13.01.2016

Zum Buch: Bilderan- und -enteignung


Wie im letzten Beitrag erwähnt stelle ich hier unter dem Label "Zum Buch" Zusatzmaterial, Ergänzungen, Korrekturen u. Ä. zu meinem Buch Terrorismus im Spielfilm: Eine filmwissenschaftliche Untersuchung über Konflikte, Genres und Figuren (Springer VS, 2016) ein.

Im Kapitel zum Nordirlandkonflikt und zur IRA im Film (Unterkapitel 3.2.3.1: "Historisierungen, Zeitgeschichte(n) und Aufarbeitung") gehe ich darin auf Terry Georges SOME MOTHER'S SON (MUTTER UND SÖHNE, Irland/USA 1996) ein. Der Film handelt von zwei Müttern (Helen Mirren, Fionnula Flanagan), deren Söhne nach einer Guerilla-Aktion gegen das britische Militär zu langen Haftstrafen verurteilt werden und mit in den 1981er-Hungerstreik treten.

Obwohl Regisseur und Drehbuchautor George, selbst mit republikanischer Vergangenheit, sich in dem Film klar gegen die Hardliner-Politik der Thatcher-Regierung (die den politischen Status der Inhaftierten aufhob) wendet, ist SOME MOTHER'S SON geprägt vom Bemühen, beiden Seiten, der britischen und der irischen, Gerechtigkeit zukommen zu lassen bzw. die humanitäre Seite des Konflikts als menschliches Drama "entpolitisierend" in den Mittelpunkt zu stellen. Dabei wird auch die Vereinnahmung der Streikenden durch IRA und Sinn Féin kritisiert - derweil von deren Seite wiederum dem Film eine allzu weiche, liberale Haltung vorgeworfen wurde.

Es hinderte freilich Sinn Féin und Co. nicht, sich Bildern aus dem Film als Motivvorlagen zu bedienen, um auf Flugblättern (eines davon ist einzusehen in der Northern Ireland Political Collection der Linen Hall Library in Belfast) oder - wie hier zu sehen - auf Wänden für Gedenkveranstaltungen zum "opfermythischen" Hungerstreik zu werben.


Some Mother's Son, Screenshot / Videoaufzeichnung der ZDF-Fernsehausstrahlung

Quelle: Flickr, CC BY-NC-SA 2.0, Nutzer PPCC Antifa; aufgenommen am 10. August 2008)

Dieses Beispiel zeigt zum einen, wie Bildmaterial aus populären Filmen geeignet ist, erinnerungsfunktional an die Stelle von "authentischen" Aufnahmen zu treten, diese zu überlagern, vielleicht gar zu verdrängen. Und sei es nur, weil sie in ihrer Komposition besonders a-/effektiv sind und eine besondere "innere Wahrheit" jenseits bloßer Abbild- bzw. Beleghaftigkeit zum Ausdruck bringen

Zum anderen demonstriert das Beispiel, dass vielleicht um Repräsentationen, Handlungen und Bedeutungen von Filmen und ihre politische Linie gestritten werden mag, Filme aber doch immer ein so quasi indifferentes, gleichwohl attraktives Verfügungsmaterial liefern, dass man sich dessen für die eigenen Zwecke einfach und gerne bedienen kann, man es sich aneignen mag - unabhängig von der Intentionen der Filmemacher oder der Gesamt-Tendenz des "Films" (i.S.d. filmischen Erzählung mit all ihren weiteren gestalterischen Verfahren, der Story, Dramaturgie und Paratextualität) selbst.  

Zwischen bloßer Reinszenierung und blanker Stellvertreterschaft ist der erinnerungskulturelle und -politische Gebrauchs- und Bedeutungszusammenhang also bisweilen kein einfacher, weil nicht zuletzt ein mehrstufiger und dynamischer.