Mit der HBO-Serie The Newsroom bietet Aaron Sorkin (The West Wing, CHARLIE WILSON'S WAR) nicht nur packende, niveauvolle und zeitpolitisch-interessierte Serienfiktion der Extraklasse, sondern auch eine, die gerade angesichts der syrischen Giftgas-Krise unfreiwillig hochaktuell erscheint.
I. Idealistisches Quality-TV
Breaking Bad ist in den USA in die
letzte Halbrunde gestartet, die Terrorismus-Drama-Serie Homeland startet Ende September mit der dritten Staffel. Ein
weiterer Vertreter des US-amerikanischen „Quality TV“ läuft, nicht nur
hierzulande, etwas unter dem Radar: The
Newsroom. Seit 2011 für HBO produziert und in Deutschland auf Sky Atlantic
HD zu sehen, ist erdacht und geschrieben von Aaron Sorkin – einem der wohl
besten Drehbuchautoren, die (das ernsthaftere) Hollywood derzeit zu bieten hat.
Sorkin
verfasste u.a. die Skripte zu David Finchers THE SOCIAL NETWORK (2010) und
CHARLIE WILSON’S WAR (2007, R: Mike Nichols), arbeitete aber auch bereits fürs
Fernsehen, vor allem für die hochklassige Serie The West Wing (1999-2006), die hinter die Kulissen des Weißen Hauses
unter der Regentschaft des fiktiven US-Präsidenten „Jed“ Bartlet (gespielt von
Martin Sheen) schauen lässt.
Auch The Newsroom brilliert nicht nur durch
seine hochkarätigen Darstellern: Jeff Daniels als Anchorman Will McAvoy, Emily
Mortimer als Executive Producerin McKenzie McHale, Sam Waterston, bekannt aus Law & Order, als Nachrichtenchef des
Senders, SLUMDOG MILLIONAIRE-Dev Partel als Internetrechercheur u. Webbetreuer „Neal“
Sampat sowie in einzelnen Auftritten – ein besonderer Besetzungscoup – Jane Fonda
als sarkastische Senderbesitzerin. Es sind vor allem einmal mehr Sorkins komplexe
Stories, feinste Dialoge und die Detaileinblicke in die fachtechnisch realistische
Arbeit sowie Grundstimmung einer modernen Nachrichtenredaktion, hier die des
fiktiven Senders New Yorker Kabelsenders ACN Networks (Atlantic Cable News), die
The Newsroom zu einer intelligenten, komplexen
und mitreißenden TV-Serie auf höchstem Niveau machen.
Sorkin
selbst ist dafür bekannt, dass er, unterstützt durch ein Team von Rechercheuren,
sich tief in die jeweilige Berufs- und Themenwelten einarbeitet, um hernach die
Abläufe, Zuständigkeiten und Reglements, aber auch die praktischen Probleme, administrativen
Konflikte, taktischen Abwägungen und „politischen“ Querelen verständlich zu
machen, ohne sie zu simplifizieren. Pro Folge gibt es in The Newsroom (teilweise erstaunlich viele) parallele Handlungsfäden,
in denen von Fachtermini und ‑abkürzungen, aber auch von einer flinken, tagesaktuell
hochgebildeten, hochengagierten Journalisten-Mentalität geprägte Dialoge
bestimmend sind. Dialoge, die freilich so schnell und schlagfertig gewitzt
sind, dass sie der klassischen Screwball-Comedy Hollywoods in Nichts nachstehen,
diese gar noch in puncto Tempo, Bissigkeit und Anspielungsfreunde noch
übertreffen, was The Newsroom, schaut
man es sich im Original an, zur genüsslichen Herausforderung macht.
Es herrscht
in der ACN-Newsredaktion, aber auch zwischen den Figuren eine permanente
ironische, selbstreflexive Grundhaltung – Folge des fordernden Overachiever-
und Dauereinsatzlebens der professionals,
die stets Gefahr laufen, sich zwecks seelischer Selbsterhaltung in Zynismus zu flüchten.
Den Dauersarkasmus und die verbale wie geistige Cleverness könnte ermüden,
würde Sorkin sie nicht mit zweierlei kontrastieren:
Zum einen greift
er zu einem weiteren eminenten Element der Screwball-Comedy: das der romantischen
Verstrickung. In der ersten Staffel ist es das waidwunde Herz des Chefs
MacAvoy, der seiner neuen / alten EP nicht verzeihen will, dass sie ihn einst
für einen anderen verließ. Wobei der brummige Moderator sich ihr (und sich)
nicht eingestehen will, dass er immer noch viel für sie empfindet.
Dazu, und zentraler
ausgespielt, genießt die Serie das Umeinanderstreifen der Associate Producerin Maggie
(Alison Pil) und McKenzies Producer Jim Harper (John Gallagher, Jr.). Dass
beide für einander bestimmt sind, ist schnell und überdeutlich klar, aber weil
Maggie mit dem EP Don Keefer (Thomas Sadoski) liiert ist und sie und Jim, bei
aller professioneller Sprachgewalt in Gefühlsdingen, so schüchtern sind wie
Teenager in Herzschmerzfilmen, lässt Sorkin sie bis zum Ende der zweiten
Staffel (und darüber hinaus nicht) nicht zusammenkommen.
Die zweite
notwendige „Vermenschlichung“ im knallharten, dauer- und globalmedialen
Workplace-Setting der Serie ist noch typischer für Sorkin: Der (nicht
unnostalgische) Idealismus seiner Figuren, mithin der der Serie – und Sorkins
selbst. Dem bescheinigte Alex Pareene vom Internet-Magazin „Salon“, als „America’s
most prominent liberal screenwriter“ einen „increasingly unpleasant
superiority complex“ zu haben sowie unter Realitätsverlust zu leiden.
(Pareenes Kritik selbst führt eigentlich, wenn auch negativ gewendet, die
meisten Gründe an, weswegen man The
Newsroom sehen sollt – und die „Salon“-Page selbst entlarvt sich bzw. ihren
Inhalt dahingehend: Während Pareenes Kritik mit „Aaron Sorkin versus reality“
überschrieben ist, firmiert der Beitrags intern, qua Website-Pfad, unter: „http://www.salon.com/2012/07/19/aaron_sorkin_versus frivolity/“).
Für die
Vorbereitung haben Sorkin und sein Team echte TV-News-Redaktionen aller
politischen Richtungen besucht, mit Größen der Brache gesprochen, dabei stets dieselben
zwei Fragen gestellt: Wie sähe eine ideale Nachrichtensendung aus? Und was hält
uns davon ab, sie zu produzieren? The
Newsroom selbst beginnt mit einem ausgebrannten McAvoy (einem ehemaligen
Staatsanwalt), der sich in seiner Indifferenz als Anchorman prima eingerichtet
hat und bei einer Collegeveranstaltung zwischen phrasendreschenden Politikern
auf dem Podium sich Fragen der Studierenden stellen muss. Was Amerika zur
großartigsten Nation der Welt macht? möchte eine eifrige blonde Studentin
wissen. Der Medienmann flüchtet sich in unbestimmte Scherze, doch der Moderator
lässt nicht locker. Und so liefert McAvoy, und mit ihm Sorkin, eine beißende
wie verbitterte Tirade auf den aktuellen Zustand der USA, die nicht nur die Fragerin
fassungslos macht, sondern McAvoy an den Rand seines Karriereruins führt und
hernach als neugeborenen Idealisten mit einer engagierten, kritischen Sendung wiederauferstehen
lässt. Schon in dem Momenten macht die moralische Serie The Newsroom klar: Zynismus und Gleichgültigkeit sind nur die
andere Seite der Enttäuschung und Verzweiflung, mithin des Glaubens an das
Gute. Das mag banal erscheinen und naiv, andererseits tut ein bisschen leitbildhafte
Wunschphantasie gerade in den teilweise allzu bemüht schmuddeligen,
weltgemeinen Qualitätsserien, die aktuell so viele begeistern, schon wieder
gut, zumal Ambivalenz und Gebrochenheit (siehe das famose Breaking Bad mit seiner Hauptfigur) ja nur eine Form der Tiefe, Vielschichtigkeit und anspruchsvoller Figurenausgestaltung
ist.
Es ist eine
stückweit utopisches Fernsehen, das Sorkin in The Newsroom beschreibt, aber weil er dabei realistisch bleibt, es
auch mal scheitern lässt und mit allen Hemmnissen und Rückschlägen konfrontiert,
schaut man ihm gerne dabei zu. Zumal wenn Sorkin ausgiebig seinem Interesse an zeitgeschichtlichen
und politischen Themen frönt. Die Tea Party bekommt ihr Fett weg, die BP-Öl-Katastrophe
nach dem Hurricane Katharina aufgegriffen, der Krieg in Afghanistan. Jede Folge
der ersten Staffel verortet sich in der Wirklichkeit, indem – mit Datumseinblendung
– ein konkretes Nachrichten-Ereignis und der Umgang der ACN-Newsredaktion zum Redaktionsthema
wird, ob US-spezifisch oder von internationalen oder gar globaler Relevanz (wie
die Tötung Osama bin Ladens). Anderes wird eher in die fiktionale Welt von ACN Networks
ein- und umgearbeitet, etwa der News-International-Skandal 2011 um das Abhören
von Telefongesprächen durch Mitarbeiter von News
of the World. Mitunter wird The
Newsroom aber auch unfreiwillig aktuell und brisant, wie jetzt im Moment.
II. "Operation Genoa"
(Vorsicht, leichte Spoiler!)
Die zweite
Staffel ist im Juli in den USA gestartet, mit ihr hat sich das Erzählkonzept
leicht verändert – und ist, so muss man sagen, noch um einiges besser geworden.
Das mag daran liegen, dass The Newsroom
zwar ein Vorzeigeprojekt ist und solide lief, jedoch kein Quotenhit war, der durch
Mundpropaganda sonderlich hinzugewann (wie etwa dereinst The Sopranos). Auch Kritikerlob gab es in Amerika – wohl nicht
zuletzt aufgrund der politischen Tendenz der Serie bzw. der jeweiligen Reviewer
und ihrer Medien – nur bedingt. Es war also nicht sicher, dass es eine zweite „Season“
geben würde, und als diese grünes Licht bekam, dürfte sich Sorkin noch mal voll
ins Zeug gelegt haben. Um zu zeigen, was The
Newsroom kann, um das Projekt am Leben zu halten, oder weil er angesichts
der Absetzung nichts zu verlieren hat.
Die
Liebeleien sind in den Hintergrund getreten; auch das Tagesaktuelle hat
insofern an dramaturgischer Relevanz verloren, als nun ein großer,
staffelübergreifender Handlungsbogen das Erzählen inhaltlich und vom Aufbau
bestimmt. Bis zur aktuellen siebten Folge (von neun) gibt es eine Rückblendenstruktur:
die vom Sender beauftragte Juristin Halliday (Marcia Gay Harden) mit ihren Beratern befragt einzelne
Redaktionsmitglieder; aufgearbeitet wird das Fiasko um die „Operation Genoa“-Berichterstattung,
die den Sender oder zumindest seine News Division in eine tiefe Krise gestürzt.
Um was sich dabei handelte enthüllt die Serie nur Stück für Stück.
Sicher gibt
es auch in Staffel 2 noch einzelne oder sich durch einige Folgen ziehende
Storys (Jim als Begleiter der Mitt-Romney-Wahlkampagne; Neals und die
Occupy-Wall-Street-Bewegung), und noch immer macht es großes Vergnügen,
zuzusehen, wie aus einzelnen Ereignissen große (Nachrichten-)Weltgeschehen werden
(manchmal unter der Nase des News-Crew vorbei). Doch „Genoa“ schnürt die
Episoden zusammen, verleiht The Newsroom
ein weit größere dramatische Spannung, führt die Serie in Richtung Politthriller,
wenn auch mit etwas umgekehrten Vorzeichen – handelt es sich dabei doch
letztlich um einen extremen Skandal, der sich als veritable Ente entpuppt: Bei einer
amerikanischen Rettungsaktion 2009 von zwei US-Soldaten in Afghanistan, die von
den Taliban gefangen wurden und kurz davor standen, an al-Qaida verkauft zu
werden, soll angeblich Sarin-Gas eingesetzt worden sein. Ein Kriegsverbrechen sondergleichen,
mit weitreichenden innen- wie weltpolitischen Folgen (nicht zuletzt handelt es
sich um ein verbotenes chemisches Kampfmittel).
So schwerwiegend ist die Geschichte, dass elf Monate recherchiert wird und drei „Red Teams“ zur kritischen internen Redaktionsprüfung die Story auseinandernehmen, ehe man auf Sendung geht. Doch u.a. hat der neue, für Jim einspringende, überengagierte Producer, der den Fall aufgetan hat, die Videoaussage eines Generals a.D. manipuliert.
So schwerwiegend ist die Geschichte, dass elf Monate recherchiert wird und drei „Red Teams“ zur kritischen internen Redaktionsprüfung die Story auseinandernehmen, ehe man auf Sendung geht. Doch u.a. hat der neue, für Jim einspringende, überengagierte Producer, der den Fall aufgetan hat, die Videoaussage eines Generals a.D. manipuliert.
So findet
die Staffel in Folge 7, ausgestrahlt am 25. August, ihren Höhepunkt, wenn in
der Fiktion (rückblendend) die falschen Erkenntnisse zur „Operation Genoa“ präsentiert
werden und ACN der Scoop um die Ohren fliegt – just in dem Moment also, in dem außerhalb
des Fernseher die Giftgas-Angriffe des Assad-Regimes in Syrien publik geworden sind
und die USA sowie Großbritannien sich in Folge auf einen Militärschlag
vorbereiten.
Dass sich
innerhalb der fiktionalen Welt von The
Newsroom keine weltweiten Proteste und Aufstände in islamischen Regionen
aus der Enthüllungsstory ergeben, kaschiert Sorkin übrigens zwar geschickt,
aber nicht sonderlich überzeugend mit einem erneuten Rückgriff auch die
Wirklichkeit: Der Bericht fällt quasi mit der Aufregung um das obskure Schmäh-Video„The Innocence of Muslims“, dem Sturm auf das US-Konsulat im libyschen Bengasi
und dem Tod des Botschafters Stevens zusammen bzw. wird davon überdeckt.
In Sachen „Krieg
gegen den Terrorismus“ und Patriotismus gibt sich The Newsroom übrigens ausgewogen – die Figuren zeigen sich zwar
kritisch Themen wie den „Verhörmethoden“ gegenüber, positionieren sich als
Ensemble aber sowohl pro als auch contra hinsichtlich der Notwendigkeit von
Militäreinsätzen oder der Ehrwürdigkeit US-amerikanischer Soldaten. Ein ethisches
Thema übrigens, mit dem sich Sorkin als Autor von A FEW GOOD MEN / EINE FRAGE
DER EHRE (1992, Regie: Rob Reiner) mit Tom Cruise und Jack Nicholson schon
intensiv befasst hat.
Sorkin
konnte nun die Entwicklung im syrischen Bürgerkrieg und die daraus resultierende
internationale Krise nicht voraussehen. Dass er aber gerade „jetzt“ in seiner
Serie von dem Giftgaseinsatz durch ein US-Kommando
mit zivilen Toten (dieselben Symptome werden in der Serie wie in den Berichten
der Ärzte ohne Grenzen zu den Opfern in der syrischen Ghuta-Region beschrieben)
„erzählt“, dass sich dieser als falsch entpuppt und die idealistisch-aufklärerische
Nachrichten-Sendung News Night with Will
McAvoy desavouiert, das hat eine bei allem Zufall kritisch-mahnende Konnotation,
die Sorkin selbst vielleicht gerade etwas unheimlich sein dürfte.
Wem also The Newsroom zu idealistisch bzw.
lehrmeisterlich oder in Sachen Aktualität und (Schein-)Prophetismus nicht gefällt,
kann sie immer noch als journalismusgeschichtliche Reflexion im
Unterhaltungsformat genießen.
Bernd Zywietz