Anfang
Februar brachte das Erste in der Sendung titel
thesen temperamente einen Beitrag über das IS-Online-Magazin DABIQ. In
diversen Sprachen, darunter auch in Englisch, berichtet die PDF-Postille mit
Hochglanzanmutung aus dem Inneren des „Kalifats“ und der ihm zugrundeliegenden
Gedankenwelt. Mit Kriegs- und Märtyrerbildern wird vom Jihad erzählt, die
neuesten Treueschwüre der sich dem IS anschließenden Gruppierungen werden
vermeldet, dazu gibt es politische „Hintergrundartikel“ zur Weltlage, religiöse
Rechtfertigungen mit zweckdienlichen Koran-Verweisen und Botschaften geistiger
Führungspersonen. Doch auch die Propaganda-Videos von al-Hayat Media Center und
Co. werden hier beworben, als seien es neueste Kino-Blockbuster.
DABIQ, so Evelyn
Fischer in ihrer Anmoderation des ttt-Beitrags (noch hier bis zum 7. Februar2017 in der ARD-Mediathek verfügbar), sei eine „verstörende Lektüre“ und „von
Sicherheitsbehörden als äußerst gefährlich eingestuft“.
Entsprechend
interessant ist das Reportagestück nicht nur, weil Experte Asiem El Difraoui („Jihad.de“) anaylsierend zu Wort kommt oder Abdalaziz Alhamza und der aufklärerische Widerstand
der Gruppe „Raqqa is Being Slaughtered Silently“ vorgestellt wird, der mit dem
der „Weißen Rose“ in Nazi-Deutschland verglichen wird.
Screenshot des ttt-Beitrags, Quelle: DasErste Mediathek |
Bemerkenswerter
noch ist, wie der TV-Beitrag die IS-Online-Propaganda und mithin das DABIQ-Magazin
selbst inszeniert. Als wäre die Statik der Publikation eine eigene
Provokation für das Medium Fernsehen werden Details mit Kameraschwenks
abgetastet, werden Inhalte ins Bild gescrollt, ergänzend
IS-Propagandavideoaufnahmen beigemengt. Besonders markant: Wie ein gefährliches
lauerndes Raubtier, das einen in seinem Bann schlägt, dem man
aber tunlichst nicht zu nahe kommen sollte, ist der bedrohlich-düster
ausgeleuchtete Computerbildschirm, auf dem ein DABIQ-Titel zu sehen ist, präsentiert. Die
Kamera umfährt ihn im Halbkreis (wie in „sicherer Distanz“ und zugleich um ihn
aus mehreren Blickwinkeln zu bestaunen), springt auch mal kurz heran – oder
springt uns der Monitor entgegen, mithin die IS-Propaganda, wie ein Tiger oder
eine Kobra attackierend vorschnellt gegen die Gitterstäbe des Käfigs oder die Glaswand des Terrariums?
Zu dieser Aufladung, dieser Dynamisierung und Ästhetisierung auf der Bildebene kommt
die passende unheilverheißende musikalische Untermalung hinzu. Sie
wird dann kontrastiert von den klagenden Klängen, die den „authentischen“
Aufnahmen aus Rakka (in denen die Menschen an der realen Versorgungslage zu leiden
haben) unterlegt sind. Horrorthriller hier, Tragödie da.
Dass die
Propaganda des IS hier selbst als solche ausgestellt und thematisiert wird, ist
begrüßenswert. Dass die inhaltliche, kritisch-enthüllende Distanz (die besonders
die Ausschnitte aus dem einordnenden Gespräch mit Difraoui bietet) ästhetisch
bzw. gestalterisch selbst wieder insofern aufgegeben oder unterlaufen wird, als
der Zuschauende sinnlich-affektiv diesen „bösen“ Botschaften und Bildern ganz nahe
gebracht wird, ist ein Problem. Eines freilich, das nicht nur das von titel thesen temperamente oder sogar
bloß des Fernsehens als berichterstattendem Medium ist. Der Propaganda des IS
und mithin dem IS ist man in ihrer Faszinations- und Attraktionskraft erlegen – wenn
und leider gerade auch in Haltung und
Duktus der Dämonisierung. Dass dies hier unter Einsatz jener suggestiven Mittel
geschieht, vor der man zwar gerne mahnt, die man gerne herausstellt, derer man
sich selbst allerdings nur zu gerne bedient ohne sie zu reflektieren,
verleiht dem Ganzen jedoch etwas fatal Ehrfürchtiges wie auch hilflos Blindes (oder Stummes).
Und wie soll
man die IS-Propaganda entzaubern oder ihre Grenze aufzeigen, wenn man in einer Art Zerrspiegel
sie und vor allem ihre Ausdrucks- und Gestaltungsweisen zurückwirft und damit – um im Bild zu
bleiben – nur ins Unendliche vervielfältigt? Denn es ist ja nicht so, dass der
IS bzw. die Bilder, die er von sich selbst mach, nicht selbst Wiederspiegelungen oder mediale Rückgaben wären. Die Formen und Mittel, die die Dschihadisten für die
Attraktion und Faszination ihrer Botschaften und Sichtweisen nutzen, sind eben
jene, die sie sich quasi von spektakulären TV-News und Werbeclips, von einer
allgemeinen, dem aufmerksamkeitsheischenden Augensinn-
und Nervenkitzel abgeschaut haben.
So ist die
IS-Propaganda – wie auf einer etwas anderen Ebene der IS als diskursives
Konstrukt insgesamt – deshalb eine besondere Herausforderung für seine Bewähltung und mediale Einhegung, weil in doppelter Hinsicht
Projektionsfläche, und seine „Verführungskraft“ selbst in Ablehnung und Abscheu
so schwierig zu brechen oder nur zu parieren weil in Material und Werkzeug viel
zu gleichartig unserem eigenen Ausdrucksreservoir und -repertoire. Unsere eigenen populären Schau-Werte lassen sich gegen
eine auf feindliche Indienstnahme schlecht verteidigen.
zyw