjährigen Geschichte überstanden: der Sikh-Separatismus der 1980er, dem Indiens „Eiserne Lady“ Indira Gandhi zum Opfer fiel oder der Guerillakrieg der Tamilen auf Sri Lanka, der Gandhis Sohn und Nachfolger Rajiv 1991 durch ein Selbstmordattentat das Leben kostete.
Ein Blick in die aktuelle Presse des Riesenreiches, das sich neben China anschickt, die Welt zu erobern, zeigt jedoch wie, welche inter- und innernationale Terrorismuskonflikte aktuell den „war on terrorism“ in Indien zu einer vereinfachten Phrase werden lassen. Die ungemütliche Stellung des Landes spiegelt sich in dabei in zwei Themen wider, die von Mumbai bis Kolkata Schlagzeilen machen: der vermutete Atom-Deal der USA mit Pakistan und der Fall Headley.
„Wir verstehen nicht, wie Amerika Pakistan unterstützen und gleichzeitig akzeptieren kann, dass sie Terroristen ausbilden und zu uns schicken“, erklärt Sanjay, ein Wirtschaftsstudent im Alter Bhagat Singhs mit Blick auf die Spekulationen um die Nuklearpartnerschaft. Tatsächlich beobachtet ganz Indien seit Jahren mit Bauchgrimmen den Aufstieg Pakistans zum Partner der USA im Einsatz gegen Taliban und al-Qaida, wo doch gerade der traditionell verfeindete Nachbar, mit dem um Kaschmir gerungen wird, nach erfolglosen Kriegen auf die Unterstützung und Förderung von Zermürbungsterrorismus setzt, dem Einsickern von trainierten „Freiheitskämpfern“ im Nordwesten – oder dem erschütternden Terror-Amoklauf von Mumbai im November 2008 durch die Lashkar-e-Toiba („Armee der Reinen“), dem „26/11“, der in der Metropole immer noch zu spüren ist. Teile des Taj Hotel schräg gegenüber des Gateway of India sind nach dem Geiseldrama immer noch gesperrt, im Chhatrapati Shivaji Terminus, dem ehemaligen Victoria Bahnhof, stehen rustikale Metaldetektoren in den Eingängen, daneben sitzen gelangweilte Polizisten an Tischen und ein Soldat mit Schutzweste wacht hinter Sandsäcken. Den Strom der Pendler wie Rajit und die vielen Touristen zu kontrollieren, die hier die Location der Schlussszene von "Slumdog Millionaire" besichtigen wollen, ist unmöglich.
Die Präsenz der Sicherheitskräfte bleibt hier wie anderswo weitgehend symbolisch. Anschläge wie jener im Februar auf die German Bakery in Pune oder die Festnahme zweier vermeintlicher Anschlagsplaner in Mumbai, deren Adresse, Familienverhältnisse und Einkünfte ("zweihundert Rupien pro Tag") die Presse detailliert referierte, sorgen für Aufsehen, verhindern lassen sie sich aber letztlich kaum. Terrorgefahr ist und bleibt in Indien Alltag.
Es ist vor allem die weltpolitische Hybris, die Indien momentan zusammenschweißt, die Sorge, im globalen Feldzug gegen den Terrorismus zum Kollateralschaden zu werden. Wie Trotz klingen die Meldungen über die Rüstungsgeschäfte mit Russland in Milliardenhöhe, die Indien neue MIG-Jets, Flugzeugträger und zwölf zivile Kernreaktoren beschert. Andererseits sorgt gerade ein Staatsfeind für Hoffnung: David Headley alias Daood Sayed Gilani, US-Amerikaner pakistanischer Herkunft, wurde vom FBI festgenommen und hat sich zu seiner Rolle bei der Mumbaier „26/11“-Attacke schuldig bekannt. Headley ist ein politischer Glücksfall, weil er in den USA vor Gericht kommt und dadurch den Vorwürfen Indiens, die benachbarte Muslimnation würde den Terror gegen die Hindunation unterstützen, international besonderes Gewicht verleiht. Zugleich sorgt das diplomatische Taktieren in Indien für Unmut. Mal sollen indischen Ermittlern Zugang zu Headley gewährt werden, mal zeigen sich die USA reserviert: Die diplomatischen Formalien seien noch nicht geklärt. Was die Vereinigten Staaten zu verbergen hätten, fragte Vir Sanghvi in der Hindustan Times und überlegt, was wohl wäre, wenn Indien amerikanischen Behörden die Befragung von Verschwörern des 11. Septembers vorenthalten würde.
Neben dem internationalen radikalislamistischen Terrorismus geht es in Indien jedoch täglich auch um eine vom Ausland kaum notierte Auseinandersetzung, die Innenminister Palaniappan Chidambaram in India Today als noch schwerwiegender als die Dschihad-Gefahr bezeichnet: die sozialrevolutionäre Guerilla der maoistischen Naxaliten. Nicht in den großen Metropolen oder traditionell-dramatisch im umkämpften Kaschmir, sondern in den ländlichen Gebieten betreiben sie einen paramilitärischen Kampf entlang der Westflanke Indiens über mehrere Bundesstaaten hinweg. Deren Sicherheitskräfte wollen zusammen und mit Unterstützung Delhis in der Operation „Green Hunt“ in die Offensive gehen.
Ob tatsächlich in zwei bis drei Jahren die Bewegung ausgemerzt sein wird, wie Chidambaram verspricht, darf jedoch bezweifelt werden. Anders als die radikalislamistische Bedrohung von außen sind die Naxaliten nicht nur als Dschungelkämpfer, sondern auch als Feinde generell schwerer zu fassen, weil sie politischer agieren, öffentliche Präsenz zeigen und legitimiertere Motive anführen können. Benannt nach dem Dorf Naxalbari in Westbengalen aufgrund des dortigen Bauernaufstands von 1967 entstammen die Linksextremisten der Spaltung der indischen kommunistischen Partei und können sich auf die ärmlichen Verhältnisse und die Ausbeutung berufen. Nicht umsonst hat gerade die streitbare Schriftstellerin und Globalisierungskritikerin Arundhati Roy im Nachrichtenmagazin Outlook eine 32-seitige Reportage über die „Genossen“ mit der Kalaschnikow veröffentlicht, deren Kameraden in Jharkand am vorvergangenen Donnerstag einen Zug entgleisen ließen. Ein Toter und fast dreißig Verletzte waren die Folge. Für weitere Unruhe sorgt die Ankündigung, in Zukunft mit Rebellen im Nordosten gegen Delhi zu kooperieren und erste Anzeichen dafür, dass der bewaffnete Kampf immer mehr in die Städte getragen werden soll.
Die Maoisten stellen nicht nur für die Polizei und Militär eine Herausforderung dar, sondern auch für das Selbstverständnis des wildwuchernde Wachstums Indiens, das hellerleuchtete Designerläden in Elendsviertel baut und IT-Spezialisten in Massen ausbildet, derweil 35 Prozent der Bevölkerung Analphabeten sind und nur zwei Drittel der Kinder in ländlichen Regionen die Schule besuchen. An die eigene sozialistische Vergangenheit der Nehru-Ära lässt sich dieses Indien ungern erinnern. Und auch der Staatsmärtyrer Bhagat Singh wird lieber als nationaler Widerstandskämpfer und republikanischer Aktivist verehrt denn als der Marxist und Antiimperialist, der er war.
Bernd Zywietz
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