04.12.2015

Zu "Abu Talha al-Almanis" / Denis Cusperts neuem Video und Furat Media



Nahe Rakka soll Denis Cuspert alias Abu Talha al-Almani am 16. Oktober 2015 getötet worden sein. So bestätigte es auch Pentagon-Sprecherin Elissa Smith: Zusammen mit dem Hauptziel, dem libyschen IS-Kommandeur Abu Osman al-Libi, sei er durch einen US-Raketenangriff auf einen Pick-Up-Truck ums Leben gekommen. Schnell allerdings folgten Gerüchte, der Ex-Gangsta-Rapper und Propaganda-Aushängeschild des IS fürs deutsche Publikum, habe einmal mehr (schwer verletzt) überlebt – einnmal mehr also: schon zuvor war Cuspert für tot erklärt worden. 

Nun, Anfang Dezember, ist ein Video aufgetaucht, das den Verdacht bestätigen könnte, zwischen unsicherer militärischer-geheimdienstlicher ‚Intelligence‘ und Mythenbildung sei Abu Talha dem Tod ein weiteres Mal von der Schippe gesprungen.

Entsprechend sieht die FAZ Zweifel geweckt und verweist dabei auf DIE WELT, die freilich ebenso wenig für den Entstehungszeitpunkt des 13-minütigen Films bürgen kann und mag. In ihrem Online-Beitrag heißt es:

Unklar ist, wann das Video entstand. Zuletzt hatte der IS im April ein Video Cusperts veröffentlicht. Einerseits trägt der neue Clip nach ‚Welt‘-Informationen das Datum ‚Safar 1437 Hijri‘ - das ist der islamische Monat, der vom 13. November bis zum 12. Dezember 2015 reicht. Anderseits werden beispielsweise nicht die Anschläge von Paris thematisiert. Auch spricht Cuspert über einen "Abu Yasir al-Almani", der sich im irakischen Kirkuk in die Luft gesprengt haben soll. Es gab allerdings schon im August 2014 einen Anschlag von einem ebensolchen ‚Abu Yasir al-Almani‘.“

Ob allerdings das Video Cusperts Ableben widerlegt oder nur widerlegen soll ist gar nicht so sonderlich interessant. Der Umstand, dass Paris nicht thematisiert wird, ist eher zu vernachlässigen. Und die Datumsangabe „Safar 1437 Hijri“ ist weniger Geheimwissen oder journalistische Recherchekunst („nach ‚Welt‘-Informationen“), sondern basiert schlicht auf einer Einblendung in den letzten Sekunden des Films mit dem (deutschen!) Titel „Die Ritter der Shahada 2 – Abu Yasir al-Almani“

Es bleibt aber offen, ob der Zeitstempel sich nun auf Cusperts Lobpreisung des untertitelgebenden Selbtmordattentäters bezieht, auf dessen ‚Märytrer‘-Operation oder schlicht die Fertigstellung der Kompilation der drei Teile (Cusperts Rede, der auf einer Parkbank in Flecktarnjacke und mit Pakol auf dem Kopf und mit einem Schimmel im Hintergrund den vermeintlich Solinger Kriegsgefährten ehrt / die letzten Worte und Verabschiedung des Suizid-Kommandos / die dunklen Aufnahmen der Explosion in der Ferne).

Der Vorgänger-Film, „Die Ritter der Shahada 1 – Abu Abdullah al-Almani“ (schon bei der Veröffentlichung Mitte Juni mit Durchnummerierungs-„1“, was den Vorabplan einer Videoreihe über deutsche Selbstmordattentäter nahelegt), kam jedenfalls noch ohne Cuspert aus. 

Cuspert im Anfang Dezember 2015 veröffentlichten  Furat-Media-Video "Die Ritter der Shahada 2 - Abu Yasir al-Almani"

Doch der WELT-Artikel ist nicht korrekt – und damit wird es interessanter – mit seiner Aussage, Cuspert sei zuletzt im April in einem Video des IS aufgetreten. 

Gemeint mit diesem April-Auftritt ist offenkundig der Clip „Fisabilillah“, den ich in meinem Beitragin DIE KRIMINALPOLIZEI kurz beschrieben habe. Danach jedoch war Cuspert noch zumindest in einem 32-minütigen Video des „Wilayat Kavkaz“ (Region oder Provinz „Kaukasus“) des IS zu sehen: In dem russischen Video kommt er neben daghestanischen Jihadisten auf Deutsch (entsprechend russisch untertitelt) zu Wort, beschwört die Solidarität mit der Kaukausus-Fraktion und ruft dazu auf, sich dem IS und seiner Gemeinschaft anzuschließen.

Bemerkenswert ist nun, dass nicht wie sonst die sich ans „Ausland“ richtende IS-Propaganda-Abteilung al-Hayat Media Center (in deren Videos Cuspert auch bislang hauptsächlich auftrat), sondern die russischsprachige Furat („Euphrat“) Media dieses Video produzierte. Und unter dem Furat-Media-Label sind auch die beiden deutschsprachigen „Ritter der Shahada“-Videos entstanden bzw. veröffentlicht. In Charlie Winters Untersuchung der IS-Propaganda (The Virtual ‘Caliphate’: Understanding Islamic State’s Propaganda Strategy, Quilliam) bzw. der darin enthaltenen Übersicht der Medienabteilungen (S. 14) ist Furat Media selbst noch gar nicht aufgeführt. Kein Wunder, denn im selben Monat, Juni 2015, da Winters Studie erschienen ist, trat Furat Media erst auf die Bildfläche. Das von Abu Jihad alias Islam Seit-Umarowitsch Atabijew (Stellvertreter des Georgiers Omar al-Schischani, dem hochrangigen IS-Militärführer) gegründete „PR“-Department hat wie die Nordkaukasus-Brigade im IS-Verbund – in den vergangenen Monaten enorm an Bedeutung im Propagandaensemble des IS gewonnen (siehe dazu die Beiträge der britischen Bloggerin und Journalistin Joanna Paraszczuk HIER und HIER).

Cuspert (2. v. l.) im Furat-Media-Rekrutierungsvideo "Rejoice In The Deal You Have Secured", veröffentl. im August 2015

Dass nun Furat Media und nicht das bislang so dominante al-Hayat Media Center Cuspert in Szene setzt und dazu komplett deutsche Videos produziert ist eine Merkwürdigkeit, die zu Überlegungen und auch Spekulationen einlädt. Diese können von einer Reaktion der Propaganda(systemstruktur) des IS auf die russische Intervention in Syrien über einen sich abzeichnenden Relevanzverlust des al-Hayat Media Centers bzw. eines Konkurrenzkampfes bis zu einer besonderen Allianz zwischen den deutschen und nordkaukasischen Fraktionen zumindest in der Medienarbeit des IS reichen. Auch was Abu Talha al-Almanis / Cusperts Rolle im al-Hayat Media Center anbelangt, stellen sich so zurzeit einige Fragen: Wurde er von al-Hayat an Furat quasi ausgeliehen; war er doch wenigstens so hochrangig, dass er die deutsche Propaganda zum teil- und zeitweise zu Furat Media verlagert hat?

Vorausgesetzt natürlich, dass Cuspert noch lebt. Wobei die Veröffentlichung von „Ritter der Shahada 2“ bzw. Abu Talhas Einsatz darin so oder so strategisch komplexer in seiner Bedeutung ausfällt als es lediglich der Blick auf die wundersame oder medial vorgetäuschte Wiederauferstehung (als Beruhigung der Fans oder Verhöhnung des ihn vielleicht einmal mehr zu eilfertig abschreibenden Westens) nahelegt.

zyw