Ende 2012 wurde der
freischaffende Fotoreporter James W. Foley in Syrien verschleppt. Am 19. August
veröffentliche die „Terrormiliz“ Islamischer
Staat (IS), vormals ISIS, ein Video, das seine Enthauptung als Reaktion –
Drohung wie Vergeltung – auf die US-Luftangriffe im Irak zeigt. In
verschiedenen Medien, etwas auf Spiegel
Online, wurde zunächst von einer „behaupteten“ Hinrichtung gesprochen.
Tatsächlich sieht man, wie der schwarzgekleidete, vermummte Jihadist, der neben
dem knienden Gefangenen steht, das Messer ansetzt, zu schneiden beginnt –
woraufhin das Bild zum fürchterlichen Ergebnis wechselt: dem abgetrennte Kopf
auf dem Torso.
Es ist eine grausame
Aktion, zugleich eine deutliche und (betrachtet man das Video, das schnell
wieder von YouTube entfernt wurde) eine medial versiertes und schrecklich
effektives. Eines mit klarer Kontextualisierung, Botschaft und Adressierung. Zu Beginn des 4:40-Films wird in Arabisch und
Englisch auf schwarzem Grund eingeblendet:
“Obama authorizes military
operations against the Islamic State effectively placing America upon a
slippery slope towards a new war front against Muslims”
Daraufhin ist die
offizielle Ansprache (arabisch untertitelt) Barack Obamas zu sehen, in der er die
Autorisierung der Einsätze im Irak bekannt gibt (00:14 bis 01:40).
Bemerkenswert ist, dass die Verlautbarung des US-Präsidenten lange und
ungeschnitten präsentiert wird – seine Worte, so das Kalkül der Propagandisten,
sprechen für sich – keine Kommentierung, nur ein distanzierender Filter liegt
über den Aufnahmen aus dem Weißen Haus, horizontale Linien und gelegentliche
Videomaterialstörungen, ein „Rauschen“, das die Materialität der Bilder
kennzeichnet, es als Pressemeldung auch ästhetisch herausstellt.
Dies ist ein
interessanter Griff, weil auf der darstellungskonventionellen Höhe der Zeit –
derartige Markierungen von Aufnahmen als eben solche finden sich auch in
gängigen Spielfilmen. Mehr noch: mit
diesem Griff (und ohne eine Kommentierung etwa durch vermummte wütende
Terroristen) vertraut IS bzw. sein Medienarm al-Furqān Media, dessen Signet
zusammen mit der schwarzen IS-Flagge in der linken oberen Ecke des Bildes zu
sehen ist, ganz auf eine moderne
rezeptionsästhetisch geschulte Zuschauerschaft bzw. deren „Lesekompetenz“, auf das
Wissen von oder zumindest die Erfahrung mit verschiedenen Bildarten und
-materialitäten bzw. entsprechender imitativer Stilismen.
Dann ein Umschnitt auf
grau verwaschene Bilder, die aus einem Kampfflugzeug die Bombardierung von
Fahrzeugen bis hin zu einem weißen Lichtblitz zeigen, die „American Aggression against the Islamic State“ (so die Einblendung). Auch hier: US-Bildmaterial, das gegen
Amerika selbst gerichtet wird (schwarz wird die eigentliche
Publikationsquelleneinblendung abgedeckt).
Erst dann, nach einer
bedächtigen Abblende erscheint der Titel des Videos in stilvoller Schriftart:
„A MESSAGE TO AMERICA“, einzelne Buchstaben leuchten dezent auf. Auffallend
hier: die arabische Übersetzung ist nur klein und abgedunkelt unter diesem Zug
zu sehen. Eine Überblendung, und erst jetzt, zum Beginn der dritten Minute sind
wir bei dem mit weiten Hemd und Hose (in Guantanamo-Orange) im Wüstensand
knienden 40-jährigen Foley, dessen Hände offenbar auf dem Rücken
zusammengebunden sind. Dabei trägt Foley ein Ansteckmikrofon. Neben ihm ein bis
auf beige Halbstiefel und braunes Schulterhalfter schwarz gewandeter,
vermummter Mann, der Henker, in lockerer, fast überlässiger Pose. Beide schauen
sie in der Totalen direkt in die Kamera.
Foley wendet sich an
seine Freunde, die Familie und Geliebten. Seine Stimme ist fest, während er sie
dazu aufruft, sich gegen seine „real killers“
zu wenden: „die US-Regierung“. Eine transparente Texteinblendung identifiziert
ihn mit Namen, keine Verhöhnung, keine abwertende Titulierung. Das Profilfoto
eines US-Soldaten mit Sonnenbrille und Flecktarnjacke schiebt sich ins Bild
(abgelöst von einem weiteren), die Videobotschaft zeigt Foley und seinen
Bruder, der Mitglied der US-Air Force ist, in einem Split Screen (oder ist das Bild doch Foley selbst?). Wobei erst,
nachdem das Foto verschwunden ist, Foley den Luftwaffensoldaten anspricht: „Think about what you are doing“. Er
solle an die Leben denken, die er zerstöre, inklusive die seiner eigenen
Familie. „Think John.“ Und: „I
died that day, John, when your colleagues dropped that bomb […]”. Dabei wechselt elegant,
„unsichtbar“, die Perspektive mit einer sehr kurzen Überblendung - während des
Satzes – in eine andere Position, „springt“ heran, zeigt die beiden Männer von
rechts, wie sie nun nicht mehr uns direkt anschauen, sondern an uns vorbei –
zwei Kameras wurden für die Aufnahmen parallel verwendet.
Foley erklärt, er
würde gerne leben, seine Familie wiedersehen. „But that ship has sailed“.
Minute 3:22, dieselbe
Position ein kleine, kaum wahrnehmbarer Schnitt, kaschiert mit einer kurzen
Überblendung, ein fast unmerklicher Jump-Cut: Dieselbe Position, dieselbe
Perspektive, nur Foleys Kopfhaltung verändert sich leicht, zeigt an, dass
innerhalb der Einstellung Zeit vergangen ist. Wurde seine letzte Botschaft
gekürzt, hat er sich versprochen, sagte er etwas, das seinen Peinigern nicht
passte?
Dann eine schnelle
Schwarzauf- und abblende, wieder frontal aufgenommen: Foley, der zuvor zwar fast
zu lächeln schien (dabei aber nur Mund und Augen gegen die blendende Sonne verzog),
schaut angespannt, die Lippen fest aufeinandergepresst, sich wappnend gegen
das, was kommt. Derweil sein Henker, ein Messer in der einen Hand, die andere
auf der Schulter des Opfers, das Wort ergreift, mit brüchigem, aber guten,
britisch gefärbten Englisch spricht. „This
is James Wright Foley. A American citizen of your country“ (beim letzten
Satz deutet er mit dem Messer in die Kamera). Wechsel zurück zu Kamera 2;
Anklage gegen die direkt adressierte Regierung bzw. „your government“, Vorwürfe wegen der „air strikes“, die unter
Muslimen zu Opfern führten. Kein Aufstand werde mehr bekämpft, „wir sind eine
islamische Armee und ein Staat“, der von einer großen Zahl Muslime weltweit
akzeptiert werde. Dann wird Osama direkt angesprochen: Jede seiner Aggression
werde resultieren im „bloodshed of YOUR
people.“ (Wieder ein deutendes Richten zur Kamera hin).
4:20: Ein kurzer
Umschnitt, der Vermummte hinter Foley, tritt heran, legt die linke Hand an dessen
Kinn, hebt das Messer …
Wir sehen nicht viel
von dem Mordakt, dennoch zuviel – schließlich: den abgetrennten, blutigen Kopf
auf dem Rücken. Nach einer weiteren Auf- u. Abblende präsentiert der „Henker“
ein weiteres potenzielles Opfer, ebenfalls kurzgeschoren, ebenfalls in
orangefarbener Kluft. „Steven Joel Sotloff“ erklärt die Einblendung – der vermutlich
seit August 2013 vermisste TIME-Journalist. „The life of this American citizen, Obama,
depends on your next decision.”
Das Bild gefriert
kurz, “grisselt” kurz, schnurrt zu einem Lichtpunkt zusammen wie bei einem
alten Fernseher, wird “ausgeschaltet”. Hier, ganz zum Schluss, markiert IS die
eigenen Aufnahmen als eben solche – und stellt sie (bzw. sich) damit auf
dieselbe medial-kommunikative Stufe wie die Erklärung des US-Präsidenten zu
Beginn (bzw. mit diesem). IS behauptet Augenhöhe mit der US-Regierung.
Die detaillierte
Beschreibung des Videos, auch wenn sie ohne die Bilder und Töne selbst
auskommen will: Entwürdigt sie das Opfer, James W. Foley, nicht ein weiteres
Mal; verdoppelt sie nicht in gewisser Weise die terroristische Tat, in der
Tötung und deren schockierende, erpresserische Medialisierung bzw. mediale
Verbreitung zusammenfallen? Ja, vielleicht, und alle Reflexion, (Selbst-)Kritik
und Distanzierung helfen da kaum.
Die genaue
Betrachtung, gar Analyse aber ist relevant weil aufschlussreich, sei es, was
die Argumentationsstruktur anbelangt, die verbal- oder die
filmisch-rhetorischen Mittel. Nicht nur behauptend, sondern auch anschaulich, impliziert
selbstevident wird über das Material der Presseerklärung und des
Militäreinsatzes das jüngste US-Engagement im Irak als Aggression ausgewiesen,
das mit Foleys Tod beantwortet, gerächt und möglichst für die Zukunft
unterbunden werden soll.
Bemerkenswert, wie
dabei die Worte von Präsident Obama ganz für sich stehen gelassen wurden, die
die Flugangriffe als Schutzmaßnahme für US-Bürger und als humanitäre Operation
bezeichnen, ohne unmittelbar Relativierung und sonstige direkte Gegenrede
vonseiten der IS-Jihadisten. Auch ist die Adressierung sehr spezifisch – nicht
die USA insgesamt werden verurteilt, sondern die Regierung und speziell Obama
persönlich.
Was den großen Gestus
der Terroristen freilich untergräbt und das Enthauptungs- und Erpressungsvideo in
seinem archaischen moralisierenden Auge-um-Auge-Anspruch als schlichte,
unmenschliche und zugleich höchst profane Charade entlarvt, ist der Umstand,
dass IS zuvor von den USA für Foley mehrere Millionen Dollar als Lösegeldverlangt haben. (Die Frage, ob die USA darauf hätten eingehen sollen oder
nicht, stellt sich natürlich, kann hier aber nicht verfolgt werden.)
Beängstigend jedoch,
dass die „Medienprofis“ des IS offensichtlich genau kalkulierten, wieviel der
Grausamkeiten sie direkt abbilden (wollen/können) – und damit selbst
Bewusstsein dafür demonstrieren, was die Barbarei des Enthauptens anbelangt,
zumindest aus Sicht westlicher Augen und der Weltöffentlichkeit überhaupt.
Dieses (vielleicht zynische) Eingeständnis potenziert nicht nur die kaltblütige
Brutalität der Mordtat, sondern auch die kraftmeiernde Demonstration einer
(hier als quasi „notwendig“ und „geboten“ geframten) Konsequenz auf Seiten der
Täter als Verurteilende, Strafende (zu verstehen als Subkategorie jihadistischer
Streiter).
Perfide emotional ist
Foleys Ansprache an die Familie und seinen Bruder, die bei aller – ebenfalls
schauerlicher – Wohlgesetztheit der Worte, welche ihm auf perverse Weise eine
gewisse Würde belässt, gleichwohl nicht ihm direkt zuzuschreiben ist, sondern
als Vorformulierung oder aber Manipulation seiner Entführer und schließlich
Henker aufzufassen ist.
Von besonders Wirkung
ist die Rolle von Foleys Bruder als Soldat, denn die Wahl Foleys als Opfer bekommt
damit eine doppelte Bedeutung. Nicht nur allgemein und abstrakt wird er als
Büßender für die „Untaten“ seiner Landleute ausgewählt: Was in Spielfilmen oftmals
konstruiert wird, um Übertragenes konkret zu machen (etwa in Ken Loachs THE
WIND THAT SHAKES THE BARLEY, in dem die Spaltung der irischen
Befreiungsbewegung in den 1920ern ebenfalls an zwei Brüdern sinnbildlich und
emotional eingängig, fast gleichnishaft exemplifiziert wird), ist hier
„Wirklichkeit“: Foley stirbt für eine Bruder(mit)schuld, die besonders in jenen
Regionen, in denen Stammes- und Familienbande ein noch weitaus größere Rolle
spielen als es in Europa und Nordamerika gemeinhin heute der Fall ist, so
symbolträchtig und eingängig sein mag.
Eindringlich ist auch
die Wendung, dass die Bombardierung Foleys (bereits) beendet hat, sein
Todesurteil bedeutete. Das weist die Schuld nicht nur den USA für diese
Hinrichtung zu, sondern erklärt letzteres für eine nachgerade unabweisbare
Folge, entschuldigt seine Mörder, legitimiert sie gar und mehr noch: weißt sie
aus als Aktanten einer Art von göttlichem Schicksal. Dies ist insofern
interessant, als das religiöse Verweise und Anrufungen ansonsten dahingehend
fehlen – Foleys „Hinrichtung“ ist ganz und gar säkular zu verstehen (bzw.: verständlich).
Von besonderer, neuer
Qualität ist schließlich das Video selbst; man mag es kaum sagen, aber es ist
in höchstem Maße ästhetisch und hochwertig produziert, mit erkennbaren
Ambitionen und merklichem Aufwand dahingehend. Es ist kein herkömmliches
Statement, keine simple Dokumentation und Botschaft, wie man sie bislang
vornehmlich fand, mit einer einzigen statischen Aufnahme in einem Kellerloch,
vor dem die erbarmungswürdigen Opfer vor der Fahne der jeweiligen Gruppierung
kniet und seinem Ende entgegensieht. A MESSAGE TO AMERICA ist als eigener mehraktiger
Kurzfilm im aktuellen Stil von IS produziert; wie bei zeitgenössischen
populären Filmen und TV-Serie bekommen wir eine Vorsequenz (Obamas Ansprache u.
die Luftaufnahmen), ehe der Titel eingeblendet wird. Der Einsatz von zwei
Kameras und eines Ansteckmikrofons, das Foleys Stimme klar und deutlich
aufzeichnet, die Durchdramaturgisierung mit ihrem kombinatorischen abgestimmten
Einsatz unterschiedlichen filmischen Materials, die wohlgestalteten,
zurückgenommenen Inserts, die sorgfältigen Montage und Blenden, aber auch die
Bild- und Farbgestaltung – Foley in orangefarbener Kleidung vor gelben Dünen
und blauem Wüstenhimmel: Es ist diese Professionalität, gar Schönheit (eine,
die das Video in seinen einzelnen Elementen und deren Zusammenspiel in den
Bereich aktueller westlicher TV-Inhalte, deren stilistischer Vorgaben und
ansprechenden Designs rückt), die das Video jenseits seines schrecklichen
Inhalts so unerträglich und provozierend macht. Es ist ein Video, das formal-
und rezeptionsästhetisch anspricht, das zum einen sein avisiertes westliches
Publikum mit seinen Sehgewohnheiten und Erwartungen an Mediengestaltung auf der
Höhe der Zeit abholt wie – auf der anderen Seite, die der Täter – von einem hohen
Wissen und souveränen Handwerk nicht nur auf technischem Level zeugt. Der bis
noch vor kurzer Zeit beobachtbare bisweilen schwülstige Ornamentalik, das
selbstverliebte Spiel mit (Bewegt-)Bild und Toneffekten, Animationen und Grafiken,
etwas, dem man schnell klischeehaft etwas „Oriental(istisch)es“ zuschrieb – das
alles ist hier nicht zu finden. Auch das macht das Video derart unsäglich und
besorgniserregend.
Schließlich bedeutet
A MESSAGE TO AMERICA eine neuartige „Qualität“. Durchästhetisierte Filme und
grauenvolle Aufnahmen fand man aus den „PR“-Werkstätten des IS vor allem in
diesem Jahr bereits: abgeschlagene Köpfe auf einem Zaun in Rakka, der „Hauptstaat“
des nun ausgerufenen Kalifats, Massen- und Einzelexekutionen per Genickschuss,
ausgestellte Leichen, bei denen ebenfalls schon intern selbstzensiert wurde, insofern
man beispielsweise Teile des Körpers „blurrte“, um vermutlich etwa
Verstümmelungen im Genitalbereich zu kaschieren. Diese Videos waren allerdings
Dokumentationen von Kampfhandlungen, Säuberungsaktionen, Vergeltung und
Bestrafung. In dem High-Value- und Erfolgsfilm KLIRRENDE SCHWERTER Teil (oder
Version) 4 (SALIL AL-SAWARIM), der Mitte März veröffentlicht wurde, achten die
Jihadisten darauf, die von ihnen Getöteten per Inserts, in Wort, Bild oder
Schrift, u.a. qua „Foto-Beweise“, als legitime „Kriegsgegner“ bzw. „-verbrecher“
auszuweisen und die Gewalt gegen sie zu rechtfertigen, wenn nicht gar zu
rationalisieren. Als solche sind die Bluttaten denn auch keine Inszenierung
rein für die Kamera, wie es nun im Fall der Enthauptung Foleys der Fall ist.
Während die Tötung von aufgespürten oder abgefangenen feindlichen Milizionäre
und Kämpfern des irakischen Staates oft vor allem insofern, als Terror zu
werten ist, als IS aus einer Machtpositionen heraus handelt, ist nun A MESSAGE
TO AMERICA der Art nach als kommunikative Gewalt Terrorismus bzw. terroristisch
dem strategischen, historischen und kalkulatorischen Charakter nach. Es
widerspricht, bei aller Verteidigungsgeste nach außen (sprich: in Richtung USA)
ein Stückweit dem aktuellen Bestreben, IS das Image eines konsolidierenden
Staates (und damit als ordnend) zu verleihen. Foleys Enthauptung vor der Kamera
– und möglich ist, dass dereinst auch Material durch dunkle Kanäle des
Internets sickern wird, das die komplette, ungekürzte Tat zeigen – ist so
gesehen ein Rückfall in alte Zeiten, in jene des IS-Vorläufer-Gründervaters Abu
Musab az-Zarqawi, da 2004 vor laufender Kamera dem US-Amerikaner, ebenfalls
bereits in signalhafter orangefarbener Kluft, Nicholas Berg der Kopf abgetrennt
wurde.
Nur eben, dass heute,
zehn Jahre später, der Terrorismus medial in Sachen Gestaltungs- und Wirkungsbewusstsein
und -willen dramatisch weiterentwickelt ist.
Bernd
Zywietz