Andreas Armborst:
Jihadi Violence: A
study of al-Qaeda’s media.
(Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches
und internationales Strafrecht – Kriminologische Forschungsberichte). Berlin:
Duncker & Humblot.
ISBN: 978-3-428-14049-7, 266 Seiten, Erscheinungsjahr: 2013.
€ 35,-
Einen eindrucksvollen Lebenslauf weist Dr. Andreas Armborst
auf: Neben einem Abschluss in Soziologie (Trier) und Kriminologie (Hamburg)
kann er u.a. als Arbeits-, Lehr- und Forschungsstationen die Universität der
Bundeswehr in Hamburg, das BKA, die Nebraska Crime Commission on Law
Enforcement and Criminal Justice oder das Institut für Sicherheits- und
Präventionsforschung der Uni Hamburg angeben. Seine hier vorgelegte, in
Englisch verfasste und also auf eine internationale Rezeption abzielende Studie
hat er am Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales
Strafrecht verfasst, an der dortigen International Max Planck Research School
on Retaliation, Mediation and Punishment. Doch als Motto stellt er der Schrift Jihadi Violence kein Zitat renommierter
Terrorismusexperten, politischer Denker oder sozialwissenschaftlicher Koryphäen,
sondern von Terry Pratchett voran, weltbekanntem Autor humorig-satirischer
Fantasy-Romane.
Pratchetts bizarr phantastische Scheibenwelt, von der das
Gros dessen Bücher handelt, wird getragen von vier kosmischen Elefanten; bei
Armborsts Untersuchung kann man quasi von fünf sprechen: fünf Teile, die als
solche nur teilweise ausgewiesen, die Arbeit lesenswert machen, auch wenn sie
dabei nicht völlig in einem heterogenen Ganzen aufgehen mögen und einige
Kritikpunkte anzubringen sind.
Armborst befasst sich mit der Propaganda al-Qaidas, wobei
der Titel falsche Erwartungen wecken könnte. Zum einen steht nicht (nur) der
Aspekt der Gewalt im Vordergrund, zum anderen befasst sich der Autor in seiner quantitativ-qualitativen
Analyse zwar in seinem Sampel nicht nur mit schriftsprachlichen Äußerungen
Aiman al-Zawahirs, Osama bin Ladens und Abu Jahja al-Libis, sondern auch mit
Video-Statements, doch werden diese nur transkribiert ausgewertet – die
audiovisuellen Eigenheiten bleiben, wie so oft bei Medieninhaltsanalysen, außen
vor [1]. Weniger die Medien werden also analysiert als deren Inhalte. Dafür hat
Armborst 103 Statement-Verschriftlichungen zwischen 2001 und Dezember 2009
gesichtet sowie anschließend auf einen 86 Äußerungen umfassenden Korpus weiter
reduziert, aus dem wiederum final für die Detailanalyse 31 Texte ausgewählt
wurden.
Bevor sich Armborst in seinem Buch der empirischen
Untersuchung widmet, präsentiert er – quasi als ersten, lohnenswerten
„Elefanten“ – eine konzise und fundierte Einführung zur Abgrenzungsdefinition
von Terrorismus (fokussiert auf dessen „kriminologische Anomalien“ und in
schlüssiger Einordnung in ein Spektrum politischer Gewalt) sowie zum Konzept
des Jihadismus insbesondere mit Blick auf den „Gotteskrieg“ als militärische
Doktrin, die sich nicht in der gefährlich simplen, gleichsam wohligen
diskursiven Differenzierung zwischen innerem und äußerem Jihad erschöpft.
Im zweiten, empirischen Teil (Kapitel 4, 5 und 6) entwickelt
der Autor seine Methodik, stellt das Untersuchungsdesign vor, ehe er die
Ergebnisse inhaltlich-interpretativ wie statistisch ausgewertet darlegt und
mithin al-Qaidas Ideologie nach ihren diagnostischen soziopolitischen
„Analysen“, den angebotenen und geforderten Zielen und vor allem der
strategischen und religiösen Instrumentalität und Legitimität von Gewalt
aufschlüsselt und die einzelnen Punkte untereinander in Beziehung setzt.
In Kapitel 7, eigentlich ein eigener Part, wird die propagierte
Weltanschauung der AQ-Zentrale mit der irakischer Jihadisten-Gruppen verglichen,
namentlich (bei Armborst) Ansar al-Sunna und al-Qaida im Irak (bzw. ISI –
Islamischer Staat im Irak; heute eher: ISIS – Islamischer Staat im Irak und
Syrien bzw. Irak und Levante). Dieser Teil / dieses Kapitel „Jihadism in Iraq“
überzeugt in Gänze im Gesamtkontext des Buches wenig, wirkt losgelöst, auch ein
wenig abschweifend. Von den knapp 45 Seiten verwendet der Autor mehr als die
Hälfte auf die Einführung in die Konfliktsituation und -faktoren im
Zweistromland sowie die Taktiken von AQI und ASS, derweil der
Ideologievergleich selbst nur relativen Erkenntnisgewinn bringt. Gleichwohl und
unabhängig vom restlichen Buch sind diese Irak-„Ausflüge“ allein und vor allem
in ihrer informativen Einführung in den Konflikt zu empfehlen.
Ein weiterer, unerwarteter Punkt mit hohem Eigenwert stellen
die im Anhang aufgeführten Textsegmente aus al-Qaida-Botschaften dar, rund 40
Seiten „Originalstimmen“. Armborst nutzt sie als Beleg- und
Anschauungsmaterial, allerdings stellen sie in ihrer Pointiertheit und durch
die Ordnung des Autors ein kleines systematisches Zitatennachschlagebuch dar,
das auch für eigene Arbeiten durchaus von vielfältigem Nutzen für den Leser sein
kann.
Der „fünfte Elefant“ sozusagen ist sehr speziell, gleichwohl
lobend herauszustellen. Es handelt sich dabei um die Darlegung des methodischen
Vorgehens, das für all jene interessant sein dürfte, die selbst
empirisch-quantitativ forschen wollen oder mit entsprechenden Analysen zu tun
haben. Neben der Darlegung des methodischen Vorgehens und des Designs in
Kapitel 4 reflektiert Armborst gewissenhaft in Anhang 1 das automatisierte
„concept mapping“ mit dem Text-Mining-Tool Leximancer, das er zusammen mit der
QDA-Software MAXQDA für die computergestützte Textanalyse verwendet – ein
Fallbeispiel, wie Digital Humanities auch im Bereich der
Terrorismus(propaganda)forschung und ähnlichen Bereichen vielversprechend
einsetzbar ist.
Allerdings hinterlässt Jihadi
Violence: A study of al-Qaeda’s media gerade hinsichtlich der theoretischen
Konzeption ein ambivalentes Gefühl beim Lesen. Das meint weniger die generelle
(und erneut hoch aktuelle Frage), inwiefern sich qualitative Inhalte sinnvoll
in „maschinenlesbare“ Daten (z.B. Wortfrequenzen) übersetzen oder aus solchen
heraus generell überzeugend oder zumindest gewinnbringend interpretieren
lassen. Dies ist ein alte Grundsatzdebatte in der Auseinandersetzung mit
menschlicher Kommunikation zwischen struktureller Regelverfasstheit, Symbolwissen
und Kontextsensibilität. Armborst selbst befasst sich nur am Rande mit dem
Problem, muss dies auch nicht, insofern er einen Methodenmix vorstellt, der
eben nicht nur quantitativ ist, sondern (wie ja praktisch jede quantitative
Studie überhaupt) auch – natürlich oder notgedrungen – qualitatives, wenn nicht
gar intuitives Vorgehen beinhaltet.
So ist es eher tatsächlich die starke Fokussierung auf die Empirie,
die die Lesefreundlichkeit des Buches im Hauptteil bisweilen einschränkt.
Insbesondere die gedanklich spannende, gleichwohl komplexe Darstellung der
thematischen Relationen (berechnet aufgrund etwa von Textüberlappungen)
erscheint valide, aber (vor allem in Form der Tabelle 5) doch etwas zahlenspielerisch
oder der reinen Forschungsprotokollarik geschuldet, zumal sowohl die Anzahl der
untersuchten AQ-Texte generell (was sowohl legitim wie üblich ist) relativ
klein ist, als auch die ausgewiesenen Prozentzahlen (und die Unterschiede
zwischen ihnen) wenig aufschlussreich jenseits ihrer selbst sind. Zumal, wenn
den Daten letztlich ohnehin ein vor allem „exploratives Codieren“ (S. 63)
zugrunde liegt.
Darüber hinaus scheint gerade der Vorteil der Studie, seine
empirische und methodische Absicherung, die sie von vergleichbaren
Untersuchungen abhebt, gleichzeitig sein eminentester Nachteil zu sein – nicht
in den Ergebnissen per se, sondern eben in deren Präsentation. Armborst
begründet den Methodenmix aus Diskurs-, Frame- und Inhaltsanalyse überzeugend; dieser wird als solcher freilich hernach kaum
mehr deutlich. Auch das ist freilich nun kein unbekanntes Phänomen. Problematischer
hingegen erscheinen die komplexen Strukturhierarchien, in die der Verfasser AQs
Ideologie textbezogen aufschlüsselt, und denen einmal mehr kluge Ideen zugrunde
liegen. Eine solche ist der Rückgriff auf die Social-Movement-Analysen Snow,
Benfords [2] u.a. unter Verwendung des Framing-Konzepts. Die grundlegende Idee
dahinter: Soziale Bewegungen (als deren extremer Teil auch schließlich
terroristische Organisationen gedacht werden können) haben u.a. zur Gewinnung
und zum Erhalt von Sympathien und Unterstützungen bestimmte kommunikative
Framing-Aufgaben zu erfüllen, quasi die Propagierung von Sichtweisen und
Interpretationsmustern [3].
Armborst entwirft davon ausgehend eine Aufschlüsselung von
AQs Ideologie in vier Kategorien. Diese sind – in absteigender Ordnung –: frames, narratives, themes und issues. Die vier Frames umfassen dabei
„social-political diagnosis“, „goals“, „jihadi doctrines & strategies“,
„reference system“ und schlüsseln sich entsprechend weiter auf; der
diagnostische Frame etwa in die Narrative „apostasy and collaboration“, „global
conflict“, „secular governance“. Hierbei stellen sich allerdings Fragen und
Schwierigkeiten, die teilweise begrifflicher Natur sind.
So bezeichnet der Autor „frames“ als eine „analytical unit
in an act of communication“ (S. 59) bzw. „nothing other than deductive codes
and categories (albeit with a defined theoretical underpinning) identified in
qualitative content analysis“ (S. 61), konzipiert sie aber theoretisch selbst darüber
hinaus nicht weiter (zumindest nicht ausführlich), was nicht zuletzt aufgrund
der transdisziplinären Begriffsunschärfe heikel ist. Was genau ein „Frame“ also
gerade als Oberkategorie meint, bleibt unklar auch deshalb, weil man – im Sinne
von „Interpretationsmustern“ – oftmals bestimmte Themen (oder Genres) als gegeben
voraussetzt, die dann eben „geframed“ (bzw. mit dem Muster belegt oder in eben
jenes eingepasst) werden. Robert Entmanns Gliederung der Leistung oder Funktion
eines Frames (Diagnose, Prognose etc.) sind hier in einzelne Frames
aufgeschlüsselt – wobei Frames hier ebenso wie bisweilen die nachgeordneten
Kategorien Unterschiedliches zu bezeichnen scheinen: Während der diagnostische und
prognostische Frame Aussagen (oder Aussagesysteme) fasst, bezieht sich der
„reference frame“ auf als Ressource vorhandene Medieninhalte, die zur
propagandistischen Situationsbeschreibung und der Kritik am Gegner herangezogen
werden.
Ein andere diskussionswürdige Kategorie in Armborsts Systematik
ist die der „narrative“ – ein ebenfalls, wenn nicht noch schwammigerer
disziplin- und bedeutungsfeldübergreifender Terminus, der als solcher von
Armborst nicht nur nicht definiert wird, sondern so divergentes
Inhaltlich-Thematisches wie „secular governance“, „goals & objectives“ oder
„appeals & advices“ umfasst, darüber hinaus aber auch Modales wie „humor,
sarcasm & irony“.
Eine sich ergebene, generell spannende und drängende Frage,
die der Autor leider nicht aufgreift, ist die nach dem Verhältnis von Erzählungen
und Frames. Etwa dahingehend, ob Narrative nicht eine bestimmte Form von Frames
bzw. des (prozesshaften) Framings darstellen. Und nicht zuletzt lassen sich die
konkreten Einordnungen in die entworfenen Kategorien diskutieren. Wäre „grievance“
nicht statt als „theme“ in den drei „narratives“ des soziopolitischen
Diagnoserahmens schlüssiger und gewinnbringender als eigenständige „narrative“
angelegt?
Diese Punkte sind hier allerdings gar nicht so sehr gegen
Armbrosts Systematik und seine Arbeit selbst so kritisch gerichtet wie es den Anschein
haben mag. Denn die Terminologiefrage ist eine des Details, in erster Linie vor
allem Ergebnis der analytischen Operationalisierung sowie die Systematik und
Systematisierung – das glaubt man gerne – Folge der Voruntersuchung des
Materials. Und letztlich versteckt sich hinter jeder Kategorisierung und
Strukturierung ohnehin zumindest ein spezifisches Erkenntnisinteresse, wenn
nicht gar überhaupt eine diskursive „Weltordnung“ in besonderer Form, so dass
gerade bei derlei sowohl de- wie rekonstruierenden Analysen keine
Einwandsfreiheit zu haben ist.
Was sich in den Schwierigkeiten der Strukturierung,
Kategorisierung und Auswertung maßgeblich zeigt, ist eine grundlegende
Herausforderung, die Armborsts Arbeit umso wichtiger werden lässt: die
Komplexität, die Vielgestalt und Mehrdimensionalität von Ideologie in ihrer
Propagierung, denen die Wissenschaft allein schon in der systematischen
Beschreibung nur schwer – oder lediglich ausschnitthaft – Herr wird. Ebenso wie
ein terroristischer Akt Unterschiedliches „bedeuten“ kann, stellt sich die
Ideologie-Praxis und -Ordnung insbesondere von terroristischen Organisationen
und Gruppierungen ein Gewebe an divergenten Reflexionsebenen und Sprechakten
dar, die sich dynamisch aufeinander beziehen. Glaubens- und Handlungsdoktrinen
sind verwoben mit Verheißungen und strategischen Kalkülen, mit „Analysen“ von
realweltlichen Gegebenheiten (oder den Deutungsvorgaben des Feindes – s.u.),
der Werbung um Aufmerksamkeit und Unterstützung, der Anleitungen zur Tat oder
Diffamierung konkurrierender Denkweisen und ihrer Vertreter sowie, nicht
zuletzt, der narrativen Selbstpositionierungen im diskursiven Geflecht. Dies
alles gerichtet an (und optimiert hin auf) unterschiedlichste Publika.
Amborsts Untersuchung ist denn auch deshalb so wichtig, weil
sie in dieses Dickicht (wie auch immer) fundiert eine Schneise schlägt und eine
Fülle wichtiger Einblicke und Erkenntnisse liefert, die den Blick schärfen und
etwa konternarrative Maßnahmen sinnvoll(er) werden lassen können – dabei auch
mit populären allzu einfachen Deutungsmustern aufräumt.
So kann der Autor klar die Unterscheidung zwischen dem
„nahen“ und „fernen Feind“, den „Apostaten“-Regierungen des Nahen und Mittleren
Ostens und den USA herausarbeiten, der Denkart und religiösen Begründung hinter
dieser Trennung – sowie der Rationalität oder doch zumindest Eigenlogik, die
die simple Vorstellung von Fanatismus oder Missinterpretation und Instrumentalisierung
religiöser Gebote und Texte aufseiten der Extremisten konterkariert. Auch die Erkenntnis,
dass für AQ selbst militante strategisch und taktische Misserfolge (gemessen an
den „praktischen“, politischen Folgen) noch einen religiösen Eigenwert haben
(oder dahingehend stets als Erfolg verbucht, ausgegeben oder „geframed“ werden
können), ist ein eminenter Befund, zeigt dies nicht nur den Unterschied zu
anderen, weltlich gestimmteren Organisationen und Gruppen in der Geschichte des
Terrorismus, sondern es bringt zudem die spezifische Gefährlichkeit und –
zumindest potenzielle, weltanschauliche – Dauerhaftigkeit auf einen Punkt.
Eine weiter verblüffende Einsicht (jedenfalls für mich): Wie
sehr AQ und seine Vordenker und Richtungsgeber nicht bloß selbstfokussierte
Demagogen sind, sondern durchaus den „war of ideas“ mit (gegen-)propagandistischen
Maßnahmen vor allem der USA als solchen registrieren, thematisieren und dabei /
dafür durchaus Analysen und Empfehlungen etwa des Think Tanks RAND Corporation
selbst wieder rhetorisch-argumentativ aufgreifend in ihre Statements einbauen,
reflektieren und, etwa als Belege für dessen
Propaganda, gegen den Gegner richten.
In diesem Sinne bietet Andreas Armborst mit Jihadi Violence: A study of al-Qaeda’s media
keine in sich völlig geschlossene, dafür aber in mehrerer Hinsicht
empfehlenswerte und erkenntnisreiche Lektüre.
Bernd Zywietz
[1] vgl. Matthes, Jörg (2009): What's in a Frame? A Content Analysis of Media Framing Studies in the
World's Leading Communication Journals, 1990-2005. In: Journalism & Mass Communication Quarterly, 86. Jg., Nr. 2,
349-367, hier: 355 f. Direkt mit der rechtsradikalen und radikalislamistischen
Web-Videos befasst die 2013 erschienene Studie der BKA Forschungsstelle
Terrorismus und Extremismus von Diana Rieger, Lena Frischlich und Gary Bente: Propaganda
2.0 – Psychological Effects of Right-Wing and Islamic Extremist Internet Videos
(Download als PDF HIER).
[2] etwas: Snow, David A. et al. (1986): Frame Alignment Processes,
Micromobilization and Movement Participation. In: American Sociological
Review, 51. Jg., Nr. 4, S. 464-481.
[3] ein weiterer eminenter, einsichtsvoller Text, auf den
sich Armborst stützt, gar weiterentwickelt, ist in dem Kontext (auch als
Leseempfehlung unbedingt empfohlen): Wiktorowicz, Quintan (2004): Framing Jihad: Intramovement Framing
Contests and al-Qaeda’s Struggle for Sacred Authority. In: International Review of Social History, 49
Jg., Supplement S12, S. 159-177.