Auf den Hund gekommen – Geheimnisverrat in ZERO DARK THIRTY oder: Von der
Errettung der äußeren (Antiterroreinsatz-) Wirklichkeit.
Heute Nacht werden in Hollywood die Academy Awards – die „Oscars“ –
vergeben und unter den Nominierten ist auch ZERO DARK THIRTY. Höchste Zeit
also, mich hier noch ein bisschen mit dem Film, in dem es um die Suche und
schließlich die Eliminierung von Osama bin Laden im pakistanischen Abbottabad
geht, zu befassen. Denn vielleicht bekommt Kathryn Bigelows und Mark Boal eine
der Goldtrophäen, etwa die für das beste Drehbuch, vielleicht aber auch nicht,
und in beiden Fällen dürfte die Entscheidung als eine zumindest auch politische
interpretiert werden.
ZERO DARK THIRTY war und ist nicht unumstritten. Zweierlei Kerndebatten
lassen sich ausmachen: die des
Geheimdienstverrats. Allerdings bietet der
englischsprachige Wikipedia-Eintrag
zu ZERO DARK THIRY bereits einen guten Aufriss (samt Quellenverlinkung) der
Kontroversen, weshalb ich was die dahin gehende Fakten, Abläufe und
Wortbeiträge betrifft, schlicht darauf verweisen möchte und mich auf
allgemeinere Bemerkungen beschränke.
Zunächst und heute hier: die Frage des Geheimnisverrats. Die Obama-Administration
habe den Filmemachern Informationen zukommen lassen, die unter Verschluss
stünden – so lautete einer der politisch konnotierten Klagen (schließlich wurde
dem Film vorgeworfen, Wahlkampfbeihilfe für den nun zum US-Präsidenten
wiedergewählten Barack Obama darzustellen). Diese Anklage ist nun einmal
deswegen nicht allzu ernst zu nehmen, weil das Gros der Informationen –
wiebereits in meinem ersten Beitrag zu ZDT erwähnt – sich aus anderen öffentlichen
Quellen über die Arbeit der CIA und der finalen Nacht Anfang 2012 gewinnen
lässt. Mark Boal mag sicher nicht zuletzt dank seine Arbeit als Journalist über
Kontakte zu Geheimdienstkreisen verfügen. Jenseits der Marketing-Kitzels, den solche
– gerne im Umfeld von Filmstarts gestreuter – „Quellen“ haben mögen, dürfte sie
von keiner allzu großen Bedeutung für das Ergebnis, also dem fertigen Film mit
seiner Dramaturgie, der Handlung, den Bildern und Figuren sein.
Allerdings bringt uns das zur interessanten Frage: Welcher Art von
Geheiminformation können Spielfilmen eigentlich überhaupt verraten?
Zunächst sind ja Filme wie ZERO DARK THIRTY von besonderem Reiz sowohl
fürs Publikum wie für die Medienwissenschaft und Ideologiekritik, wenn sie verheißen
oder versprechen, einen wie auch immer gearteten Einblick in ansonsten
allenfalls investigativ-journalistisch und dokumentaristisch aufbereitete
Ereignisse und Abläufe spezieller und allgemeiner Natur zu bieten. Im Falle von
ZDT eben die Arbeit von Geheimagenten, die Entscheidungen (und
Entscheidungsabläufe) in der CIA und im Pentagon im Falle bin Laden, die
klandestine Arbeit von Elite- und Kommandosoldaten, die (oder: eine)
Folterrealität im „Krieg gegen den Terrorismus“ usw.
ZERO DARK THIRTY ist folglich insofern als einflussreich zu begreifen,
als er uns nicht zuletzt bildhafte Eindrücke liefert, die wir zuvor nicht
hatten und sonst auch so nicht bekommen würden. Selbst als Fiktion hat ein
solcher Film dabei das Potenzial, die realitätsbezogene Vorstellungslücken zu
besetzen, die andere Texte offenlassen, und über sie die weiterführende mentale
Modelle zu prägen, die wir uns bilden. Medienwissenschaftliche Untersuchungen
haben übrigens gezeigt, dass wir ohnehin dazu tendieren, die Quelle der
Information gerade in solchen Fällen, in denen nicht unsere unmittelbare
Lebenswirklichkeit tangiert ist, zu vergessen. Weshalb auch fiktionale Inhalte
„wirklichkeitsbildende“ oder „-formende“ Wirkungen haben können.
Das heißt also, dass es gut möglich ist – wenn nicht gar wahrscheinlich –,
dass Sie nach der Sichtung von ZERO DARK THIRTY, wenn die Rede auf Osama bin
Ladens Tod kommt, Filmbilder zur geistigen Illustration heraufbeschwören. Umso
mehr, als Sie noch die Information (oder Behauptung) abgespeichert haben, dass
der Film überaus authentisch sei.
Das hat etwas Bedrohliches: Fiktion, die die Realität okkupiert, sie auszulöschen
droht. Man kann es aber auch umgekehrt sehen: das fiktionale ausgestaltende
Filmerzählen wird mit seiner Ästhetik Opfer der Faktizität und Authentizität.
Nicht, dass ZERO DARK THIRY sich künstlerisch einem tyrannischen Diktat des
Hyperrealismus und des Belegten beugen würde – im Gegenteil, der Film besticht
gerade, weil er seinen stilistisch Eigenes und Eigenständiges mit dem
Dokumentaristischen seines Sujets so wunderbar in Übereinklang bringt.
Wenn man aber Mark Bowens Insider-Bericht über die Arbeitsweise der Navy
SEALS allgemein und in der speziellen Nacht liest, stechen bestimmte Details in
ZERO DARK THIRTY besonders heraus, und es weicht der Eindruck des
kenntnisreichen (weil nicht auserklärten) Realismus dem der Faktenbebilderung,
der etwas zumindest so Bemühtes anhaftete, wie es museale Illustrationen und
Rekonstruktionen in ihren Kleinigkeiten der szenarischen Ausgestaltung
aufweisen. Vielleicht ist das weniger eine Frage des Werkes oder des Autors als
der Rezeption, aber was macht das schon im Endeffekt?
Ein paar Beispiele: In No Easy Day: The Firsthand Account of the
Mission that Killed Osama bin Laden (dt.: Mission erfüllt. Navy
Seals im Einsatz – Wie wir Osama bin Laden aufspürten und zur Strecke brachten)
beschreibt Bowen alias Bissonette allerlei Details, die ZERO DARK THIRTY
ebenfalls präsentiert, bebildert, nachzeichnet. Das reicht von der Senke, in
der die SEALS sich im afghanischen Militärlager einen eigenen Partybereich mit
alten Sofas eingerichtet haben, über die vier (statt typischen zwei) Objektive
des Nachtsichtgeräts (dank der das Sichtfeld stark erweitert wird) – bis hin
zum Hund.
Der Hund. In Bowens Buch wird beschrieben, welch wertvolles
„Team-Mitglied“ solch ein Tier im Einsatz sein kann. Etwa bei der Hatz nach
Taliban-Kämpfern, sei es, dass der Hund der Fährte der fliehenden Militanten
folgen kann, sei es, dass er im unübersichtlichen Terrain (was schon ein
einfacher Acker sein kann) entsprechende Heckenschützen wittert und seine
menschlichen Kameraden warnt.
Wenn nun in ZERO DARK THIRTY die Kommandotruppe solch einen vierbeinigen
Kameraden (ein deutscher Schäferhund, glaube ich) dabei hat, ist und wird das
nicht erklärt, ist ja nur eine Kleinigkeit, ebenso wie vieles andere, das Filme
nun mal so „herzeigen“ (von der Funktionsweise von Fahrstühlen, die
Protagonisten benutzen bis zu den sozialen Konventionen, gegen die sie
verstoßen und damit „Komödie“ machen).
So ein Hund wirkt nun entweder authentisch (über die Art des
eingeflossenen Wissens, das sich in Ausstattung etc. niederschlägt – durchaus
im Sinne einer Kracauer’schen Errettung der äußeren Wirklichkeit). Oder eben –
weiß man um die Quellenlage, auf die sich Drehbuchautoren, Regisseure,
Production Designer etc. stützen, und hat sie noch besonders dahingehend
präsent – es drängt sich das Detail als Ausschmückung um seiner selbst willen,
zugleich als Verweis oder wenigstens Anklang an die textuellen Informationsvorlagen,
in den Vordergrund. Es springt einen an, der Hund.
Ob es sich nun aber um das kurze Auftauchen eines Vierbeiners auf der
Leinwand handelt (
dem echten Köter, einem Labrador, der beim Osama-Einsatzdabei war, hat Präsident Obama übrigens die Ehre erwiesen) oder sonst was: Wir
können nie sicher sein, wo die kreative Freiheit zuschlägt. Können wir ZERO
DARK THIRTY also als Gewährsquelle heranziehen, wenn es darum geht, zu
beurteilen, wie in Pakistan die CIA untergebracht ist oder deren Angestellte in
den spärlichen, kläglichen Stunden des Privatdaseins? Ist eine „Blacksite“, wo
der Geheimdienst im Verbund mit alliierten Kräften Informationen aus
unglückseligen Nicht-Kombattanten extrahiert, neben jenen im Nahen und
Mittleren Osten, nun in ZDT in Polen verortet, weil Boal und Bigelow den Finger
über eine Karte der Koalition der Willigen kreisen ließen und sich ein Land
willkürlich herauspickten –
oder weil es dort tatsächlich solch ein Loch in der
Topografie des Rechts, der Moral und der exekutiven wie medialen Kontrolle gab?
Die Berechnung eines filmfiktionalen Geheimnisverrats wird aber noch
komplexer, führt man den Konkretationsgrad als Variable in die Formel ein.
Welche Information, auf welchem Niveau und hinsichtlich welchem Aspekt ist wie
und in welcher Hinsicht erhellend, verräterisch, ein Politikum oder taktisches
oder strategisches „Leck“? Dass es Blacksites, quasi extraterritoriale,
outgesourcte Verhör- und Foltermanufakturen gab, das war und ist keine
Neuigkeit (oder wenn doch, für wen, mit welchen Folgen?). Spielt es eine Rolle,
in welchen Land sie in ZERO DARK THIRTY konkret angesiedelt sind? Andererseits:
Was in dem Film ist versehen mit einem Realitätsaussageanspruch, was nur
fiktionale Erfindung? Hat der Botschafter von Polen – anders gesagt – Protest
in Los Angeles eingelegt, weil sein Land als Ort geheimen Schindludertums für
eine Szene herhielt – oder aber in Washington, D.C. bzw. Langley, Virgina, weil
dort die freundschaftliche Unterstützung nicht genug geheimgehalten wurde?
Die entsprechenden Äußerungen zu ZERO DARK THIRTY sind nur ein weiterer
Beispielfall eines (produktiven) geheimdienstlichen (und entsprechend
theoretischen) Widerspruchs: Erst durch den aufschreienden Verweis, DASS diese
oder jenes Informationen seien, die tunlichst im Verborgenen zu verbleiben
hätten, werden sie erst zur Indiskretion. Womit natürlich auch prima auf
falsche Fährten führen kann …
In diesem Sinne gibt es nur zwei Arten von Geheimdienstverrat, die im
Kontext von ZERO DARK THIRTY eine wirkliche Rolle spielen.
Eine, die – praktisch – belanglos ist, insofern das brisante Wissen und die
heiklen Informationsgehalte sang- und klanglos zwischen dem Ausgedachten,
aufgrund von künstlerischen Intentionen und
sachlichen Umständen (sah die CIA-Zentrale in Islamabad wirklich so aus
oder nahm man einfach ein verfügbares Gebäude für den Dreh, das dem Flair am
Nächsten kam?) untergeht und dabei (bzw.: dort) besser bewahrt und
unanfechtbarer ist als im tollsten Tresor hinter einem repräsentativen
staatstragenden Ölgemälde.
Und eine Art von Verrat, die nicht einzelne narrative Züge und Zusammenhänge
oder bildhafte bzw. visuelle Inhalte betrifft, sondern größere, abstraktere,
ideologische Erkenntnisse, wie sie – wert- und weltbildgebunden – weitaus
gefährlicher sein können. Selbst und gerade wenn es „Geheimnisse“ betrifft, deren
Einsicht nicht oder nur indirekt einklagbar und zu verteidigen sind.
Was
uns an den zweiten großen kontroversen Punkt von ZERO DARK THIRTY bringt: den
der Effizienzdarstellung von Folter. Wobei eher noch gestritten werden sollte
über die Effizienz von Folterdarstellungen. Aber dazu ein andermal mehr.
zyw