ARD/ RBB/ Julia Terjung - Quelle: Spiegel-Online |
Moralische Zwickmühle des Terrorismus: Darf ich ein (vermeintlich) von Selbstmordattentätern gekapertes Passagierflugzeug abschießen - und damit den Tod der Geiseln an Bord in Kauf nehmen, gar bewusst herbeiführen?
Mitte der 2000er Jahre, angesichts der Anschläge des 11. September 2001 wurden Recht und Richtigkeit, Unzulässigkeit und Sich-Verbieten in Deutschland grundsätzlich wie konkret (was die Änderung des Luftsicherheitsgesetzes betraf) diskutiert. 2006 verwarf das Bundesverfassungsgericht die entsprechende neue Vorschrift (der Bund habe hier nicht die Gesetzgebungskompetenz), ohne allerdings prinzipiell dagegen zu sein:
"Der Grundrechtseingriff wiegt allerdings schwer, weil der Vollzug der Einsatzmaßnahme nach § 14 Abs. 3 LuftSiG mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Tod der Flugzeuginsassen führt. Doch sind es diese in der hier angenommenen Fallkonstellation selbst, die als Täter die Notwendigkeit des staatlichen Eingreifens herbeigeführt haben und dieses Eingreifen jederzeit dadurch wieder abwenden können, dass sie von der Verwirklichung ihres verbrecherischen Plans Abstand nehmen. Diejenigen, die das Luftfahrzeug in ihrer Gewalt haben, sind es, die maßgeblich den Geschehensablauf an Bord, aber auch am Boden bestimmen. Zu ihrer Tötung kann es nur kommen, wenn sicher erkennbar ist, dass sie das von ihnen beherrschte Luftfahrzeug zur Tötung von Menschen einsetzen werden, und wenn sie an diesem Vorhaben festhalten, obwohl ihnen die damit für sie selbst verbundene Lebensgefahr bewusst ist. Das mindert das Gewicht des gegen sie gerichteten Grundrechtseingriffs." (Abs. 150)
Und:
"Im Hinblick auf die außergewöhnliche Ausnahmesituation, von der § 14 Abs. 3 LuftSiG ausgeht, bleibt der Wesensgehalt des Grundrechts auf Leben im hier vorausgesetzten Fall durch den mit dieser Vorschrift verbundenen Grundrechtseingriff so lange unangetastet, wie gewichtige Schutzinteressen Dritter den Eingriff legitimieren und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist." (Abs. 154)
2013 entschied das Verfassungsgericht: Nur die Bundesregierung dürfe im Einzelfall einen solchen Abschuss beschließen (und nicht etwa nur der Verteidigungsminister), gleichwohl: "Die §§ 13 und 14 LuftSiG sind materiell verfassungsgemäß".
Was aber, wenn die Entscheidung in einem solchen Extrem- und Ausnahmefall nicht von den befugten und verantwortlichen Staatslenkern zu treffen ist - und entsprechend von einem Einzelnen wahlweise geschultert oder sich angeeignet wird?
Das moralische Dilemma eines solchen Gedankenspiels hat der Strafverteidiger und Schriftsteller Ferdinand von Schirach (Schuld) zum Theater(lehr)stück Terror geformt, eine fiktionale Gerichtsverhandlung nach einer solchen Entscheidung. Ein Kampfpilot hat eigenmächtig einen solchen präventiven Abschuss vorgenommen, der Flieger sollte in eine Fußballstadion gelenkt werden. Nun ist er angeklagt, und über das Urteil in der Fiktion kann und soll (gar: muss) das Publikum abstimmen. Wie sich die Zuschauerinnen und Zuschauer je entscheiden, dokumentiert der Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH im Internet (als Buch ist Terror als "ein Theaterstück und eine Rede" bei Piper 2015 erschienen). Bis heute haben 59,4 % der Besucher vor der Bühne auf Freispruch plädiert.
Terror gemahnt an ähnlich ethisch provokante Gedanken- und fiktionale Fallbeispiele, in denen Terrorismus eben nicht nur als besondere sicherheitspolitische oder ideologische, sondern vor allem auch als ethisch-moralische Herausforderung deutlich wird. Zu nennen ist das klassische "ticking time-bomb"-Szenario und die Frage, wie weit man beim Verhör mit einem gefangenen Terroristen gehen darf, um Menschenleben zu schützen. Bis hin zur Folter? Ein Film, den ich dahingehend HIER schon wie in meinem Buch behandelt habe, ist UNTHINKABLE, ein ähnlich gelagerter Fall die Entführung des jungen Jakob von Metzler und die Folterandrohung des Polizeipräsidenten Wolfgang Daschner gegen den (damals mutmaßlichen) Kidnapper samt anschließenden Prozess gegen den Beamten 2004.
Unter der Regie von Lars Kraume (Der Staat gegen Fritz Bauer) ist nun Terror als Fernsehfilm für das Erste (ARD) abgedreht worden. Burkhart Klaußner spielt den Richter, Florian David Fitz den angeklagten Piloten. Mit dabei auch Martina Gedeck und Lars Eidinger. Auch das Fernsehpublikum ist wie die Theaterbesucher gefordert: per Telefon und Soziale Medien wird abgestimmt. (Mehr dazu HIER.) Was ein interessantes Fernsehexperiment verspricht - eines freilich, das in Sachen Publikumseinbezug an ähnliche TV-Experimente im letzten Jahrhundert anschließt. Und eines, das in Zeiten von Facebook-Populismus und schein-enagiertem, wohlfeilem "Click-" und "Slacktivism" in Verbindung mit einem solchen Thema schon wieder ein mulmiges Gefühl erzeugen kann. Aber die Vorstellung, dass in absehbarer Zukunft per Hotline- und Twitter-Volksvotum über den Abschuss eines entführten Terroristen-Lufthansaflugs beschlossen wird, ist wohl allzu dystopisch.
Hoffentlich.