09.11.2016

MEINUNG: Zum Propagandismus von "Anne Will" - und wo die wahren Herausforderungen liegen


Hier auch meine zwei Pfennig Meinung zur „Anne Will“-Sendung am vergangenen Sonntag ("Mein Leben für Allah - Warum radikalisieren sich immer mehr junge Menschen?"). Radikalismus war das Thema, und viele Medienstimmen (ich spare mir hier die Verlinkung) haben sich ereifert zu der Sendung. Sogar Strafanzeige wurde albernerweise gestellt (soviel Referenz muss sein).

Hauptkritikpunkt war der Auftritt der vollverschleierten Nora Illi, den man an allen Ecken und Enden berechtigt kritisieren und auch auseinandernehmen konnte. U.a. dahingehend, dass die Frauenbeauftragte des „Islamischer Zentralrat Schweiz“ (IZRS) über die Situation in Deutschland so sprach, als sei sie die der Schweiz, was angesichts etwa des Minarett-Verbots verfehlt ist.

Die Kritik an Anne Will und ihrem Team und ihrer Sendung, die auf den Auftritt von Frau Illi folgte, ist nun insofern unhaltbar, als die kritische Intention klar zu erkennen war, auch wenn sie nicht voll und würdig umgesetzt werden konnte.

Zum einen ist es legitim, auch extremere Positionen in einer Talkshow zu Wort kommen zu lassen. Zumindest, wenn man die Medienarbeit nicht als die eines Spiegels betrachtet, der die Wirklichkeit verkleinert abbildet, sondern die einer Arena, die eröffnet wird, um die konträre Meinungen in Debatten aufeinandertreffen zu lassen – so wie es etwa auch im Bundestag der Fall sein sollte.

Wenn denn auch Politiker Wolfgang Bosbach, der gefühlt zum Inventar von derlei Shows im Öffentlich-Rechtlichen gehört, und Ahmad Mansour, den ich persönlich in seiner Arbeit und seiner Haltung sehr schätze, hier gegen Frau Illi klar Stellung bezogen, ist dies in der Demonstrativität zu begrüßen.

Einerseits.

Andererseits schien – zumindest meines Empfindens nach – gerade Herrn Mansour vom Ton her fast (situativ betrachtet) unverhältnismäßig aggressiv, weil Frau Illi, bei allem argumentativ-hanebüchenen Nonsens, den sie ins Feld führte („Frauen im Islam dürfen das selbstverdiente Geld behalten“ oder die paradoxe Wendung von der „normativen Option“ des Niqab) aufreizend ruhig, zumindest wortlos gegenüber den Anwürfen blieb (wenigstens in zentralen Passagen).

Dass ist nämlich das Problem im Fernsehen: die "Lautstärke" des Inhalts ist nicht aufzurechnen mit der der Stimmlage. Mann muss sich nur die mediale Professionalität und "Souveränität" einer Frauke Petry anschauen, um das zu verstehen und die Problematik dahinter zu erkennen.

Das TV-mediale Bild, das sich bei "Anne Will" als Reaktion auf die verschleiert Frau Illi jedenfalls ergab, ist folglich das von zwei Männern (Mansour, Bosbach), die sichtlich emotional engagiert, im „westlichen“ Anzug (Status- und Gender-Zeichen) und in der Körperhaltung angespannt, vorgebeugt und in den verschiedenen Richtungen der Adressierung der verhüllten Muslima permanent und – man muss es sagen: mit (begründeten, sicher auch ungewollten, gleichwohl:) aggressivem Gestus – das Wort abschnitten. Gegenüber allen guten Argumenten hat dies eine eigene Evidenz und emotionale und moralische Valenz.

Die viel beschworene Rolle der Verführerin, der Verharmloserin des Gewaltextremismus wurde so medienwirksam passiv konterkariert durch die des weiblichen Opfers maskuliner (Sprach-)Gewalt.

Dass Frau Illi vollverhüllt war, um „sich gegen die Männer zu schützen“, wurde in dieser Konstellation und auf dieser Ebene tatsächlich eher noch legitimiert als bloßgestellt. Zumal ihre Mimik unsichtbar blieb. Mansours Worte, die zurecht das u.a. sexistische Gedankengut hinter der Niqab oder Burka lautstark „erregt“ anprangerten, fielen im selben Moment unterschwellig auf ihn zurück und bewirkten mithin das Gegenteil. Zumindest hatte Frau Illi all diejenigen auf ihrer Seite, die sich in vehementen Streitigkeiten auch lieber hinter einen Stoffpanzer zurückziehen würden.

So betrachtet ist der „Einsatz“ von weiblichen „islamistischen“ Sprecherinnen in der (massenmedialen) Öffentlichkeit als Win-Win-Situation für die entsprechenden Ideologen: Haben sie Erfolg, tragen sie dazu bei, ein anti-emanzipatorisches, sexistisches Framing zu etablieren. Versagen sie, können sie als Märtyrer-Opfer aggressiver Diskursöffentlichkeit (und „westlicher“ Männlichkeit) einerseits stilisiert werden, andererseits einen binnenorientierten Beweis für ihre fundamentalistische Zirkel insofern zu liefern, als dass Frauen ohnehin nichts in der öffentlichen Debatte zu suchen haben (weil zu schwach) und damit still daheim besser wirken mögen.

Ein anderer ungerechtfertigt angeprangerter Punkt ist das Textzitat, das von der Website des IZRS bzw. von Frau Illi stammte. Auch hier ging und geht die Aufregung leider leicht ins Schiefe. Es war zum einen nicht der letzte Satz, der der Empörung wert war – der Hinweis auf eine doch auch „taffe“ Bewährungsprobe –, sondern mehr der ebenfalls zitierte Hinweis, dass der Griff zur Waffe in dem Kontext religiös betrachtet legitim sei.

Zum anderen waren auch in der Hinsicht Bosbachs und Mansours unmittelbare Attacken in ihrer Empörung kontraproduktiv. Anne Will und ihre Redaktion (und das zeigten schon die wenigen Worte, die der Moderatorin als Ansatz übrig blieben, ehe sie von ihren männlichen Gästen akustisch "untergebuttert" wurde) präsentierten diese Textzeilen wie Frau Illi insgesamt für den Zweck, sie nach den Regeln einer TV-Show „auseinander zunehmen“. Und dies, man kann es nicht deutlich genug sagen, ist durchaus legitim. In Paragraph 86 des Strafgesetzbuches etwa ist die Rede davon, dass die (Weiter-)Verbreitung von Propagandamitteln verboten sei, außer (Abs. 3) es diene „der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken“. Genau an dieser hier erwähnten staatsbürgerlichen Aufklärung, der Berichterstattung, aber auch der Lehre war Frau Will merklich gelegen, ehe ihr Herr Mansour und Herr Bosbach, teils allzu bewegt, teils ein wenig inszenatorisch eitel, ins Wort fielen. Es ist ein wenig so, als sei in einem Schulbuch das Bild aus einem Nazi-Propagandafilm abgedruckt, und nun reiße man die erklärenden, kritischen Seiten heraus um sich hernach zu erregen, hier werde verfassungsfeindliche Propaganda einfach weiterverbreitet.

Wenn also die Talksendung „Anne Will“ am vergangenen Sonntag allzu propagandistisch ausfiel, dann zu einem nicht unerheblichen und (etwa für künftige Gegenmaßnahmen) berücksichtigenswerten Teil aus gut gemeinten Gründen, medieninhärenten Inszenierungs- und Wirkungsmechanismen und teils alternativen, teils assoziierten Konfliktlinien wie denen der Gender-Repräsentation und dazugehörigen Modellen.


zyw