I.
Auf seiner Website präsentiert Peter Sandman (teils zusammen mit seiner Frau und Koautorin Jody Lanard), einer der Grandseigneurs der Risikokommunikation, neben Einführungstexten umfangreiche und erhellende Artikel und Beiträge zu diversen Themen – darunter auch die Bedrohung durch Terrorismus.
Sandman, der in den 1960ern in Priceton studierte, fand zu dem Thema Risikokommunikation wie das Thema Risikokommunikation selbst in die Welt: Über Umweltengagement und das Bewusstwerden von Technikgroßrisiken sowie durch die die öffentliche Wahrnehmung schärfende Ereignisse wie das Reaktorversagen auf Three Mile Island bei Harrisburg 1979, zu dem Sandman zusammen mit Mary Paden einen Artikel für die Columbia Journalism Review verfasste (auch dieser Artikel ist auf seiner Website abrufbar).
Sandman hat sich als Forscher, später als Berater in Kommissionen und für diverse Verwaltungen mit Industrie-Risiken wie auch mit Gesundheitsfragen beschäftigt wie die effektivste Kommunikation angesichts möglicher Epidemien. „Kommunikation“ heißt hierbei vor allem das Ansprechen und Informieren – und damit Lenken – von allgemeiner Öffentlichkeit und Stakeholdern:
„[…] figuring out how to alert people to serious risks; figuring out how to reassure people about not-so-serious risks; and assessing media coverage of both sorts of risks (and of controversies over which sort a particular risk actually was)“ (in: Muddling My Way into Risk Communication … and Beyond).
Während sich die allgemeine (versicherungstechnische) Formel für Risikoberechnung aus der Multiplikation von möglichem Schadensausmaß und Schadenseintrittswahrscheinlichkeit ergibt, hat Sandman hinsichtlich seiner Aufgabe eine eigene Formel gefunden: Risiko = Hazard + Outrage. Die Schwere von Risiken „berechnen“ sich damit in der Kommunikation aus der Gefährdung und der Aufregung über dieses Risiko (bzw. seine Akzeptanz).
Letztlich hebt Sandman damit nicht auf die reale Risikoberechnung ab, sondern auf die Wahrnehmung, wobei er an bekannte Befunde wie z.B. von Amos Tversky, Daniel Kahnemann und Paul Slovic anschließt, die aufzeigen, dass die technisch-statistische Risikobewertung für die individuelle psychologische weitgehend egal ist. Menschen schätzen Risiken u.a. danach ein, ob sie selbst diese kontrollieren können, wie neu diese Risiken sind und ob sie gerecht verteilt sind (d.h. ob der, der den Nutzen hat, auch im Ernstfall den Schaden trägt oder nicht).
Wie sich die Öffentlichkeit über ein Risiko erregt, sagt nichts über seine tatsächliche Schadenswahrscheinlichkeit aus. Daraus leitet Sandman vier Aufgabenfelder ab:
Ist die Gefährdung hoch und die Erregung (zu) gering, gilt es, Letztere zu steigern und die Menschen zu alarmieren („precaution advocacy“). Bei geringer Gefährdung und hoher Erregung ist es die Aufgabe des „outrage managements“, die Bevölkerung zur beruhigen.
Krisenkommunikation („crisis communication“) bei hoher Gefährdung (im Grunde auch: wenn der Schadensfall bereits eingetreten ist) und hohem Erregungsgrad soll Letztere dirigieren und den Menschen helfen, bestmöglich mit der Situation umzugehen.
Der glückliche Fall schließlich, wenn Erregung und Gefahr ausgewogen sind und ein richtiges Mittelmaß aufweisen, bezeichnet Sandman als „sweet spot“; ein Dialog mit interessierten Stakeholdern über die Gefahr ist zu halten und auf ihre Bedenken einzugehen.
II.
Terrorismus wie er nach dem 11. September 2001 nicht nur für Peter Sandman zum Thema wurde, betrachtet er als Fall der Krisenkommunikation: Die hohe Gefährdung und Aufregung liegt dabei nicht mal so sehr in der Befürchtung und Wahrscheinlichkeit eines neuen unmittelbaren Anschlags begründet (trotz der Möglichkeit von Nachahmungstaten), auch nicht in der Gefahr einer Apathie- oder Panikwelle (letzteres war auch angesichts der einstürzenden Twin Towers nicht zu beobachten), sondern vielmehr in der veränderten Wahrnehmung begründet. Es ist weder die Furcht, sondern eher Trauer (misery), die Sandman als zu managend begreift: Menschen möchten sich nicht – z.B. mit dem Flugzeug – weit von zu Hause entfernen weil sie Angst vor einer neuen Attacke haben, sondern weil sie in der Nähe ihrer Angehörigen und Freunde sein sollen, wenn wieder etwas geschieht; sie sorgen sich darum, ihren Kindern erneut schreckliche Geschehen erklären zu müssen oder Zeuge von Katastrophenbildern im Fernsehen zu werden.
Die Anschläge des 11. September weisen dabei eine besonders hohe „Outrage“-Wertigkeit auf: Sie waren katastrophal, d.h. hatten eine extrem hohe Anzahl von Opfern zur Folge; sie waren im höchsten Grade amoralisch und zuvor unbekannt bzw. unerwartet; sie erschienen unkontrollierbar, verstörend und verunsichernd und riefen ein Gefühl der Verwundbarkeit hervor.
Gegen eine psychische Taubheit empfiehlt Sandman verschiedene Strategien bzw. „richtige“ Gefühlsstimulationen, die letztlich auch die teils irrational anmutenden Reaktionen der Bush-Regierung erklären oder zumindest in einem anderen Licht erscheinen lassen.
Die Mobilisierung gegen einen Feind stimuliert Ärger; Liebe oder Patriotismus bietet etwas, um das es sich zu kümmern (oder auch: für das es sich zu kämpfen) lohnt. Einen Grund, an eine mögliche Verbesserung der Lage zu glauben, bedeutet Hoffnung. Schließlich gilt es, den Menschen etwas zu tun zu geben, die Möglichkeit zum Handeln – auch scheinbar sinnlose Schutzmaßnahmen sind dabei psychologisch wertvoll, wenn nicht gar praktisch vernünftiger, als sie auf den ersten Blick scheinen: Medizin oder Lebensmittelkonserven zu bunkern, wirkt vielleicht im Moment übertrieben und nutzlos, gibt aber das Gefühl, für sich und seine Familie zu sorgen und kann eine tatsächliche Massennachfrage im Notfall verhindern helfen.
Auch Furcht an sich begreift Sandman (in Fear of Fear: The Role of Fear in Prepardness … and Why It Terrifies Officials) nicht per se als schlecht, solange sie in einem vernünftigen, gar nützlichen Rahmen bleibt, d.h. Menschen sie ertragen. Dementsprechend gilt es auch hier, Angst eher in angemessenen Ärger umzuformen, Menschen etwas zu tun zu geben und damit die Furcht zu binden oder klare Führerschaft zu bieten – aber auch, als Führungsperson selbst Furcht öffentlich nicht zu überspielen. Nicht zuletzt, weil Menschen sich dann in ihrer Furcht alleingelassen fühlen.
Weshalb Furcht, ein evolutionsbiologisch nützlicher Mechanismus, so einen schlechten Ruf unter Offiziellen hat, begründet Sandman u.a. mit deren Glauben, dass Furcht zu Panik oder Apathie und zu ökonomischen Schäden führt sowie der verbreiteten Meinung, dass sie anfällig für Demagogie mache (was ein Grund mehr sei, sie aufzugreifen). Vorteile einer nützlichen Furcht sind jedoch u.a. eine höhere Aufmerksamkeit und Handlungsbereitschaft.
Sandman bietet diverse weitere Gedanken und Ideen mal mehr, mal weniger speziell zum Terrorismus-Risiko. Ein Konzept ist das der „Wippe“ („seesaw“) im Falle von Unentschiedenheit auf Seiten der Öffentlichkeit: Es steht metaphorisch für den Umstand, dass sich das unentschlossene Publikum bevorzugt auf die „Gegenseite“ der Argumentation konzentriert, so wenn es um die Schuldzuweisung oder das Kosten-Nutzen-Verhältnis von Risiken geht: Betont ein Politiker oder Unternehmer seine eigene Verantwortung, besinnt sich das Publikum auf ihn entlastende Faktoren – und umgekehrt. Werden die Chancen des Risikos herausgestellt, lenken die Adressaten ihren Blick auf das hohe potentielle Schadensausmaß – und vice versa. Entsprechend klug erscheint es also von US-Präsident Obama, für die „Geheimdienstpanne“ um Umar Farouk Abdulmutallab, der den Anschlag auf eine Passagiermaschine Richtung Detroit plante, die Verantwortung zu übernehmen: Die ambivalenten Landsleute werden eher bereit sein, ihm zu verzeihen.
III.
Sandmans lustvolle Texte sind nicht sprachlich einfach und klar gehalten, sondern praxisnah. Freilich bekommt man zwangsläufig – wie bei aller PR- und Kommunikationsratgeberei – ein leicht mulmiges Gefühl, da Begriffe wie „Propaganda“ und „Manipulation“ stets griffbereit liegen. Doch bei Sandman gibt es keine schlaue Führung, der mit der breiten dummen Masse geholfen wird, sondern Heuristiken, Verarbeitungs- und Bewertungsprozesse, die mal intuitiv klar erscheinen, mal nicht sofort eingängig sind, und die gerade auf offizieller Seite – die ihr „Publikum“ nicht versteht oder für dümmer hält, als es in und als Masse zumeist ist – zu berücksichtigen ist.
Sandmanns Erkenntnisse sind vielfach andockbar an Konzepte wie der Third-Person-Effekt, der beschreibt, dass Menschen die Wirkung von Massenmedien und ihrer Botschaften auf andere über- und auf sich selbst unterschätzen.
Ein anderer Ansatz ergänzt Sandman sehr gut, gerade wenn es um Terrorismus geht: die Terror Management Theory, wie sie Miller und Landau (2008) vorstellen. TMT erklärt – untermauert mit diversen empirischen Versuchen –, dass und wie einschneidende katastrophale Ereignisse wie der 11. September u.a. Stereotypisierung und Feindseligkeit gegen Fremde sowie gruppeninterne Solidarität und Patriotismus befördern: Das Selbstvertrauen (darauf kommt auch Sandman zu sprechen) wie die kulturelle Weltsicht werden erschüttert – zwei Schutzmechanismen gegen das Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit. Heroisierung und ein Verschanzen lässt sich so erklären wie auch Misstrauen gegen „Andere“, die – z.B. allein über ihre Herkunft bzw. Hautfarbe – quasi „nicht dazu gehören“, die Überlegenheit und (kulturelle) Sicherheit des eigenen Sozial-Egos herauszufordern scheinen.
Theoretisch wird so Sandmans Sorge um rassistische Hassverbrechen unterfüttert, wobei auch Sandman die Problematik darin sieht, eine gerechtfertigte Wut auf Terroristen und ihre radikalisierenden Ideologen zu befürworten, ohne jedoch Ressentiments gegen alle Vertreter derselben ethischen Gruppe zu schüren (wir reden hier stets vom Neuen (islamistischen) Terrorismus, den 9/11 zum aktuellen Paradigma gemacht hat).
Sandmans Tipps, z.B. Menschen etwas zu tun zu geben, um sie am Kampf gegen Terrorismus zumindest indirekt, als Schutz ihrer selbst, teilhaben zu lassen, erscheint auch in dieser Hinsicht sinnvoll. Denn, salopp gesagt: Wer wütend und verwirrt ist, sollte lieber zum Abdichten der Fenster aufgerufen werden (also: ein Handlungsangebot erhalten), als dass ihm in seiner Rastlosigkeit der Pakistaner von nebenan zum Opfer fällt.
Auch wenn Miller und Landau (2008) gute Gründe liefern, weshalb es schwierig sein dürfte: Ziel kann und sollte es sein, solche „Andere“ als Teil der eigenen attackierten Gruppe zu präsentieren. Eventuell ließe sich auch hier Sandmans „Seesaw“-Argumentationslogik anwenden. Dies natürlich nicht auf offizieller „heimischer“ Seiten: Nachgerade irrwitzig wäre es, würden Politiker allen Muslimen und Arabern im Land öffentlich Mitschuld für einen islamistisch begründeten Terroranschlag zu geben, in der Hoffnung, eine gegenteilige Wahrnehmung bei den ambivalenten Bürgern zu provozieren (derweil diejenigen, die ohnehin schon Ressentiments hegen, sich darin noch bestärkt und gegebenenfalls zum entsprechenden Gewalthandeln aufgerufen fühlen könnten).
Doch auf Seiten von Repräsentanten der „verdächtigen“ Gemeinden und Gemeinschaften wäre eine solche öffentliche Übernahme von Mitverantwortung, ob diese nun gegeben ist oder nicht, vielleicht taktisch klug: Aufgebrachte könnten beruhigt, Wankelmütige solidarisiert werden. Dies ist nur ein Gedanke. Aber ein solches Vorgehen (bzw. Kommunizieren) scheint sinnvoller als das Erfüllen der allenthalben geäußerten Forderung, man möge sich doch gefälligst vom Terrorismus „aus den eigenen Reihen“ distanzieren.
Peter Sandmans Texte bieten jedenfalls Stoff, der über die Grenzen der engeren Risikokommunikation hinaus wertvoll ist – oder aber zeigen, dass Risikokommunikation weiter reicht und mehr umfasst als man im ersten Moment denken mag.
Bernd Zywietz
Quellen:
Peter Sandmans Texte wie hier bespochen gibt es auf seiner Website: http://www.psandman.com
Zum Third-Person-Effekt u.a.:
Brosius, Hans-Bernd / Engel, Dirk (1997): „Die Medien beeinflussen die anderen, aber mich doch nicht“: Zu den Ursachen des Third-Person-Effekts. In: Publizistik, 42. Jahrgang, Nr. 3, S. 325-345.
Zur Terror Management Theory:
Miller, Claude H. / Landau, Mark J. (2008): Communication and the Causes and Costs of Terrorism. A Terror Management Theory Perspective. In: H. Dan O’Hair et. al. (Hg.): Terrorism. Communication and Rhetorical Perspectives. Cresskill, NJ: Hampton Press, S. 93 – 128.