30.08.2009

Buch: "9/11 als kulturelle Zäsur"

Sandra Poppe, Thorsten Schüttler, Sascha Seiler (Hg.):
9/11 als kulturelle Zäsur. Repräsentationen des 11. September 2001 in kulturellen Diskursen, Literatur und visuellen Medien.
Bielfeld: transcript Verlag, 2009. Ca. 340 Seiten. € 29,80




Auf dem Symposium „9/11 als kulturelle Zäsur“ der Mainzer Johannes Gutenberg-Universität widmeten sich im Februar 2008 für zwei Tage Forscherinnen und Forscher aus dem Bereich der Kultur-, Kunst- und Kommunikations-, besonders aber Literaturwissenschaft den Anschlägen des 11. September und wie im kulturellen und künstlerischen Austausch damit bislang umgegangen wurde.

Wer diese nicht immer überzeugende, durchaus aber gewinnbringende Veranstaltung, die erschreckend wenig besucht war, verpasst hat, kann sich trösten. Der transcript Verlag hat dieses Jahr Texte der (oder zu den) einzelnen Vorträge(n) herausgegeben. Aufgeteilt in „Kulturelle Diskurse“, „Literatur“ und „Visuelle Medien“ ist dies eine angenehm unrunde Sammlung geworden, die als solche eine Bereicherung zum „überpublizierten“ Thema „11. September 2001“ darstellt. Gerade weil sie sich eher von den Rändern dem monströsen Datum nähert.

Das Niveau schwankt inhaltlich wie sprachlich, wie das bei derartigen Sammelbänden üblich ist; vielleicht sogar noch ein bisschen mehr. Karsten Wind Meyhoffs „Kontrafaktische Kartierungen. Verschwörungstheorie und der 11. September“ ist kaum mehr als eine Verschriftlichung seiner Vortragsworte und bleibt gerade angesichts des eindrucksvollen Titels dürftig, insofern kaum mehr geboten wird als eine Präsentation was es unter anderem im Paranoia-Umfeld von 9/11 so gibt, angereichert mit etwas spartanischen Allgemeinplätzen als Erklärungen. Die Literaturliste ist beredt genug.

Vorzüglich hingegen ist u.a. Thorsten Schüllers Beitrag über „Kulturtheorien nach 9/11“, der bei aller Kürze aufschluss- und kenntnisreich die Herausforderung der al-Qaida-Attentate für die diversen „turns“ der Kulturwissenschaft (postcolonial, translationalen, literary und iconic) herausarbeitet und damit einen kritischen Blick auf die Disziplin und den einen oder anderen ihrer Elfenbeintürme wirft.

Lars Koch wiederum spürt in „Nach 9/11: Die postsäkulare Gesellschaft und ihre neokonservativen Widersacher“ eben letztgenannten nach, darunter Otto Deppenheuer und Udo di Fabio, sowie ihrem Gegendiskurs bzw. der „Rückkehr der Religion“.
FAZ-Journalist Thomas Thiel hielt es während Kochs Vortrag kaum auf dem Stuhl, warf ihm u.a. den wenig durchdachten Umgang mit dem Begriff Feuilleton vor, bekam schließlich fast das Mikro abgenommen und schrieb schließlich einen vom Autor dieser Zeilen leider nicht gelesenen Bericht in eben jener Frankfurter Allgemeinen Zeitung (25. Februar 2008) – jenem Blatt, dessen Herausgeber Schirrmacher Koch mit als einen der „Widersacher“ nennt. In seiner ersten Fußnote im Buch schießt Koch nun bissig zurück, doch wie so oft hatte und hat man das Gefühl, dass die Wahrheit irgendwo dazwischen liegt. Hinsichtlich des von Koch ausgemachten Diskurses, der neben den üblichen Buchpublikationen seiner Meinung nach „vorzugsweise in den Feuilletons der Zeitungen Die Welt, Rheinischer Merkur und FAZ ausgetragen“ (S. 44) würden, mag dahingestellt sein, wie repräsentativ und möglicherweise dieser politisch unvoreingenommen daherkommt und -kommen kann. Auf jeden Fall aber hätte ein Mehr an medientheoretischer Überlegungen zur Funktion der Feuilletons (Debatten-Arena oder Weltbeschreibung) gutgetan. Gleichwohl erscheint Kochs Text im Buch fundierter, vielleicht gar etwas vorsichtiger im positiven Sinne (alles eine rein subjektive Einschätzung des Autors dieser Zeilen), und neben den übrigen Beobachtungen als engagierte Wortmeldung ein Gewinn. Einen Hendryk M. Broder als Haudrauf zwischen Koch und Thiel wünschte man sich freilich heute immer noch so sehr wie damals…

Im Bereich der Literatur widmet sich Christina Rickly überblicksweise den US-amerikanischen 9/11-Romanen als Trauer- und Traumageschichten, derweil Heide Reinhäckel sich deutschen Autoren und „ihren“ Städten wie Ulrich Peltzers mit seinem Bryant Park und Katharina Hacker mit Die Habenichtse annimmt. Christoph Deupmann wiederum spürt der Erzählbarkeit des 11. September nach („Versuchte Nähe. Vom Ereignis des 11. September zum Ereignis des Textes“). „Bemerkungen zur romanesken Darstellung des 11. September 2001 in der französischen Literatur“ macht Véronique Porra, während Ursula Henningfeld näher auf Windows of the World des Skandalier-Autoren Frédéric Beigbeders eingeht.
Etwas ungelenk wird unter „Visuelle Medien“ alles andere gepackt, auch Anneka Esch-Van Kans Text zur „Politik der Bilder“ im amerikanischen Post-9/11-Theater. Dass und wie sehr der 11. September einer festgefügten Erzählung folgt bzw. zu folgen hat, macht eindringlich Wim Peeters deutlich, der quasi unstatthaftes Bildmaterial und literarische Äquivalente vorstellt, die eine Alltagsnormalität zum Thema haben, die ebenso „verboten“ scheint, wie angesichts des Schreckens doch auch herbeigewünscht.

Zwei Texte widmen sich Bildgeschichten – Jonas Engelman der Verarbeitung des 11. September in den Comics von Art Spiegelman und Peter Kuper; Stephan Packard der 9/11-Allegorisierung in der das „Marvel“-Superheldenuniversum umspannenden Civil War-Reihe. Von „Trivialkunst“ sollte man dabei allein schon deshalb nicht sprechen, geschweige denn mit der Nase rümpfen, weil Packard unter Rückgriff auf Charles S. Pierces u.a. eine „kleine Semiotik der Zäsur“ vorlegt und damit etwas an theoretischer Konzeption vorlegt, die dem Buch mehr als guttut. Positiv ist auch zu vermerken, dass Packard Civil War als (eigenständiges) Ausnahmephänomen vorstellt, in die 9/11 quasi hereinbricht.

Auch Thomas Waitz erklärt in seinem Beitrag „Die Frage der Bilder. 9/11 als filmisch Abwesendes“ die Reaktion auf 9/11 als Verhandlung einer bereits bestehenden Krise – diesmal der des Kinos. Seine These lautet dabei, „dass in den filmischen Repräsentationen von 9/11 notwendigerweise Fragen nach dem Status des Medialen verhandelt werden“ (S. 224), wobei es weniger um ein Darstellungsverbot geht, sondern um die Suche nach Alternativ-(Nicht-)Bildern. Tatsächlich – Waitz arbeitet es aus – ist 9/11 hinsichtlich seiner Darstellbarkeit doppelt problematisch: durch die Katastrophen-Vor-Bilder des Kinos zum einen und die „filmischen“ Originalbilder der in die Twin Towers rasenden Flugzeuge zum anderen scheinen kollektive Leerstellen überbesetzt. Freilich überzeugt Waitz nur bedingt, wenn er Mike Binders REIGN OVER ME (dt.: DIE LIEBE IN MIR, USA 2006) und Spike Lees 25TH HOUR (USA 2002) als 9/11-Filme vorstellt, die sie von der Trauerarbeit und Ratlosigkeit künden (und es in 25 HOUR gar „zu einer narrativen Verhandlung der Folgen des 11. September kommt“ – S. 233). Dies mag durchaus sein, gleichwohl bleibt sich die Frage, inwieweit dies so (auch hinsichtlich der einzelnen Filme) repräsentativ und auf den 9/11 ausgerichtet ist, dass dieser eindeutig wirksam, verarbeitet oder zum wie auch immer gearteten Gegenstand würde. Was ist hier Krise des Erzählens, was die der allgemeinen Zeit?

Andererseits bemerkt Waitz, dass ein „großer“ Film noch ausstehe, der die Anschläge in ihrer politischen Bedeutung fokussiere; auch Oliver Stones WORLD TRADE CENTER (USA 2006) nehme die symbolische Bedeutung nur beiläufig war und entfalte umso mehr ein Narrativ, „das die Politik des Terrors okkasionalistisch adressiert“ (S. 227).

Überlegenswert ist jedoch, wie die Heldenstory, die Stone bietet, nicht gerade doch auch ein politischer Kommentar zum Terror ist – eine Art Antwort, die sich einer Politisierung der Attentate verweigern will. Waitz stellt selbst fest, dass man sich relativ schnell des 9/11 im Kino annahm, doch das verwundert weniger, betrachtet man das „Wie“. So erzählen die Filme, und nicht nur sie, den 11. September vor allem und fast ausschließlich als eine Katastrophe, ihrer Krise(n), Traumata und Bewältigungen – nähern sich also nur indirekt oder, nun ja, gar nicht, sondern bleiben schockiert mit dem (nun nicht gebotenen) Blick auf die brennenden Türme.

Auch Waitz – wie überhaupt das ganze Buch – thematisieren die Attacken nicht wirklich als monströse aber menschliche Gewalttat, als Verbrechen und terroristische(n) Akt(e), sondern als gewaltiges Ereignis ohne Präzedenz und damit ohne Geschichte. Die Autoren befinden sich damit in bester Gesellschaft. Nicht zuletzt folgen sie legitim den kulturellen Artefakten, die sie untersuchen und lassen sich so auf jene Diskurse ein, die sie analysieren. Freilich: Vor der Urgewalt und Singularität philosophiert es sich – gerade bildtheoretische bzw. semiotisch – prächtig, die Narrative „9/11“ aber selbst wird weitgehend nur be- nicht hinterfragt. Ebenso wie die verführerische und unrelativierte Behauptung, die TV-Katastrophenbilder seien durch das Kino schon längst vorher gelernt und gelehrt worden. Als ob das für keine andere individuelle oder kollektiv nie geschaute Monstrosität, aber auch Alltäglichkeit, gälte…

Bei aller Güte des Buches bleibt so doch ein leicht fader Geschmack, weil sich letztlich hier – allerdings mehr als sonst zwangsläufig – so wenig darum gekümmert wird, wie tief der Einschnitt des „9/11“ von diesem „Event“ selbst ausgeht.

Sandra Poppe, Thorsten Schüttler, Sascha Seiler (Hg.): 9/11 als kulturelle Zäsur. Repräsentationen des 11. September 2001 in kulturellen Diskursen, Literatur und visuellen Medien. Bielfeld: transcript Verlag, 2009.




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