von Bernd Zywietz
I.
Die Suche nach einer Bestimmung dessen, was Terrorismus ist, was ihn ausmacht oder wie man ihn – u.a. gegen andere Formen der Gewalt und politischen Agitation – abgrenzen kann, ist fast eine eigene Wissenschaft innerhalb der Terrorismusforschung selbst.
Terrorismus kann Gegenstand der unterschiedlichsten Disziplinen sein – von der Rechtswissenschaft und Kriminologie über die Psychologie, Soziologie und Politologie bis hin zur Geschichts-, Kultur- und Medienwissenschaft.
Dass Terrorismus so schwer zu fassen bzw. zu bestimmen ist, hat mehrere Gründe, die freilich mitunter wiederum den Gegenstand selbst charakterisieren:
Terrorismus wird als ein abwertender Begriff verwendet: Er delegitmiert die Aktionen anderer, die sich wiederum über Bezeichnungen der regulären Militärsprache eine gewisse Rechtmäßigkeit in ihrem „Kampf“ erstreiten wollen. „Sein praktischer Gebrauch belastet den Terrorismusbegriff mit einem Überschuss an Bedeutungen, und diese sind von starken Affekten geprägt“ (Neidhardt 2006, S. 124). So beinhaltet Terrorismus in der v.a. öffentlich-politischen Verwendung eine Wertung, von der auch in der rein wissenschaftlich orientierten Definition nicht abgesehen werden kann.
Ein weiterer Punkt, der eine endgültige Bestimmung von Terrorismus faktisch unmöglich macht, ist, dass die politischen und sozialen Gegebenheiten sich weiterentwickeln, sich neue Machtkonstellationen, Regularien und Wertmaßstäbe herausbilden. Wie ist der Aufstand von Kolonialvölkern (z.B. in Algerien gegen die französische Herrschaft) mit den ethnischen Auseinandersetzungen auf dem Balkan oder den Widerstandsaktionen im Irak nach Saddam Hussein zu vergleichen? Zählen auch die Überfälle britische Freibeuter auf spanische Schiffe als Terrorismus – weil sie (auch) politisch motiviert waren?
Nicht zuletzt macht es einem der Begriff Terrorismus zu schwer, weil er sich selbst aus verschiedenen, wenig konkreten und konkretisierbaren – man kann auch sagen: abstrakt-theoretischen oder metaphysischen – Wörtern wie „politisch“ und „Herrschaft“ quasi zusammensetzt.
Man muss sich daher von der Idee verabschieden, eine Definition finden zu können, die eng genug ist, um Terrorismus präzise zu erfassen und zugleich weit genug, um alle (möglichen) vielfältigen Aspekte, Arten und Bedeutungsdimensionen mit einzubeziehen.
II.
Terrorismus muss so in Gänze eine Art „Fuzzy“-Konzept bleiben, das nicht einen einzigen, festen Bedeutungskern hat, sondern ein Set an Elementen, die in sich und zueinander variabel sind. Zugleich sind diese „Erklärungsbestandteile“ auf all ihren unterschiedlichen Ebenen doch genau genug zu benennen und zu untersuchen, um mit dem Wort „Terrorismus“ ernsthaft umgehen zu können.
In aller Kürze ein Überblick über m. E. drei zentralen Merkmale:
a) Terrorismus bezeichnet „politische“ Gewalt: Bei Terrorismus geht es nicht darum, Gewinn zu machen bzw. sich persönlich zu bereichern. Mögen auch individuelle Motive wie Vergeltung (z.B. angesichts von Demütigungen) eine Rolle spielen (vgl. Richardson 2007): Terrorismus hat immer eine (höhere) „Sache“ zum formalen Gegenstand, die es zu verwirklichen gilt. Dies kann eine Nation oder eine religiöse bzw. sozialutopistische Ordnung sein – wichtig ist, dass Terrorismus ein Ziel anstrebt, das in der Sphäre des politischen anzusiedeln ist (also die Regelung der Macht des öffentlichen Zusammenlebens und seiner Gestaltung). In diesem Sinne ist auch religiöser Terrorismus „politisch“, insofern er die Gestaltungslegitimation von einzelnen oder mehreren Staaten herausfordert.
b) Terrorismus ist Gewalt „von unten“. Über diesen Punkt herrscht nur bedingt Einigkeit. Manche Autoren (u.a. Beermann 2004) argumentieren gegen eine Trennung von „Terror“ (wie er von „oben“, vom Staat her erfolgt – z.B. in Nazi-Deutschland) und dem Terrorismus, der aus einer Unterlegenheitsposition heraus angewendet wird. Egal jedoch, ob man auf die Opferzahlen des Terrors hinweist, darauf, dass „Staatsterrorismus" „schlimmer“ sei oder, wie Christopher Daases (2001) eine Art „Zwischenunterteilung“ vorschlägt: Allein, dass auf der einen Seite öffentlich und mit einer Übermacht eine Bevölkerung oder Teile von ihr zu terrorisieren oder – andererseits – aus dem Untergrund zu „terroristischen“ Mitteln zu greifen, eben weil man militärisch oder politisch unterlegen ist, dürfte als Unterschied bedeutend genug sein, Terrorismus und Terror nicht gleichzusetzen. (Dass und wie hier welche Begriffe als Bezeichnungen dienen, mag diskutabel sein, bleibt aber auch eine Frage Konvention, die nun eben jene Zuschreibung ausmacht.)
Im Verständnis von Terrorismus als Unterlegenheitsstrategie wird zudem deutlicher, was Terrorismus vom Guerillakampf absetzt: Letzterer kämpft eher militärisch um Gebiete, die er gegenüber den meist staatlichen Truppen besetzt hält oder erobern will. Damit orientiert sich der Guerillakampf zumeist an eher konventionellen Gewaltauseinandersetzungen, während Terroristen in „Reinform“ nach ihrer Aktion wieder ins zivile Leben quasi abtauchen. (Diese Beschreibung ist natürlich nur sehr verkürzt, sondern engt das Spektrum des Terrorismus selbst überaus ein – vor allem auf den sozialrevolutionären. So verwenden auch Guerilla-Organisationen wie die tamilischen „Befreiungstiger“ – LTTE – Terrorismus und sind die Hamas und Hisbollah selbst sozusagen selbst in den sozialen Alltag der Menschen eingebunden).
c) Terrorismus ist eine STRATEGIE in einem Kampf, der auch mit anderen Mitteln (z.B. politischen – z.B. im Nordirlandkonflikt mit der Unterteilung der republikanischen Unterteilung von IRA und Sinn Féin) bisweilen parallel geführt wird. Terrorismus ist Ausdruck weitreichender Konflikte – und ist zugleich eine „Mittel“, um zu „kommunizieren“. In diesem Sinne ist die Wortbedeutung auch zu relativieren. Beim Terrorismus muss es nicht (nur) darum gehen, andere in Angst und Schrecken zu versetzten – oder darüber Regierungen zu erpressen bzw. herauszufordern und zu einer Überreaktion zu provozieren. Terroristische Aktionen können auch stattfinden, um eine „Sache“ einer großen, mitunter der weltweiten, Öffentlichkeit bekannt machen bzw. den Blick darauf zu lenken. So war das – erreichte – Ziel des „Schwarzen September“ 1972, durch die Geiselnahme bei der Olympiade in München neben der Gefangenenbefreiung, Aufmerksamkeit für die Palästinenserfrage zu erregen.
Terrorismus kann auch kommunikativ auf die eigene Seite gerichtet sein: um zu motivieren oder rekrutieren - so wie al-Qaida die Anschläge des 11. September vor allem auch „für“ die „unterdrückten“ Muslime „inszenierten“. In diesem Sinne gilt das Diktum „Terrorismus ist Theater“ (Jenkins 1975) und spielen die Medien für die Vermittlung des Terrorismus eine eminente Rolle.
III.
Neben der Möglichkeit, sich dem Begriff Terrorismus über Charakteristika zu nähern, besteht die der historischen Unterscheidung, wie sie David C. Rapoport (2004) vorgestellt hat und die ich zum Abschluss hier kurz vorstellen möchte. (Der empfehlenswerte Artikel Rapoports steht als pdf-Datei auf der Website des UCLA Burkle Center zum Download HIER frei zur Verfügung – für den Link gilt jedoch der allgemeine Hinweis dieser Seite zu allen Verlinkungen):
Nach Rapoport gliedert sich die Geschichte des modernen Terrorismus in vier Wellen:
Die erste Welle bezeichnet den „anarchistischen“ Terrorismus ab den 1880ern, der von Russland ausgehend der erste wahre internationale Terrorismus darstellte.
Die zweite, „antikolonialistische“ Welle (ab den 1920ern) begleitete das Zusammenbrechen der imperialistischen Herrschaften wie Englands oder Frankreich bzw. war ein Element des Freiheitskampfs in Ländern wie Irland oder Algerien.
Als dritte Welle führt Rapoport den sozialrevolutionären Terrorismus der „Neuen Linke“ an, wie er in Deutschland oder Italien, aber auch in Südamerika (z.B. in Peru oder Uruguay) ab den 1960ern zu finden war.
Die vierte, aktuelle Welle bezeichnet den religiösen – vor allem islamistischen – Terrorismus seit dem Ende der 1980er.
Rapoports Vier-Wellen-Konzept mag einige Mängel haben, z.B. indem individuelle Terrorkonflikte und Organisationen aus ihrer Kultur und Geschichte gelöst werden und z.B. der (lokalen) Sikh-Terrorismus mit einem (internationalen) Jihadismus zusammenspannt wird. Oder indem die Wellenkategorien auf ihrer ganz großen geschichtlichen Ebene „kleinere“ und doch ebenso grundlegende Ansätze wie sie z.B. das Verständnis vom „Ethno-Nationalismus“ beschreibt, überdecken.
Gleichwohl bietet Rapoport ein nützliches und weitreichendes Modell, da es verschiedene ARTEN des Terrorismus mit seiner GESCHICHTE kombiniert. Dass und wie dabei vereinfacht wird, ist angesichts der Umfassendheit legitim – zumal Rapoport auch markante Unterschiede zwischen den Wellen, z.B. hinsichtlich der bevorzugten Terror-Taktiken bzw. Mittel herausarbeiten kann.
In diesem Sinne bieten die „Vier Wellen“ eine bemerkenswerte Über-Sicht neben den vielen enger gefassten, auf einzelne Terrorkonflikte, Terrorismusarten, -aspekte (seine Verortung in politischen Modellen, seine juristische Bewältigung) oder -ebenen (z.B. die Mikroebene: die Individualpsychologie des Terroristen) konzentrierte Arbeiten. Und darüber hinaus ein Zugang (und damit: Verständnisansatz) zu dem, was man unter „Terrorismus“ verstehen kann.
Literatur:
Beermann, Torsten (2004): Der Begriff „Terrorismus“ in deutschen Printmedien. Eine empirische Studie. Münster: LIT
Daase, Christopher (2001): Terrorismus – Begriffe, Theorien und Gegenstrategien. Ergebnisse und Probleme sozialwissenschaftlicher Forschung. In: Die Friedens-Warte, 76. Jg., Heft 1, S. 55–79
Jenkins, Brian M. (1975): International Terrorism. A New Mode of Conflict. In: David Carlton / Carlo Schaerf (Hg.): International Terrorism and World Security. London: Croom Helm.
Neidhardt, Friedrich (2006): Akteure und Interaktion. Zur Soziologie des Terrorismus.
In: Wolfgang Kraushaar (Hg.): Die RAF und der linke Terrorismus. Bd. 1. Hamburg: Hamburger Edition, S. 123–137.
David Rapoport (2004): The Four Waves of Modern Terrorism. In: Audrew K. Cronin and James M. Ludes (Hg.): Attacking Terrorism. Elements of a Grand Strategy. Washington, D.C: Georgetown University Press, S. 46-72.
(http://www.international.ucla.edu/media/files/Rapoport-Four-Waves-of-Modern-errorism.pdf)
Richardson, Louise (2007): Was Terroristen wollen. Die Ursachen der Gewalt und wie wir sie bekämpfen können. Franfurt a. M.: Campus.
08.01.2009
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