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21.04.2017

DIE HARD in Dortmund


Statt Terrorismus krimineller "Fake-Terrorismus": Vermutliche Hintergründe zum Anschlag auf BVB-Teambus erinnert an "Stirb-Langsam"-Hollywood-Szenario - in bezeichnender Weise 


Der Anschlag auf den Mannschaftsbus des Fußballvereins Borussia Dortmund scheint aufgeklärt – und zum jetzigen Stand weniger Terrorismus als eine Art „Fake-Terrorismus“. Hinter der dreifachen Bombenattacke und den merkwürdigen islamistischen Bekennerschreiben steckt offenbar ein 28-Jähriger, der observiert und bei Tübingen in einer Aktion der GSG-9 nun festgenommen wurde. Sergey W. soll aber nicht aus politisch- oder religiös- extremistischen Gründen gehandelt haben, sondern, ganz „unidealistisch“, aus rein kriminellen bzw. ökonomischen Eigennutz: Mit dem Sprengstoffanschlag auf den Mannschaftsbus am 11. April 2017 in Dortmund wollte W. für einen Kursverfall der BVB-Aktie an der Börse sorgen. Um davon zu profitieren, hat W. am Tag des Anschlags mit einem Verbraucherkredit sogenannte Put- oder Verkaufsoptionen erstanden. Mit diesen hätte er die Preisdifferenz zwischen der Höhe des Aktienhandelswerts und dem bei Fällig-Werden dieser Option eingestrichen. Tatsächlich sind die Anteile des Fußballklubs nach dem Anschlag gesunken – tiefer noch freilich wäre das sicherlich der Fall gewesen, wenn viele Mitglieder des Teams schwer verletzt oder gar getötet worden wären. So erlitt „lediglich“ Marc Bartra vor der Champions-League-Begegnung gegen AS Monaco u.a. einen Speichenbruch.

Aufsehen erregend ist W.s Plan nun nicht nur, weil es sich um eine überaus perfide, im höchsten Maße skrupellose Tat handelt, eine Kursmanipulation per Sprengstoffanschlag, die mit dem Tod von Menschen kalkuliert. Solche Gewinnaktionen wurden und werden auch bereits im Rahmen der Attacken des 11. September 2001 vermutet, allerdings waren diese, falls es sie gegeben hat, eher quasi-mafiöse Zusatzgeschäfte und nicht das Hauptmotiv. Darüber hinaus erinnert denn auch der BVB-Plan an den der STIRB-LANGSAM- bzw. DIE-HARD-Filme. Deren Held, der sarkastische Polizist John McClane (gespielt von Bruce Willis) kämpft im ersten, im dritten und im vierten Teil der wegweisenden Action-Reihe gegen Verbrecher, die je einen überbordenden Raub als Terrorismus tarnen, ihn gar durch mit solchen Vortäuschung erst ermöglichen.

So besetzen im ersten Teil von 1988, DIE HARD, ein Kommando hochgerüsteter Deutscher (die Nationalität wurde in der deutschen Filmfassung kaschiert) das Bürohochhaus eines japanischen Versicherungskonzerns in Los Angeles am Heiligabend, nehmen die Belegschaft auf ihrer Weihnachtsfeier als Geiseln und fordern die Freilassung diverser „politischer Gefangener“. McClane, barfuß, im Unterhemd und zunächst nur mit Dienstpistole bewaffnet, kann als einziger der Festsetzung entkommen und liefert sich eine Art Guerilla-Kampf gegen die „Terroristen“, die es tatsächlich aber nur auf die Dollar-Multimillion in Form von Schuldverschreibungen abgesehen haben, die im Tresor des Unternehmens lagern. Um diesen zu knacken und ihre Flucht zu tarnen, gerieren sich der feingekleidete Hans Gruber (mit exquisiter britischer Noblesse: Alan Rickman) und seine Gesellen als Politgewalt-Aktivisten. Das FBI-Einsatzprotokoll bei solchen Besetzungen sieht nämlich die externe Trennung des Gebäudes vom Hauptstromnetz vor (was einen Sicherheitsmechanismus des High-Tech-Safes ausschaltet) und das Chaos der finalen Groß-Explosion, die als missglückte Befreiungsaktion daherkommen soll, soll das heimliche Davon-Kommen der Verbrecher garantieren.

Ähnlich sind die Szenarien in den Fortsetzungen: In Teil 3 (DIE HARD WITH A VENGEANCE / STIRB LANGSAM – JETZT ERST RECHT) von 1995 inszeniert der Bruder des Gangsters aus dem ersten Teil (ein ehemaliger Stasi-Oberst) eine explosive Schnitzeljagd und Rache an McClane im sommerlichen Manhattan, um in deren Schatten die Federal Reserve Bank um ihre Goldreserven zu erleichtern; in Teil 4 (LIVE FREE OR DIE HARD / STIRB LANGSAM 4.0) von 2007 dient ein Cyber-Angriff auf die US-Westküste am Unabhängigkeitstag dazu, die gesamten Computertransaktionsdaten des Finanzsektors zu erbeuten.

In Sachen Terrorismus ist DIE HARD nun weniger als Begründer eines eigenen Action-Subgenres relevant, das seine Vorläufer in Katastrophen- und Erpresserfilmen der 1970er-Jahre hatte, sondern viel mehr insofern, als dass der Terrorismus hier explizit keiner ist bzw. nur eine vorgetäuschter. In der Romanvorlage des ersten STIRB-LANGSAM-Teils, in Roderick Thorps „Nothing Lasts Forever“ (erschienen 1979) sind es noch „echte“ europäische Sozialrevolutionäre mit Kalaschnikows und der besetzte Wolkenkratzer ist der eines Öl-Konzerns. Die Umwandlung in „kapitalistische“ Gangster in der Kino-Version ein Jahrzehnt später verweist darauf, wie der internationale palästinensische und der New-Left-Terrorismus der RAF, Roten Brigaden etc. als erzählerisches und alltagsjournalistisches Allgemeingut bekannt und – mehr noch – internationaler Terror zum Alltagsphänomen geworden war (nicht zuletzt dank Iran und Libyen als damals neuen sponsor-states).

Dass die Verbrecher sich diesen Terrorismus quasi selbst zu eigen und zum „Fake-Terrorismus“ machen, um auf die eingeübten (Über-)Reaktionen zu spekulieren (neben dem überheblichen FBI wird auch die Terrorismusberichterstattung vorgeführt inklusive dem tatsächlich auf DIE HARD zurückzuführenden Falschfachbegriff „Helsinki- Syndrome“ statt „Stockholm-Syndrom“) weist sie als Zeit-Zeichen in noch einer weiteren Hinsicht aus: Hans Gruber und Co. sind fast satirische Manifestationen eines als rücksichtslos erlebten, ungehemmten und zynischen Wirtschaftsliberalismus in der Ära Ronald Reagans und Margaret Thatchers, der unregulierten, gewinngeilen Dominanz des Kapitals und der Konzerne, der Banken und Börsen kurz vor dem Ende der Geschichte (sprich: dem Fall des kommunistischen Ost-Systems).

Dass und wie nun im Kleinen, in Dortmund, aber auch: in der Realität derlei kriminelle DIE-HARD-Logik samt ihrem Kalkül und dem Fokus auf die Medien- und Börsenreaktionen nachgespielt worden ist, lässt die BVB-Tat einmal mehr wirken als so etwas wie der Einbruch der Fiktion (oder des Hollywood-Kinos) in die Wirklichkeit, wie man dies angesichts seiner Katastrophen-Bilder auch für den 11. September ausgemacht hat – wenn in Dortmund nun auch eher auf Ebene des „Plots“ oder der „Story“.

Es wirkt aber auch signal- oder symbolhaft, zeigt auf – wenn man es so lesen mag –, wie sehr sich die 2010er-Jahre in gewissen Problemlagen und Mentalitätssituationen den 1980ern ähneln. Neben den Auswüchsen des (Finanz-)Kapitalismus und der sich popularisierenden Kritik daran infolge der Banken- und EU-Krise ist es der Terrorismus, der mittlerweile von Radikalislamisten (v.a. von oder im Namen des sog. „Islamischen Staats“) ausgehend in Westeuropa ebenso „angekommen“ ist wie der internationale Terrorismus als B-Movie-Story- und Figuren-Stereotyp in Hollywood.

Sergey W., als Tatverdächtiger, erscheint so betrachtet als Schmalspur-"Hans Gruber", der nicht nur im Windschatten von Terrorismusbedrohung und Web 2.0-Nachrichtenhochgeschwindigkeit Geld machen möchten, sondern direkt mit und durch sie. Im Fahrwasser "echter" Terroristen wollte er ganz unideologisch – ähnlich der rein kommerziell orientierten, kleinunternehmerischen Fake-News-Profiteure u.a. aus Mazedonien – das Beste aus öffentlicher Unsicherheit und Ängsten bis hin zur Hysterie machen: sein Geld. Eine Entleerung, die parallel läuft zu realen Terrorismuskonflikten, in denen nach einer Phase, in der zunächst im weiteren Sinne idealistisch motivierte und legitimierte Akteure auf allen Seiten mehr und mehr parasitär ergänzt oder gar ersetzt werden von solchen, die lediglich auf den eigenen Vorteil aus sind, in welcher Form auch immer.

Dass dieser Post-Idealismus des Scheinterrorismus auch im Gegenwartskino seinen Platz hat, zeigt der James-Bond-Film CASINO ROYALE (2006), der noch mehr vielleicht direktes Vorbild für Sergey W.s BVB-Idee war. Darin will der Terrorfinanzier LeChiffré (Mads Mikkelsen) die Aktienkurse einer Airline durch einen Anschlag auf dessen neues Großraumflieger bei der Einführungspräsentation auf dem Lufthafen von Miami in Keller stürzen, um am Kursverlust zu verdienen. In Dortmund gab es allerdings keinen Geheimagenten 007, der dies im letzten Moment verhindert hat. Geklappt hat es trotzdem nicht.


Mehr zu dem Thema „Fake-Terrorismus“ und den DIE-HARD-Filmen finden Sie in meinem Buch, einen Text zum „Virtuellen Terrorismus“ in STIRBLANGSAM 4.0 HIER.   

03.03.2017

Neue Ausgabe von "Perspectives on Terrorism" (1/2017)


Die erste Ausgabe im 11. Jahrgang des Online-Fachjournals Perspectives on Terrorism ist erschienen. Die Beiträge in Nr. 1 / 2017 befassen sich u.a. mit
- dem Geheimdienstapparat des "Islamischen Staats"
- der Einbindung von Frauen im IS
- terroristische Angriffe auf Kunst- und Kulturschätze 
- islamistischer Radikalisierung in Italien (empirische Studie)

Außerdem gibt es den zweiten Teil von Judith Tinnes Bibliografie zum Thema islamistische Narrativen und "westliche" Gegen-Narrativen.

Die einzelnen Texte wie die Gesamtausgabe von Perspectives on Terrorism finden sie als PDF oder in HTML-Form HIER.

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28.01.2017

TIPP: Podcast-Serie "Bilals Weg in den Terror" (rbb)


Die Audiopodcast-Serie "Serial" um den True-Crime-Fall der ermordeten Schülerin Hae Min Lee hat über die USA hinaus im Jahr 2014 dieser Online-Gattung nicht nur enorme Popularität und Anerkennung verschafft: Gerade als Form des journalistischen, vor allem investigativen Erzählens sorgte sie für Aufmerksamkeit für die Potenziale des Medienformats. Das lange und langsame Erzählen samt den O-Tönen, das in der schnelllebigen, durchvisualisierten Medienwelt (wieder) zum Zuhören zwingt oder verführt, verfügt über einen eigenen Reiz: Sowohl für die Zuhörer, die sich die einzelnen Folgen auch beim Autofahren oder beim Joggen zu Gemüte führen können, als auch für Journalisten: Schließlich eröffnet es die Möglichkeit, länger und mehrgliedriger, damit eingehender und eindringlicher in eine Story einzusteigen, dabei persönlicher zu werden und näher nicht nur an ihre Protagonisten, sondern auch intimer an das Publikum heranzurücken, als es mit abgeschlossenen Einzelreportagen und etwa im Fernsehen der Fall ist.

In Deutschland haben 2016 Sven Preger und Stephan Beuting mit der WDR-Dokureihe "Der Anhalter" sich in fünf Teilen mit dem Einzelschicksal des Trampers Heinreich befasst, über das  eindringlich das Thema des Kindermissbrauchs in Heimen in der Bundesrepublik der 1950er und 1960er Jahre behandelt wird. Und nun, ab 27. Januar 2017, geht es in vergleichbarer Weise um die Radikalisierung junger Menschen, die sich dem sog. "Islamischen Staat" anschließen.

"Bilals Weg in den Terror" heißt die - ebenfalls fünfteilige - Radio- und Podcast-Reihe, die Philip Meinhold für den rbb (Radioeins und rbb-Kultrradio) geschrieben und produziert hat. 2015 bereits hatte Meinhof für für Radioeins und Kulturradio die neunteilige Podcast-Serie "Wer hat Burak erschossen?" verantwortet. "Bilals Weg in den Terror" ist HIER auf der Website von Radioeins oder HIER auf der des NDR zu finden. Auch hier steht weniger ein Themenkomplex im Mittelpunkt, der allgemein von verschiedenen Positionen aus beleuchtet wird, sondern eine Person oder "Figur" und ihre Geschichte samt deren Facetten: Es geht um den jungen Florent, der aus Kamerun stammend, in Hamburg aufwächst und im Alter von 14 Jahren in die salafistische Szene gerät. Florent nennt sich Bilal, verteilt vor dem Hamburger Bahnhof Koran-Examplare im Rahmen der LIES!-Kampagne und reist 2015 nach Syrien in den bzw. zu dem "IS" aus. Zwei Monate später ist er tot - und sorgt für harsche wie erbärmliche Diskussionen darüber, ob die öffentliche Trauerfeier in der Hamburger St. Pauli Kirche, die im Mai 2016 stattfindet, für "so einen" in Ordnung ginge.

Mit dieser Trauerfeier eröffnet auch Meinholds Serie in der ersten Episode. Dabei will "Bilals Weg in den Terror" mehr sein als ein Dokudrama. Neben Angehörigen und Freunden sollen Mitarbeiter von Sicherheitsbehörden oder Islamisten zu Wort kommen, der Einzelfall also auch dazu dienen, Gründe, Motive und Prozesse von Radikalisierung ebenso zu beleuchten wie Unklarheiten im Fall Bilal selbst. Damit fügt sich "Bilals Weg in den Terror" in das in Buchform populäre Genre der Islamisten- und Dschihadisten-(Auto-)Biografien. Diese Bücher balancieren mal mehr, mal weniger gekonnt zwischen Betroffenheits- und Bekenntnisdrama, Empörungsgrusel angesichts eines "Unmenschen", den man, wie weiland den Serienmörder, wie die Bestie im Zoo aus nächster Nähe und doch aus sicherer Distanz begaffen kann - und eben echten Aufklärungs- und Verstehensbemühungen, die einen begreifenden und deutenden Blick auf ein Phänomen werfen wollen, wie ihn abstrakte,  verallgemeinernde Ansätze der Behörden, Politik und Wissenschaft nicht bieten können (und ggf. wollen).

Inwiefern "Bilals Weg in den Terror" auch dahingehend eine gelungene Podcast-Serie jenseits des emotionalen "Abholens" (oder "Mitnehmens") oder des journalistischen Handwerks ist, wird sich zeigen. Der Fall Florent/Bilal jedenfalls wurde bereits zur Prävention und Deradikalisierung genutzt: 2016 veröffentlichte die Hamburger Verfassungsschutz die Audiobotschaft des damals 17-Jährigen, der vom wahren Leben als IS-Rekrut aus Rakka berichtete, das mit der IS-propagierten Kalifat- und Kriegsromantik nichts zu tun hat (siehe HIER oder HIER). Die eigenen, glaubwürdigen Worten Bilal sollten so potenzielle Nachfolger von ihrem Weg in den Dschihad abhalten oder zumindest zum Nachdenken anregen.

Inwieweit diese Veröffentlichung (die mittlerweile von der hamburg.de-Seite verschwunden ist) tatsächlich präventiv gewirkt hat, wäre ebenso interessant, wie die Frage, ob und wie die Hör-Reihe "Bilals Weg in den Tod" in dieser Hinsicht Effekte zeigt und zeigen kann.

Eine Linkübersicht zur Online-Berichterstattung über den Fall Florent/Bilal finden Sie HIER, ein Interview mit Philip Meinhold zum Start von "Bilals Weg in den Terror" auf zeit.de HIER.

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09.11.2016

MEINUNG: Zum Propagandismus von "Anne Will" - und wo die wahren Herausforderungen liegen


Hier auch meine zwei Pfennig Meinung zur „Anne Will“-Sendung am vergangenen Sonntag ("Mein Leben für Allah - Warum radikalisieren sich immer mehr junge Menschen?"). Radikalismus war das Thema, und viele Medienstimmen (ich spare mir hier die Verlinkung) haben sich ereifert zu der Sendung. Sogar Strafanzeige wurde albernerweise gestellt (soviel Referenz muss sein).

Hauptkritikpunkt war der Auftritt der vollverschleierten Nora Illi, den man an allen Ecken und Enden berechtigt kritisieren und auch auseinandernehmen konnte. U.a. dahingehend, dass die Frauenbeauftragte des „Islamischer Zentralrat Schweiz“ (IZRS) über die Situation in Deutschland so sprach, als sei sie die der Schweiz, was angesichts etwa des Minarett-Verbots verfehlt ist.

Die Kritik an Anne Will und ihrem Team und ihrer Sendung, die auf den Auftritt von Frau Illi folgte, ist nun insofern unhaltbar, als die kritische Intention klar zu erkennen war, auch wenn sie nicht voll und würdig umgesetzt werden konnte.

Zum einen ist es legitim, auch extremere Positionen in einer Talkshow zu Wort kommen zu lassen. Zumindest, wenn man die Medienarbeit nicht als die eines Spiegels betrachtet, der die Wirklichkeit verkleinert abbildet, sondern die einer Arena, die eröffnet wird, um die konträre Meinungen in Debatten aufeinandertreffen zu lassen – so wie es etwa auch im Bundestag der Fall sein sollte.

Wenn denn auch Politiker Wolfgang Bosbach, der gefühlt zum Inventar von derlei Shows im Öffentlich-Rechtlichen gehört, und Ahmad Mansour, den ich persönlich in seiner Arbeit und seiner Haltung sehr schätze, hier gegen Frau Illi klar Stellung bezogen, ist dies in der Demonstrativität zu begrüßen.

Einerseits.

Andererseits schien – zumindest meines Empfindens nach – gerade Herrn Mansour vom Ton her fast (situativ betrachtet) unverhältnismäßig aggressiv, weil Frau Illi, bei allem argumentativ-hanebüchenen Nonsens, den sie ins Feld führte („Frauen im Islam dürfen das selbstverdiente Geld behalten“ oder die paradoxe Wendung von der „normativen Option“ des Niqab) aufreizend ruhig, zumindest wortlos gegenüber den Anwürfen blieb (wenigstens in zentralen Passagen).

Dass ist nämlich das Problem im Fernsehen: die "Lautstärke" des Inhalts ist nicht aufzurechnen mit der der Stimmlage. Mann muss sich nur die mediale Professionalität und "Souveränität" einer Frauke Petry anschauen, um das zu verstehen und die Problematik dahinter zu erkennen.

Das TV-mediale Bild, das sich bei "Anne Will" als Reaktion auf die verschleiert Frau Illi jedenfalls ergab, ist folglich das von zwei Männern (Mansour, Bosbach), die sichtlich emotional engagiert, im „westlichen“ Anzug (Status- und Gender-Zeichen) und in der Körperhaltung angespannt, vorgebeugt und in den verschiedenen Richtungen der Adressierung der verhüllten Muslima permanent und – man muss es sagen: mit (begründeten, sicher auch ungewollten, gleichwohl:) aggressivem Gestus – das Wort abschnitten. Gegenüber allen guten Argumenten hat dies eine eigene Evidenz und emotionale und moralische Valenz.

Die viel beschworene Rolle der Verführerin, der Verharmloserin des Gewaltextremismus wurde so medienwirksam passiv konterkariert durch die des weiblichen Opfers maskuliner (Sprach-)Gewalt.

Dass Frau Illi vollverhüllt war, um „sich gegen die Männer zu schützen“, wurde in dieser Konstellation und auf dieser Ebene tatsächlich eher noch legitimiert als bloßgestellt. Zumal ihre Mimik unsichtbar blieb. Mansours Worte, die zurecht das u.a. sexistische Gedankengut hinter der Niqab oder Burka lautstark „erregt“ anprangerten, fielen im selben Moment unterschwellig auf ihn zurück und bewirkten mithin das Gegenteil. Zumindest hatte Frau Illi all diejenigen auf ihrer Seite, die sich in vehementen Streitigkeiten auch lieber hinter einen Stoffpanzer zurückziehen würden.

So betrachtet ist der „Einsatz“ von weiblichen „islamistischen“ Sprecherinnen in der (massenmedialen) Öffentlichkeit als Win-Win-Situation für die entsprechenden Ideologen: Haben sie Erfolg, tragen sie dazu bei, ein anti-emanzipatorisches, sexistisches Framing zu etablieren. Versagen sie, können sie als Märtyrer-Opfer aggressiver Diskursöffentlichkeit (und „westlicher“ Männlichkeit) einerseits stilisiert werden, andererseits einen binnenorientierten Beweis für ihre fundamentalistische Zirkel insofern zu liefern, als dass Frauen ohnehin nichts in der öffentlichen Debatte zu suchen haben (weil zu schwach) und damit still daheim besser wirken mögen.

Ein anderer ungerechtfertigt angeprangerter Punkt ist das Textzitat, das von der Website des IZRS bzw. von Frau Illi stammte. Auch hier ging und geht die Aufregung leider leicht ins Schiefe. Es war zum einen nicht der letzte Satz, der der Empörung wert war – der Hinweis auf eine doch auch „taffe“ Bewährungsprobe –, sondern mehr der ebenfalls zitierte Hinweis, dass der Griff zur Waffe in dem Kontext religiös betrachtet legitim sei.

Zum anderen waren auch in der Hinsicht Bosbachs und Mansours unmittelbare Attacken in ihrer Empörung kontraproduktiv. Anne Will und ihre Redaktion (und das zeigten schon die wenigen Worte, die der Moderatorin als Ansatz übrig blieben, ehe sie von ihren männlichen Gästen akustisch "untergebuttert" wurde) präsentierten diese Textzeilen wie Frau Illi insgesamt für den Zweck, sie nach den Regeln einer TV-Show „auseinander zunehmen“. Und dies, man kann es nicht deutlich genug sagen, ist durchaus legitim. In Paragraph 86 des Strafgesetzbuches etwa ist die Rede davon, dass die (Weiter-)Verbreitung von Propagandamitteln verboten sei, außer (Abs. 3) es diene „der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken“. Genau an dieser hier erwähnten staatsbürgerlichen Aufklärung, der Berichterstattung, aber auch der Lehre war Frau Will merklich gelegen, ehe ihr Herr Mansour und Herr Bosbach, teils allzu bewegt, teils ein wenig inszenatorisch eitel, ins Wort fielen. Es ist ein wenig so, als sei in einem Schulbuch das Bild aus einem Nazi-Propagandafilm abgedruckt, und nun reiße man die erklärenden, kritischen Seiten heraus um sich hernach zu erregen, hier werde verfassungsfeindliche Propaganda einfach weiterverbreitet.

Wenn also die Talksendung „Anne Will“ am vergangenen Sonntag allzu propagandistisch ausfiel, dann zu einem nicht unerheblichen und (etwa für künftige Gegenmaßnahmen) berücksichtigenswerten Teil aus gut gemeinten Gründen, medieninhärenten Inszenierungs- und Wirkungsmechanismen und teils alternativen, teils assoziierten Konfliktlinien wie denen der Gender-Repräsentation und dazugehörigen Modellen.


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05.11.2016

Präsentationsfolien zum Vortrag "Die mediale Inszenierung des Terrorismus" / Düsseldorf

Am 2. November 2016 hielt ich einen Vortrag mit dem Titel "Die mediale Inszenierung des Terrorismus" in Düsseldorf. Die Veranstaltung fand als Auftakt im Rahmen der Reihe Terrorismus in den Medien. Strategien, Darstellungen, Wirkungen“ der Heinrich-Heine-Universität statt.

Ganz herzlich möchte ich mich bei den Veranstaltern, vor allem Prof. Gerhard Vowe, aber auch dem Publikum für das Interesse, die Fragen und den Austausch bedanken.

Die Folien zur Präsentation finden Sie - u.a. bereinigt um einige Bilder, bei denen es Rechteprobleme geben könnte - als PDF HIER.

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30.07.2016

Keine visuelle Terror- und Amokwerbung in Zeitungen: Selbstbeschränkung, "Werther-Effekt" und mediale "Ansteckung"


Arthur Rutishauser, Chefredakteur der Tages-Anzeiger, verkündete Sache am Freitag, dem 29. Juli 2016: Ab sofort werden keine Bilder mehr von Attentätern und Amokläufern in seinem Blatt präsentiert, weder in den Print-Ausgaben, noch online. Die überregionale Tageszeitung aus Zürich habe, so Rutishauser, intern ihre ohnehin bereits zurückhaltende Praxis angesichts der Anschläge und Attacken von Nizza, Würzburg, München und Ansbach auf den Prüfstand gestellt und entschieden, dass diese nicht mehr genüge.

Die Medien tragen [...] eine spezielle Verantwortung. Wir haben einen Informationsauftrag und müssen auch über schwere Gewalttaten berichten, die Hintergründe ausleuchten und Zusammenhänge aufzeigen. Gleichzeitig müssen wir uns mit den möglichen Folgen der Berichterstattung auseinandersetzen. Wir müssen aufpassen, den Attentätern und deren Propaganda keine Bühne zu geben und damit womöglich Nachahmer zu animieren.
Untersuchungen zeigen, dass Nachahmungseffekte bei Massentötungen wie Selbstmordanschlägen, Amokläufen und Terroranschlägen tatsächlich existieren. Psychologen bestätigen die Befunde“
so Rutishauser in der Erklärung.

Die französische Zeitung Le Monde, auf die er verwies, hatte einige Tage zuvor schon in einem Leitartikel ihres Chefredakteurs Jérôme Fenoglio mit dem Titel „Résister à la stratégie de la haine“ („Der Strategie des Hasses widerstehen“) gleiches für sich beschlossen. Zudem wird die als linksliberal geltende überregionale Tageszeitung aus Paris darauf verzichten, Bilder aus Propagandamaterialien des „Islamischen Staats“ zu präsentieren. Keine Selbstverständlichkeit.

In einer Meldung über diesen Schritt schrieb am 27. Juli die Süddeutsche Zeitung (auf SZ.de):
In Frankreich und in anderen Ländern wird derzeit intensiv darüber debattiert, wie sich Medien angesichts der häufigen Terroranschläge verhalten sollen. [...] Die Kernfrage ist, ob Medien mit intensiver Berichterstattung zu derartigen Taten beitragen. In Bezug auf den Amoklauf von München wird einigen Medien außerdem vorgeworfen, zur Verbreitung von Gerüchten beigetragen zu haben.
 
Die Zeit setzte ihrer aktuellen Ausgabe (Nr. 32 / 2016 vom 28. Juli) dahingehend ebenfalls ein Zeichen. Die Hamburger Wochenzeitung verzichtete zwar nicht auf Fotos von Tätern, Tatorten und Opfern, bildete diese aber demonstrativ in extremer Unschärfe ab (s. Abbildung).

Ausschnitt aus Die Zeit (32/2016, S. 13)


Die Begründung dazu lautete:
Wir haben uns dazu entschlossen, die Bilder der Täter, der Waffen und der Tatorte unkenntlich zu machen. Wir wollen nicht dazu beitragen, dass Mörder zu Helden stilisiert werden – und dass ihr Kalkül aufgeht: durch Grausamkeit berühmt zu werden. Dass Medien blutige Bilder verbreiten, gehört zum Plan der Täter. Ihm wollen wir nicht folgen.“ (S. 13)

Inwiefern allerdings diese Verfremdung selbst wiederum eine Stilisierung und zumindest ästhetisch (und ästhetisierend) mit der Bedeutung der Täter und ihrer Fotografien spielt, ist eine andere Frage und Diskussion wert. Eine interessante Idee ist es allemal.

Im Zeit-Beitrag „Warum es nicht aufhört?“ ist jedenfalls vom „Werther-Effekt“ die Rede. Diesen Aspekt der Medienwirkung, speziell der Imitation, führt ja auch Rutishauser ins Feld (s.o.). Die Bezeichnung „Werther-Effekt“ geht auf Johann Wolfgang Goethes berühmten und seinerzeit sehr populären Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“ (erstveröffentlicht 1774 noch mit Genitiv-"S") zurück, in dem sich der Titelheld aus unglücklicher Liebe selbst tötet. Vor allem aber verweist der Terminus auf die Nachahmungstaten in Folge der Romanlektüre. Wie Micheal Kunczik und Astrid Zipfel in ihrem Buch „Gewalt und Medien“ [1] schreiben, folgte tatsächlich ein Verbot des Buches in einigen Ländern (vgl. Kunczik/Zipfel 2005, S. 30). Dies ganz im Sinne u.a. des Göttinger Medizinprofessors Friedrich Benjamin Osiander (1759-1822), denn im „Werther“ sah Osiander Selbstmord „als eine Heldenthat oder eine Handlung eines großen Genies dargestellt“ (zit. n. ebd., S. 31). Im Sinne dieser Suggestionsthese wurden auch in verschiedenen Studien in den letzten vierzig Jahren Belege für solche Imitationseffekte nach Berichten über sowie (u.a. fiktionalen) Darstellungen von Selbstmorden gefunden (vgl. ebd., S. 94 ff.). Als Faktoren für Nachahmungswirkungen gelten – wenn auch von Kunczik und Zipfel nicht unkritisch betrachtet – u.a.:
        
- der Publizitätsgrad (die Berichterstattungsintensität)
- die Eigenschaften der Rezipienten (Jüngere sind mehr gefährdet als Ältere) sowie
- die Ähnlichkeit zwischen Vorbild und Nachahmer
- die Art des dargestellten Verhaltens (reales Handeln wird wohl eher nachgeahmt als fiktives)
- die Darstellung der Konsequenzen (etwa als positiv u. heroisierend)
(vgl. ebd., S. 101)

Was den letzten Punkt, die Präsentation der Folgen, betrifft kann allerdings von einem Unterschied zwischen einem Selbstmord, der sich nur gegen das eigene Leben wendet, und der Selbsttötung am Ende eines Amoklaufs oder einem gezielt bzw. potenziell suizidalen Terrorakt angenommen werden. Bei den beiden letztgenannten Gewaltaktionen spielen weniger die Werthaltungen und Reaktionen in der Öffentlichkeit und in den Massenmedien eine Rolle, weil es alternative konträre Sichtweisen und entsprechende Abrgenzungsgemeinschaften gibt, mit denen sich die Täter identifizieren: die teils fast kultische Verehrung von Amoktätern im Internet [2] oder die Welt- oder zumindest Konfliktwahrnehmung von Terroristen samt demonstrativer Märtyer-Verehrung, die einen gewissen Ruhm auch „lone actors“ verheißt. Insofern es um Rache, Schrecken und Verstörung geht, können negative Reaktionen in Presse und Rundfunk also eher ganz im Sinne potenzieller anti- (oder alternativ-)sozialer Nachahmer sein.
  
Was denn auch Terrorismus selbst betrifft, ist weniger der „Werther-Effekt“ als Begriff geläufig, sondern jener der „contagion“. Auch wenn die Vorstellung von massenmedialer „Ansteckung“ sich nicht auf das Feld politischer Gewalt beschränkt und für manche eher behauptet denn belegt erscheint, ist die Annahme eines solchen Effekts scheinbar „commonsensical and [...] indeed supported by anecdotal accounts as well as more systematic research“ (Nacos 2009, S. 4 [3]). Zu letzterer gehört die schon in den 1980er Jahren beginnende Forschung Gabriel Weimanns [4], Professor der Kommunikationswissenschaft an der Universität Haifa.

Brigitte L. Nacos, Politologin an der Columbia Universität, macht in ihrem Übersichtsbeitrag in Perspectives on Terrorism dahingehend eine wichtige Unterscheidung: die zwischen taktischer und inspiratorischer Ansteckung.

Ersteres zielt auf konkretes terroristisches Vorgehen ab, das v.a. bei Erfolg als Vorbild dient, beispielsweise die Botschaftsbesetzungen in den 1970er-Jahren (vgl. ebd., S. 7 – mit Bezug auf Brian Jenkins). „Inspirational contagion“, sei, so Nacos, allerdings, für die „Ziele“ der Terroristen alarmierender, denn „it is the stuff that makes terrorists tick“ und führe zur Bildung von neuen Organisationen und Zellen (ebd., S. 9). Der Schockwert der Bilder der Enthauptung Nicholas Bergs 2004 oder die Ermordung des niederländischen Filmemachers Theo van Gogh im selben Jahr finden freilich ihren inspirativen Wut- und Empörungs-Gegenpart in der gelben und orangefarbenen Kluft der IS-Hinrichtungsopfer, die der der Guantanamo-Häftlinge nachempfunden ist, wie sie eben über die Massenmedien ebenso weltweit zirkulierten.
      
Nacos schloss 2009 jedenfalls:
In conclusion, when it comes to international and domestic terrorism, various kinds of media figure quite prominently in both tactical and inspirational contagion. While the Internet has moved center-stage in this respect during the last decade, the targets of terrorism have not been able to effectively counter the mass-mediated virus of this form of political violence“ (ebd., S. 11).

Für die aktuelle Welle der Einzeltäterattentate dürfte dies auch gelten.

Können Zeitungen wie Le Monde und der Tages-Anzeiger mit ihrer Verweigerung oder die Zeit mit ihrer selbstreflexiven performativen Verfremdung tatsächlich dagegenwirken?

Rutishauser:
Wir sind uns bewusst, dass unser Einfluss hier sehr begrenzt ist. Wenn der «Tages-Anzeiger» auf Bilder und Videos von Tätern verzichtet, verschwinden diese nicht einfach. Sie werden weiterhin tausendfach im Netz zu sehen sein. Wo es uns aber möglich ist, wollen wir unsere publizistische Verantwortung wahrnehmen.

Mehr als um die Medienwirkungsprävention geht es also um ethisches Verhalten, das weniger nach „außen“, an die Täter, als nach „innen“, an die eigene Wertegemeinschaft zwecks Selbstverständigung gerichtet ist. Es ist ein begrüßenswerter und hoffentlich nicht nur zum Nachdenken und nicht nur in Branchenkreisen anregender Zug. Einer, der nicht nur auf der visuellen Ebene verbleiben darf, sondern die Berichterstattung gernell einbeziehen sollte: Wie detailliert, eilige und auch in welchen Umfang überhaupt Terrorismus und Amok thematisiert werden. Und dies ist ein weit schwieriger Punkt, weil der das Informations- und manchmal auch Sensationsinteresse von LeserInnen und ZuschauerInnen betrifft, gegen den im Aktualitätsdruck sich Massenmedien nur schwerlich verweigern können oder möchten. Dem Zwang zur Bebilderung - vor allem dem im Fernsehen vorherrschenden des Illustrierens - etwas entgegenzusetzen, ist gleichwohl bereits ein starker symbolischer Akt.


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[1] Kunczik, Michael / Zipfel, Astrid (2006): Gewalt und Medien. Ein Studienhandbuch. 5., überarb. Aufl. Köln u.a.O.: Böhlau.

[2] siehe dazu u.a.: Paton, Nathalie (2012): Media Participation of School Shooters and their Fans: Navigating between Imitation and Distinction to Achieve Individuation. In: Glenn W. Muschert / Johanna Sumiala (Hg.): School Shootings: Mediatized Violence in a Global Age. Bingley: Emerald Publishing House, S. 81-103.

[3] Nacos, L. Brigitte (2009): Revisiting the Contagion Hypothesis: Terrorism, News Coverage, and Copycat Attacks. In: Perspectives on Terrorism, 3. Jg., Nr. 3, S. 3-13. Online unter: http://terrorismanalysts.com/pt/index.php/pot/article/view/73/150

[4] siehe z.B.: Weimann, Gabriel (1983): The Theater of Terror: The Effects of Press Coverage. In: Journal of Communication, 1. Jg., Nr. 1, S. 38-45;
Brosius, Hans-Bernd / Weimann, Gabriel (1991): The Contagiousness of Mass-Mediated Terrorism. In: European Journal of Communication, 6. Jg., Nr. 1, S. 67-75.

14.07.2016

Zentrale Medienstellen des „IS“ im Überblick

Anfang Juli 2016 veröffentlichte der "Islamische Staat" ein Video mit dem Titel "The Structure of the Caliphate". Der rund fünfzehnminütige Film liefert in ornamentalen animierten Infografiken einen Einblick in die Organisationsstruktur des "Kalifats". Dabei werden auch die Abteilungen im Bereich des sog. Medienministeriums ("Diwan of Media") aufgeführt. Aus einem Screenshot habe ich mit Unterstützung von Dr. Christoph Günther nachfolgende Übersicht mit Erläuterungen für unsere Projektsite "Online-Propagandaforschung" erstellt. Sie finden sie in höherer Auflösung als PDF-Datei HIER.

Propagandastellen des IS_gem. Propagandavideo

Anzumerken ist dabei, dass die mit dem IS assoziierte Nachrichtenagentur "Amaq News", die offizielle Verlautbarungen etwa zu terroristischen Anschlägen verbreitet, hier nicht aufgeführt ist (vgl. dazu auch den Blog-Eintrag von Aymenn Jawad Al-Tamimi zu dem Video). Dies kann bedeuten, dass Amaq nur als "auxiliary agency" verstanden wird, also quasi als eine nahestehende Hilfsstelle, wie Al-Tamimi es beschreibt. Möglich ist aber auch die taktische Überlegung, durch eine gewisse Distanz "Amaq News" als Informationsquelle neutraler und eigenständiger erscheinen zu lassen.

Weiterhin fällt auf, dass eine wichtige Mediaabeilung - Al-I'tisam Media Foundation - fehlt. Sie wird von Experten, etwa von Charlie Winter (Documenting the Virtual Caliphate, Quilliam Foundation, 2016, s. HIER) als zentrale Stelle angeführt. Mehrere Gründe dafür, dass Al-I'tisam nicht genannt wird, sind denkbar: Einer davon ist ein Bedeutungsverlust oder gar die Auflösung dieser Einheit. Ein anderer ist, dass Al-I'tisam schlichtweg organisatorisch nicht zum Medien-Diwan gehört, sondern auf höherer Verwaltungs- bzw. Regierungsebene anzusiedeln ist; eventuell gar dem "Kalifen" Abu Bakr al-Baghdadi direkt untersteht.  

 Bernd Zywietz  

08.07.2016

12. Juli: "Phoenix"-Abend zu IS samt Todenhöffer-Doku


Am Dienstag, den 12. Juli, widmet der Sender Phoenix einen Abend dem Thema "Islamischer Staat". Ein besonderer Coup ist die 45-min. Doku von Jürgen Todenhöfer ""Inside IS - 10 Tage im 'Islamischen Staat'", die nicht von ungeführ denselben Titel wie Todenhöfers nicht umunstrittener (siehe HIER und HIER) Erlebnissachbuch-Bestseller trägt.

Todenhöfer, der zehn Tage den IS unter Aufsicht der Dschihadisten bereiste, hatte bereits mit seinen Bildern und Berichten aus dem Kalifat Anfang 2015 für Aufsehen erregt; RTL brachte eine erste Dokumentation mit Ausschnitten, die freilich mehr Todenhöfer selbst in den Mittelpunkt rückte.

Vor der Erstausstrahlung von "Inside IS" um 21.30 Uhr eröffnet Phoenix am Dienstag mit Volker Schwenks "Im Bannkreis der Gotteskrieger – Auf der Flucht vor dem 'Islamischen Staat'", ehe um 21.00 Uhr die Reportage "Generation Dschihad. Deutsche Jugendliche und der Terror" von Anna Feist und Kyo Mali Jung folgt.

Um 22.15 Uhr schließlich gibt es ein "phoenix-Runde"-Spezial, in dem neben Todenhöfer u.a. auch Claudia Dantschke (die HIER ausführlich auf DRadio nicht nur über ihre Deradikalisierungsarbeit, sondern auch über sich und ihren Werdegang ausführlich berichtet) und der Politologe und Publizist Andrew B. Denison zum Thema IS und seine vielfältigen Herausforderungen diskutieren.

Mehr Infos zum Phoenix-Themenabend "Inside IS" und den einzelnen Sendungen am 12. Juli gibt es HIER.

07.07.2016

Propaganda in Zeiten von Brexit und „Islamischer Staat“


Wie der Brexit, also das Referendum für den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, mit dem „Islamischen Staat“ und seinem Terrorismus via (das Thema) Flüchtlingskrise zusammenhängt, hat Asiem El Difraoui in der Welt beschrieben. Ein anderer Faktor für das Referendum-Ergebnis im Sinne einer Denkzettelwählerei wird daneben diskutiert – und schließt an die Abstimmungserfolge der Alternative für Deutschland (AfD) oder den Fall Donald Trump, der im US-Präsidentschaftswahlkampf trotz oder wegen seines Populismus‘ erschreckend weit gekommen ist, an. Auf der Titelseite macht Die Zeit in ihrer vergangenen Ausgabe (Nr. 28/2016) mit der Überschrift „Was tun, wenn die Falschen gewinnen?“ auf, und Giovanni di Lorenzio mahnt unter der Überschrift „Wie viel Volk darf’s denn sein?“ vor den eingefahrenen Mustern der Erklärung und Ausgrenzung. 

Wie holt man jene Bürger zurück, die sich partout nicht überzeugen lassen und andere Prioritäten haben? Was tun, wenn die Falschen gewinnen? Die Frage drängt sich auf, aber sie kann auch eine Falle sein. Dann nämlich, wenn sie eine Spaltung akzentuiert, statt sie zu überwinden. Wenn also mit den Richtigen die aufgeklärten und politisch interessierten, weltläufig und liberal gesinnten Menschen und mit den Falschen die angstgetriebenen, politisch unterbelichteten, ressentimentgeladenen Leute gemeint sind, wahlweise die Zukurzgekommenen, die Alten, die weißen Männer oder die Landpomeranzen, denen man am besten keine Ja/Nein-Fragen in Form eines Referendums stellen sollte.

Die Erklärungs- und Beruhigungsmuster sind so augenfällig wie allgemeinpolitisch hochbrisant: Wer gegen EU ist und für Grenzzäune, allgemein xeno- wie speziell homo- und islamophob ist, erscheint unbelehrbar, unterentwickelt oder krank (was der Begriff der „Phobie“ impliziert), damit in gewisser Weise vielleicht nicht böse, aber unzurechnungsfähig. Welche Sprengkraft für das Prinzip Demokratie darin steckt, lässt sich u.a. daran ablesen, dass (und wie) über ein erneutes Referendum im Vereinigten Königreich spekuliert wird (unterstützt von Berichten über UK-Denkzettelwähler, die jetzt partout erschrocken seien, dass ihre Stimme zählt, obwohl sie ja eigentlich gar nichts gegen die EU hätten). Wählen, bis das Ergebnis vernünftig ist (ein freilich in EU-Belangen nicht präzendenzloses Vorgehen). Auch Jan Fleischhauer in seiner Spiegel-Online-Kolumne votiert in diesem Sinne für die Rückkehr zum Dreiklassenwahlrecht.

Dass nun in den Hinterköpfen der StimmzettelkreuzerInnen auf der Insel vielleicht weniger die realen wirtschaftlichen Vor- und Nachteile eines EU-Austritts präsent waren und vielmehr a) die deutsche Flüchtlingspolitik samt Folgen und Bildern und b) die gedankliche Verknüpfung von offenen Grenzen und freizügigem dschihadistischem Terrorismus in Belgien oder Frankreich bzw. der Islamisierung der „westliche“ Welt mag nachvollziehbar wie dumpf sein. Auch, dass – Stichwort Propaganda – das Bild des aktuell attraktivsten Fremden- und Schurkenbildes des „Islamischen Staats“ als zeitgenössische Quintessenz des „Evil Arabs“ und „Evil Muslims“ durch dessen (v.a. Online-)PR hier eine instrumentable Rolle spielt, durchaus zusammengeht mit politikverdrossenen Websites, Blogs und Tweets, die verschwörungstheoretisch aufschlussreich vom Konnex der Merkel-Herrschaft mit der „System-Presse“ schwadronieren, sei lediglich erwähnt.

Was aber hat Propaganda mit dieser komplexen Lage heute darüber hinaus zu tun? Oder anders und genauer gesagt: Wie kann der Begriff der Propaganda die hier skizzierten Problem- und Konfliktphänomene in ihrem Zusammenhang auf einen Nenner bringen?

Dafür lohnt der Blick in einen Klassiker des Metiers: Edward Bernaiys „Propaganda“ von 1928 [1]. Bernays war nicht nur Neffe Freuds und Begründer der modernen Öffentlichkeitsarbeit (bzw. „Vater“ des Public-Relations-Begriffs und der Definition von dessen beruflicher Installation): Bernays wie u.a. dem Pionier der Kommunikationswissenschaft Harold D. Lasswell [2] verdanken wir nach dem Ersten Weltkrieg (als dem wegbereitenden Krieg für die Bedeutungserkenntnis hinsichtlich der Massenbeeinflussung) gerade heute hochaktuelle Einsichten in Wohl, Wehe und Prinzipien von Propaganda. Auch, wenn der Terminus nach Hitler, Stalin, Mao Tse-tung et al. nachhaltig desavouiert ist. Was Anfang des 19. Jahrhunderts aber noch nicht der Fall war.

Damals, Ende der 1920er, als beim Sprechen über Propaganda Politik und Wirtschaft zusammengedacht wurden (das Werben für Idee wie für Marken in der noch neueren Zeit der Massenproduktion), galt Bernays inklusive dem, was später „Pseudoevents“ heißen würde, Propaganda als ein Mittel, dass nicht per se einfach undemokratisch ist. Vielmehr schreibt Bernays skeptisch gegen die Ideale der Aufklärung an, die für ihn angesichts seiner modernen Ära als eine Fiktion erschien. Der moderne (und gar: der postmoderne) Mensch, so lässt sich Bernays Argumentation heute fassen, wäre bzw. sei schlicht überfordert von den Angeboten an den Meinungen und Sichtweisen, mit denen er sich für eine vernünftige Meinungsbildung und Entscheidungsfindung auseinanderzusetzen schlichtweg nicht die Zeit oder sonstige Ressourcen hat. Bei aller Macht, die wir Königen und Kaiser abgenommen hätten, bei aller Alphabetisierung des „einfachen Mannes“:

Once he could read and write he would have a mind fit to rule. So ran the democratic doctrine. But instead of a mind, universal literacy has given him rubber stamps, rubber stamps inked with advertising slogans, with editorials, with published scientific data, with the trivialities of the tabloids and the platitudes of history, but quiet innocent of original thought. Each man’s rubber stamps are the duplicates of millions of others, so that when those millions are exposed to the same stimuli, all receive identical imprints“ (Bernays 1928: 20).

Das mag pessimistisch und gestrig klingen. Aber wir müssen, was die schnelle Beurteilung anbelangt, nur die „Gummistempel“ durch Facebook-Likes (-Smilys, -Frowneys etc.) oder Online-Petitionen als Form bequeme Lean-Back-Partizipation ersetzen, um zu sehen, wie zumindest zeitgemäß Bernays heute in seiner Diagnose wieder ist.     

Das Narrativ von der Info-Überforderung und mithin manipulativen Emotionalisierung als Gegenentwurf zu der der hehren Demokratisierungsfunktionen des Internets mit seinem Fakten- und Meinungsfreiheiten ist mittlerweile ein alter Hut. Und ebenso wie abschreckende Schandtaten von Flüchtlingen, ob real oder erfunden, bei Facebook kursieren, zirkulieren in Sozialen Netzwerken herzerwärmende Geschichten, etwa die vom mittel- und selbstlosen Flüchtling, der gefundene tausende Euro brav bei der Polizei abliefert. Fadenscheinig ist die eine wie die andere Story in ihrer shareabilty.

Traurig hier wie da ist der Umstand, dass Propaganda wieder in harter wie weicher Form, im Guten wie im Schlechten zusammengedacht und zusammengebracht wird mit etwas, das ähnlich bereits Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts beargwöhnt wurde: die (Volks-)„Masse“. Eben hierin liegt das entdemokratisierende Meta-Problem von Propaganda – weniger das ihrer Anwendung, denn ihr Status als Schreckgespenst. Schnell wird so nämlich die Grenze zwischen der realen Gefahr des „Islamischen Staats“ und dem Wirkungsrisiko von dessen Propaganda-Selbstbild verwischt. Auch der Vergleichsschritt hin zu den populistischen Versprechen von Nigel Farage und Co. hinsichtlich der 350 Mio. Pfund, die beim EU-Austritt dem britischen Gesundheitssystem zugutekämen, ist in diesem Zusammenhang ein kleiner. Hier wir da grüßt der selbsterhöhende Third-Person-Effekt als Propagandagefahr höherer Ordnung: All die vielen anderen Leute, sie fallen darauf herein (man selbst natürlich nie und nimmer). Solch Denken und Argumentieren entmündigt nicht nur Bürger (was schlimm genug wäre): Es entlässt sie Brexit-Befürworter wie radikalislamistische Syrien-Ausreisende (und -Rückkehrer, denen ein „falsches“ Bild von Kalifat und Glaubenskrieg vorgegaukelt wurde oder worden sei) mitunter aus ihrer Verantwortung, ohne die jedoch Aufklärung als geistesgeschichtlinge Errungenschaft per se nicht zu denken ist.

Wenn wir Propaganda diese fragwürdige schizophrene Wirkmacht (der Legitimation wie der Deligitimation „des Volkes“) zusprechen, dann müssen wir ebenso konsequent sein, was ihre Bewertung und ihren Einsatz anbelangt, sprich: Propaganda als Faktum und mehr noch: als Werkzeug betrachten, das es womöglich zum Besten einzusetzen gilt. Unter anderer Bezeichnung natürlich und im Namen der Aufklärung (hier der alltagspragmatischen, erzieherischen). Das wäre zumindest schlussrichtig, auch wenn das freilich Abwertung und Ausgrenzung noch weiter befördert.

Damit sind wir wieder bei Edward Bernays und anderen Autoren, die die Moralität von Propaganda nach den Zielen bemaßen (im Gegensatz zu v.a. Jacques Ellul und seiner späteren, quasi diskursethischen, deontologisch begründeten Ablehnung). Die Logik hinter dem „realistischen“ Verständnis von Propaganda und ihrem Gebrauch ist durchaus bedenkenswert, gerade von einem Neutralitäts- und Objektivitätsstandpunkt aus: Bin ich überzeugt, dass meine Sichtweise und die damit einhergehenden Machteinsätze zur Formung des gesellschaftlichen und politischen Lebens die richtigen sind, ist es nur geboten, dafür – also im Namen eine höheren Wohls – jedwede Überzeugungsmittel jenseits von Gewalt für deren Durchsetzung anzuwenden. Bertrand Russell [3], Mitbegründer der Analytischen Philosophie, sah das Übel der Propaganda denn auch lediglich in zwei von ihr ablösbaren Faktoren: Erstens dem Appell ans Irrationale, also Gefühle und Affekte. Russell selbst erachtete diesen Aspekt allerdings als weniger relevant:

For my part, I am inclined to think that too much fuss is sometimes made about the fact that propaganda appeals to emotion rather than reason. The line between emotion and reason is not so sharp as some people think. Moreover, a clever man could frame a sufficiently rational argument in favour of any position which has any chance of being adopted. There are always good arguments on both sides of any real issue“ (Russell 1922: 39).

Tatsächlich lassen sich praktisch keine Fälle finden, in denen nicht im Guten wie im Schlechten moralische Emotionen argumentativ zumindest berührt würden, um für etwas als „richtig“ oder „fair“ werben. Seien die Maßstäbe dazu noch so historisch, und geschehe es nur der überzeugungskräftigenden Nachvollziehbarkeit wegen.

Der zweite Punkt Russells ist (ihm) gewichtiger und hebt auf die verfügbaren Ressourcen ab. Ganz konkret können wir darunter heute finanziellen Mittel verstehen, mit denen etwa Sendezeit gekauft oder Aufmerksamkeit im World Wide Web generiert und gesteuert wird (qua Personalkosten für Social-Media-Kommentatoren oder die Miete von Twitter-Bots etwa). Russell: „It is obvious that the arguments in favour of the richer party would become more widely known than those in favour of the poorer part, and therefore the richer party would win“ (ebd.: 40). Dies hebt freilich nicht auf die Legitimität oder den ethischen Status von Propaganda ab, sondern nur auf das Asymmetrische des Einsatzes. Möge jeder propagieren und agitieren, nur gleichberechtigt.

Das ist natürlich höchst unbequem und gerne lässt sich Propaganda von etwa Bildung und erzieherischer oder informativer Aufklärung (z.B. der Berichterstattung) dadurch unterscheiden, dass ersteres mit Lüge, Halbwahrheiten und unstatthaften Emotionalisierungen operiert. Nach bestem Wissen und Gewissen verbreiten aber auch so manche Ideologen und Indoktrinateure ihre Botschaften. Und spätestens wenn es um grundlegende Werte, Weltanschauungen und Menschenbilder geht, gerät man irgendwann an den Punkt, an dem sich mit Fundamentalisten nicht mehr weiterdiskutieren lässt (ohne den Verstand zu verlieren). Man muss sich tatsächlich nicht Propaganda erwehren, indem man Gegenpropaganda betreibt. Gerade dann sollte man sich allerdings auch keinem breiten politischen Propaganda-Opfer-Diskurs fahrlässig hingeben. Nicht zuletzt weil das brisanteste Propaganda-Verständnis schon allzu verbreitet ist im Alltag: Propaganda als die Meinungen und Meinungsäußerungen, die schlicht der eigenen Auffassung widersprechen. 


[1]  Bernays, Edward (1928): Propaganda. New York: Horace Liveright.

[2]  Lasswell, Harold Dwight (1938 [1927]): Propaganda Technique in the World War. New York: Peter Smith.

[3]  Russell, Bertrand (1922): Free Thought and Official Propaganda. C.K. Ogden Conway Memorial Lecture, South Place Institute, 24. März 1922, London: Watts & Co.
Online unter: http://www.gutenberg.org/ebooks/44932

13.05.2016

Veranstaltungstipp: Tagung "Propaganda im Internet", 24. Juni 2016, Mainz


Am Freitag, den 24. Juni, findent an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz eine Fachtagung zum Thema "Propaganda im Internet – Formen und Herausforderungen radikal-islamistischer Werbung" statt.



Veranstalter das Projekt "Dschihadismus im Internet" am Institut für Ethnographie und Afrikastudien (ifeas) der Uni Mainz in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz und dem Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam an der Goethe-Universität Frankfurt a. M.

Die Vorträge und Diskussionen befassen sich mit der geschichtlichen Entwicklung, den Wirkweisen und medialen Aufmachungen audiovisueller dschihadistischer Online-Propaganda. Sie widmen sich zudem konkreten Untersuchungs- und Handlungsmöglichkeiten, wie sie für die Forschungs- und pädagogische Praxis von Bedeutung sind.

Zum Zwecke der Information und des Austausches wendet sich die Veranstaltung Propaganda im Internet – Formen und Herausforderungen radikalislamischer Werbung an WissenschaftlerInnen unterschiedlicher Disziplinen, die sich u.a. mit Radikalisierung, Islamismus, Propaganda und medialen Gewaltdarstellungen befassen, sowie an PädagogInnen und MitarbeiterInnen verschiedener Projekte und Institutionen der Bildungs-, Aufklärungs-, Interventions- und Jugendarbeit.


Das Programm:

14.15 Uhr: Begrüßung, Vorstellungsrunde

14.30 Uhr: „Islamismus im Internet: Eine Perspektive des Jugendschutzes“, Patrick Frankenberger (jugendschutz.net)

15.00 Uhr: „Extremistische Propagandavideos im Netz: Inszenierung, Wirkung, Gegenangebote“,

Dr. Lena Frischlich (Universität zu Köln)

15.45 Uhr: Pause

16.00 Uhr:„Drei Jahrzehnte Dschihad-Propaganda: Eine Analyse der audiovisuellen Propaganda“, Dr. Asiem El Difraoui (Politologe u. Islamismusexperte)

17.00 Uhr: Diskussion

Weitere Informationen - auch zur Anmeldung bis zum 10. Juni - finden Sie HIER auf der Website Online-Propagandaforschung des Projekts "Dschihadismus im Internet".


16.03.2016

Veranstaltung: "Kunst in Zeiten des Krieges", 15.-17. April, Ev. Akademie Tutzing


Die Evangelische Akademie Tutzingen veranstaltet von 15. bis 17. April 2016 zusammen mit der Deutschen UNESCO-Kommission e.V. eine Tagung zum Thema "Kunst in Zeiten des Krieges"

Mit ZDF-Reporter Martin Niessen trage ich dabei im hübschen Schloß Tutzing am Ufer des Starnberger See zum Thema "Einsatz von und medialer Umgang mit Kriegsbildern und Propaganda" vor. Anmeldungen sind noch bis 8. April möglich.

Mehr Informationen (inkl. Tagungsprogramm) finden Sie HIER.  


Zum Inhalt hier aus der offiziellen Ankündigung:

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Die Buddhastatuen in Bamiyan, die Bibliothek von Timbuktu, der Markt von Aleppo, die Tempelanlagen von Palmyra – Extremisten attackierten in den letzten Jahren Menschen und jahrtausendealte Kulturschätze gleichermaßen.
 
Gezielte Zerstörungen wie sie vom IS als Machtdemonstrationen inszeniert werden, schrecken die Weltgemeinscha auf und lenken den Blick darauf, dass Krieg auch immer die Vernichtung von Kulturgütern bedeutet. Plünderung und Raub sind an der Tagesordnung, Länder wie Syrien verlieren ihre Schätze, ihre Kunst, ihre Geschichte und damit Teile ihrer Identität. Nicht zuletzt deshalb bezeichnet die UNESCO die Zerstörungen von Palmyra und weiteren Welterbestätten als Kriegsverbrechen und setzt sich für ihre Ahndung ein.
 
Doch auch das kulturelle Leben und seine Infrastruktur kommen im Kriegsfall zum Erliegen. Einst lebendige Spielstätten stehen leer, werden umfunktioniert oder zerstört. Künstler und Kulturschaffende werden verfolgt, getötet, verstummen oder verlassen das Land. Inmitten von Angst und Gewalt erscheinen Malerei, Theater, Musik und Poesie absurd. Und doch sind es oft genug die Künstler, die sich zu Wort melden und Gehör finden – vor Ort und im Exil. Sie machen aufmerksam auf die Geschehnisse im Land, sie dokumentieren und verarbeiten, sie schaff en Momente der Hoffnung für sich und andere.
 
Diese Hoffnung mit Blick auf Gegenwart und Zukun zu nähren und Verantwortung zu übernehmen für Kulturerbe, kulturelle Vielfalt und Kulturscha ende, liegt auch in der Verantwortung der Weltgemeinschaft. Der Maßnahmenkatalog von international tätigen Organisationen und lokalen Initiativen reicht dabei von präventiven Dokumentationsprojekten und dem Wiederaufbau von Infrastruktur und zerstörten Stätten bis hin zur Förderung kultureller Vielfalt und Unterstützung von Künstlern.
 
In der Tagung „Kunst in Zeiten des Krieges“ beschäftigen wir uns mit den Auswirkungen aktueller Kriege auf Kunst und Kultur. Was bedeutet der Verlust wichtiger kultureller Stätten für die betroffenen Länder, was für die Weltgemeinschaft? Welche Auswirkungen haben die provozierenden Bilder des IS, wie gehen Medien und Öffentlichkeit damit um? Welche Maßnahmen kann die internationale Staatengemeinscha ergreifen, um zu bewahren und zu schützen? Wie schlägt sich die Kriegserfahrung der Menschen in den Künsten nieder? Und was kann mit Blick auf eine friedlichere Zukunft schon heute für Künstler und das kulturelle Leben von Ländern, die sich im Krieg befinden, getan werden?
 
Zu Diskussion, Gespräch und Begegnung laden wir herzlich in die Evangelische Akademie Tutzing ein.
 
 

07.03.2016

Problematische (Schau-)Werte-Verteidigung


Anfang Februar brachte das Erste in der Sendung titel thesen temperamente einen Beitrag über das IS-Online-Magazin DABIQ. In diversen Sprachen, darunter auch in Englisch, berichtet die PDF-Postille mit Hochglanzanmutung aus dem Inneren des „Kalifats“ und der ihm zugrundeliegenden Gedankenwelt. Mit Kriegs- und Märtyrerbildern wird vom Jihad erzählt, die neuesten Treueschwüre der sich dem IS anschließenden Gruppierungen werden vermeldet, dazu gibt es politische „Hintergrundartikel“ zur Weltlage, religiöse Rechtfertigungen mit zweckdienlichen Koran-Verweisen und Botschaften geistiger Führungspersonen. Doch auch die Propaganda-Videos von al-Hayat Media Center und Co. werden hier beworben, als seien es neueste Kino-Blockbuster.

DABIQ, so Evelyn Fischer in ihrer Anmoderation des ttt-Beitrags (noch hier bis zum 7. Februar2017 in der ARD-Mediathek verfügbar), sei eine „verstörende Lektüre“ und „von Sicherheitsbehörden als äußerst gefährlich eingestuft“.

Entsprechend interessant ist das Reportagestück nicht nur, weil Experte Asiem El Difraoui („Jihad.de“) anaylsierend zu Wort kommt oder Abdalaziz Alhamza und der aufklärerische Widerstand der Gruppe „Raqqa is Being Slaughtered Silently“ vorgestellt wird, der mit dem der „Weißen Rose“ in Nazi-Deutschland verglichen wird. 

Screenshot des ttt-Beitrags, Quelle: DasErste Mediathek

Bemerkenswerter noch ist, wie der TV-Beitrag die IS-Online-Propaganda und mithin das DABIQ-Magazin selbst inszeniert. Als wäre die Statik der Publikation eine eigene Provokation für das Medium Fernsehen werden Details mit Kameraschwenks abgetastet, werden Inhalte ins Bild gescrollt, ergänzend IS-Propagandavideoaufnahmen beigemengt. Besonders markant: Wie ein gefährliches lauerndes Raubtier, das einen in seinem Bann schlägt, dem man aber tunlichst nicht zu nahe kommen sollte, ist der bedrohlich-düster ausgeleuchtete Computerbildschirm, auf dem ein DABIQ-Titel zu sehen ist, präsentiert. Die Kamera umfährt ihn im Halbkreis (wie in „sicherer Distanz“ und zugleich um ihn aus mehreren Blickwinkeln zu bestaunen), springt auch mal kurz heran – oder springt uns der Monitor entgegen, mithin die IS-Propaganda, wie ein Tiger oder eine Kobra attackierend vorschnellt gegen die Gitterstäbe des Käfigs oder die Glaswand des Terrariums? Zu dieser Aufladung, dieser Dynamisierung und Ästhetisierung auf der Bildebene kommt die passende unheilverheißende musikalische Untermalung hinzu. Sie wird dann kontrastiert von den klagenden Klängen, die den „authentischen“ Aufnahmen aus Rakka (in denen die Menschen an der realen Versorgungslage zu leiden haben) unterlegt sind. Horrorthriller hier, Tragödie da.

Dass die Propaganda des IS hier selbst als solche ausgestellt und thematisiert wird, ist begrüßenswert. Dass die inhaltliche, kritisch-enthüllende Distanz (die besonders die Ausschnitte aus dem einordnenden Gespräch mit Difraoui bietet) ästhetisch bzw. gestalterisch selbst wieder insofern aufgegeben oder unterlaufen wird, als der Zuschauende sinnlich-affektiv diesen „bösen“ Botschaften und Bildern ganz nahe gebracht wird, ist ein Problem. Eines freilich, das nicht nur das von titel thesen temperamente oder sogar bloß des Fernsehens als berichterstattendem Medium ist. Der Propaganda des IS und mithin dem IS ist man in ihrer Faszinations- und Attraktionskraft erlegen – wenn und leider gerade auch in Haltung und Duktus der Dämonisierung. Dass dies hier unter Einsatz jener suggestiven Mittel geschieht, vor der man zwar gerne mahnt, die man gerne herausstellt, derer man sich selbst allerdings nur zu gerne bedient ohne sie zu reflektieren, verleiht dem Ganzen jedoch etwas fatal Ehrfürchtiges wie auch hilflos Blindes (oder Stummes).

Und wie soll man die IS-Propaganda entzaubern oder ihre Grenze aufzeigen, wenn man in einer Art Zerrspiegel sie und vor allem ihre Ausdrucks- und Gestaltungsweisen zurückwirft und damit – um im Bild zu bleiben – nur ins Unendliche vervielfältigt? Denn es ist ja nicht so, dass der IS bzw. die Bilder, die er von sich selbst mach, nicht selbst Wiederspiegelungen oder mediale Rückgaben wären. Die Formen und Mittel, die die Dschihadisten für die Attraktion und Faszination ihrer Botschaften und Sichtweisen nutzen, sind eben jene, die sie sich quasi von spektakulären TV-News und Werbeclips, von einer allgemeinen, dem aufmerksamkeitsheischenden Augensinn- und Nervenkitzel abgeschaut haben.

So ist die IS-Propaganda – wie auf einer etwas anderen Ebene der IS als diskursives Konstrukt insgesamt – deshalb eine besondere Herausforderung für seine Bewähltung und mediale Einhegung, weil in doppelter Hinsicht Projektionsfläche, und seine „Verführungskraft“ selbst in Ablehnung und Abscheu so schwierig zu brechen oder nur zu parieren weil in Material und Werkzeug viel zu gleichartig unserem eigenen Ausdrucksreservoir und -repertoire. Unsere eigenen populären Schau-Werte lassen sich gegen eine auf feindliche Indienstnahme schlecht verteidigen.

zyw

22.01.2016

IS nutzt Historienfilm für Propaganda


An dieser Stelle habe ich 2013 schon, im Kontext des online-verbreiteten "Hetz"-Films (bzw. Pseudo-Trailers) "The Innocence of Muslims", über den Kino-Epos THE MESSAGE von Moustapha Akkad geschrieben. 1977 in die Kinos gekommen behandelte dieses die Gründerzeit des Islam und führte seinerzeit zu einigen, teils gewalttätigen, Kontroversen.

Einige Jahre später brachte Akkad LION OF THE DESERT (dt.: "Omar Mukhtar – Löwe der Wüste", 1979 / 1981) als zweite und letzte Regiearbeit in die Kinos. Finanziert durch Muammar al-Gaddafi erzählt die US-libysche Produktion vom Widerstand des Omar Mukhtar gegen die Italiener im Jahr 1929. Anthony Quinn (der in THE MESSAGE schon des Propheten Onkel Hamsa darstellte) spielt iW THE DESERT den Freiheitshelden, Rod Steiger den italienischen Diktator und Oliver Reed dessen General Graziani. Weitere Stars und Schauspielgrößen: Irene Papas, John Gielgud und, in einer Nebenrolle, Sky Dumont. Ein weiterer Fall geschichtlich-nationalistischer Vereinnahmung des Kinos (oder des Versuchs), die, wie im Falle Gillo Pontecorvos LA BATTAGLIA DI ALGERI, freilich in eigenständigen, künstlerischen Werken resultieren kann (s. dazu etwa Kapitel 11.2 in meinem Buch).


Ausschnitte aus LION OF THE DESERT hat der sog. "Islamische Staat" nun in einem Video verwendet, mit dem Italien gedroht wird (Expansion bis dass das Banner des "Kalifats" über Rom flattert, siehe HIER). Dieser "aneignende" Rückgriff auf den den Film ist in seiner verdeckten Symbolik und Verweisdichte nicht nur unglücklich glücklich, sondern auch auf bitterste Weise ironisch: Regisseur Moustapha Akkad, der vor allem als Produzent später Erfolg hatte, kam im jordanischen Amman mit seiner Tochter 2005 bei bzw. in Folge eines Bombenanschlags auf das Grand Hyatt-Hotel ums Leben - verantwortet von "al-Qaida im Irak", der Vorgängerorganisation des "Islamischen Staats".

06.01.2016

Konferenz: KARIKATUR UND TERROR (Hannover, 11. Januar 2016)


Tagungszentrum Schloss Herrenhausen, Herrenhäuser Straße 5, 30419
Hannover, 11.01.2016

Karikatur und Terror - Ein Jahr nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo


Am 7. Januar 2015 attackierten Terroristen auf brutalste Weise die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo, vorgeblich wegen der Publikation islamkritischer Karikaturen. Nachdem Paris am 13. November ein weiteres Mal zum Tatort terroristischer Angriffe geworden ist, wird das Forum für Zeitgeschehen der VolkswagenStiftung in Zusammenarbeit mit dem Wilhelm Busch - Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst das islamische Bildverständnis, die Tradition der Karikatur und der sie auslösenden politischen Aktionen thematisieren. Was zeichnet die politische Kultur der Gegenwart aus? Hat das Bild- und Kritikverständnis im Islam eine besondere Ausprägung, die sich von dem in anderen Religionen unterscheidet? Die islamische Kultur ist Teil unserer modernen Gesellschaft - wie kann es gelingen, das Verständnis für den islamischen Glauben in den übrigen Teilen der Gesellschaft zu verbessern und ein harmonisches Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen Glaubensrichtungen, Interessen und Empfindungen sicherzustellen?

PROGRAMM

19.00 Uhr

Begrüßung
Dr. Wilhelm Krull, VolkswagenStiftung

Vorträge

Die politische Ikonographie der Karikatur
Prof. Dr. Michael Diers, Humboldt-Universität zu Berlin

Die politische Dimension des Terrors
Dr. Asiem El Difraoui, Institut für Medien- und Kommunikationspolitik

Podiumsdiskussion mit

Prof. Dr. Naika Foroutan, Humboldt-Universität zu Berlin

Dr. Gisela Vetter-Liebenow, Wilhelm Busch - Deutsches Museum für Karikatur
und Zeichenkunst

Prof. Dr. Etienne Francois, Freie Universität Berlin

und den Vortragenden

Moderation Stephan Lohr, Büro für Kunst und Literatur, Hannover

weitere Informationen:
https://www.volkswagenstiftung.de/veranstaltungen/veranstaltungskalender/veranstdet/news/detail/artikel/karikatur-und-terror-ein-jahr-nach-dem-anschlag-auf-charlie-hebdo/marginal/4882.html

04.12.2015

Zu "Abu Talha al-Almanis" / Denis Cusperts neuem Video und Furat Media



Nahe Rakka soll Denis Cuspert alias Abu Talha al-Almani am 16. Oktober 2015 getötet worden sein. So bestätigte es auch Pentagon-Sprecherin Elissa Smith: Zusammen mit dem Hauptziel, dem libyschen IS-Kommandeur Abu Osman al-Libi, sei er durch einen US-Raketenangriff auf einen Pick-Up-Truck ums Leben gekommen. Schnell allerdings folgten Gerüchte, der Ex-Gangsta-Rapper und Propaganda-Aushängeschild des IS fürs deutsche Publikum, habe einmal mehr (schwer verletzt) überlebt – einnmal mehr also: schon zuvor war Cuspert für tot erklärt worden. 

Nun, Anfang Dezember, ist ein Video aufgetaucht, das den Verdacht bestätigen könnte, zwischen unsicherer militärischer-geheimdienstlicher ‚Intelligence‘ und Mythenbildung sei Abu Talha dem Tod ein weiteres Mal von der Schippe gesprungen.

Entsprechend sieht die FAZ Zweifel geweckt und verweist dabei auf DIE WELT, die freilich ebenso wenig für den Entstehungszeitpunkt des 13-minütigen Films bürgen kann und mag. In ihrem Online-Beitrag heißt es:

Unklar ist, wann das Video entstand. Zuletzt hatte der IS im April ein Video Cusperts veröffentlicht. Einerseits trägt der neue Clip nach ‚Welt‘-Informationen das Datum ‚Safar 1437 Hijri‘ - das ist der islamische Monat, der vom 13. November bis zum 12. Dezember 2015 reicht. Anderseits werden beispielsweise nicht die Anschläge von Paris thematisiert. Auch spricht Cuspert über einen "Abu Yasir al-Almani", der sich im irakischen Kirkuk in die Luft gesprengt haben soll. Es gab allerdings schon im August 2014 einen Anschlag von einem ebensolchen ‚Abu Yasir al-Almani‘.“

Ob allerdings das Video Cusperts Ableben widerlegt oder nur widerlegen soll ist gar nicht so sonderlich interessant. Der Umstand, dass Paris nicht thematisiert wird, ist eher zu vernachlässigen. Und die Datumsangabe „Safar 1437 Hijri“ ist weniger Geheimwissen oder journalistische Recherchekunst („nach ‚Welt‘-Informationen“), sondern basiert schlicht auf einer Einblendung in den letzten Sekunden des Films mit dem (deutschen!) Titel „Die Ritter der Shahada 2 – Abu Yasir al-Almani“

Es bleibt aber offen, ob der Zeitstempel sich nun auf Cusperts Lobpreisung des untertitelgebenden Selbtmordattentäters bezieht, auf dessen ‚Märytrer‘-Operation oder schlicht die Fertigstellung der Kompilation der drei Teile (Cusperts Rede, der auf einer Parkbank in Flecktarnjacke und mit Pakol auf dem Kopf und mit einem Schimmel im Hintergrund den vermeintlich Solinger Kriegsgefährten ehrt / die letzten Worte und Verabschiedung des Suizid-Kommandos / die dunklen Aufnahmen der Explosion in der Ferne).

Der Vorgänger-Film, „Die Ritter der Shahada 1 – Abu Abdullah al-Almani“ (schon bei der Veröffentlichung Mitte Juni mit Durchnummerierungs-„1“, was den Vorabplan einer Videoreihe über deutsche Selbstmordattentäter nahelegt), kam jedenfalls noch ohne Cuspert aus. 

Cuspert im Anfang Dezember 2015 veröffentlichten  Furat-Media-Video "Die Ritter der Shahada 2 - Abu Yasir al-Almani"

Doch der WELT-Artikel ist nicht korrekt – und damit wird es interessanter – mit seiner Aussage, Cuspert sei zuletzt im April in einem Video des IS aufgetreten. 

Gemeint mit diesem April-Auftritt ist offenkundig der Clip „Fisabilillah“, den ich in meinem Beitragin DIE KRIMINALPOLIZEI kurz beschrieben habe. Danach jedoch war Cuspert noch zumindest in einem 32-minütigen Video des „Wilayat Kavkaz“ (Region oder Provinz „Kaukasus“) des IS zu sehen: In dem russischen Video kommt er neben daghestanischen Jihadisten auf Deutsch (entsprechend russisch untertitelt) zu Wort, beschwört die Solidarität mit der Kaukausus-Fraktion und ruft dazu auf, sich dem IS und seiner Gemeinschaft anzuschließen.

Bemerkenswert ist nun, dass nicht wie sonst die sich ans „Ausland“ richtende IS-Propaganda-Abteilung al-Hayat Media Center (in deren Videos Cuspert auch bislang hauptsächlich auftrat), sondern die russischsprachige Furat („Euphrat“) Media dieses Video produzierte. Und unter dem Furat-Media-Label sind auch die beiden deutschsprachigen „Ritter der Shahada“-Videos entstanden bzw. veröffentlicht. In Charlie Winters Untersuchung der IS-Propaganda (The Virtual ‘Caliphate’: Understanding Islamic State’s Propaganda Strategy, Quilliam) bzw. der darin enthaltenen Übersicht der Medienabteilungen (S. 14) ist Furat Media selbst noch gar nicht aufgeführt. Kein Wunder, denn im selben Monat, Juni 2015, da Winters Studie erschienen ist, trat Furat Media erst auf die Bildfläche. Das von Abu Jihad alias Islam Seit-Umarowitsch Atabijew (Stellvertreter des Georgiers Omar al-Schischani, dem hochrangigen IS-Militärführer) gegründete „PR“-Department hat wie die Nordkaukasus-Brigade im IS-Verbund – in den vergangenen Monaten enorm an Bedeutung im Propagandaensemble des IS gewonnen (siehe dazu die Beiträge der britischen Bloggerin und Journalistin Joanna Paraszczuk HIER und HIER).

Cuspert (2. v. l.) im Furat-Media-Rekrutierungsvideo "Rejoice In The Deal You Have Secured", veröffentl. im August 2015

Dass nun Furat Media und nicht das bislang so dominante al-Hayat Media Center Cuspert in Szene setzt und dazu komplett deutsche Videos produziert ist eine Merkwürdigkeit, die zu Überlegungen und auch Spekulationen einlädt. Diese können von einer Reaktion der Propaganda(systemstruktur) des IS auf die russische Intervention in Syrien über einen sich abzeichnenden Relevanzverlust des al-Hayat Media Centers bzw. eines Konkurrenzkampfes bis zu einer besonderen Allianz zwischen den deutschen und nordkaukasischen Fraktionen zumindest in der Medienarbeit des IS reichen. Auch was Abu Talha al-Almanis / Cusperts Rolle im al-Hayat Media Center anbelangt, stellen sich so zurzeit einige Fragen: Wurde er von al-Hayat an Furat quasi ausgeliehen; war er doch wenigstens so hochrangig, dass er die deutsche Propaganda zum teil- und zeitweise zu Furat Media verlagert hat?

Vorausgesetzt natürlich, dass Cuspert noch lebt. Wobei die Veröffentlichung von „Ritter der Shahada 2“ bzw. Abu Talhas Einsatz darin so oder so strategisch komplexer in seiner Bedeutung ausfällt als es lediglich der Blick auf die wundersame oder medial vorgetäuschte Wiederauferstehung (als Beruhigung der Fans oder Verhöhnung des ihn vielleicht einmal mehr zu eilfertig abschreibenden Westens) nahelegt.

zyw