26.01.2011

Tipp: Filmemacher Klaus Lemke zu den "Baader-Meinhofs"

"Und dann haben sie ihren Film im wirklichen Leben gemacht ..."

Das Film- und Kulturmagazin CARGO präsentiert auf seiner Website einen Gesprächsauszug mit Klaus Lemke, einem der Erneuerer des deutschen Kinos, wie er innerhalb des Dunstkreises von Neuem Deutschen Film mit der späteren RAF zusammentraf, darüber, welch Filmfan Andreas Baader war - und wie sich Künstler und Radikale auseinander entwickelten...

Anzuhören HIER (ca. 7 Minuten).



(zyw)

24.01.2011

Staatsfeind Andreas Baader – Doku und Diskussion




Letzte Woche war ich einmal mehr auf dem Filmfestival Max Ophüls Preis, das in Saarbrücken zum 32. Mal stattfand. Der junge deutschsprachige Film stellt sich dort vor, Premieren und Debüts gibt es zu entdecken, und gefreut habe ich mich ein bisschen auf eine Auszeit vom Terrorismus-Thema.

Zu früh gefreut: Es wurde am 18. Januar nämlich Klaus Sterns 60-minütige Dokumentation ANDREAS BAADER – DAS LEBEN EINES STAATSFEINDES vorgestellt; danach gab es im Hotel Leidiger eine Podiumsdiskussion. Die Gäste waren Stern, Filmemacher Andres Veiel, der mit dem Doppelporträt BLACK BOX BRD über Holger Grams und Alfred Herrhausen bekannt wurde und der sich mit dem Spielfilm WER WENN NICHT WIR – wie HIER angekündigt – Baader, Ensslins und Bernward Verspers in den Jahren vor Revolte und Radikalisierung annimmt. Weiterhin diskutierte nmit: Willi Winkler, Journalist und Autor von Die Geschichte der RAF sowie Dr. Jürgen Albers von Saarländischen Rundfunk (SR), der die Veranstaltung leitete. Ex-Spiegel-Herausgeber und Autor von Der Baader-Meinhof-Komplex Stefan Aust war angekündigt, konnte aber nicht kommen.

Die Diskussion wurde im SR-Radio (SR 2 KulturRadio) leider schon am 23. Jan. 2010 ab 20.04 Uhr in voller Länge ausgestrahlt, ein Podcast davon habe ich bis jetzt in der SR-Mediathek noch nicht entdecken können, dafür einen dreieinhalbminütigen Bericht samt Ausschnitten (gibt es HIER; im Zweifelsfall liefere ich eine Abschrift nach, da ich – leider mit schlechter Qualität – die Diskussion als Tonaufnahme mitgeschnitten habe). Und auch ANDREAS BAADER – DAS LEBEN EINES STAATSFEINDES wird schon morgen, am Dienstag, den 25. Januar ab 23.45 Uhr im NDR gesendet.


(Bild: v.l.n.r.: K. Stern, W. Winkler, J. Albers, A. Veiel)


Lohnt sich der Film? Klaus Stern zeigt Material, das er für eine bereits für 2003 geplante Dokumentation zu Baader verwenden wollte, und der nun fertige ANDREAS BAADER – DAS LEBEN IST EIN STAATSFEIND ist die um 15 Minuten längere Fassung als die ursprüngliche geplante 45-minütige Version. (Vieles von dem recherchierten Stoff floss zwischenzeitlich auch in das gleichnamige Buch, das Stern zusammen mit Jörg Herrmann verfasste – 2007 erschienen im Deutschen Taschenbuch Verlag).

ANDREAS BAADER – DAS LEBEN IST EIN STAATSFEIND bietet allgemein neues Bildmaterial und Gespräche, Jugendfotos von Baader, aber vor allem auch Aussagen von Baaders Lebensgefährtin Ello Michel, die zum ersten Mal ausführlich über ihre Beziehung zur RAF-Gallionsfigur spricht, erzählt, wie er sie brutal in die Nase biss, damit sie ihn nicht verließ, und die aus seinen Liebesbriefen vorliest (die Briefe sind bereits Gegenstand im Buch).

Ein weiterer Coup: Stern bekommt den damaligen Vorsitzenden des Stammheimprozesses Theodor Prinzig vor die Kamera und in den ehemaligen Verhandlungssaal. Wie Stern nach der Vorführung und während der Diskussion berichtete, hatte sich Prinzig – der sowohl in STAMMHEIM – DIE BAADER-MEINHOF-GRUPPE VOR GERICHT (BRD 1986, R: Reinhard Hauff; B: Stefan Aust) sowie in Eichinger und Edel DER BAADER MEINHOF KOMPLEX als Buhmann wenig gut wegkam – danach radikal vom Thema abgewandt. Der hagere, durchaus einnehmende Herr verzichtet längst auf seinen Personenschutz und steht mit Adresse im Telefonbuch.

Es sind schon ein paar kleine Bomben, die Prinzig da loslässt, wenn er Baader als engagierten Aktivisten durchaus eine gewisse Achtung zollt. Politikereigenschaften spricht er ihm zu und dass Baader sozusagen aufgrund seiner Autorität (die von den übrigen RAF-Inhaftierten stets respektiert wurde, während der Ton untereinander ansonsten rau war) sowie seine unbedingte Hingabe ein patenter Wehrmachtssoldat hätte sein abgeben können. Freilich: ein entsprechend freimütiges, noch ausführlicheres Interview mit Prinzig präsentierte der Tagesspiegel schon 2007, nachzulesen HIER.

Gerade die Baader-als-guter-Soldat-Aussage provozierte Kopfschütteln und kleine ungläubige Lacher beim Publikum, das im Filmhaus zusammengefunden hatte. Doch auf eine entsprechende Nachfrage nahm der überzeugende Filmemacher Stern Prinzig in Schutz, entpolitisierte den Vergleich und verwies darauf, dass Prinzig sich selbst als alles andere als ein rechtseifriger „Nazi-Richter“ in seiner Laufbahn erwiesen, sondern durchaus harte Strafen gegen NS-Täter verhängt habe. Prinzig hat Stern er als recht sympathisch empfunden – im Gegensatz zu seinem Cutter und Kameramann Thomas Giefer, der Stern (geb. 1968) gleich widersprach. Giefer, Jahrgang 1944, selbst sehr in der 1968er-Zeit engagiert (eine kleine, interessante Biografie finden Sie, nach etwas scrollen, HIER), erkannte ihn Prinzig eher jemanden, der den Autoritäts- oder Dünkelgeist jener Zeit verkörperte – einer dem Großauftreten und „Führungspersönlichkeiten“ gefallen, der aber ein Richter Gnadenlos gegenüber den Kleinen ist. Was freilich auch kein politische Front-, sondern eher ein Schichtendenken kritisiert und eben den Korpsgeist bezeichnet, dass auch Veiel in der Diskussion oder Elsaesser in seinem Text Antigone BRD: Die Rote Armee Fraktion, Deutschland im Herbst und Todesspiel [1] ausmach(t)en – besser: eine Mentalitätszuschreibung: Die Bedrohung der RAF hätte die ehemaligen Wehrmachtsoffiziere des „Deutschen-Herbst“-Krisenstaabs der BRD von Kanzler Schmid bis Franz Josef Strauß als nachträgliches Kämpfen und Gewinnen in einem Krieg aufgefasst und wäre entsprechend in Heinrich von Breloers Dokudrama geframed. Tatsächlich ist allein dahingehen in Sterns Filmtitel der Begriff „Staatsfeind“ in seiner Mehrdeutigkeit – vom Staat zum Feind deklariert, gar „erhoben“?; was bedeutet hier „Staat“ oder Staatlichkeit? – nachdenkenswert.

Ansonsten ist der Dokumentarfilm des mit dem Grimme-Preis und Herbert Quand Medien-Preis prämierten Filmjournalisten allerdings in Gänze etwas unbefriedigend. Stern verwunderte es, dass es viel über die RAF gab, über die 1968er Generation, über Ensslin, Meinhof, doch Baader, so erklärt er, sei immer nur ein Teil davon gewesen – kein Buch, dass sich ihm allein widme, kein dokumentarischer Film, der nur ihn zu ergründen suchen würde.

Betrachtet man nun allerdings ANDREAS BAADER – DAS LEBEN IST EIN STAATSFEIND für sich, fällt aber auf, dass es schlicht nicht viel aus dem RAF-Boss mit dem stechenden Blick allein herauszuholen gibt, zumindest nichts, was ihn sonderlich groß dekonstruieren könnte. Stern greift die üblichen Ansätze zurück: Er versucht es biografisch, lässt Baaders Mutter zu Wort kommen, auch einen ehemaligen Grundschulklassenkameraden. Die starke Hand des Vaters fehlt, attestiert das Zeugnis, der Junge Andreas ist ein Träumer, viel mit Künstlern hat er zu tun. Er ist Narzisst, Selbstinszenierer, ein Poser und cooler Macher. Er will Action, ist eher instinktiv-politisch als ein Theoretiker und Gedankenmensch. Entsprechend werden auch die übrigen typischen Erklärungsmuster herangezogen: die Zeit der Aufstände wider ein rigides, repressives System, ein Protest, der – ganz nach Baaders Gusto – so nichts bringt. Die Anti-Schah-Demonstrationen 1967, Ohnesorgs radikalisierender Tod: bei Stern bzw. für Baader sind das die Schwabinger Krawall 1962, bei denen er die prügelnden Polizisten erlebte und er einen Ungerechtigkeitszorn empfand.

Dieser Mix aus Zeit, Pop-Auf- und Kulturumbruch, Gesellschaftswandel und Egomanie fasziniert, aber entsprechend kann man Baader gar nicht zu fassen bekommen, weil er Objekt der Faszination ist, eine Leinwandfigur, die so überlebensgroß und fesselnd gerade deshalb sein kann, weil sie kein echtes Innenleben hat. Die Distanz und der Kontext, beides auf seine Weise und auf einer jeweiligen Realitätsebene, haben Andreas Baader zu der schillernden Figur gemacht, die er noch immer ist. Das ist das Dilemma: Der Blick, der ihn auf dem Grund gehen will, kann nicht anders, als ihn im selben Moment erst so unbedingt wie unergründlich zu kreieren.

Dementsprechend sind auch die Bilder, die Stern jenseits von privaten Kinder- und Jugendfotos zeigt, schlicht zu bekannt, als dass sich mit ihnen etwas Neues erzählen ließe, geschweige denn, dass sie selbst Neues erzählen würden. Die Festnahme in Frankfurt a. M., Verhandlungsfotos, Stammheim, die Selbst-Aufnahmen der RAF: Baader ist als großer Teil der Zeit und des deutschen Linksradikalismus, als Staatsfeind und Pop-Ikone der Gewalt zu überbebildert und übermedialisiert, damit zu durch- und damit entmediatisiert, als dass man ihn neu zeichnen oder mehr als weitere, immer kleinere Facette der fest eingefassten und fast rundgeschliffenen opaken Baader-Terroristen-Steins hinzufügen könnte.

Bernd Zywietz



[1] Elsaesser, Thomas (2007): „Antigone BRD: Die Rote Armee Fraktion, Deutschland im Herbst und Todesspiel“ In: ders.: Terror und Trauma. Zur Gewalt des Vergangenen in der BRD. Berlin: Kadmos, S. 49-111.