04.02.2010

DIE UNBEDINGTEN

Zeitlose Vergangenheit

Nicht direkt ein Film zum Thema Terrorismus, aber in diesem Kontext überaus spannend ist der mittellange Film DIE UNBEDINGTEN, der auf dem 31. Festival Max Ophüls Preis vorgestellt wurde.

In fünfzig Minuten erzählt Andreas Jaschkes Abschlussfilm der HFF mit einigem Ausstattungsaufwand die Geschichte zweier Burschenschaftler, im als Mitglieder des Geheimbundes „Die Unbedingten“ für ein nationaldeutsches Bewusstsein eintreten. Denn es ist das Jahr 1819, das Land zersplittert, die Napoleonischen Kriege vorbei und der Restauration entgegen weht das Lüftchen liberaler Bürgerfreiheit. Das mögen die diversen Obrigkeiten natürlich nicht, die um ihre Macht fürchten – weder in Jena, wo Jakob (Benjamin Kramme) und Karl (Christian Nähte) studieren und wegen ihrer Ansichten und deren Verbreitung Verfolgung fürchten müssen, noch im Großherzogtum Baden, wo in Mannheim der Erfolgsdichter August von Kotzebue gegen die Studenten und ihr Gedankengut polemisiert.



Während Karl darauf brennt, ein Exempel zu statuieren, hat Jakob andere Sorgen: Sein Vater, ein Brauereibesitzer, ist mit der mittellosen Braut seines Sohnes nicht einverstanden. Weil Freiheits- auch Gesellschaftskampf ist, schließt sich Jakob Karl an. Dem Kotzebue soll’s an den Kragen. Geheimpolizist Geyer (Oliver Broumis) kommt jedoch zu spät – die Burschen sind ausgeflogen. Unterwegs Richtung Mannheim kann sie Luise (Anne Karris), der der Anführer der „Unbedingten“ den Attentatsplan verraten hat (sie könne ja doch nichts mehr tun, so langsam oder aber große ist die Welt damals), mittels Post-, Pardon!, Thurn-und-Taxis-Kutsche noch einholen. Ihren Jakob verführt sie, schließt ihn ein und erklärt Karl, ihr Geliebter habe es sich anders überlegt. Also geht Karl allein los. Ihn in seinem Plan aufhalten schaffen die beiden schließlich doch nicht mehr. Geyer, der zur rechten Zeit am Ort ist, will dies wiederum nicht. Denn der Rest ist Geschichte: Am 23. März 1819 wird August von Kotzebue von dem Studenten Karl Ludwig Sand als „Verräter des Vaterlandes“ erstochen – mit ein Anlass für die Karlsbader Beschlüsse, mit denen Pressezensur und Verfolgung von nationalistischen „Demagogen“ im Deutschen Bund für viele Jahre die Freiheit unterdrücken.

Gedreht u.a. in Bamberg ist Jaschkes kleiner feiner Film bisweilen etwas vollgestopft mit Komparsen in zeitgenössischen Kostümen, die lesen, apfelkauen oder sonstwie den Historienfilm als solchen ausstellen. Aber das ist im Grunde nur Wuchern mit den reichen Pfründen, denn Jaschke „zaubert“ nicht nur Orte und Bauten des Vormärz‘ hervor, wie es für einen Abschlussfilm fast unerhört ist, sondern bietet ein starkes und spannendes Thema, das gelungen erzählt und besetzt, nicht nur etwas für den Geschichtsunterricht ist , sondern gerade heute aktuell ist – oder sein sollte.

Da ist die Figur des Emporkömmlings Geyer, der nach oben buckelt und nach unten tritt. Er ist ein Geheimpolizist, der nicht von höherem Stand ist und nur von Nutzen, solange es die Staatsgefahr von Seiten der Studenten gibt. Weil er das weiß, lässt er Karl gewähren; mit gezückter Pistole wartet er ab, bis die Bluttat vollbracht ist, um als Held nun den Mörder Kotzebues Dingfest zu machen. Geyer ist eine fiktive Figur. „Ihrer“ Grundidee ist aber hintersinnig – Jaschke erklärte, allzu offen sei damals tatsächlich die Absicht, Kotzebue zu ermorden, bekannt gewesen. Und mit einem Schritt ist man schon beim 11. September 2001, genauer: seinen Verschwörungstheorien. Dass die Geheimdienst bestens Bescheid gewusst hätten, dass man nur einen Grund gebraucht hätte… usw. Fast gleichnishaft wirkt der kauernde Geyer mit seinem Blick auf Täter und Opfer, die Personifizierung, zum einen, der Staatsmacht, die die Schufte wohlwissentlich gewähren lässt, um sich selbst provoziert zu geben, um Rechtfertigung zu erhalten, ob für weitreichende Maßnahmen, für Karlsbader Beschlüsse oder Invasion am Golf.



Zum anderen ist Geyer der kleine Handlanger, der nicht wertgeschätzt wird, und der Macht erhält, dessen Ego gestreichelt wird, der es ihnen allen zeigen kann: wenn er einmal versagt, nur zuschaut. Das ist Tragik und Groteske des Geheimdienstgewerbes schlechthin, dass jeder vereitelte Terroranschlag und jede erfolgreiche Spionageabwehr unsichtbar und ungeschätzt bleibt. Die Motiv der Verführbarseins, des einmal (Nicht-) Hinschauens, ist dieser Logik immer eingeschrieben und die Paranoia, die diese provoziert ist eine geschichtlich universelle.

Eine weitere, spannende Verknüpfung bietet DIE UNBEDINGTEN über sich selbst hinaus. Attentäter Karl Sand wird dargestellt von Christian Näthe, der in DER BAADER MEINHOF KOMPLEX mitspielte, gerade und vor allem in der Szene, über deren Güte sich, was den Film betrifft, auch die meisten Kritiker einig sind. Mit bleichem Gesicht und kleinen Augen, kräftig und verletzlich zugleich nimmt er an der Seite von Jan-Josef Liefers er an der Schah-Demonstration in West-Berlin teil, erlebt die Prügel des „Jubelperser“ mit und das brutale Vorgehen der Polizei, als diese die Studenten auseinandertreibt und verfolgt, zu Pferde, mit Wasserwerfen. 1967 ist das; am Ende ist Benno Ohnesorg tot, die Konfrontation mit dem Staat hat sich, nicht nur symbolisch, zugespitzt. Ein Momentum der Radikalisierung; die terroristische Bewegung 2. Juni wird sich nach dem Datum benennen, Bomben zünden, Peter Lorenz entführen, den Staat erpressen, Menschen töten.



Ob bewusst oder nicht: Die zeitliche Verbindung zwischen DIE UNBEDINGTE und der BAADER MEINHOF KOMPLEX durch Nähte, der hier wie da einen deutschen Studenten spielt, einer gegen die Obrigkeit, das ist ein spannender künstlerischer Kurzschluss der Geschichte, der, wie der Film DIE UNBEDINGTEN überhaupt etwas ins Gedächtnis ruft, was schnell vergessen wird, falls überhaupt erinnert: dass die Staaten, die durch Terroristen und Verschwörer heute herausgefordert werden, selbst oftmals erst durch verfolgte Konspiration, durch Blut und Gesinnung entstanden sind. Mann muss gedanklich nicht in die USA reisen, die als abtrünnige Rebellen gegen die Briten kämpften, nicht mal nach Algerien oder nach Israel. Des einen sein Freiheitskämpfer ist allein schon deswegen nicht des anderen Terroristen, weil der erfolgreiche Terrorist – zumindest aus demselben Blickwinkel – erst im Nachhinein zum künftigen Freiheitskämpfer wird. Oder (zumindest als solcher) vergessen wird. Wer war denn Karl Sand und Kotzebue, und waren die Studenten damals, als Burschenschaften nicht eher rechts, im Gegensatz zu den Linken, die gegen die Nazis waren; wie kommt’s das beide Opposition waren, sein konnten?

Das hat nichts mit fehlendem Geschichtswissen zu tun, sondern vielmehr mit den Volten der Geschichte selbst, die Dinge bisweilen umzudrehen und auf den Kopf zu stellen pflegt, ohne sich darum zu scheren, was wir im wahrsten Sinne daraus machen.

Vielleicht das eindringlichste Bild in DIE UNBEDINGTEN zeigt den Geheimbund beim Treffen. Des Nachts haben sich die eifrigen Studenten und in ihrer Anführer im heiligen Ernst versammelt; heimlich, vorsichtig müssen sie sein, es droht der Kerker und schreckt sie doch nicht, diese Umstürzler und Aufrührer, die auch bereit sind, den Dolch gegen Menschen zu richten, im flackernden Kerzenschein – vor einer schwarz-rot-goldene Fahne.

Die Website von DIE UNBEDINGTEN finden Sie HIER

Der Film wird am Mittwoch, 28.04.2010 um 23:40 Uhr im Bayerischen Rundfunk ausgestrahlt.


Bernd Zywietz