"Sternbilder" - ZERO DARK THIRTY als Wahrheit und Fiktion
Wenn schon der Stern (Nr. 5 /
2013) mit einem nachtsichtgerätsleuchtgrünen Konterfei des ehemaligen
Al-Qaida-Anführers im Fadenkreuz titelt („Die
Jagd auf bin Laden. Film und Wirklichkeit: Wie die CIA den Terrorchef zur
Strecke brachte“) ist es natürlich endgültig an der Zeit, dass wir uns hier
auf Terrorismus & Film mit ZERO
DARK THIRTY (USA 2012, R: Kathryn Bigelow) befassen. Am 31. Januar kommt der
Film in die Kinos, nachdem er Mitte Dezember 2012 einen limitierten Start in
den USA hatte und dort für Debatten sorgte und zum Politikum wurde.
Seither hat der Film unter anderem einen Golden Globe gewonnen
(Hauptdarstellerin Jessica Chastain für ihre Darstellung der CIA-Agentin Maya),
sein Drehbuch (von Mark Boal) ist für den Award der Writers Guild of America (WGA)
nominiert und weitere fünfmal wurde der Film u.a. sowohl für eine
BAFTA-Auszeichnung wie für den „Oscar“ 2013 nominiert (bei letzterem für
Schnitt, Tonschnitt, Boals Skript, für die beste Hauptdarstellerin und als
bester Film).
ZERO DARK THIRY ist künstlerisch ein exzellenter Film, und auch
erzählerisch und „politisch“ wohl das Beste, das sich hinsichtlich des
brisanten Sujets verbunden mit der Herkunft des Films wohl denken lässt (oder
zumindest möglich war). Darüber hinaus aber ist er ein extrem spannendes
Phänomen über seinen bloßen Gegenstand hinaus, auch jenseits der Diskussionen
und Diskurse, die sich an ihm entzündeten und in die er eingesponnen ist. Es
ist faszinierend als ein Text, der weitere Texte hervorbringt, bedingt und
provoziert, die selbst wiederum eine analytischen Betrachtung wert sind. Texte
beispielsweise wie die Titelstory im Stern.
„‘Zero Dark Thirty’ – Wie es
wirklich war“ lautet die Überschrift der Titelstory im Hamburger Magazin auf
einem doppelseitig abgedruckten diffusen Still aus einem (wohl Handy-)Video,
das das Anwesen in Abbottabad in der fraglichen Nacht zeigt. Zu sehen sind laut
Bildlegende der „Feuerschein von Schüssen
und Explosionen, als Osama bin Ladens Haus in Pakistan am 2. Mai 2011 gestürmt
wurde“. Was jedoch gezeigt wird, sind wenig mehr als orangefarbene Flecken
rechts und schemenhafte Gebäude links, drum herum viel Schwarz.
Alles Mögliche könnte das sein oder zumindest: irgendwo, irgendwann. Ein Foto aus dem Irakkrieg, eine Feuer in einem Vorort von Neu Delhi… Das Faszinierende an dem Bild – sowohl in Bezug auf die Wirkung wie auf die Reflexion dieser Wirkung (oder zumindest Effektintention) – ist denn auch das suggestive Zusammenspiel von paratextueller Zuordnung und authentifizierender Minderwertigkeit der Darstellungsqualität. Sprich: das Bild muss echt sein, aus dem Moment heraus entstanden, ohne Profi-Equipment, denn sonst würde (oder: müsste) es doch den Regeln aktueller fotografischer Inszenierungskunst entsprechen. Mehr zeigen, besser zeigen. Was ja – man erinnere sich an die wohlkomponierten Aufnahmen der embedded journalists im Irak – mittlerweile schon vom Kriegsaufnahmen her zu erwarten sein kann. Dass ein Artikel, der beansprucht, wiederzugeben wie es „wirklich war“, mit einem derart beredten da nichtssagenden Bild beginnt, ist in mehrerer Hinsicht bemerkenswert. Zum einen stellt er dem Spielfilm mit seinen „schönen“, fiktionalen und kreierten (wenn auch nachgestellten, nachgebildeten) Bildern kontrastierend eine Aufnahme entgegen, die Echtheit als einen Realitätsbezug bezeugen oder zumindest signalisieren soll, dabei sich aber zwangsläufig auf eine Anti-Ästhetik verlegt und verlässt. Eine, die in ihrem Widerspruch gleichwohl auf Gestaltungsformen und Konventionen verlegt, die nicht minder als formal, kompositorisch und inszenatorisch aufzufassen sind.
Es ist eine Authentizitäts-, eine
Anti-Ästhethik-Ästhetik, derer sich mit ihrem Reglement der Stern wie viele andere Medien vor und
nach ihm verlegt und verlegen wird. Eine Ästhetik, die nicht nur in der Lücke
des Begriffs zwischen dem Bedeutungsbezug „Wahrnehmung“ (aisthesis) und
Kunstschönheit (als eine von vielen Eigenschaften eines Werkes) stößt, sondern
die nicht zuletzt von Fiktionen (Stichwort „Mockumentary“) für bestimmte
Wirkungs- und Aussagezwecke verwendet wird. Inwiefern dabei sich der Stern
tatsächlich gegen die (kunst-)schönen Bilder von ZERO DARK THIRTY mit seinem
Gehalt an sinnlicher Erkenntnis(fähigkeit) positionieren kann, ist ein anderes
Thema ...
Doppelseite im Stern, Nr. 5 / 2013 (Bildquelle lt. Angabe: Reuters) |
Alles Mögliche könnte das sein oder zumindest: irgendwo, irgendwann. Ein Foto aus dem Irakkrieg, eine Feuer in einem Vorort von Neu Delhi… Das Faszinierende an dem Bild – sowohl in Bezug auf die Wirkung wie auf die Reflexion dieser Wirkung (oder zumindest Effektintention) – ist denn auch das suggestive Zusammenspiel von paratextueller Zuordnung und authentifizierender Minderwertigkeit der Darstellungsqualität. Sprich: das Bild muss echt sein, aus dem Moment heraus entstanden, ohne Profi-Equipment, denn sonst würde (oder: müsste) es doch den Regeln aktueller fotografischer Inszenierungskunst entsprechen. Mehr zeigen, besser zeigen. Was ja – man erinnere sich an die wohlkomponierten Aufnahmen der embedded journalists im Irak – mittlerweile schon vom Kriegsaufnahmen her zu erwarten sein kann. Dass ein Artikel, der beansprucht, wiederzugeben wie es „wirklich war“, mit einem derart beredten da nichtssagenden Bild beginnt, ist in mehrerer Hinsicht bemerkenswert. Zum einen stellt er dem Spielfilm mit seinen „schönen“, fiktionalen und kreierten (wenn auch nachgestellten, nachgebildeten) Bildern kontrastierend eine Aufnahme entgegen, die Echtheit als einen Realitätsbezug bezeugen oder zumindest signalisieren soll, dabei sich aber zwangsläufig auf eine Anti-Ästhetik verlegt und verlässt. Eine, die in ihrem Widerspruch gleichwohl auf Gestaltungsformen und Konventionen verlegt, die nicht minder als formal, kompositorisch und inszenatorisch aufzufassen sind.
Szene aus ZERO DARK THIRTY |
Ein zweiter interessanter Punkt an dieses Bildeinsatzes im Stern geht zusammen mit dem der
folgenden Doppelseite und den übrigen Fotos, die freilich den Textinhalt von
Giuseppe Di Grazzia und Martin Knoppe (unter Recherchemithilfe von Anuschka
Tomat) widerspiegelt: Auf Seite 34 und 35 sehen wir das bekannte Foto von Pete
Souza, das Präsident Obama relativ klein und randständig im Raum voller
Geheimer und Militärs zeigen, wie sie den Einsatz auf – links außerhalb des Bildes –
Monitoren live verfolgen. Obama angespannt-konzentriert, in einfachem weißen
Hemd und sportlicher Jacke, die Ellenbogen auf den Knien. Weiter Rechts,
Außenministerin Hillary Clinton, die Hand – gebannt, erschrocken, betroffen –
vor dem Mund. Die Einsatzleiter, Befehlshaber und Planer schauen im Stern also nach Links aus dem Bild auf
die vorangehenden Seiten, von außen auf die Kommandoaktion im letzten Versteck
des „Terrorpaten“ – das Weiße Haus in Washington D.C. und Abbottabad nahe
Islamabad sind nur ein Umblättern entfernt. Wichtiger aber ist eine andere
Perspektivierung: die der Ensemble-Dramaturgie. In ZERO DARK THIRTY von Kathryn
Bigelow und Mark Boal finden wir eine definitive Hauptfigur, die CIA-Analystin
Maya (eben Jessica Chastain), auch wenn der filmische Fokus immer wieder auf
andere Figuren umschwenkt, sie in den Mittelpunkt stellt: Mayas folternden
Kollegen Dan (Jason Clarke), ihre Berufspartnerin Jessica (Jennifer Ehle) (das Nächste
in Sachen Freundin oder Freund, was der Film Maya gönnt), die in Afghanistan
ein bekanntes Ende findet (und der Tragödie über den Film ein – wenn auch
fiktionales – Gesicht verleiht). Oder schließlich das Navy-Seal-Team, die das
Anwesen stürmen und Osama bin Laden und seine Gefährten „ausschalten“. Der Film
schweift dahingehend ab, es bleibt aber klar, dass es – emotional und moralisch
–
stets Mayas Aufgabe und Kampf ist, die bzw. der hier angegangen und
geführt wird.
Die Geschichte, die der Stern
erzählt, ist hingegen von vornherein multiperspektivisch angelegt, springt, wie
ZERO DARK THIRTY, über die Jahre hinweg, dabei aber von Bin Laden zu Senator,
später Präsident, Obama, zu den Geheimdienstbeamten unter und nach Michael
Scheuers (darunter auch die – personen-, nicht land- oder konfliktorientierte –
„Targeterin“ „Jen“, die als Vorlage für die Figur Maya diente) bis hin zum
DEVGRU- oder „SEAL Team Six“-Elitesoldaten Bissonette, der als „Mark Bowen“
zusammen mit Kevin Maurer ein Buch über seine Karriere in der Eliteeinheit und
natürlich die zentrale Nacht vom 1. auf den 2. Mai 2011 schrieb [1].
Man hätte es sich auch andersherum vorstellen können: Dass der Film sich
stärker auf- oder verteilt, um eine Gesamtgeschichte mit mehreren
gleichberechtigten Protagonisten zu erzählen, so wie Stephen Gaghan in dem
großartigen SYRIANA (USA 2005) – ein Zugang, der sich tatsächlich quasi aufgedrängt
hätte für ZERO DARK THIRTY, der in puncto Tonalität und Moralität SYRIANA stark
ähnelt. Und dass der Stern-Artikel
sich eher auf eine Einzelperson oder -gruppe konzentriert, „emotional“
zentralisierter berichtet. Wie es freilich schon andere Stellen taten, und
immerhin gibt es in der Ausgabe des Sterns
noch ein flottes, von Christine Kruttschnitt verfasstes Porträt der tatsächlich
hinreißenden und hinreißend wandelbaren Jessica Chastain (hierzulande wohl zum
ersten Mal so richtig aufgefallen mit Terrence Malicks kontemplativen TREE OF
LIFE von 2011). So gesehen wird „Maya“ doch wieder, zumindest teilweise, ins
Zentrum gerückt.
Multiperspektive vs. Zentralcharakter, das ganze Große gegen das Einzeln-Detaillierte,
Weite vs. Tiefe – auch: die Struktur gegenüber dem Individuum, das Verstehen
gegen das Einfühlen, Geschichte gegen Psychologie… Es sind der Gegensatzpaare
viele, die sich hier herauspräparieren oder analogistisch anführen ließen. Und
so ganz unberechtigt sind sie schließlich nicht, auch wenn die Grenzen, je
näher man hineinzoomt, verwischen – schließlich gibt es zwischen Weiß und
Schwarz auch sehr viele Graustufen, wo also hört Schwarz auf und fängt Weiß an?
Und doch macht es Sinn, die Pole zu unterscheiden (bzw. als solche zu
kennzeichnen). Bei ZERO DARK THIRTY und dem Stern-Artikel
gibt es aber mehr als eine natürliche Grenze: Zum einen sind in einem Spielfilm
wie in Romanen, Theaterstücken, Gemälden etc. Figuren nie ausschließlich nur
als fiktionale Personen zu betrachten, weil, je nach Sichtweise (sprich: nach
Lesart – im Sinne von Interpretationsmodus – oder nach Individuum als Rezipient
samt Kapazität und Kompetenz etc.) davon abstrahiert wird. Figuren können auch
Symbole, Symptome, als künstlerische und erzählerisch-dramaturgische Artefakte
aufgefasst und analysiert oder zumindest als solche gedeutet werden [2]. Das
meint, dass Maya in ZERO DARK THIRTY als Hauptfigur an sich schon einen
gewissen Bedeutungs- und Sinngehalt mit sich führt, der über die reine
historische Figur dahinter oder den dramaturgischen und emotionalen „device“
hinausweist (dazu demnächst mehr). Ebenso, wie sich in einer scheinbar auf
Neutralität bedachten Mehr-Personen-Ansatz auch eine mögliche Weltsicht
niederschlägt. Jede Geschichte ist schließlich immer auch Geschichtsschreibung, und ob der Einzelne die
Geschichte beeinflusst oder die historischen Gegebenheiten ihren Einzelnen
hervorbringen ist weder (universell) entscheidbar, noch in letzter Konsequenz völlig
auseinanderzudifferenzieren (wobei auch hier es gleichwohl sinnvoll ist, die
Positionen zu unterscheiden). Gerade dieser letzte Punkt ist natürlich für die
Vorstellung, Konzeption und mentale Einhegung von Terrorismus und Terroristen
relevant: Sind Gewaltaktivisten Objekte oder Produkte, Täter oder Opfer? Absurd
ist die Frage in essenzieller, definitiv jedoch angebracht in pragmatischer
Hinsicht (die ja, was gerne vergessen wird, die dominante eines jeden ernst zu
nehmenden Konstruktivismus ist).
Entsprechend stellt sich sowohl zu ZERO DARK THIRTY wie zum Stern-Bericht die Frage: Was ist sein
Zweck, sein Überlebens- und Orientierungsmechanismus, der hinter ihm steht? Im
Zweifelsfall können wir natürlich auch von der Legitimität oder
Scheinlegitimität sprechen: Wie – amüsanterweise in derselben Ausgabe – der Stern-Bericht zu Rainer Brüderle bzw.
seine Enthüllung als fleischgewordener Altherrenwitz recht pünktlich mit seiner
bundesdeutschen Spitzenpositionierung zusammenfiel, ist zum deutschen Kinostart
von ZERO DARK THIRTY die „Background-Story“ zum Ende von Osama bin Laden Titelthema
geworden. Ohne Film hätte es die späte Geschichte freilich nicht gegeben. Das
ist nichts Neues – ein Blick ins SPIEGEL-Archiv (dankenswerterweise alles frei online
zugänglich heutzutage) demonstriert, dass nicht nur die Realität oder die
Berichterstattung darüber (im Sinne des Agenda-Settings), sondern auch die filmischen
Fiktionen, die selbst Ereignisse, Gegebenheiten, Themen aufgreifen, von den Medien
als solche behandelt und entsprechend selbst Event werden können – von Uli
Edels und Bernd Eichingers Stefan-Aust-Adaption DER BAADER MEINHOF KOMPLEX bis
hin zu William Friedkins Blockbuster THE EXORCIST, der 1974 den ernstenHorrorfilm gesellschaftlich mainstreamtauglich machte.
Auch, wenn der Begriff durch Sat1- oder ZDF-Zwei- und Dreiteiler
kontaminiert wurde: ZERO DARK THIRTY ist ein filmisches Event, vergleichbar
eines Jahrestages. Als Pro-Obama-Propaganda hat man ihn – meist heuchlerisch – gescholten,
weshalb der Film vom Start her verschoben und 2012 nur mit freilich
pressetauglichen Mini-Start ans Licht kam. Was gleichwohl nur belegt, dass sich
Events gegenseitig weniger aushebeln als, im Zweifelsfalls, gegenseitig
bestärken.
In diesem Zusammenhang ist schließlich an dem Stern-Text der generelle Bezug und Anspruch interessant: ZERO DARK
THIRTY – Wie es wirklich war. Das impliziert, dass etwas im Film oder aber der
Film in – zumindest – einigen Teilen, nicht „wirklich“ war, genauer: die
Wirklichkeit, die er uns (die wir an ihr ohnehin bestenfalls graduell
teilnehmen) vorgesetzt hat, nur bedingt zu trauen ist. Dass ist insofern
erstaunlich, als sich der Stern also
daran macht, einen fiktionalen Spielfilm hinsichtlich seines (vermeintlichen) Wahrheits-
oder zumindest So-ist-es-gewesen-Anspruchs zu widerlegen oder wenigstens in
seinem Eindruck beim Publikum zu korrigieren. Das wird im Hauptartikel getan,
in dem die Chronologie der Ereignisse rekapituliert wird, aber auch in einem
Seitenbeitrag, einem Interview zum Thema Folter (dazu kommen wir später bzw. gesondert).Offensichtlich
und nicht ganz zu unrecht wird demnach einem FIKTIONALEN, einem SPIELfilm
soviel historiografisches Gewicht zugeschrieben, dass man dessen Eindruck oder
Aussage quasi zurechtrücken sollte. Das mag nur ein publizistischer Winkelzug
sein, um mit seiner Story die PR rund um den Kinostart des Films auszunutzen.
In ihm drückt sich aber ein etabliertes, tradiertes Medienverständnis aus: Das
Kino ist für die Unterhaltung zuständig, das Erdachte, Erträumte, Versponnene,
Evasive und Eskapistische – wir, die journalistischen Printmedien, ob
Wochenblatt oder Tageszeitung, wir sind für die Wahr- und Wirklichkeit
zuständig. Allerdings: Kritiker in den USA beklagten an ZERO DARK THIRTY vorgeblichen
Geheimnisverrats, kennzeichneten wenn auch nur im politischen Schaukampf den
Film als brisanter, echter, entsprechend: verräterischer oder enthüllender als
er hätte sein dürfen. Und gemeint hier ist das Publikmachen von Informationen,
nicht die Gattungsgrenzverletzung.
ZERO DARK THIRTY rückt so in eine Linie mit Filmen wie Costa-Gavras
engagiertem ÉTAT DE SIÈGE (F/I/BRD 1972), der dokumentarisch, aber betont als
Spiel eine (und entlang einer) unbequeme(n) Wahrheit über den Tod des
„Entwicklungshelfers“ Mitrione (und) die Verstrickungen der USA in die
unmenschlichen Machenschaften lateinamerikanischer Staaten (hier: Uruguay) aufzudecken
und zu veranschaulichen suchte. Und hier wie da ist eine strickte
Unterscheidung unsinnig.
In der Frage der Folter, genauer: ob und inwieweit diese zum Aufspüren Osama
bin Ladens beitrug, wendet sich auf Seite 37 im genannten Stern der „Ex-FBI-Agent“ Ali Soufan gegen das Mittel des
„verschärften Verhörs“, aber auch gegen den Film.
Frage (von Giuseppe Di Grazia):
„Aber im Vorspann des Films (=
ZERO DARK THIRTY, B.Z.) heißt es, er
basiere auf ‚Erzählungen aus erster Hand und auf echten Ereignissen‘“.
Soufan:
„Ja, nun aber lese ich, dass die
Filmemacher sich gegen Kritik wehren mit dem Argument, das sei keine
Dokumentation. Die beiden hätten sich von Anfang an entscheiden müssen, was sie
machen wollen, eine Dokumentation oder einen Spielfilm. Es ist schwierig, beide
Genres in einem Film zu vermischen. Sie nun einen Spielfilm, der auf der
falschen Seite der Geschichte steht.“
Herr Soufan, wenn es denn sein echter Name ist, berührt hier nur
scheinbar einen wunden Punkt, denn natürlich ist diese strikte Dichotomie
Dokumentation ODER Spielfilm weder theoretisch, noch praktisch oder historisch
haltbar. Allein, weil nicht oder nur willkürlich zu definieren ist, wo welche
Unterscheidungskriterien anzusetzen hätten. Kann also beispielsweise eine
fiktionale Figur, in einen realen Fall hineingeschrieben, nicht als Agent oder
Verkörperung einer ansonsten abstrakten historischen Kraft betrachtet werden?
Müssen wir uns ansonsten nicht auf schiere positivistische Äußerlichkeiten beschränken
und damit eine eminente geschichts- und gesellschaftsrelevante Blindheit in
Kauf nehmen? Ganz davon abgesehen, dass wir auf diese Weise von der Seite der
Sinn-Auslese oder -Realisiation, des Rezipienten absehen…
Das Schöne an ZERO DARK THIRTY als Fallbeispiel ist aber, dass wir gar
nicht furchtbar theoretisch oder gar philosophisch werden brauchen, selbst wenn
es sich für die Schlussfolgerung letztendlich nicht vermeiden lässt. Erhellend
ist hier schon der Blick auf die Quellenlage, um eingefahrene kategoriale
Unterscheidungen aufzuknacken. Mark Boal, geboren 1973, war zunächst nicht
Drehbuchautor, sondern Journalist. Sein Playboy-Artikel „Death and Dishonor“
bildete die Grundlage für den Film IN THE VALLEY OF ELAH von Paul Haggis (USA
2007), eher er mit Kathryn Bigelow dank HURT LOCKER (USA 2008) mit dessen sechs
Oscars zu einem speziellen Dreamteam Hollywoods wurde. Der Film über das
Bombenräumen im Irak und den seelischen Folgen basierte auf der investigativen
Arbeit Boals, der – rückgreifend auf HURT-LOCKER-Kontakte – auch die Recherche
für das ZERO DARK THIRTY vorausging. Dabei ging es zunächst um eine Story, die
die Jagd auf Bin Laden thematisierte. Als der Al-Qaida-Chef Anfang 2011
tatsächlich in Pakistan eliminiert wurde, warfen Boal und Bigelow (die sich in
Sachen Skriptmitarbeit vornehm zurücknimmt), das Buch weg und begannen neu,
bauten aber natürlich auf den gewonnenen Insiderinformationen auf.
Boals Drehbuch, damit der Film ZERO DARK THIRTY, basiert also auf der
Arbeit eines Journalisten, auf öffentlichen oder geheimen Quellen, auf
persönlichen Gesprächen mit Angehörigen der Sicherheitsdienste und
Streitkräfte, auf Fleiß, Sachwissen und Kontakten. Nicht sonderlich anders sind
jene aus der Journalismusbranche stammende und auf deren Regeln verpflichtete
Autoren vorgegangen, die ansonsten die Realität um das Ende Bin Ladens „prägen“:
Peter L. Bergen mit seinem Buch „Die Jagd auf Osama Bin Laden – Eine
Enthüllungsgeschichte“ („Manhunt: The Ten-Year-Search for Bin Laden – From 9/11
to Abbottabad“, 2012) oder BLACK HAWK DOWN-Autor Mark Bowden („The Finish: The
Killing of Osama Bin Laden“, 2012). Und diese Autoren (zusammen mit Chuck
Pfarrer und „Mark Owen“) sind denn auch die ausgewiesenen Quellen des
Stern-Beitrags von di Grazia und Knobbe. Wobei noch „Gespräche mit ehemaligen Mitarbeitern der CIA und des amerikanischen
Militärs sowie mit Journalisten, dem Drehbuchautor Mark Boal und dem
FBI-Agenten Ali Soufan” als Quelle angegeben wurden (S. 45).
Auffällig ist entsprechend, dass hier nicht auf Soufans Status als
EHEMALIGER Bundespolizeibeamter hingewiesen wird, wie das noch direkt in dem
Interview mit ihm der Fall ist, auch, auch Boal als Drehbuchautor und nicht als
Journalist angeführt ist. Und generell kann man sagen, dass offensichtlich die
– sei es die ergänzende, untermauernde oder konterkarierende – Wahrheit über
ZERO DARK THIRTY sich auf praktisch dieselben Informationsquellen stützt wie
der Film selbst. Tatsächlich ist erstaunlich viel aus dem Artikel bereits aus
den publizierten Textquellen zu entnehmen, was der recherchierenden Anuschka
Tomat (als Quellen-Destillatorin) eine weit größere Rolle zuweist, als ihr
offiziell zugestanden wird. Insbesondere wenn es um den Bericht von Mark Bowden
geht, zeigt sich, dass auf Seite 42 in der Beschreibung seiner Ausrüstung, vom
HK416-Sturmgewehr über das Daniel-Winkler-Messer bis zur baseballgroßen Granate
und dem Vierer- (statt Zweier-) Okular des Nachtsichtgeräts, massiv aus Bowens
Buch abgeschrieben wurde. Frau Schavan, Herr zu Guttenberg und Co. hätten sich
das mal erlauben sollen…
Der Fall ZERO DARK THIRTY wirft denn auch die Frage auf: Worin
unterscheiden sich fiktionale, gleichwohl auf „realen Ereignissen“ basierende
Spielfilme von Reportagen und Dokumentationen sowohl im Print- wie im audiovisuellen
Format, wenn ihnen dieselbe Faktenquelle zugrunde liegt? Wobei noch ein zweiter
kritischer Punkt hinzukommt: Boal und Bowen, ebenso wie die Stern-Autoren oder alle anderen müssen
sich, wenn es um den Kommandoeinsatz in Abbottabad geht, maßgeblich auf Owen
alias Bissonette stützen. Dessen Angaben über die Geschehnisse vor Ort prägen
und bestimmen bis heute das Bild von den Geschehnissen vor Ort, einfach auch,
weil wir keine andere Quelle haben, auf die wir uns stützen könnten,
„Geheimdienstkontakte“ hin, „Vor-Ort“-Auskünfte her… Was also im letzten
Refugiums von „UBL“ passierte, wird – unabhängig von seiner paratextuellen
Markierung als Fiktion (Bigelow) oder investigativer Journalismus (Stern, Spiegel und Co.) – eine einzige
und dominierende Quelle haben, wie immer man diese in ihrer Verlässlichkeit und
kommunikativen Absicht bewertet. Owens Bericht wird damit immer unbedingter zur
Realität, weil er ohne Alternative unverzichtbar geworden ist. Eine
Bestätigungsspirale durch alle Medien hindurch ist die Folge. Welche Leistung
könnte hier ein betont „kontrafaktischer“ Spielfilm bieten, einer wie
Christopher Roths BAADER (D 2002) , der den RAF-Anführer am Ende nicht in
Frankfurt a. M. von der Polizei festnehmen ließ, sondern im finalen Shoot-Out
in Zeitlupe von deren Kugeln durchlöchern ließ wie weiland Bonny und Clyde.
Im nächsten Teil: Folterpropaganda und Geheimdienstverrat – Zur Kritik, Güte
und Wahrheit an und von ZERO DARK THIRTY
Bernd Zywietz
[1] Mark Owen (2012): No Easy Day: The Firsthand
Account of the Mission that Killed Osama bin Laden. Deutsch: Mission erfüllt. Navy
Seals im Einsatz – Wie wir Osama bin Laden aufspürten und zur Strecke brachten.
München: Heyne.
[2] Siehe dazu das ultimative Buch von Jens Eder (2008): Die Figur im Film. Grundlagen der
Figurenanalyse. Marburg: Schüren. (Erwähnt sei, dass sich das Gros der
Konzepte und Erkenntnisse dieses Buches problemlos auf andere
Kommunikat-Formen, ob künstlerisch oder informativ-medial, übertragen und
anwenden lässt.)