17.03.2015

Wiedergesehen: LAND OF PLENTY (2004) von Wim Wenders



Angst and Alienation in Amerika nach 9/11

Land of Plenty ist ein schnell entstandenes Zwischenprojekt des international renommierten deutschen Autorenfilmers Wim Wenders. Im Film kommt die junge Lana (Michelle Williams) nach Los Angeles, um in einer christlichen Armen­mis­sion zu arbeiten, und ver­sucht, Kontakt zu ihrem Onkel Paul (John Diehl) aufzuneh­men. Dessen Vietnamkriegs­trauma ist durch den 11. September wieder aufgebro­chen, und so verbringt er seine Zeit damit, überall Attentatspläne und Hinweise auf solche zu suchen (bzw. zu finden) und diese Indizien per Mikrofon und Kamera zu dokumen­tieren. Als Paul und Lana Zeuge werden, wie ein Pakistaner auf offener Straße erschos­sen wird, möchte Lana dessen Leiche heim zu seiner Familie in die kleine Wüstensied­lung Trona bringen – derweil sich Paul, der eine in­terne al-Qaida-Fehde und in Trona das Versteck der Verschwörer vermutet, seiner Bürger­pflicht als selbst ernann­ter Hei­mat­schützer im Alleingang nachgehen will. Doch vor Ort findet er lediglich eine bett­lä­ge­rige Frau, die ihn bittet, den Fernseher, auf dem George W. Bush eine Rede hält, um­zuschal­ten. Der tote Pakistaner erweist sich als Opfer einer sinnlosen Straßen­schieße­rei. Zuletzt öffnet sich Paul gegenüber seiner Nichte; gemeinsam reisen sie mit ihrem Van durch die USA, um den Ground Zero in New York zu besuchen.


Durchaus humorvoll, jedoch nicht herablassend wird in Land of Plenty mit Paul und seinem ständigen Wittern terroristischer Verschwörungen umgegangen, wobei die Figur sich als von der Welt Abgewendeter in ihrem Verschwörungswahn schützend vergraben hat und erst durch die lebensoffene Lana den Mut findet, sich seinen eigenen persönlichen Dämonen zu stellen. Zwischen dem Vietnamkrieg als einer anderen histo­ri­schen Trauma-Erinnerung und der alltäglichen Armut und Verrohung, die Lana idea­listisch zu bekämpfen sucht, ist die Furcht vor dem Terrorismus weniger konkrete Ge­fahr als ein (umgedeutetes) Symptom dafür, dass etwas mit der Nation USA nicht stimmt, einer Nation, die mit dem quasi mythischen Land of Plenty nur noch wenig ge­mein hat. Um dies nicht wahrhaben zu müssen und um seine persönliche Verlorenheit zu ertragen, braucht der Patriot Paul in seiner vigilantischen „Wache“ den äußeren Feind, den „9/11" und mehr noch der „Krieg gegen den Terror“ ihm so bereitwillig liefert. 

Am Ende des Films steht die Reise als heilender Aufbruch und Beginn der Ver­söh­nung der beiden Amerikas für Paul, während der der Fahrt­wind immer mehr das US-Sternenbanner an seinem Auto sinnbildlich zerfranst. Paul und Lana finden zusam­men, trotz oder gerade wegen der ebenso fast mythischen 9/11-Wunde; das kraterhafte Ground-Zero-Mahn­mal ist Endpunkt ihrer Reise, hier kommen das Land und die Nation zur Deckung. Die terroristische Gefahr, gegen die Paul zunächst noch antritt, wirkt frei­lich angesichts dieser Bedeutungsschwere und der monumenta­len Einmaligkeit dieser Wunde geradezu lächerlich und gegenstandslos. Einmal mehr wird der 11. September im US-amerikanischen „9/11“-Kino vom „Terrorismus“ (als solchen) und seiner Realität zweckdienlich, nämlich verarbeitend, entkoppelt, entpolitisiert, wenn auch für eine humanis­tisch-empathische Botschaft; Diagnose und Heilung.


Er würde Filme über Angst and Alienation in Amerika machen, beschied man Wenders, weshalb so der Arbeitstitel für Land of Plenty lautete. Bezeichnend ist das, vor allem für das Selbstreflexive, das dieser Film für Wenders’ Werk bedeutet. Allerhand bekanntes findet sich darin, wird bewusst zitiert, ist Abfall anderer Projekte. Die extreme Armut in Downtown L.A. lag Wenders seit The Million Dollar Hotelam Herzen (und vor besagtem Hotel tanzt Lana auf dem Dach), während er das Nest Trona für den Beitrag zu dem Kompilationsfilm Ten Minutes Older – The Trumpet (2002) entdeckte. Daneben ist Land of Plenty auch thematische Quintessenz: Das Teilnehmen an der Welt durch das distanzierte, gebrochene Beobachten, einmal mehr mit Überwachungsmitteln. Und erneut, wie die ferne Sicht vom Berliner Himmel aus oder der Sternwarte über L.A., verhüllt dieser Blick mehr als er entdeckt. Er sieht nichts, dieser Krieger auf Wacht. Eine selbstgewählte Blind- und Taubheit. Paul ist ebenso verloren wie Travis in Wenders Welterfolg Paris, Texas (1984), dessen Sohn ist hier eine Nichte, Lana, eine weltenbummelnde Alice oder Claire, eine Paige, eine Eloise, weniger ätherisch aber ebenso blass und dunkelhaarig und engelhaft, bloß das es niemand braucht, sie wachzurütteln.

Auch das zeichnet Land of Plenty aus. Mit den Mythen, den fixen Elementen des Wender’schen Kosmos wird etwas Neues neu erzählt. Ein Abgesang auf den American Dream, gedreht in 16 Tagen, mit digitaler Handkamera, ohne große Stars damals, aber mit großen Darstellern, Diehl und Williams. Ein wohltuendes Novum, und mit ihm scheint es, als haben Kameramann Franz Lustig und Ko-Autor Michael Meredith Wenders bei seinem politischstem geradlinigen Film Pathos und Ehrfrucht weitgehend ausgetrieben. So gehen die Figuren nicht länger in schönen Bildern verloren, sondern man bleibt ganz dicht dran, umtänzelt sie in ihrer schmutzige Echtheit. Weshalb mit Lana und Paul die Figuren so nahe kommen, so nahe gehen wie selten zuvor. Bei aller Liebe und Respekt fürs Personal, die Wenders seit jeher auszeichnet: hier lässt er gar über Paul lachen, freilich ohne ihn lächerlich zu machen. „Wenn ich paranoid wäre, würde ich das verdächtig finden“, sagt sich der Don Quichotte, als er in einem Fabrikhof ein zugehängtes Etwas entdeckt – um das „Mini-U-Boot“ dann doch noch schnell zu fotografieren. 

Land of Plenty ist Wenders bester Film dieser Jahre, der frühen des neuen Jahrtausends, und vielleicht der gelungenste überhaupt in dieser Zeit. Auch wenn der alte missionarische Wim nicht fehlen darf. Vietnam und Palästina müssen thematisch, wenn auch am Rande, mit rein, und zuletzt, wenn Paul und Lana zum ersten Mal richtig miteinander reden, geht es um den 11. September, über das, was dieser Tag (mit einem) gemacht, hinterlassen hat. Da kommt es doch wieder durch, das Handkehafte. Bedeutungsschwere Dialoge, kopfgeboren. Schließlich, nachdem Soldat und Missionarin durch Amerika gereist sind, das US-Fähnchen auf dem Autodach immer ausgefranster wird, stehen sie überm Ground Zero, dem geographischen Trauma. Blabla auch hier. Weil Wenders einmal mehr nicht den eigenen Bildern, dem Blick traut, auf Nummer Sicher geht. Als letztes muss eine Botschaft in den Himmel geschrieben werden (in der US-Version des Films). Aber vielleicht kann es gar nicht anders sein, vielleicht kommt man mit Wenders immer an den Punkt, wo alles Mitteilen hohl wird. Ein geringer Preis für diese Art Naivität, nicht die Unschuld eines Kindes, aber der klare Blick eines Jungen, Zynismus provozierend, denn nichts anderes wird gesagt, mitunter gar gezeigt, als dass unter all der Paranoia, der Armut, Angst und Alienation im Grunde alles schon da ist, was es braucht für die Hoffnung und damit es wieder, ein kleinwenig, gut wird. Nicht nur in Amerika. Ein schönes Gefühl, wenn man ihm eine Chance gibt.


zyw


Empfohlener Text zu diesem Film:

Däwes, Birgit (2009): Celluloid Recoveries: Cinematic Transformations of  ‚Ground Zero‘. In: Udo J. Hebel (Hg.): Transnational American Memories. Berlin: Walter de Gruyter, S. 285-309, hier: S. 299 ff.