02.10.2010

Flotte indische Medienkomödie: TERE BIN LADEN

Osama von der Hühnerfarm



Manchmal holen sich Leben und Kunst doch aufs albernste ein: Gerade noch über TERE BIN LADEN (IND 2010) geschmunzelt, mit seinem armen, zunächst unwissenden Bin-Laden-Nachahmer Noora (Pradhuman Singh), dessen größte Freude seine Hühnerfarm und bester Freund der Hahn Sikandar ist… – und prompt wird vermeldet, dass der wirklich al-Qaida-Chef wohl nicht nur die aufgedeckten Terror-Plots in Europe gebilligt haben mag, sondern sich neu zu Wort gemeldet hat. Nicht zum großen Dschihad, sondern in Sachen Landwirtschaft.



I. Mit Bin Laden in die USA

Hat die Ikone des islamistischen Terrorismus etwa Abishek Sharmas (Regie u. Buch) Film angeschaut und sich davon / daraus ein wenig Inspiration – und Sympathien – geholte bzw. holen wollen? Wie indische Terrorismusfilme im populären Kino nun mal so sind (oder sein können), erstaunt auch TERE BIN LADENs Unbeschwertheit und Unbekümmertheit, mit der man sich in Indien (immerhin selbst von nationalen sowie inter- und transnationalen Terrorismus direkt und indirekt gebeutelt) der politischen Gewalt und damit verbundenen heißen Eisen annimmt. Und hier eben in Form des Komödie, einer, die mit ihren rund 95 Minuten ungewöhnlich, geradezu „westlich“-knapp und gar ohne große Lovestory daherkommt. Tatsächlich hätte eine Freundin für die Hauptfigur Ali Hassan (Ali Zafar) gut hineingepasst. Familie und Gefühlsleben kommen in dem geschwinden Film arg kurz und hätten den Oberflächen-Figuren ein Dimensönchen mehr gegeben. Doch da spricht nur die enttäuschte Erwartung und verhinderte Konvention, denn der Film ist sogar nach Hollywood-Maßstäben rundum flott, und schließlich hat auch Ali für sowas wie Liebes- oder Familienlieben keine Zeit.

Der Pakistaner Zafar erinnert vom äußeren an „Scrubs“-Star Zack Braff und gibt hier einen ähnlichen, wenn auch souveräneren, nassforscheren Chaoten. Sein Ali ist rasender TV-Reporter für einen Klitschen-Sender in Karachi, und Alis größter Wunsch es ist, in Amerika zu leben und vor seine Haus samt American Girl das Auto zu waschen. Ein echter USA-Freak ist er, der Ali, doch als er es endlich in den Flieger schafft, macht er sich verdächtig, als er in seine Videokamera hinein den künftigen Terrorismus-Berichterstattung übt. Vollends zum Hijacker wird er, als er der hübschen Stewardess, pardon: Flugbegleiterin das fallen gelassene Buttermesser hinterherträgt.



Prompt wird Ali überwältigt, und die damit einsetzende Title-Sequenz macht sich als Song-&-Dance-Nummer einen Spaß daraus, den unglücklichen Reporter in Handschellen zwischen tanzenden Polizistinnen zu zeigen oder vor einem „American Idol“-ähnlichen Komitee, das ihn mit einer Leuchttafel als al-Qaida-Mitglied oder Taliban ausweist und wie Punkterichter über seine Deportation zurück in die Heimat befindet.



Dort bewirbt er sich in allerlei Verkleidungen neu, wird konsequent abgelehnt und versucht es im Rekrutierungs- Schrägstrich Reisebüro der „Lashkar-E-Amreeka“ (Motto: „Invading USA since 2002“). Dessen Chef schlägt ihn vor, mit der Identität eines Toten und ein bisschen Photoshop in die USA geschleust zu werden. Das kostet freilich mehr, als Ali hat, doch der Lashkar-Büroleiter bietet eine Alternative, bei der die Reise allerdings rund sechs Monate dauert und den Umgang mit der AK-47 erfordert: Ali würde einfach mit den Mudschaheddin in den Iran geschickt, dann in den Irak, wo er sich, sobald er ein US-Camp entdeckt, ergibt und Gast der Amis und umsonst in die USA gebracht würde! Als Reisender werde er schließlich auch nur von ein, zwei Kugeln unterhalb der Knie abbekommen. Ali entscheidet sich doch lieber für einen neuen Pass.



Für den muss er jetzt für den despotischen, typisch arroganten, gleichwohl dummen Sender-Boss schuften, was auch bedeutet, einen Bericht über einen Gockel-Kräh-Wettbewerb in der Provinz zu drehen. Er findet dabei nicht nur den imposanten Gewinner-Hahn Sikander, sondern auch dessen Besitzer Noora auf, der – so bemerkt Ali im Schnittraum auf – glatt wie der überall gesuchte Osama Bin Laden aussieht.

Was von der CIA über CNN bis zu Morgan Spurlock niemand geschafft hat, meinen Ali und sein Kameramann nun vollbracht zu haben. Sie freuen sich schon auf den "Finderlohn", doch beim Herumzeigen des Fahndungsbildes ernten sie nur Schelte, Lachen oder erschrockene Schreie, bis sie gemäß ihrer Videovorlage Osama eine Brille aufmalen und bei Noora auf seiner Hühnerfarm landen. Dass der nun nicht der echte bin Laden ist, stimmt sie nur kurz betrübt: Vom überzeugt kommunistischen Radiosprecher und Stimmenimitator bis zur Maskenbildnerin aus der „Lashkar-E-Amreeka“-Filiale versammelt Ali sein Team. Er lockt den ahnungslosen Noora ins Studio, lässt ihn auf Arabisch etwas vorlesen, probt mit ihm das Zeigefingerschütteln, zieht im die Flecktarnweste an und vertauscht im Hintergrund klammheimlich Hühnertapete und Eierpaletten mit Landkarte und Kalaschnikow-Sammlung. Fertig ist die Welt-News.



Für viel Geld drehen die Fälscher Alis gierigem Chef das Band an (über den Kameramann, in Burka und mit Schirm getarnt: die Burka gegen den Regen, der Schirm gegen die Blicke). Alle freuen sich. Zunächst. Doch die Drohung des falschen Osama Bin Laden lässt in den USA die Alarmglocken klingeln, die Börsenkurse abstürzen und das Militär Afghanistan invadieren. Der Plan, die Taliban mit Waffen und mobilen Kameras einzukreisen, dabei Bin Laden aus seiner Höhle zu locken, ist allerdings nur ein Vorwand: Geheimdienstler und US-Entsandter Ted Wood (Barry John) ahnt, dass sich ihr Bin Laden in Pakistan aufhalten.

Die Schlinge zieht sich um Ali und seine Kompagnons zu, derweil auch Alis Traum platzt, die Reise nach Amerika, weil aufgrund der verschärften Sicherheitslage und Einreisekontrollen das „Lashkar“-Büro dichtmacht. Als schließlich auch Noora dahintergekommen, was mit seinem Gesicht angestellt wurde, heißt es: Ein neues Video muss her! Diesmal des lieben Friedens willens…


II. „Habibi George Bush“


Der fröhlich-verhuschte Noora probt genervt seinen Text, ehe er einen verschmitzten Blick auf die vor sich hin werkelnde Maskenbildnerin Zoya (Sugandha Garg) wirft und für sie den Text zu singen beginnt. Sie lächelt; die anderen Mitarbeiter der Fake-Aufnahme, die gerade hereinkommen, stutzen. Sie und Noora schauen sich an – und anfangen gemeinsam an, ein Lied aus der Dschihad-Botschaft zu intonieren, dazu im Kreis zu tanzen: „Habibi George Bush“.

„Lieber George Bush, wie lange kannst du mich als Entschuldigung benutzen, nach Öl zu jagen? Halt ein, bevor die Welt explodiert wie eine Granate!“

Ohne Begleit-Musik, ganz innerdiegtisch, kein Song-&-Dance-Ausbruch. Als Ali hereinkommt, stoppen sie peinlich berührt und tun, als sei nichts gewesen…



TERE BIN LADEN ist gerade für westliche Augen eine seltene, originelle Verschiebung der Perspektive, die die Welt ein bisschen größer, weiter und – ja, doch – entspannter macht, weil die Figuren in letzter Konsequenz der US-dominierten Popkultur ebenso fernstehen wie dem religiösen Fanatismus eines als mittelalterlich verschrieenen Islamismus. Der Film ist durchtränkt mit einem, ja, fast möchte man sagen: typisch indischen „Leben-und-leben-Lassen“, das um ein Vielfaches toleranter ist als das des Westens, der noch ein „nach unseren Bedingungen oder Parametern“ hinterherschiebt bzw. -denkt.



Wie wohltuend unbekümmert und pragmatisch sich TERE BIN LADEN positioniert, zeigt allein schon der Umstand, dass am Schluss alle ihr Happy End haben dürfen und können. Zoya arbeitet nicht mehr im Guerilla-Werb- und -Reisebüro, sondern hat ihren eigenen Schönheitssalon (zusammen mit dem nerdigen Noora), Ali wird tatsächlich in den USA als Star-Reporter und Exklusiv-Osama-Interviewer gefeiert, und sogar der gar nicht mal negativ verhohnepiepelte Regierungsbeamte Wood, der zuvor noch in Comic-Denkblasen von seiner Karriere geträumt hat, ist aufgrund des neuen Friedens zum neuen Verteidigungsminister aufgestiegen. Das alles ist natürlich lustig und traumhaft naiv, und der al-Quaida-Standpunkt fehlt hier gänzlich, doch ebenso auffällig ist, wie wenig man ihn hier für die Bin-Laden-Medienfarce tatsächlich braucht wie – auf der anderen Seite – mit dem einheimischen Polizisten- oder Geheimdienstermittler ein seltener Staatscharakter präsentiert wird, der nicht bedenkenlos und auch von der Genre-Konvention gedeckt die Verdächtigen haut oder barbarisch foltert, sondern ganz umgänglich erscheint (schweigen wir an dieser Stelle, was im Namen des Anti-Terrorismus in Indien und Pakistan Menschen für Leid angetan wird…).

Nein, TERE BIN LADEN ist tatsächlich eine seltene Komödie, weil sie sogar im Humor so ganz ohne (selbst verharmlosten) Bösewicht auskommt. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass der Film – man muss er erneut betonen – eine indische Produktion ist, die ihre Handlung komplett in Pakistan mit pakistanischen Figuren ansiedelt. Pakistan ist der auch – „terroristische“ - Bruderstaat und Erzfeind Indiens, und vielleicht ließe sich diese Komödie in ihrer Leichtigkeit in etwa so fassen, indem man sich eine Peter-Alexander-Klamotte vorstellt, die Ende der 1950er explizit, maßgeblich und wohlwollend in der DDR angesiedelt ist.



Ein anderes, härteres Beispiel: Ein Dieter- nein: „Didi“-Hallervorden-Witzfilm zur Roten Armee Fraktion. Denn indem TERE BIN LADEN das lustige Reisebüro „Lashkar-e-Amreeka“ präsentiert, verulkt es mit bewundernswertem Achselzucken die Lashkar-e-Tayyiba“ (LeT), die „Armee der Reinen“, die Indien seit Jahren von Pakistan aus (wo sie vom dortigen Geheimdienst unterstützt und wohl mitbegründet wurde) nicht zuletzt über (oder aufgrund von) Kaschmir heimsucht und weltweit mit ihrem Kommando-Überfall von Mumbai im November 2008 zum Begriff wurden. Es ist daher mehr verwunderlich, warum TERE BIN LADEN in Pakistan Proteste auslöste als in Indien selbst.

Mit seinem herrlich albernen Nonsens-Film ganz nach westlichem Gusto lehrt uns Abishek Sharma anti-ideologisch zweierlei: dass jeder doch eigentlich nur schauen will, wo er bleibt (oder aber wir denen zu misstrauen haben, die dies nicht tun), und dass irgendwann, auf einer gewissen Stufe, die Ideologie und das große Ganze am besten als Privatsache zu betrachten und behandeln ist, will man in Frieden (zusammen-) leben.



Eine beredte (und als solche besonders aufgeladene Rand-) Figur ist der politisch fest (und links-) orientierte Sprecher (Akash Dhar), der auch und gerade angesichts einer Cola-Dose seinen Standpunkt vertritt und uns stutzen lässt. Ach ja, zwischen, neben und jenseits US-amerikanischem (Kultur- und Antiterror-) Imperialismus und inter- oder gegen-nationalistischem (Kultur- und Religions-) Dschihadismus gibt es oder zumindest gab es doch auch schon mal was anderes…



P.S.: "Tere Bin Laden" ist ein Wortspiel und heißt soviel wie "Dein Bin Laden", aber auch "Ohne Dich" (Tere Bin) "Laden", was auf die "Gemachtheit" des Bin-Laden-Images hinweist.


Bernd Zywietz