(Teil 1)
Mit einem erfundenen Terroranschlag in der kalifornischen Kleinstadt Bluewater, die von dpa als real vermeldet wurde, berührt der Deutsche Filmemacher Jan Hendrik Stahlberg wichtige Fragen zur Medialität und Kommunikation von bzw. des Terrorismus – ein Thema freilich, das in Sachen Virtualität im Bereich Spielfilm schon so einiges zu bieten hat.
von Bernd Zywietz
Alex P. Schmid (2004) benennt vier frameworks, Rahmenkonzepte, unter denen man Terrorismus betrachten kann. Dabei hebt jeder Wahrnehmungsrahmen gewisse Perspektiven des Terrorismus heraus und präsentiert sie unter bestimmten Vorzeichen, während andere vernachlässigt werden. (Zum Framing-Ansatz in der Publizistikforschung siehe Dahinden (2006)).
Terrorismus kann so als Gegenstand der Politik, der Kriminalität, des Krieges bzw. der Kriegsführung, aber auch als Frage der Kommunikation betrachtet werden. Man mag Paul Watzlawicks Diktum bemühen: Man kann nicht nicht kommunizieren. Doch qua Definition – zumindest den ernst zu nehmenden – ist Terrorismus vor allem symbolische Gewalt in der Hinsicht, als nicht die manifeste Zerstörung und das Töten primäres Ziel ist, sondern damit eine wie auch immer geartete Botschaft an eine Regierung, einen Staat, ein Volk oder Gruppen der Bevölkerung „gesendet“ wird. Die Botschaft kann u.a. erpresserisch sein, eine Drohung, Provokation oder der Ausdruck von Vergeltung.
Die Botschaft kann aber auch falsch oder nicht ankommen – oder aber missverstanden werden. Die Parallel-Anschläge des 11. September auf das World Trade Center und das Pentagon, so Abrahms (2005) waren ein derartiger Fall. Und tatsächlich wurde bei den Reden zum „Angriff auf den american way of life“ und der verkürzenden Erklärung „weil sie uns hassen“ schnell vergessen oder aber übersehen, dass al-Qaeda konkrete Forderungen an die USA stellte: den Abzug der USA aus Saudi-Arabien als dem Land der heiligen Städten des Islam. Dies, wie die Nichteinmischung Amerikas in die Welt der Muslime wurde mit 9/11 jedoch nicht erreicht, wie sich Bin Laden und Co. hernach mehrfach bedauernd äußerten (vgl. ebd.).
Auch die Filme zum 11. September gehen darauf nicht ein – mehr noch: die Filme, die zunächst und in erster Linie eine Art Verarbeitung von Trauer und Trauma darstellen (vgl. dazu Schneider 2005), befassen sich mit den Anschlägen gar nicht mal als Form politischer, von terroristischer Gewalt, sondern behandeln sie als eine Art kontextlose Katastrophe. Eine kleine Ausnahme stellt UNITED 93 (F/GB/USA 2006; dt.: FLUG 93) von Paul Greengrass dar, der die Entführung und schließlich den Absturz nahe Shanksville, Pennsylvania des titelgebenden Fluges zum Inhalt hat. Doch auch hier werden Motive der Hijacker nicht tangiert.
Was nun aber, wenn sich die Botschaft vom Ereignis abkoppelt, sich verselbstständigt – oder mehr noch: wenn es eine Botschaft ohne Ereignis gibt?
Mehrere Filme haben einen solchen virtuellen Terrorismus bereits mehr oder weniger direkt thematisiert. In der grandiosen Satire WAG THE DOG (USA 1997, R: Barry Levinson) nach Larry Beinharts Buch American Hero“ wird im US-Präsidentschaftswahlkampf ein fiktiver Konflikt inszeniert: Albanische Rebellen hätten Atomwaffen in ihre Gewalt gebracht, woraufhin das amerikanische Militär eingreift – eine bloßes, virtuelles Medien- und PR-Spektakel, um die Aufmerksamkeit davon abzulenken, dass der Amtsinhaber sich an einem Pfadfindermädchen bei dessen Besuch im Weißen Haus vergriffen hat.
Schon fünfzehn Jahre zuvor zeigt der überbordende WRONG IS WRIGHT (USA 1982, dt. FLAMMEN AM HORIZONT) mit einem selbstironischen Sean Connery als Star-Reporter ähnliches Kalkül: Am Ende des Films wird die Erpressung eines vom Terroristen zum Staatsführer gewandelten Diktators (Henry Silva) mit zwei Atombombenkoffern vom Weißen Haus getürkt. Auch hier befindet sich der Amtsinhaber im Wahlkampf und unter Druck. In letzter Sekunde werden freilich die Bomben gefunden – an der Spitze des World Trade Centers (!) hängend. Dem US-Militärschlag (und der Wiederwahl) steht so nichts mehr im Wege, derweil der Diktator die beiden echten Bombenkoffer noch bei sich trägt und gar nicht versteht, was eigentlich vorsichgeht. Der Irakinvasion 2003 lässt jedenfalls grüßen.
Einen „echten“ Terroranschlag fingiert der US-Geheimdienst in BODY OF LIES (USA 2008, dt.: DER MANN, DER NIEMALS LEBTE): Um einen arglosen Architekten ohne dessen Wissen zum Helden unter den Islamisten aufzubauen und so einen Terroristen-Scheich hervorzulocken, wird in der Türkei eine Bombe auf einem leergeräumten US-Stützpunkt gezündet. Gefälschte Webseiten und E-Mails, sowie die offizielle, ebenso unwissende internationale Presse (zumindest geht der Film nicht darauf ein, wie und ob die Medien in den Plot eingeweiht sind), tun das Übrige.
Was wie eine überdrehte Hollywood-Idee klingt, ist nun beinahe – nun ja – „Wirklichkeit“ geworden. Kurz vor dem achten 9/11-Jahrestag hat der deutsche Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler Jan Henrik Stahlberg einen vergleichbaren, fast beängstigenden Coup gelandet: Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) verbreitete seine Meldung von einem Selbstmordanschlag in der kalifornischen Stadt Bluewater. Extra eingerichtete Webseiten und Material eines fiktiven Lokal-TV-Senders sorgten für die nötige „Absicherung“ der medialen Subversion. Das Bildmaterial von panischen Menschen stammte aus Stahlbergs Ende September startendem Spielfilm SHORT CUT TO HOLLYWOOD, deren Hauptfiguren, drei Berliner Rapper, in der zweiten Welle der Täuschung als Schuldige des Juxes ausgemacht wurden – und die im Film berühmt werden wollen, indem sie einen Selbstmordanschlag versprechen. (Nähere dazu HIER auf der Website der "Welt").
Die Aktion Stahlbergs liegt dabei ganz auf der Linie seines bisherigen Schaffens: In der ausgezeichneten No-Budget-Satire MUXMÄUSCHENSTILL (D 2004; Regie: Marcus Mittermeier, der auch die Co-Regie von SHORT CUTS innehat) schrieb Stahlberg das Drehbuch und spielte die Hauptrolle: Teils als „Doku“ inszeniert folgt der Film dem selbstgerechten Ex-Philosophiestudenten Mux, der als selbstbestimmter Ordnungswächter bis an die Humor- und Schmerzgrenze seine Mitmenschen bespitzelt und kreativ bestraft.
In BYE BYE BERLUSCONI! (D 2006) vermischen sich die Realitätsebenen noch mehr: Selbstreflexiv erzählt der Film von Jan und seiner italienischen Freundin (Lucia Chiarla, Co-Drehbuchautorin und tatsächlich Stahlbergs Lebensgefährtin), die mit anderen in Italien eine (Film-im-Film-) Satire über die Entführung des wenig geliebten Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi inszenieren wollen. Dabei müssen sie freilich aus juristischen Gründen zu einer albernen Verfremdung greifen – worüber es ordentlich Streit im Team gibt –, als sich auch mit den blockierenden Behörden herumschlagen.
Das Verwischen von Realität und Fiktion, Fake-Dokus bzw. „Mockumentaries“, gefälschte Webseiten und erfundene Pressemeldungen sind nichts Neues mehr. Und doch berührt Stahlbergs aktuelle Bluewater-Posse weitreichende, komplexe Fragen hinsichtlich der Medialität des Terrorismus und darüber Aspekte des Wesens des Terrorismus selbst.
Wann und wie, z.B., wird Terrorismus erst zu Terrorismus? Wo liegen dabei die Grenzen von Kunst? Stahlbergs Fall ist dabei noch harmlos, bietet aber den Anlass für weitergehende Gedankenspiele. Zweifellos ist es beim Terrorismus (wie nicht nur da) die Gewalttat, die verboten und möglichst verhindert werden muss. Welche Motivation Flugzeugentführer, Bombenleger und Geiselnehmer haben, ist zunächst egal, wenn es um den Schutz von Leben und Unversehrtheit geht. Doch es sind nun mal die Motive, die „Aussage“, die die Gewalttat erst zu einer terroristischen machen. Wenn man Angst und Schrecken in der Bevölkerung erzeugt (sie „terrorisiert“) und den Staat unter Druck setzt weil man sein Gewaltmonopol herausfordert – ist es da für die Bewertung von Terrorismus nicht unerheblich, ob dies basierend auf einer realen oder nur erfundenen Tat geschieht, solange die Wirkung die gleiche ist?
Virtuell ist dieser Stahlberg’sche Terrorismus insofern, als er „reale“ Bilder ohne Wirklichkeitsbezug aber mit einem spezifischen (funktionalen) Wirklichkeitsanspruch liefert. Ist er damit schon quasi echter „Terrorismus“ Ist, umgekehrt, eine Gewalttat, bei der die politische Botschaft aus irgendwelchen Gründen nicht ankommt, bei der nicht mal das Vorhandensein einer Botschaft jemandem bekannt wird, „Terrorismus“ (z.B. wenn ein Bombenanschlag als Gasexplosion missinterpretiert wird – ein zugegebenermaßen weit hergeholtes Beispiel)?
Muss es nicht auch unter Strafe gestellt werden, Menschen zu ängstigen, indem man ihnen vorgegaukelt, es habe ein Selbstmordanschlag stattgefunden? Nun ist es auch immer Aufgabe der Kunst und mehr noch der Satire, Menschen aufzurütteln, ihnen ihre Wahrnehmungsbedingungen und -beschränkungen kreativ aufzuzeigen, Machtmechnismen offenzulegen und bloßzustellen.
Doch wo ist die Grenze oder besser: wie ist eine solche vom Wesen her zu veranschlagen? Was, wenn ich mit vorgeblichen Anschlag auf ein Atomkraftwerk eine Massenpanik auslöse?
Ist Kunst immer als solche erkennbar, muss sie es sein? Was wenn mit einer ähnlich Stahlberg’schen Aktion (z.B. einer Schulbusentführung) politische Forderungen verbunden wären? Überzogen satirische, wie man es sich bei der Zeitschrift „Titanic“ vorstellen könnte – weniger satirische – vielleicht doch ernst zu nehmende?
Mögen dies alles auch arg theoretische, nicht wirkliche, gar windige Problemfragen seien, sind sie es wert, durchdacht zu werden. Denn auch umgekehrt lässt sich das Thema „Wie viel Realität braucht Terrorismus?“ angehen. Wenn die „Guten“, die – freilich ambivalente – CIA in BODY OF LIES eine Terrorattacke inszenieren (oder eben Stahlberg, aus Gründen der satirischen Provokation und als Marketing-Gag für seinen Film) – wann kommen die „Bösen“, die echten Terroristen auf dieselbe Idee und welches Spektrum an Möglichkeiten steht ihnen dabei zur Verfügung? Der Aufwand mag gegenüber einem „echten“ Selbstmordbomber zu groß sein, das Ganze auch ihrem heiligen Ernst entgegenstehen, ein Sympathie-Bonus wäre ihnen aber sicher: Immerhin haben sie Menschen und ihr Leben geschont. Wenn Politik zumindest nach außen hin immer unwirklicher wird, warum nicht auch die letzte Gewalt darin (zumindest als neue, vorgeschaltete Stufe zur realen).
Terroristen können schon vor der unmittelbaren Medienmanipulation ansetzen: eine Welle von Bombendrohung in Zeitungen bis man keine mehr ernst nehmen kann und doch alle ernst nehmen muss. Weiter gedacht und weg von der Berichterstattung: Eine Flut von Bombenattrappen oder auch nur verwaisten Gepäckstücken in westlichen Flughäfen. Was, wenn sich ein Islamist möglichst auffällig, d.h. rastergerecht den Sicherheitsbehörden präsentiert, um sich dann als Märtyrer nicht selbst und andere in die Luft zu sprengen, sondern „unschuldig“ und ohne Sprengstoffgürtel vor einer (gerne auch privaten) Kamera brutal überwältigen zu lassen. Oder in der U-Bahn erschießen zu lassen. Und so die Konflikte eher zu verschärfen, als er es vielleicht mit herkömmlicher mörderischer Gewalt vermocht hätte. (Der Autor diese Zeilen arbeitet gerade an einem solchen allgemeinen fiktionalen Szenario und sieht sich dabei diversen Problemen gegenüber.)
Das klingt alles zynisch, durchaus, aber es zeigt auch, dass und wie Terroristen zwischen Propaganda und Pseudo-Events und politischen und künstlerischen Aktionen gerade in unserer Informationsgesellschaft und massenmedialen Wirklichkeit noch eine ganze Bandbreite an beängstigenden, die typische Gewalt begleitenden und sie potenzierenden Möglichkeiten zur Verfügung steht, gegen die es sich zu wappnen gilt. Soweit das überhaupt möglich ist.
Abrahms, Max (2005): Al Qaeda's Miscommunication War: The Terrorism Paradox. In: Terrorism & Political Violence, 17. Jg., Nr. 4, S. 529-549.
Dahinden, Urs (2006): Framing. Eine integrative Theorie der Massenkommunikation. Konstanz: UVK.
Schmid, Alex P. (2004): Frameworks for Conceptualising Terrorism. In: Terrorism & Political Violence, 16. Jg., Nr. 2, S. 197-221.
Schneider, Thomas (2008): Der 11. September 2001 im amerikanischen Kino. Zur filmischen Verarbeitung eines kollektiven Traumas. Marburg: Tectum.
-- Berlin, 12. September 2009