27.08.2013

THE NEWSROOM von Aaron Sorkin - bestes Fernsehen und unheimlich aktuell


Mit der HBO-Serie The Newsroom bietet Aaron Sorkin (The West Wing, CHARLIE WILSON'S WAR) nicht nur packende, niveauvolle und zeitpolitisch-interessierte Serienfiktion der Extraklasse, sondern auch eine, die gerade angesichts der syrischen Giftgas-Krise unfreiwillig hochaktuell erscheint.  


I. Idealistisches Quality-TV

Breaking Bad ist in den USA in die letzte Halbrunde gestartet, die Terrorismus-Drama-Serie Homeland startet Ende September mit der dritten Staffel. Ein weiterer Vertreter des US-amerikanischen „Quality TV“ läuft, nicht nur hierzulande, etwas unter dem Radar: The Newsroom. Seit 2011 für HBO produziert und in Deutschland auf Sky Atlantic HD zu sehen, ist erdacht und geschrieben von Aaron Sorkin – einem der wohl besten Drehbuchautoren, die (das ernsthaftere) Hollywood derzeit zu bieten hat.

Sorkin verfasste u.a. die Skripte zu David Finchers THE SOCIAL NETWORK (2010) und CHARLIE WILSON’S WAR (2007, R: Mike Nichols), arbeitete aber auch bereits fürs Fernsehen, vor allem für die hochklassige Serie The West Wing (1999-2006), die hinter die Kulissen des Weißen Hauses unter der Regentschaft des fiktiven US-Präsidenten „Jed“ Bartlet (gespielt von Martin Sheen) schauen lässt.

Auch The Newsroom brilliert nicht nur durch seine hochkarätigen Darstellern: Jeff Daniels als Anchorman Will McAvoy, Emily Mortimer als Executive Producerin McKenzie McHale, Sam Waterston, bekannt aus Law & Order, als Nachrichtenchef des Senders, SLUMDOG MILLIONAIRE-Dev Partel als Internetrechercheur u. Webbetreuer „Neal“ Sampat sowie in einzelnen Auftritten – ein besonderer Besetzungscoup – Jane Fonda als sarkastische Senderbesitzerin. Es sind vor allem einmal mehr Sorkins komplexe Stories, feinste Dialoge und die Detaileinblicke in die fachtechnisch realistische Arbeit sowie Grundstimmung einer modernen Nachrichtenredaktion, hier die des fiktiven Senders New Yorker Kabelsenders ACN Networks (Atlantic Cable News), die The Newsroom zu einer intelligenten, komplexen und mitreißenden TV-Serie auf höchstem Niveau machen.



Sorkin selbst ist dafür bekannt, dass er, unterstützt durch ein Team von Rechercheuren, sich tief in die jeweilige Berufs- und Themenwelten einarbeitet, um hernach die Abläufe, Zuständigkeiten und Reglements, aber auch die praktischen Probleme, administrativen Konflikte, taktischen Abwägungen und „politischen“ Querelen verständlich zu machen, ohne sie zu simplifizieren. Pro Folge gibt es in The Newsroom (teilweise erstaunlich viele) parallele Handlungsfäden, in denen von Fachtermini und ‑abkürzungen, aber auch von einer flinken, tagesaktuell hochgebildeten, hochengagierten Journalisten-Mentalität geprägte Dialoge bestimmend sind. Dialoge, die freilich so schnell und schlagfertig gewitzt sind, dass sie der klassischen Screwball-Comedy Hollywoods in Nichts nachstehen, diese gar noch in puncto Tempo, Bissigkeit und Anspielungsfreunde noch übertreffen, was The Newsroom, schaut man es sich im Original an, zur genüsslichen Herausforderung macht. 

Es herrscht in der ACN-Newsredaktion, aber auch zwischen den Figuren eine permanente ironische, selbstreflexive Grundhaltung – Folge des fordernden Overachiever- und Dauereinsatzlebens der professionals, die stets Gefahr laufen, sich zwecks seelischer Selbsterhaltung in Zynismus zu flüchten. Den Dauersarkasmus und die verbale wie geistige Cleverness könnte ermüden, würde Sorkin sie nicht mit zweierlei kontrastieren:

Zum einen greift er zu einem weiteren eminenten Element der Screwball-Comedy: das der romantischen Verstrickung. In der ersten Staffel ist es das waidwunde Herz des Chefs MacAvoy, der seiner neuen / alten EP nicht verzeihen will, dass sie ihn einst für einen anderen verließ. Wobei der brummige Moderator sich ihr (und sich) nicht eingestehen will, dass er immer noch viel für sie empfindet.

Dazu, und zentraler ausgespielt, genießt die Serie das Umeinanderstreifen der Associate Producerin Maggie (Alison Pil) und McKenzies Producer Jim Harper (John Gallagher, Jr.). Dass beide für einander bestimmt sind, ist schnell und überdeutlich klar, aber weil Maggie mit dem EP Don Keefer (Thomas Sadoski) liiert ist und sie und Jim, bei aller professioneller Sprachgewalt in Gefühlsdingen, so schüchtern sind wie Teenager in Herzschmerzfilmen, lässt Sorkin sie bis zum Ende der zweiten Staffel (und darüber hinaus nicht) nicht zusammenkommen.

Die zweite notwendige „Vermenschlichung“ im knallharten, dauer- und globalmedialen Workplace-Setting der Serie ist noch typischer für Sorkin: Der (nicht unnostalgische) Idealismus seiner Figuren, mithin der der Serie – und Sorkins selbst. Dem bescheinigte Alex Pareene vom Internet-Magazin „Salon“, als „America’s most prominent liberal screenwriter“ einen „increasingly unpleasant superiority complex“ zu haben sowie unter Realitätsverlust zu leiden. (Pareenes Kritik selbst führt eigentlich, wenn auch negativ gewendet, die meisten Gründe an, weswegen man The Newsroom sehen sollt – und die „Salon“-Page selbst entlarvt sich bzw. ihren Inhalt dahingehend: Während Pareenes Kritik mit „Aaron Sorkin versus reality“ überschrieben ist, firmiert der Beitrags intern, qua Website-Pfad, unter: „http://www.salon.com/2012/07/19/aaron_sorkin_versus frivolity/“).

Für die Vorbereitung haben Sorkin und sein Team echte TV-News-Redaktionen aller politischen Richtungen besucht, mit Größen der Brache gesprochen, dabei stets dieselben zwei Fragen gestellt: Wie sähe eine ideale Nachrichtensendung aus? Und was hält uns davon ab, sie zu produzieren? The Newsroom selbst beginnt mit einem ausgebrannten McAvoy (einem ehemaligen Staatsanwalt), der sich in seiner Indifferenz als Anchorman prima eingerichtet hat und bei einer Collegeveranstaltung zwischen phrasendreschenden Politikern auf dem Podium sich Fragen der Studierenden stellen muss. Was Amerika zur großartigsten Nation der Welt macht? möchte eine eifrige blonde Studentin wissen. Der Medienmann flüchtet sich in unbestimmte Scherze, doch der Moderator lässt nicht locker. Und so liefert McAvoy, und mit ihm Sorkin, eine beißende wie verbitterte Tirade auf den aktuellen Zustand der USA, die nicht nur die Fragerin fassungslos macht, sondern McAvoy an den Rand seines Karriereruins führt und hernach als neugeborenen Idealisten mit einer engagierten, kritischen Sendung wiederauferstehen lässt. Schon in dem Momenten macht die moralische Serie The Newsroom klar: Zynismus und Gleichgültigkeit sind nur die andere Seite der Enttäuschung und Verzweiflung, mithin des Glaubens an das Gute. Das mag banal erscheinen und naiv, andererseits tut ein bisschen leitbildhafte Wunschphantasie gerade in den teilweise allzu bemüht schmuddeligen, weltgemeinen Qualitätsserien, die aktuell so viele begeistern, schon wieder gut, zumal Ambivalenz und Gebrochenheit (siehe das famose Breaking Bad mit seiner Hauptfigur) ja nur eine Form der Tiefe, Vielschichtigkeit und anspruchsvoller Figurenausgestaltung ist.   

Es ist eine stückweit utopisches Fernsehen, das Sorkin in The Newsroom beschreibt, aber weil er dabei realistisch bleibt, es auch mal scheitern lässt und mit allen Hemmnissen und Rückschlägen konfrontiert, schaut man ihm gerne dabei zu. Zumal wenn Sorkin ausgiebig seinem Interesse an zeitgeschichtlichen und politischen Themen frönt. Die Tea Party bekommt ihr Fett weg, die BP-Öl-Katastrophe nach dem Hurricane Katharina aufgegriffen, der Krieg in Afghanistan. Jede Folge der ersten Staffel verortet sich in der Wirklichkeit, indem – mit Datumseinblendung – ein konkretes Nachrichten-Ereignis und der Umgang der ACN-Newsredaktion zum Redaktionsthema wird, ob US-spezifisch oder von internationalen oder gar globaler Relevanz (wie die Tötung Osama bin Ladens). Anderes wird eher in die fiktionale Welt von ACN Networks ein- und umgearbeitet, etwa der News-International-Skandal 2011 um das Abhören von Telefongesprächen durch Mitarbeiter von News of the World. Mitunter wird The Newsroom aber auch unfreiwillig aktuell und brisant, wie jetzt im Moment.




II. "Operation Genoa"
(Vorsicht, leichte Spoiler!)

Die zweite Staffel ist im Juli in den USA gestartet, mit ihr hat sich das Erzählkonzept leicht verändert – und ist, so muss man sagen, noch um einiges besser geworden. Das mag daran liegen, dass The Newsroom zwar ein Vorzeigeprojekt ist und solide lief, jedoch kein Quotenhit war, der durch Mundpropaganda sonderlich hinzugewann (wie etwa dereinst The Sopranos). Auch Kritikerlob gab es in Amerika – wohl nicht zuletzt aufgrund der politischen Tendenz der Serie bzw. der jeweiligen Reviewer und ihrer Medien – nur bedingt. Es war also nicht sicher, dass es eine zweite „Season“ geben würde, und als diese grünes Licht bekam, dürfte sich Sorkin noch mal voll ins Zeug gelegt haben. Um zu zeigen, was The Newsroom kann, um das Projekt am Leben zu halten, oder weil er angesichts der Absetzung nichts zu verlieren hat.

Die Liebeleien sind in den Hintergrund getreten; auch das Tagesaktuelle hat insofern an dramaturgischer Relevanz verloren, als nun ein großer, staffelübergreifender Handlungsbogen das Erzählen inhaltlich und vom Aufbau bestimmt. Bis zur aktuellen siebten Folge (von neun) gibt es eine Rückblendenstruktur: die vom Sender beauftragte Juristin Halliday (Marcia Gay Harden) mit ihren Beratern befragt einzelne Redaktionsmitglieder; aufgearbeitet wird das Fiasko um die „Operation Genoa“-Berichterstattung, die den Sender oder zumindest seine News Division in eine tiefe Krise gestürzt. Um was sich dabei handelte enthüllt die Serie nur Stück für Stück.

Sicher gibt es auch in Staffel 2 noch einzelne oder sich durch einige Folgen ziehende Storys (Jim als Begleiter der Mitt-Romney-Wahlkampagne; Neals und die Occupy-Wall-Street-Bewegung), und noch immer macht es großes Vergnügen, zuzusehen, wie aus einzelnen Ereignissen große (Nachrichten-)Weltgeschehen werden (manchmal unter der Nase des News-Crew vorbei). Doch „Genoa“ schnürt die Episoden zusammen, verleiht The Newsroom ein weit größere dramatische Spannung, führt die Serie in Richtung Politthriller, wenn auch mit etwas umgekehrten Vorzeichen – handelt es sich dabei doch letztlich um einen extremen Skandal, der sich als veritable Ente entpuppt: Bei einer amerikanischen Rettungsaktion 2009 von zwei US-Soldaten in Afghanistan, die von den Taliban gefangen wurden und kurz davor standen, an al-Qaida verkauft zu werden, soll angeblich Sarin-Gas eingesetzt worden sein. Ein Kriegsverbrechen sondergleichen, mit weitreichenden innen- wie weltpolitischen Folgen (nicht zuletzt handelt es sich um ein verbotenes chemisches Kampfmittel).

So schwerwiegend ist die Geschichte, dass elf Monate recherchiert wird und drei „Red Teams“ zur kritischen internen Redaktionsprüfung die Story auseinandernehmen, ehe man auf Sendung geht. Doch u.a. hat der neue, für Jim einspringende, überengagierte Producer, der den Fall aufgetan hat, die Videoaussage eines Generals a.D. manipuliert.

So findet die Staffel in Folge 7, ausgestrahlt am 25. August, ihren Höhepunkt, wenn in der Fiktion (rückblendend) die falschen Erkenntnisse zur „Operation Genoa“ präsentiert werden und ACN der Scoop um die Ohren fliegt – just in dem Moment also, in dem außerhalb des Fernseher die Giftgas-Angriffe des Assad-Regimes in Syrien publik geworden sind und die USA sowie Großbritannien sich in Folge auf einen Militärschlag vorbereiten.

Dass sich innerhalb der fiktionalen Welt von The Newsroom keine weltweiten Proteste und Aufstände in islamischen Regionen aus der Enthüllungsstory ergeben, kaschiert Sorkin übrigens zwar geschickt, aber nicht sonderlich überzeugend mit einem erneuten Rückgriff auch die Wirklichkeit: Der Bericht fällt quasi mit der Aufregung um das obskure Schmäh-Video„The Innocence of Muslims“, dem Sturm auf das US-Konsulat im libyschen Bengasi und dem Tod des Botschafters Stevens zusammen bzw. wird davon überdeckt.

In Sachen „Krieg gegen den Terrorismus“ und Patriotismus gibt sich The Newsroom übrigens ausgewogen – die Figuren zeigen sich zwar kritisch Themen wie den „Verhörmethoden“ gegenüber, positionieren sich als Ensemble aber sowohl pro als auch contra hinsichtlich der Notwendigkeit von Militäreinsätzen oder der Ehrwürdigkeit US-amerikanischer Soldaten. Ein ethisches Thema übrigens, mit dem sich Sorkin als Autor von A FEW GOOD MEN / EINE FRAGE DER EHRE (1992, Regie: Rob Reiner) mit Tom Cruise und Jack Nicholson schon intensiv befasst hat.

Sorkin konnte nun die Entwicklung im syrischen Bürgerkrieg und die daraus resultierende internationale Krise nicht voraussehen. Dass er aber gerade „jetzt“ in seiner Serie von dem Giftgaseinsatz durch ein US-Kommando mit zivilen Toten (dieselben Symptome werden in der Serie wie in den Berichten der Ärzte ohne Grenzen zu den Opfern in der syrischen Ghuta-Region beschrieben) „erzählt“, dass sich dieser als falsch entpuppt und die idealistisch-aufklärerische Nachrichten-Sendung News Night with Will McAvoy desavouiert, das hat eine bei allem Zufall kritisch-mahnende Konnotation, die Sorkin selbst vielleicht gerade etwas unheimlich sein dürfte.

Freilich: Sorkin und sein Newsroom-Team haben sich „Operation Genoa“ wie die anderen Nachrichtenthemen bzw. -anlässe nicht gänzlich ausgedacht. Ashley Fetters vergleicht in The Atlantic einzelne Anspielungen mit den Nachrichten (in) der Realität (als Kolumne "The News vs. The Newsroom"), verweist dabei auch auf die Enthüllungen zur (fiktionalen) „Enthüllung“: So spiele „OperationGenoa“ auf den CNN-Bericht „The Valley of Death“ aus dem Jahr 1998 an, in dem der Sender US-Soldaten beschuldigte, während des Vietnamkriegs Sarin während einer Rettungsoperation in Laos eingesetzt zu haben. Auch in dem Fall wurde die Meldung trotz scheinbar glaubhafter Quellen hernach zurückgenommen.

Wem also The Newsroom zu idealistisch bzw. lehrmeisterlich oder in Sachen Aktualität und (Schein-)Prophetismus nicht gefällt, kann sie immer noch als journalismusgeschichtliche Reflexion im Unterhaltungsformat genießen.

Bernd Zywietz