09.11.2016

MEINUNG: Zum Propagandismus von "Anne Will" - und wo die wahren Herausforderungen liegen


Hier auch meine zwei Pfennig Meinung zur „Anne Will“-Sendung am vergangenen Sonntag ("Mein Leben für Allah - Warum radikalisieren sich immer mehr junge Menschen?"). Radikalismus war das Thema, und viele Medienstimmen (ich spare mir hier die Verlinkung) haben sich ereifert zu der Sendung. Sogar Strafanzeige wurde albernerweise gestellt (soviel Referenz muss sein).

Hauptkritikpunkt war der Auftritt der vollverschleierten Nora Illi, den man an allen Ecken und Enden berechtigt kritisieren und auch auseinandernehmen konnte. U.a. dahingehend, dass die Frauenbeauftragte des „Islamischer Zentralrat Schweiz“ (IZRS) über die Situation in Deutschland so sprach, als sei sie die der Schweiz, was angesichts etwa des Minarett-Verbots verfehlt ist.

Die Kritik an Anne Will und ihrem Team und ihrer Sendung, die auf den Auftritt von Frau Illi folgte, ist nun insofern unhaltbar, als die kritische Intention klar zu erkennen war, auch wenn sie nicht voll und würdig umgesetzt werden konnte.

Zum einen ist es legitim, auch extremere Positionen in einer Talkshow zu Wort kommen zu lassen. Zumindest, wenn man die Medienarbeit nicht als die eines Spiegels betrachtet, der die Wirklichkeit verkleinert abbildet, sondern die einer Arena, die eröffnet wird, um die konträre Meinungen in Debatten aufeinandertreffen zu lassen – so wie es etwa auch im Bundestag der Fall sein sollte.

Wenn denn auch Politiker Wolfgang Bosbach, der gefühlt zum Inventar von derlei Shows im Öffentlich-Rechtlichen gehört, und Ahmad Mansour, den ich persönlich in seiner Arbeit und seiner Haltung sehr schätze, hier gegen Frau Illi klar Stellung bezogen, ist dies in der Demonstrativität zu begrüßen.

Einerseits.

Andererseits schien – zumindest meines Empfindens nach – gerade Herrn Mansour vom Ton her fast (situativ betrachtet) unverhältnismäßig aggressiv, weil Frau Illi, bei allem argumentativ-hanebüchenen Nonsens, den sie ins Feld führte („Frauen im Islam dürfen das selbstverdiente Geld behalten“ oder die paradoxe Wendung von der „normativen Option“ des Niqab) aufreizend ruhig, zumindest wortlos gegenüber den Anwürfen blieb (wenigstens in zentralen Passagen).

Dass ist nämlich das Problem im Fernsehen: die "Lautstärke" des Inhalts ist nicht aufzurechnen mit der der Stimmlage. Mann muss sich nur die mediale Professionalität und "Souveränität" einer Frauke Petry anschauen, um das zu verstehen und die Problematik dahinter zu erkennen.

Das TV-mediale Bild, das sich bei "Anne Will" als Reaktion auf die verschleiert Frau Illi jedenfalls ergab, ist folglich das von zwei Männern (Mansour, Bosbach), die sichtlich emotional engagiert, im „westlichen“ Anzug (Status- und Gender-Zeichen) und in der Körperhaltung angespannt, vorgebeugt und in den verschiedenen Richtungen der Adressierung der verhüllten Muslima permanent und – man muss es sagen: mit (begründeten, sicher auch ungewollten, gleichwohl:) aggressivem Gestus – das Wort abschnitten. Gegenüber allen guten Argumenten hat dies eine eigene Evidenz und emotionale und moralische Valenz.

Die viel beschworene Rolle der Verführerin, der Verharmloserin des Gewaltextremismus wurde so medienwirksam passiv konterkariert durch die des weiblichen Opfers maskuliner (Sprach-)Gewalt.

Dass Frau Illi vollverhüllt war, um „sich gegen die Männer zu schützen“, wurde in dieser Konstellation und auf dieser Ebene tatsächlich eher noch legitimiert als bloßgestellt. Zumal ihre Mimik unsichtbar blieb. Mansours Worte, die zurecht das u.a. sexistische Gedankengut hinter der Niqab oder Burka lautstark „erregt“ anprangerten, fielen im selben Moment unterschwellig auf ihn zurück und bewirkten mithin das Gegenteil. Zumindest hatte Frau Illi all diejenigen auf ihrer Seite, die sich in vehementen Streitigkeiten auch lieber hinter einen Stoffpanzer zurückziehen würden.

So betrachtet ist der „Einsatz“ von weiblichen „islamistischen“ Sprecherinnen in der (massenmedialen) Öffentlichkeit als Win-Win-Situation für die entsprechenden Ideologen: Haben sie Erfolg, tragen sie dazu bei, ein anti-emanzipatorisches, sexistisches Framing zu etablieren. Versagen sie, können sie als Märtyrer-Opfer aggressiver Diskursöffentlichkeit (und „westlicher“ Männlichkeit) einerseits stilisiert werden, andererseits einen binnenorientierten Beweis für ihre fundamentalistische Zirkel insofern zu liefern, als dass Frauen ohnehin nichts in der öffentlichen Debatte zu suchen haben (weil zu schwach) und damit still daheim besser wirken mögen.

Ein anderer ungerechtfertigt angeprangerter Punkt ist das Textzitat, das von der Website des IZRS bzw. von Frau Illi stammte. Auch hier ging und geht die Aufregung leider leicht ins Schiefe. Es war zum einen nicht der letzte Satz, der der Empörung wert war – der Hinweis auf eine doch auch „taffe“ Bewährungsprobe –, sondern mehr der ebenfalls zitierte Hinweis, dass der Griff zur Waffe in dem Kontext religiös betrachtet legitim sei.

Zum anderen waren auch in der Hinsicht Bosbachs und Mansours unmittelbare Attacken in ihrer Empörung kontraproduktiv. Anne Will und ihre Redaktion (und das zeigten schon die wenigen Worte, die der Moderatorin als Ansatz übrig blieben, ehe sie von ihren männlichen Gästen akustisch "untergebuttert" wurde) präsentierten diese Textzeilen wie Frau Illi insgesamt für den Zweck, sie nach den Regeln einer TV-Show „auseinander zunehmen“. Und dies, man kann es nicht deutlich genug sagen, ist durchaus legitim. In Paragraph 86 des Strafgesetzbuches etwa ist die Rede davon, dass die (Weiter-)Verbreitung von Propagandamitteln verboten sei, außer (Abs. 3) es diene „der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken“. Genau an dieser hier erwähnten staatsbürgerlichen Aufklärung, der Berichterstattung, aber auch der Lehre war Frau Will merklich gelegen, ehe ihr Herr Mansour und Herr Bosbach, teils allzu bewegt, teils ein wenig inszenatorisch eitel, ins Wort fielen. Es ist ein wenig so, als sei in einem Schulbuch das Bild aus einem Nazi-Propagandafilm abgedruckt, und nun reiße man die erklärenden, kritischen Seiten heraus um sich hernach zu erregen, hier werde verfassungsfeindliche Propaganda einfach weiterverbreitet.

Wenn also die Talksendung „Anne Will“ am vergangenen Sonntag allzu propagandistisch ausfiel, dann zu einem nicht unerheblichen und (etwa für künftige Gegenmaßnahmen) berücksichtigenswerten Teil aus gut gemeinten Gründen, medieninhärenten Inszenierungs- und Wirkungsmechanismen und teils alternativen, teils assoziierten Konfliktlinien wie denen der Gender-Repräsentation und dazugehörigen Modellen.


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05.11.2016

Präsentationsfolien zum Vortrag "Die mediale Inszenierung des Terrorismus" / Düsseldorf

Am 2. November 2016 hielt ich einen Vortrag mit dem Titel "Die mediale Inszenierung des Terrorismus" in Düsseldorf. Die Veranstaltung fand als Auftakt im Rahmen der Reihe Terrorismus in den Medien. Strategien, Darstellungen, Wirkungen“ der Heinrich-Heine-Universität statt.

Ganz herzlich möchte ich mich bei den Veranstaltern, vor allem Prof. Gerhard Vowe, aber auch dem Publikum für das Interesse, die Fragen und den Austausch bedanken.

Die Folien zur Präsentation finden Sie - u.a. bereinigt um einige Bilder, bei denen es Rechteprobleme geben könnte - als PDF HIER.

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16.10.2016

"Terror" der Mehrheit: TV-Event mit Volksabstimmung über Moraldilemma


Am Montag, dem 17.10.2016, läuft im Ersten das „multimediale und interaktive TV-EventTerror – Ihr Urteil. Zunächst ist die von Lars Kraume inszenierte TV-Filmadaption von Ferdinand von Schirachs Theaterstück Terror zu sehen, ehe im Anschluss Frank Plasberg in Hart aber fair eine Art Nachbereitung liefern wird. Denn das besondere an Terror ist – neben der bemerkenswerten Besetzung (Florian David Fitz, Burghart Klaußner, Martina Gedeck und Lars Eidinger) –, dass das Publikum nicht nur sich seine eigene Meinung machen soll, sondern diese den Ausgang des Films diktiert.

In Terror geht es nämlich um eines der moralischen Dilemmata, die der Terrorismus aufzwingen kann. Dieses wird verhandelt, im direkten juristischen Sinne: Im Gerichtssaal soll über den Kampfpiloten Koch (Fitz) geurteilt werden, der sich der Entscheidung der Vorgesetzten widersetzend eine von Terroristen entführte Passagiermaschine abgeschossen hat. Das Flugzeug sollte in ein vollbesetztes Fußballstadion gelenkt werden. Pilot Koch hat also eine Abwägung getroffen, den sicheren Tod von 164 Menschen verursacht, um den wahrscheinlichen von 70.000 zu verhindern.

F. David Fitz in Terror (Quelle: ARD Degeto/Moovie GmbH/Julia Terjung)

Das ethisch-moralische Gedankenexperiment verweist natürlich auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz von 2006, das ein solches Gegenrechnen von Menschenleben und die damit die Relativierung der Menschenwürde untersagte.

Nach der kategorischen Bewertung des BVG nun also der Publikumsentscheid. Per Stimmkarte haben in den Theatern bereits Menschen über das Handeln des Piloten Koch abgestimmt, auch in Kinos, wo Kraumes Film vorab lief – so etwa in München, wo im Anschluss ähnlich wie bei Plasberg im TV hinterher hochkarätig podiumsdiskutiert wurde (u.a. mit Günther Beckstein und Julian Nida-Rümelin sowie Darsteller Fitz).

Nicht per Karte, sondern eben per TED oder Internet-Click ist nun Deutschland auf der Couch gefragt. Volker Herres, Programmdirekter des Ersten, freut sich schon vorab:

Der Zuschauer entscheidet! Das ist das ganz Besondere an diesem Abend. Der Zuschauer entscheidet nicht nur über den Ausgang eines Fernsehfilms, sondern über das Schicksal eines Menschen: schuldig oder nicht schuldig. Der Film involviert ihn, spricht ihn an, macht ihn zur letzten richterlichen Instanz und nimmt ihn in die Verantwortung.“

Aber Terror bietet nicht nur einen problematischen Fall, der an Grundsätzen rührt (dem der deontologischen vs. der teleologischen – hier utilitaristischen – Ziel- oder Bemessungsgrundlage eines richtigen Handelns). Als Multimedia- und Interaktions-„Event“ ist Terror – Ihr Urteil selbst diskussionswürdig.

Sicher ist es von allerlei Interesse, wie die Zuschauer entscheiden, auch wenn das natürlich nicht wirklich das Schicksal eines (zumindest nicht realen) Menschen betrifft. Auf der Seite terror.theater werden die Ausgänge der Theatervorstellungen aufgelistet. In Deutschland kam es 429-mal zum Freispruch, bei 459 Aufführungen. Circa 60 % der Zuschauer votierten für „unschuldig.“ Auch in Ungarn, der Schweiz, Österreich oder Venezuela stimmten die meisten gegen eine Verurteilung, in Japan hingegen wurde in vier von vier Vorstellungen der Pilot schuldig gesprochen. Das besagt wenig bis nichts, die Fallzahlen sind zu klein, Kontexte der Aufführungen, die Zusammensetzung des Publikums müsste berücksichtigt werden. Aber es wäre schon interessant, zu überlegen und zu prüfen, ob und wie die Ergebnisse hier als kollektive kulturelle, politische oder historische Symptome interpretierbar sind.

Andererseits kann man wie Marie Schmidt in der ZEIT Bedenken haben, die auf die Zeichenhaftigkeit zumindest des Fernsehereignisses abstellen:

Uns, dem Volksfernsehzuschauersouverän, wird die Entscheidung über den Ausgang einer Gerichtsverhandlung übertragen, in der es übrigens im Kern darum geht, ob die Verfassung der Bundesrepublik auf jeden Fall gilt. Unter dem Brennglas künstlerischer Erfindung und des Massenmediums Fernsehen wird ausprobiert, was populistische Parteien fordern: den ‚gesunden Menschenverstand‘ bestimmen zu lassen, wenn ‚elementare politische Weichenstellungen‘ vorzunehmen seien (so die AfD).

Und:  

„Ein Einzelner, wie der fiktive Major Koch, hat selbstverständlich die Freiheit (sogar die moralische Pflicht), über sein Verhältnis zu den Gesetzen nach Wissen und Gewissen zu entscheiden – auf die Gefahr hin, bestraft zu werden. Aber ein ‚Volk‘ als Kollektiv, das ständig mit etwas Vagem wie dem ‚gesunden Menschenverstand‘ (was soll das sein bei über 80 Millionen Bürgern?) Entscheidungen über ‚elementare‘ Normen fällt, schwebt in gefährlicher Ungewissheit ‚über‘ dem Gesetz. Das ist die fatale Wirkung solcher Volksabstimmungen, ob darin nun fiktiv oder realpolitisch entschieden wird. Zumal wenn nur zwei Möglichkeiten zur Verfügung stehen: schuldig oder unschuldig? Raus aus der EU oder bleiben? Dieses Hopp-oder-topp-Prinzip schwächt um eines dramatischen Effekts willen zentrale Werte, anders gesagt, Sicherheiten – mehr als es Terroristen vermögen.

Schmidt kritisiert, dass die Möglichkeit, das Strafmaß gering zu halten, oder andere Praxislösungen eines Ausgleichs den Zuschauern nicht zur Verfügung stehen. Die rechtliche und moralische wird nicht nur zur bloßen Mehrheitsentscheidung, sondern auch zur binären.
Es ist nun nichts dagegen einzuwenden, brisante Grundsatzfragen jedem Zuschauer auch und gerade im Gewand des Dramas vorzulegen, ihn zu involvieren und zum Nachdenken anzuregen. Doch die anonyme Abstimmung daheim vor dem Bildschirm ist etwas anderes ist als im (Lichtspiel-)Theater, wo es zu direkten Diskussionen kommen kann (wie es Thomas Jordan in der SZ beschreibt).

Bei allem guten Ansinnen ist Terror als „Event“ doch auch, zwangsweise, ein bisschen Populismusübung zum Spaß und – für manchen – auf Probe. Wieso nicht mehr echte direkte Demokratie auf diese Weise? 

Was umso bedenklicher oder aber widersprüchlich ist, als es a) es nicht umsonst unabhängige Instanzen und Institutionen wie Richter und Gerichte gibt und b) wir in einer Zeit leben, in der hinter Begriffen wie dem „Postfaktischen“ die berechtige oder ungerechte Sorge vor der dumpfen „Masse“ wieder aufscheint, der Brexit-Schock noch in den Europaknochen sitzt sowie Hass und Hetze in den einst so demokratiefördernd geltenden Sozialen Netzwerken zum gravierenden Gesellschafts- und Rechtsthema geworden ist.

Ex-Innenminister Otto Schily selbst hat einen Beitrag im Spiegel (42/2016) anlässlich des Terror-Ereignisses verfasst, wobei er vor allem nochmal das Luftsicherheitsgesetz und die grundrechtliche Problematik rekapituliert. Dieser Umstand allein ist schon bemerkenswert, aber auch, wie Schily indirekt (zugleich Schmidt nicht unähnlich) die Konstruktion des fiktionalen Falls als einem solchen in Frage stellt:

Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang auch mit Recht darauf hingewiesen, dass die staatlichen Institutionen bei der Entführung eines mit Passagieren besetzten Flugzeugs mit einer Reihe von Unwägbarkeiten konfrontiert sind, die allenfalls eine Entscheidung dieser schwerwiegenden Art auf Verdacht, nicht aber auf Grundlage gesicherter Erkenntnisse ermöglichen. Zu erinnern ist auch an die Geschehnisse im vierten entführten Flugzeug des 11. September, in dem Passagiere versucht haben, die Terroristen zu überwältigen und an der Ausführung ihres verbrecherischen Planes zu hindern.

Genau genommen haben wir es also mit einem Scheinproblem zu tun, das die Gemüter aufgescheucht hat.

Das ist freilich nur ein dürftiger Ausweg. Solchen fundamentalen Widersprüchen und Spannungen der Fall-, aber eben auch der Linienentscheidung, die ja schließlich nicht nur in Gesetze gegossen werden, sondern auch dazu taugen, Handlungsmaximen im Kleinen mitzubestimmen, lassen sich nicht einfach mit dem Verweis darauf, dass der geschilderte Fall lediglich ein unrealistisches Gedankenkonstrukt sei, vom Tisch wischen. Tatsächlich hat und schafft jedes konkrete Ereignis seine eigene Realität. Doch dass auch allzu konstruierte Gedankenspiele nicht ohne Belang sind, zeigt sich allein an den ticking-time-bomb-Szenarien, die im (Anti-)Terrorismusdiskurs herhalten müssen, um zu klären (und oftmals: zu bejahen), ob (bzw. dass) man einen echten oder eben nur vermeintlichen Terroristen foltern darf, um die Leben Unschuldiger zu retten.

Ein Film, der sich mit diesem Dilemma befasst, ist der HIER wie in meinem Buch behandelte Unthinkable. Ein Film, der weniger spannend wäre, wäre die Beurteilung des Foltereinsatzes und der Ausgang des Films der Zuschauermehrheit überlassen. Einfach, weil dann das Bauchgefühl siegreicher sein dürfte als die anstrengende, auch unbequeme ethische Abwägung, auf die sich einzulassen freilich auch niemand gezwungen werden kann. So mag Florian David Fitz‘ Soldat ja einen Freispruch verdienen, weil er (um es mit Schmidt zu sagen) so hübsch ist. So wenig echte Gedankenexperimente in ihrer Abstraktion so recht taugen für die Exemplifikation, so wenig tun es die überkonkreten Fiktionen eines Filmes, in denen allerdings immerhin sach- und fachfremde Faktoren wie Sympathien für Personen ebenso eine Rolle spielen wie im echten Leben. 

Das führt aber zu einem weiteren Problem des Interaktionskonzepts von Terror – Ihr Urteil: Das Erste Programm wird den Film eben nur mit dem Ende ausstrahlen (ich wage die Prognose: Freispruch), das sich aus der Zuschauerabstimmung ergibt. Wenn Klaußner als Richter die Entscheidung verließt, werden also nur die Entscheidungsgründe und -argumente verlesen, die ohnehin jenen der Majorität entspricht. Wäre es nicht – ironisch gesagt: utilitaristisch bemessen – gewinnbringender, gerade den Film gemäß der Minderheitsentscheidung schließen zu lassen, um eine maximale gedanklichen Konfrontation zu befördern?

Vielleicht ist das aber auch gar nicht so sehr gewollt. Und so aufregend und ergiebig das Szenario von Terror natürlich ist, ist es doch auch ziemlich bequem. Sicher, die Wahl ist herrlich verzwickt und schrecklich oder wenigstens gruselig obendrein. 

Sie ist aber eben auch sehr weit weg, bei aller Aktualität der Terrorismusgefahr, die wiederum durch solche Szenarien allerdings mitbedingt wird. Schily in seinem Spiegel-Beitrag verweist auf verschiedene andere Situationen, in denen es immer wieder um Fragen des Abwägens von Leben gegen Leben geht: bei Spendenorganen etwa oder bei Schwangerschaftsabbrüchen. Erinnert sei auch an die Veranlassung der Folterandrohung gegen den Entführer des Jacob von Metzlers durch den damaligen stellvertretenden Frankfurter Polizeipräsidenten Wolfgang Daschner.

Man stelle sich ein Voting-TV-Event zu einem dieser Themen vor. Oder vielleicht gar eines zur Frage, ob in einem echten oder erdachten Ort Flüchtlinge heute untergebracht werden sollen. Elyas M. Barek könnte einen Syrer spielen, von dem wir nicht wissen, ob er arm dran oder mit IS-Mordplänen im Kopf daherkommt. Opfer oder Täter? Reinlassen oder nicht? Ja oder nein   stimmen Sie ab, telefonisch oder online (natürlich aber ohne Kommentierungsmöglichkeit, wegen Hetzgefahr)!

Im Jahr 2000 veranstaltete Christoph Schlingensief zur Wiener Festwoche sein Projekt „Ausländer raus! Schlingensiefs Container“: Am Big-Brother-Konzept orientiert konnte das Publikum abstimmen und täglich einen Asylbewerber aus der Unterkunft und damit aus dem Land werfen lassen. Das war natürlich eine gewollte künstlerische Provokation, nicht nur angesichts der Unsitten des Privatfernsehens, sondern auch mit Blick auf den damaligen Erfolg der FPÖ Jörg Haiders. (Den Trailer zum Doku-Film zum Projekt gibt es HIER.) 

In diesen Dimensionen des Involvements und der moralischen Konfrontation spielt das ARD-Event natürlich nicht. Multimedial und vor allem interaktiv ist ja aber Terror – Ihre Entscheidung auch und wird von Frank Plasberg samt Gästen im Anschluss diskutiert.   

zyw
 

16.09.2016

In eigener Sache: Rezension von "Terrorismus im Spielfilm" von Hans Helmut Prinzler

Hans Helmut Prinzler, ehemaliger Leiter der Stiftung Deutsche Kinemathek, des Berliner Filmmuseums und der Berlinale Retrospektive hat in seinem Blog mein Buch Terrorismus im Spielfilm - Eine filmwissenschaftliche Untersuchung über Konflikte, Genres und Figuren positiv besprochen.

Ein große Freude und Ehre!

Die Besprechung finden Sie HIER.

22.08.2016

Vortragsreihe "Terrorismus in den Medien" (Düsseldorf)


An der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität (Institut für Sozialwissenschaft) findet im Wintersemester 2016/2016 eine öffentliche Vortragsreihe mit dem Titel „Terrorismus in den Medien. Strategien, Darstellungen, Wirkungen“ statt. In freue mich besonders, auch gleich mit dem ersten Beitrag dabeisein zu dürfen.


Nachfolgend die Terminübersicht:

Ort: Haus der Universität, Schadowplatz 14, 40212 Düsseldorf

Uhrzeit: jeweils ab 19:30 Uhr

Veranstalter: Prof. Dr. Michael Baurmann und Prof. Dr. Gerhard Vowe

02.11.2016: "Die mediale Inszenierung des Terrorismus", Dr. Bernd Zywietz (Universität Mainz / Universität Siegen)

23.11.2016: "Terrorismus als strategische Kommunikation", Dr. Liane Rothenberger (Technische Universität Ilmenau)

14.12.2016: "Radikalisierung im Internet", Dr. Lena Frischlich (Universität zu Köln)

21.12.2016: "Die Entwicklung der terroristischen Strategie", Prof. Dr. Peter Waldmann (Universität Augsburg)

04.01.2017: "Terrorismus in den Nachrichten", Prof. Dr. Carola Richter (Freie Universität Berlin)

18.01.2017: "Auswirkungen auf die öffentliche Meinung", Dr. Nicole Haußecker (Friedrich-Schiller-Universität Jena)

01.02.2017: Podiumsdiskussion "Journalismus im Zeitalter des transnationalen Terrorismus" - mit Rolf-Dieter Krause*, Knut Kuckel, Ruth Schneeberger, Prof. Dr. Stephan Weichert (* angefragt)

Sie finden dieses Programm als PDF auch HIER.

30.07.2016

Keine visuelle Terror- und Amokwerbung in Zeitungen: Selbstbeschränkung, "Werther-Effekt" und mediale "Ansteckung"


Arthur Rutishauser, Chefredakteur der Tages-Anzeiger, verkündete Sache am Freitag, dem 29. Juli 2016: Ab sofort werden keine Bilder mehr von Attentätern und Amokläufern in seinem Blatt präsentiert, weder in den Print-Ausgaben, noch online. Die überregionale Tageszeitung aus Zürich habe, so Rutishauser, intern ihre ohnehin bereits zurückhaltende Praxis angesichts der Anschläge und Attacken von Nizza, Würzburg, München und Ansbach auf den Prüfstand gestellt und entschieden, dass diese nicht mehr genüge.

Die Medien tragen [...] eine spezielle Verantwortung. Wir haben einen Informationsauftrag und müssen auch über schwere Gewalttaten berichten, die Hintergründe ausleuchten und Zusammenhänge aufzeigen. Gleichzeitig müssen wir uns mit den möglichen Folgen der Berichterstattung auseinandersetzen. Wir müssen aufpassen, den Attentätern und deren Propaganda keine Bühne zu geben und damit womöglich Nachahmer zu animieren.
Untersuchungen zeigen, dass Nachahmungseffekte bei Massentötungen wie Selbstmordanschlägen, Amokläufen und Terroranschlägen tatsächlich existieren. Psychologen bestätigen die Befunde“
so Rutishauser in der Erklärung.

Die französische Zeitung Le Monde, auf die er verwies, hatte einige Tage zuvor schon in einem Leitartikel ihres Chefredakteurs Jérôme Fenoglio mit dem Titel „Résister à la stratégie de la haine“ („Der Strategie des Hasses widerstehen“) gleiches für sich beschlossen. Zudem wird die als linksliberal geltende überregionale Tageszeitung aus Paris darauf verzichten, Bilder aus Propagandamaterialien des „Islamischen Staats“ zu präsentieren. Keine Selbstverständlichkeit.

In einer Meldung über diesen Schritt schrieb am 27. Juli die Süddeutsche Zeitung (auf SZ.de):
In Frankreich und in anderen Ländern wird derzeit intensiv darüber debattiert, wie sich Medien angesichts der häufigen Terroranschläge verhalten sollen. [...] Die Kernfrage ist, ob Medien mit intensiver Berichterstattung zu derartigen Taten beitragen. In Bezug auf den Amoklauf von München wird einigen Medien außerdem vorgeworfen, zur Verbreitung von Gerüchten beigetragen zu haben.
 
Die Zeit setzte ihrer aktuellen Ausgabe (Nr. 32 / 2016 vom 28. Juli) dahingehend ebenfalls ein Zeichen. Die Hamburger Wochenzeitung verzichtete zwar nicht auf Fotos von Tätern, Tatorten und Opfern, bildete diese aber demonstrativ in extremer Unschärfe ab (s. Abbildung).

Ausschnitt aus Die Zeit (32/2016, S. 13)


Die Begründung dazu lautete:
Wir haben uns dazu entschlossen, die Bilder der Täter, der Waffen und der Tatorte unkenntlich zu machen. Wir wollen nicht dazu beitragen, dass Mörder zu Helden stilisiert werden – und dass ihr Kalkül aufgeht: durch Grausamkeit berühmt zu werden. Dass Medien blutige Bilder verbreiten, gehört zum Plan der Täter. Ihm wollen wir nicht folgen.“ (S. 13)

Inwiefern allerdings diese Verfremdung selbst wiederum eine Stilisierung und zumindest ästhetisch (und ästhetisierend) mit der Bedeutung der Täter und ihrer Fotografien spielt, ist eine andere Frage und Diskussion wert. Eine interessante Idee ist es allemal.

Im Zeit-Beitrag „Warum es nicht aufhört?“ ist jedenfalls vom „Werther-Effekt“ die Rede. Diesen Aspekt der Medienwirkung, speziell der Imitation, führt ja auch Rutishauser ins Feld (s.o.). Die Bezeichnung „Werther-Effekt“ geht auf Johann Wolfgang Goethes berühmten und seinerzeit sehr populären Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“ (erstveröffentlicht 1774 noch mit Genitiv-"S") zurück, in dem sich der Titelheld aus unglücklicher Liebe selbst tötet. Vor allem aber verweist der Terminus auf die Nachahmungstaten in Folge der Romanlektüre. Wie Micheal Kunczik und Astrid Zipfel in ihrem Buch „Gewalt und Medien“ [1] schreiben, folgte tatsächlich ein Verbot des Buches in einigen Ländern (vgl. Kunczik/Zipfel 2005, S. 30). Dies ganz im Sinne u.a. des Göttinger Medizinprofessors Friedrich Benjamin Osiander (1759-1822), denn im „Werther“ sah Osiander Selbstmord „als eine Heldenthat oder eine Handlung eines großen Genies dargestellt“ (zit. n. ebd., S. 31). Im Sinne dieser Suggestionsthese wurden auch in verschiedenen Studien in den letzten vierzig Jahren Belege für solche Imitationseffekte nach Berichten über sowie (u.a. fiktionalen) Darstellungen von Selbstmorden gefunden (vgl. ebd., S. 94 ff.). Als Faktoren für Nachahmungswirkungen gelten – wenn auch von Kunczik und Zipfel nicht unkritisch betrachtet – u.a.:
        
- der Publizitätsgrad (die Berichterstattungsintensität)
- die Eigenschaften der Rezipienten (Jüngere sind mehr gefährdet als Ältere) sowie
- die Ähnlichkeit zwischen Vorbild und Nachahmer
- die Art des dargestellten Verhaltens (reales Handeln wird wohl eher nachgeahmt als fiktives)
- die Darstellung der Konsequenzen (etwa als positiv u. heroisierend)
(vgl. ebd., S. 101)

Was den letzten Punkt, die Präsentation der Folgen, betrifft kann allerdings von einem Unterschied zwischen einem Selbstmord, der sich nur gegen das eigene Leben wendet, und der Selbsttötung am Ende eines Amoklaufs oder einem gezielt bzw. potenziell suizidalen Terrorakt angenommen werden. Bei den beiden letztgenannten Gewaltaktionen spielen weniger die Werthaltungen und Reaktionen in der Öffentlichkeit und in den Massenmedien eine Rolle, weil es alternative konträre Sichtweisen und entsprechende Abrgenzungsgemeinschaften gibt, mit denen sich die Täter identifizieren: die teils fast kultische Verehrung von Amoktätern im Internet [2] oder die Welt- oder zumindest Konfliktwahrnehmung von Terroristen samt demonstrativer Märtyer-Verehrung, die einen gewissen Ruhm auch „lone actors“ verheißt. Insofern es um Rache, Schrecken und Verstörung geht, können negative Reaktionen in Presse und Rundfunk also eher ganz im Sinne potenzieller anti- (oder alternativ-)sozialer Nachahmer sein.
  
Was denn auch Terrorismus selbst betrifft, ist weniger der „Werther-Effekt“ als Begriff geläufig, sondern jener der „contagion“. Auch wenn die Vorstellung von massenmedialer „Ansteckung“ sich nicht auf das Feld politischer Gewalt beschränkt und für manche eher behauptet denn belegt erscheint, ist die Annahme eines solchen Effekts scheinbar „commonsensical and [...] indeed supported by anecdotal accounts as well as more systematic research“ (Nacos 2009, S. 4 [3]). Zu letzterer gehört die schon in den 1980er Jahren beginnende Forschung Gabriel Weimanns [4], Professor der Kommunikationswissenschaft an der Universität Haifa.

Brigitte L. Nacos, Politologin an der Columbia Universität, macht in ihrem Übersichtsbeitrag in Perspectives on Terrorism dahingehend eine wichtige Unterscheidung: die zwischen taktischer und inspiratorischer Ansteckung.

Ersteres zielt auf konkretes terroristisches Vorgehen ab, das v.a. bei Erfolg als Vorbild dient, beispielsweise die Botschaftsbesetzungen in den 1970er-Jahren (vgl. ebd., S. 7 – mit Bezug auf Brian Jenkins). „Inspirational contagion“, sei, so Nacos, allerdings, für die „Ziele“ der Terroristen alarmierender, denn „it is the stuff that makes terrorists tick“ und führe zur Bildung von neuen Organisationen und Zellen (ebd., S. 9). Der Schockwert der Bilder der Enthauptung Nicholas Bergs 2004 oder die Ermordung des niederländischen Filmemachers Theo van Gogh im selben Jahr finden freilich ihren inspirativen Wut- und Empörungs-Gegenpart in der gelben und orangefarbenen Kluft der IS-Hinrichtungsopfer, die der der Guantanamo-Häftlinge nachempfunden ist, wie sie eben über die Massenmedien ebenso weltweit zirkulierten.
      
Nacos schloss 2009 jedenfalls:
In conclusion, when it comes to international and domestic terrorism, various kinds of media figure quite prominently in both tactical and inspirational contagion. While the Internet has moved center-stage in this respect during the last decade, the targets of terrorism have not been able to effectively counter the mass-mediated virus of this form of political violence“ (ebd., S. 11).

Für die aktuelle Welle der Einzeltäterattentate dürfte dies auch gelten.

Können Zeitungen wie Le Monde und der Tages-Anzeiger mit ihrer Verweigerung oder die Zeit mit ihrer selbstreflexiven performativen Verfremdung tatsächlich dagegenwirken?

Rutishauser:
Wir sind uns bewusst, dass unser Einfluss hier sehr begrenzt ist. Wenn der «Tages-Anzeiger» auf Bilder und Videos von Tätern verzichtet, verschwinden diese nicht einfach. Sie werden weiterhin tausendfach im Netz zu sehen sein. Wo es uns aber möglich ist, wollen wir unsere publizistische Verantwortung wahrnehmen.

Mehr als um die Medienwirkungsprävention geht es also um ethisches Verhalten, das weniger nach „außen“, an die Täter, als nach „innen“, an die eigene Wertegemeinschaft zwecks Selbstverständigung gerichtet ist. Es ist ein begrüßenswerter und hoffentlich nicht nur zum Nachdenken und nicht nur in Branchenkreisen anregender Zug. Einer, der nicht nur auf der visuellen Ebene verbleiben darf, sondern die Berichterstattung gernell einbeziehen sollte: Wie detailliert, eilige und auch in welchen Umfang überhaupt Terrorismus und Amok thematisiert werden. Und dies ist ein weit schwieriger Punkt, weil der das Informations- und manchmal auch Sensationsinteresse von LeserInnen und ZuschauerInnen betrifft, gegen den im Aktualitätsdruck sich Massenmedien nur schwerlich verweigern können oder möchten. Dem Zwang zur Bebilderung - vor allem dem im Fernsehen vorherrschenden des Illustrierens - etwas entgegenzusetzen, ist gleichwohl bereits ein starker symbolischer Akt.


zyw


[1] Kunczik, Michael / Zipfel, Astrid (2006): Gewalt und Medien. Ein Studienhandbuch. 5., überarb. Aufl. Köln u.a.O.: Böhlau.

[2] siehe dazu u.a.: Paton, Nathalie (2012): Media Participation of School Shooters and their Fans: Navigating between Imitation and Distinction to Achieve Individuation. In: Glenn W. Muschert / Johanna Sumiala (Hg.): School Shootings: Mediatized Violence in a Global Age. Bingley: Emerald Publishing House, S. 81-103.

[3] Nacos, L. Brigitte (2009): Revisiting the Contagion Hypothesis: Terrorism, News Coverage, and Copycat Attacks. In: Perspectives on Terrorism, 3. Jg., Nr. 3, S. 3-13. Online unter: http://terrorismanalysts.com/pt/index.php/pot/article/view/73/150

[4] siehe z.B.: Weimann, Gabriel (1983): The Theater of Terror: The Effects of Press Coverage. In: Journal of Communication, 1. Jg., Nr. 1, S. 38-45;
Brosius, Hans-Bernd / Weimann, Gabriel (1991): The Contagiousness of Mass-Mediated Terrorism. In: European Journal of Communication, 6. Jg., Nr. 1, S. 67-75.

14.07.2016

Zentrale Medienstellen des „IS“ im Überblick

Anfang Juli 2016 veröffentlichte der "Islamische Staat" ein Video mit dem Titel "The Structure of the Caliphate". Der rund fünfzehnminütige Film liefert in ornamentalen animierten Infografiken einen Einblick in die Organisationsstruktur des "Kalifats". Dabei werden auch die Abteilungen im Bereich des sog. Medienministeriums ("Diwan of Media") aufgeführt. Aus einem Screenshot habe ich mit Unterstützung von Dr. Christoph Günther nachfolgende Übersicht mit Erläuterungen für unsere Projektsite "Online-Propagandaforschung" erstellt. Sie finden sie in höherer Auflösung als PDF-Datei HIER.

Propagandastellen des IS_gem. Propagandavideo

Anzumerken ist dabei, dass die mit dem IS assoziierte Nachrichtenagentur "Amaq News", die offizielle Verlautbarungen etwa zu terroristischen Anschlägen verbreitet, hier nicht aufgeführt ist (vgl. dazu auch den Blog-Eintrag von Aymenn Jawad Al-Tamimi zu dem Video). Dies kann bedeuten, dass Amaq nur als "auxiliary agency" verstanden wird, also quasi als eine nahestehende Hilfsstelle, wie Al-Tamimi es beschreibt. Möglich ist aber auch die taktische Überlegung, durch eine gewisse Distanz "Amaq News" als Informationsquelle neutraler und eigenständiger erscheinen zu lassen.

Weiterhin fällt auf, dass eine wichtige Mediaabeilung - Al-I'tisam Media Foundation - fehlt. Sie wird von Experten, etwa von Charlie Winter (Documenting the Virtual Caliphate, Quilliam Foundation, 2016, s. HIER) als zentrale Stelle angeführt. Mehrere Gründe dafür, dass Al-I'tisam nicht genannt wird, sind denkbar: Einer davon ist ein Bedeutungsverlust oder gar die Auflösung dieser Einheit. Ein anderer ist, dass Al-I'tisam schlichtweg organisatorisch nicht zum Medien-Diwan gehört, sondern auf höherer Verwaltungs- bzw. Regierungsebene anzusiedeln ist; eventuell gar dem "Kalifen" Abu Bakr al-Baghdadi direkt untersteht.  

 Bernd Zywietz  

08.07.2016

12. Juli: "Phoenix"-Abend zu IS samt Todenhöffer-Doku


Am Dienstag, den 12. Juli, widmet der Sender Phoenix einen Abend dem Thema "Islamischer Staat". Ein besonderer Coup ist die 45-min. Doku von Jürgen Todenhöfer ""Inside IS - 10 Tage im 'Islamischen Staat'", die nicht von ungeführ denselben Titel wie Todenhöfers nicht umunstrittener (siehe HIER und HIER) Erlebnissachbuch-Bestseller trägt.

Todenhöfer, der zehn Tage den IS unter Aufsicht der Dschihadisten bereiste, hatte bereits mit seinen Bildern und Berichten aus dem Kalifat Anfang 2015 für Aufsehen erregt; RTL brachte eine erste Dokumentation mit Ausschnitten, die freilich mehr Todenhöfer selbst in den Mittelpunkt rückte.

Vor der Erstausstrahlung von "Inside IS" um 21.30 Uhr eröffnet Phoenix am Dienstag mit Volker Schwenks "Im Bannkreis der Gotteskrieger – Auf der Flucht vor dem 'Islamischen Staat'", ehe um 21.00 Uhr die Reportage "Generation Dschihad. Deutsche Jugendliche und der Terror" von Anna Feist und Kyo Mali Jung folgt.

Um 22.15 Uhr schließlich gibt es ein "phoenix-Runde"-Spezial, in dem neben Todenhöfer u.a. auch Claudia Dantschke (die HIER ausführlich auf DRadio nicht nur über ihre Deradikalisierungsarbeit, sondern auch über sich und ihren Werdegang ausführlich berichtet) und der Politologe und Publizist Andrew B. Denison zum Thema IS und seine vielfältigen Herausforderungen diskutieren.

Mehr Infos zum Phoenix-Themenabend "Inside IS" und den einzelnen Sendungen am 12. Juli gibt es HIER.

07.07.2016

In eigener Sache: Diskussion zu journalist. Herausforderung des IS auf Konferenz des Netzwerks Recherche


Auf der Jahreskonferenz des Netzwerks Recherche (8./9. Juli 2016 - Titel "Journalismus heute - An der Grenze") bin ich eingeladen worden, an einer Podiumsdiskussion zusammen mit den prominenten Journalistengrößen Elmar Theveßen (stellv. Chefredakteur ZDF), Yassin Musharbash (ZEIT) und Georg Mascolo (Ex-SPIEGEL-Chefredakteur und Leiter der  Recherchekooperation von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung) teilzunehmen.

Titel ist "Propagandavideos und Gräueltaten - Über den Umgang mit dem 'IS'". Die von Susanne Stichler (Panorama 3, NDR) moderierte Veranstaltung findet am Samstag, den 9. Juli von 10.45 Uhr beim NDR Fernsehen in Hamburg statt.

Mehr Infos dazu HIER.

Propaganda in Zeiten von Brexit und „Islamischer Staat“


Wie der Brexit, also das Referendum für den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, mit dem „Islamischen Staat“ und seinem Terrorismus via (das Thema) Flüchtlingskrise zusammenhängt, hat Asiem El Difraoui in der Welt beschrieben. Ein anderer Faktor für das Referendum-Ergebnis im Sinne einer Denkzettelwählerei wird daneben diskutiert – und schließt an die Abstimmungserfolge der Alternative für Deutschland (AfD) oder den Fall Donald Trump, der im US-Präsidentschaftswahlkampf trotz oder wegen seines Populismus‘ erschreckend weit gekommen ist, an. Auf der Titelseite macht Die Zeit in ihrer vergangenen Ausgabe (Nr. 28/2016) mit der Überschrift „Was tun, wenn die Falschen gewinnen?“ auf, und Giovanni di Lorenzio mahnt unter der Überschrift „Wie viel Volk darf’s denn sein?“ vor den eingefahrenen Mustern der Erklärung und Ausgrenzung. 

Wie holt man jene Bürger zurück, die sich partout nicht überzeugen lassen und andere Prioritäten haben? Was tun, wenn die Falschen gewinnen? Die Frage drängt sich auf, aber sie kann auch eine Falle sein. Dann nämlich, wenn sie eine Spaltung akzentuiert, statt sie zu überwinden. Wenn also mit den Richtigen die aufgeklärten und politisch interessierten, weltläufig und liberal gesinnten Menschen und mit den Falschen die angstgetriebenen, politisch unterbelichteten, ressentimentgeladenen Leute gemeint sind, wahlweise die Zukurzgekommenen, die Alten, die weißen Männer oder die Landpomeranzen, denen man am besten keine Ja/Nein-Fragen in Form eines Referendums stellen sollte.

Die Erklärungs- und Beruhigungsmuster sind so augenfällig wie allgemeinpolitisch hochbrisant: Wer gegen EU ist und für Grenzzäune, allgemein xeno- wie speziell homo- und islamophob ist, erscheint unbelehrbar, unterentwickelt oder krank (was der Begriff der „Phobie“ impliziert), damit in gewisser Weise vielleicht nicht böse, aber unzurechnungsfähig. Welche Sprengkraft für das Prinzip Demokratie darin steckt, lässt sich u.a. daran ablesen, dass (und wie) über ein erneutes Referendum im Vereinigten Königreich spekuliert wird (unterstützt von Berichten über UK-Denkzettelwähler, die jetzt partout erschrocken seien, dass ihre Stimme zählt, obwohl sie ja eigentlich gar nichts gegen die EU hätten). Wählen, bis das Ergebnis vernünftig ist (ein freilich in EU-Belangen nicht präzendenzloses Vorgehen). Auch Jan Fleischhauer in seiner Spiegel-Online-Kolumne votiert in diesem Sinne für die Rückkehr zum Dreiklassenwahlrecht.

Dass nun in den Hinterköpfen der StimmzettelkreuzerInnen auf der Insel vielleicht weniger die realen wirtschaftlichen Vor- und Nachteile eines EU-Austritts präsent waren und vielmehr a) die deutsche Flüchtlingspolitik samt Folgen und Bildern und b) die gedankliche Verknüpfung von offenen Grenzen und freizügigem dschihadistischem Terrorismus in Belgien oder Frankreich bzw. der Islamisierung der „westliche“ Welt mag nachvollziehbar wie dumpf sein. Auch, dass – Stichwort Propaganda – das Bild des aktuell attraktivsten Fremden- und Schurkenbildes des „Islamischen Staats“ als zeitgenössische Quintessenz des „Evil Arabs“ und „Evil Muslims“ durch dessen (v.a. Online-)PR hier eine instrumentable Rolle spielt, durchaus zusammengeht mit politikverdrossenen Websites, Blogs und Tweets, die verschwörungstheoretisch aufschlussreich vom Konnex der Merkel-Herrschaft mit der „System-Presse“ schwadronieren, sei lediglich erwähnt.

Was aber hat Propaganda mit dieser komplexen Lage heute darüber hinaus zu tun? Oder anders und genauer gesagt: Wie kann der Begriff der Propaganda die hier skizzierten Problem- und Konfliktphänomene in ihrem Zusammenhang auf einen Nenner bringen?

Dafür lohnt der Blick in einen Klassiker des Metiers: Edward Bernaiys „Propaganda“ von 1928 [1]. Bernays war nicht nur Neffe Freuds und Begründer der modernen Öffentlichkeitsarbeit (bzw. „Vater“ des Public-Relations-Begriffs und der Definition von dessen beruflicher Installation): Bernays wie u.a. dem Pionier der Kommunikationswissenschaft Harold D. Lasswell [2] verdanken wir nach dem Ersten Weltkrieg (als dem wegbereitenden Krieg für die Bedeutungserkenntnis hinsichtlich der Massenbeeinflussung) gerade heute hochaktuelle Einsichten in Wohl, Wehe und Prinzipien von Propaganda. Auch, wenn der Terminus nach Hitler, Stalin, Mao Tse-tung et al. nachhaltig desavouiert ist. Was Anfang des 19. Jahrhunderts aber noch nicht der Fall war.

Damals, Ende der 1920er, als beim Sprechen über Propaganda Politik und Wirtschaft zusammengedacht wurden (das Werben für Idee wie für Marken in der noch neueren Zeit der Massenproduktion), galt Bernays inklusive dem, was später „Pseudoevents“ heißen würde, Propaganda als ein Mittel, dass nicht per se einfach undemokratisch ist. Vielmehr schreibt Bernays skeptisch gegen die Ideale der Aufklärung an, die für ihn angesichts seiner modernen Ära als eine Fiktion erschien. Der moderne (und gar: der postmoderne) Mensch, so lässt sich Bernays Argumentation heute fassen, wäre bzw. sei schlicht überfordert von den Angeboten an den Meinungen und Sichtweisen, mit denen er sich für eine vernünftige Meinungsbildung und Entscheidungsfindung auseinanderzusetzen schlichtweg nicht die Zeit oder sonstige Ressourcen hat. Bei aller Macht, die wir Königen und Kaiser abgenommen hätten, bei aller Alphabetisierung des „einfachen Mannes“:

Once he could read and write he would have a mind fit to rule. So ran the democratic doctrine. But instead of a mind, universal literacy has given him rubber stamps, rubber stamps inked with advertising slogans, with editorials, with published scientific data, with the trivialities of the tabloids and the platitudes of history, but quiet innocent of original thought. Each man’s rubber stamps are the duplicates of millions of others, so that when those millions are exposed to the same stimuli, all receive identical imprints“ (Bernays 1928: 20).

Das mag pessimistisch und gestrig klingen. Aber wir müssen, was die schnelle Beurteilung anbelangt, nur die „Gummistempel“ durch Facebook-Likes (-Smilys, -Frowneys etc.) oder Online-Petitionen als Form bequeme Lean-Back-Partizipation ersetzen, um zu sehen, wie zumindest zeitgemäß Bernays heute in seiner Diagnose wieder ist.     

Das Narrativ von der Info-Überforderung und mithin manipulativen Emotionalisierung als Gegenentwurf zu der der hehren Demokratisierungsfunktionen des Internets mit seinem Fakten- und Meinungsfreiheiten ist mittlerweile ein alter Hut. Und ebenso wie abschreckende Schandtaten von Flüchtlingen, ob real oder erfunden, bei Facebook kursieren, zirkulieren in Sozialen Netzwerken herzerwärmende Geschichten, etwa die vom mittel- und selbstlosen Flüchtling, der gefundene tausende Euro brav bei der Polizei abliefert. Fadenscheinig ist die eine wie die andere Story in ihrer shareabilty.

Traurig hier wie da ist der Umstand, dass Propaganda wieder in harter wie weicher Form, im Guten wie im Schlechten zusammengedacht und zusammengebracht wird mit etwas, das ähnlich bereits Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts beargwöhnt wurde: die (Volks-)„Masse“. Eben hierin liegt das entdemokratisierende Meta-Problem von Propaganda – weniger das ihrer Anwendung, denn ihr Status als Schreckgespenst. Schnell wird so nämlich die Grenze zwischen der realen Gefahr des „Islamischen Staats“ und dem Wirkungsrisiko von dessen Propaganda-Selbstbild verwischt. Auch der Vergleichsschritt hin zu den populistischen Versprechen von Nigel Farage und Co. hinsichtlich der 350 Mio. Pfund, die beim EU-Austritt dem britischen Gesundheitssystem zugutekämen, ist in diesem Zusammenhang ein kleiner. Hier wir da grüßt der selbsterhöhende Third-Person-Effekt als Propagandagefahr höherer Ordnung: All die vielen anderen Leute, sie fallen darauf herein (man selbst natürlich nie und nimmer). Solch Denken und Argumentieren entmündigt nicht nur Bürger (was schlimm genug wäre): Es entlässt sie Brexit-Befürworter wie radikalislamistische Syrien-Ausreisende (und -Rückkehrer, denen ein „falsches“ Bild von Kalifat und Glaubenskrieg vorgegaukelt wurde oder worden sei) mitunter aus ihrer Verantwortung, ohne die jedoch Aufklärung als geistesgeschichtlinge Errungenschaft per se nicht zu denken ist.

Wenn wir Propaganda diese fragwürdige schizophrene Wirkmacht (der Legitimation wie der Deligitimation „des Volkes“) zusprechen, dann müssen wir ebenso konsequent sein, was ihre Bewertung und ihren Einsatz anbelangt, sprich: Propaganda als Faktum und mehr noch: als Werkzeug betrachten, das es womöglich zum Besten einzusetzen gilt. Unter anderer Bezeichnung natürlich und im Namen der Aufklärung (hier der alltagspragmatischen, erzieherischen). Das wäre zumindest schlussrichtig, auch wenn das freilich Abwertung und Ausgrenzung noch weiter befördert.

Damit sind wir wieder bei Edward Bernays und anderen Autoren, die die Moralität von Propaganda nach den Zielen bemaßen (im Gegensatz zu v.a. Jacques Ellul und seiner späteren, quasi diskursethischen, deontologisch begründeten Ablehnung). Die Logik hinter dem „realistischen“ Verständnis von Propaganda und ihrem Gebrauch ist durchaus bedenkenswert, gerade von einem Neutralitäts- und Objektivitätsstandpunkt aus: Bin ich überzeugt, dass meine Sichtweise und die damit einhergehenden Machteinsätze zur Formung des gesellschaftlichen und politischen Lebens die richtigen sind, ist es nur geboten, dafür – also im Namen eine höheren Wohls – jedwede Überzeugungsmittel jenseits von Gewalt für deren Durchsetzung anzuwenden. Bertrand Russell [3], Mitbegründer der Analytischen Philosophie, sah das Übel der Propaganda denn auch lediglich in zwei von ihr ablösbaren Faktoren: Erstens dem Appell ans Irrationale, also Gefühle und Affekte. Russell selbst erachtete diesen Aspekt allerdings als weniger relevant:

For my part, I am inclined to think that too much fuss is sometimes made about the fact that propaganda appeals to emotion rather than reason. The line between emotion and reason is not so sharp as some people think. Moreover, a clever man could frame a sufficiently rational argument in favour of any position which has any chance of being adopted. There are always good arguments on both sides of any real issue“ (Russell 1922: 39).

Tatsächlich lassen sich praktisch keine Fälle finden, in denen nicht im Guten wie im Schlechten moralische Emotionen argumentativ zumindest berührt würden, um für etwas als „richtig“ oder „fair“ werben. Seien die Maßstäbe dazu noch so historisch, und geschehe es nur der überzeugungskräftigenden Nachvollziehbarkeit wegen.

Der zweite Punkt Russells ist (ihm) gewichtiger und hebt auf die verfügbaren Ressourcen ab. Ganz konkret können wir darunter heute finanziellen Mittel verstehen, mit denen etwa Sendezeit gekauft oder Aufmerksamkeit im World Wide Web generiert und gesteuert wird (qua Personalkosten für Social-Media-Kommentatoren oder die Miete von Twitter-Bots etwa). Russell: „It is obvious that the arguments in favour of the richer party would become more widely known than those in favour of the poorer part, and therefore the richer party would win“ (ebd.: 40). Dies hebt freilich nicht auf die Legitimität oder den ethischen Status von Propaganda ab, sondern nur auf das Asymmetrische des Einsatzes. Möge jeder propagieren und agitieren, nur gleichberechtigt.

Das ist natürlich höchst unbequem und gerne lässt sich Propaganda von etwa Bildung und erzieherischer oder informativer Aufklärung (z.B. der Berichterstattung) dadurch unterscheiden, dass ersteres mit Lüge, Halbwahrheiten und unstatthaften Emotionalisierungen operiert. Nach bestem Wissen und Gewissen verbreiten aber auch so manche Ideologen und Indoktrinateure ihre Botschaften. Und spätestens wenn es um grundlegende Werte, Weltanschauungen und Menschenbilder geht, gerät man irgendwann an den Punkt, an dem sich mit Fundamentalisten nicht mehr weiterdiskutieren lässt (ohne den Verstand zu verlieren). Man muss sich tatsächlich nicht Propaganda erwehren, indem man Gegenpropaganda betreibt. Gerade dann sollte man sich allerdings auch keinem breiten politischen Propaganda-Opfer-Diskurs fahrlässig hingeben. Nicht zuletzt weil das brisanteste Propaganda-Verständnis schon allzu verbreitet ist im Alltag: Propaganda als die Meinungen und Meinungsäußerungen, die schlicht der eigenen Auffassung widersprechen. 


[1]  Bernays, Edward (1928): Propaganda. New York: Horace Liveright.

[2]  Lasswell, Harold Dwight (1938 [1927]): Propaganda Technique in the World War. New York: Peter Smith.

[3]  Russell, Bertrand (1922): Free Thought and Official Propaganda. C.K. Ogden Conway Memorial Lecture, South Place Institute, 24. März 1922, London: Watts & Co.
Online unter: http://www.gutenberg.org/ebooks/44932

13.05.2016

Veranstaltungstipp: Tagung "Propaganda im Internet", 24. Juni 2016, Mainz


Am Freitag, den 24. Juni, findent an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz eine Fachtagung zum Thema "Propaganda im Internet – Formen und Herausforderungen radikal-islamistischer Werbung" statt.



Veranstalter das Projekt "Dschihadismus im Internet" am Institut für Ethnographie und Afrikastudien (ifeas) der Uni Mainz in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz und dem Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam an der Goethe-Universität Frankfurt a. M.

Die Vorträge und Diskussionen befassen sich mit der geschichtlichen Entwicklung, den Wirkweisen und medialen Aufmachungen audiovisueller dschihadistischer Online-Propaganda. Sie widmen sich zudem konkreten Untersuchungs- und Handlungsmöglichkeiten, wie sie für die Forschungs- und pädagogische Praxis von Bedeutung sind.

Zum Zwecke der Information und des Austausches wendet sich die Veranstaltung Propaganda im Internet – Formen und Herausforderungen radikalislamischer Werbung an WissenschaftlerInnen unterschiedlicher Disziplinen, die sich u.a. mit Radikalisierung, Islamismus, Propaganda und medialen Gewaltdarstellungen befassen, sowie an PädagogInnen und MitarbeiterInnen verschiedener Projekte und Institutionen der Bildungs-, Aufklärungs-, Interventions- und Jugendarbeit.


Das Programm:

14.15 Uhr: Begrüßung, Vorstellungsrunde

14.30 Uhr: „Islamismus im Internet: Eine Perspektive des Jugendschutzes“, Patrick Frankenberger (jugendschutz.net)

15.00 Uhr: „Extremistische Propagandavideos im Netz: Inszenierung, Wirkung, Gegenangebote“,

Dr. Lena Frischlich (Universität zu Köln)

15.45 Uhr: Pause

16.00 Uhr:„Drei Jahrzehnte Dschihad-Propaganda: Eine Analyse der audiovisuellen Propaganda“, Dr. Asiem El Difraoui (Politologe u. Islamismusexperte)

17.00 Uhr: Diskussion

Weitere Informationen - auch zur Anmeldung bis zum 10. Juni - finden Sie HIER auf der Website Online-Propagandaforschung des Projekts "Dschihadismus im Internet".


29.04.2016

F. von Schirachs Ethik-Drama "Terror" - demnächst als Fernsehfilm


ARD/ RBB/ Julia Terjung - Quelle: Spiegel-Online

Moralische Zwickmühle des Terrorismus: Darf ich ein (vermeintlich) von Selbstmordattentätern gekapertes Passagierflugzeug abschießen - und damit den Tod der Geiseln an Bord in Kauf nehmen, gar bewusst herbeiführen?

Mitte der 2000er Jahre, angesichts der Anschläge des 11. September 2001 wurden Recht und Richtigkeit, Unzulässigkeit und Sich-Verbieten in Deutschland grundsätzlich wie konkret (was die Änderung des Luftsicherheitsgesetzes betraf) diskutiert. 2006 verwarf das Bundesverfassungsgericht die entsprechende neue Vorschrift (der Bund habe hier nicht die Gesetzgebungskompetenz), ohne allerdings prinzipiell dagegen zu sein:

"Der Grundrechtseingriff wiegt allerdings schwer, weil der Vollzug der Einsatzmaßnahme nach § 14 Abs. 3 LuftSiG mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Tod der Flugzeuginsassen führt. Doch sind es diese in der hier angenommenen Fallkonstellation selbst, die als Täter die Notwendigkeit des staatlichen Eingreifens herbeigeführt haben und dieses Eingreifen jederzeit dadurch wieder abwenden können, dass sie von der Verwirklichung ihres verbrecherischen Plans Abstand nehmen. Diejenigen, die das Luftfahrzeug in ihrer Gewalt haben, sind es, die maßgeblich den Geschehensablauf an Bord, aber auch am Boden bestimmen. Zu ihrer Tötung kann es nur kommen, wenn sicher erkennbar ist, dass sie das von ihnen beherrschte Luftfahrzeug zur Tötung von Menschen einsetzen werden, und wenn sie an diesem Vorhaben festhalten, obwohl ihnen die damit für sie selbst verbundene Lebensgefahr bewusst ist. Das mindert das Gewicht des gegen sie gerichteten Grundrechtseingriffs." (Abs. 150)

Und:

"Im Hinblick auf die außergewöhnliche Ausnahmesituation, von der § 14 Abs. 3 LuftSiG ausgeht, bleibt der Wesensgehalt des Grundrechts auf Leben im hier vorausgesetzten Fall durch den mit dieser Vorschrift verbundenen Grundrechtseingriff so lange unangetastet, wie gewichtige Schutzinteressen Dritter den Eingriff legitimieren und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist." (Abs. 154)

2013 entschied das Verfassungsgericht: Nur die Bundesregierung dürfe im Einzelfall einen solchen Abschuss beschließen (und nicht etwa nur der Verteidigungsminister), gleichwohl: "Die §§ 13 und 14 LuftSiG sind materiell verfassungsgemäß".

Was aber, wenn die Entscheidung in einem solchen Extrem- und Ausnahmefall nicht von den befugten und verantwortlichen Staatslenkern zu treffen ist - und entsprechend von einem Einzelnen wahlweise geschultert oder sich angeeignet wird?

Das moralische Dilemma eines solchen Gedankenspiels hat der Strafverteidiger und Schriftsteller Ferdinand von Schirach (Schuld) zum Theater(lehr)stück Terror geformt, eine fiktionale Gerichtsverhandlung nach einer solchen Entscheidung. Ein Kampfpilot hat eigenmächtig einen solchen präventiven Abschuss vorgenommen, der Flieger sollte in eine Fußballstadion gelenkt werden. Nun ist er  angeklagt, und über das Urteil in der Fiktion kann und soll (gar: muss) das Publikum abstimmen. Wie sich die Zuschauerinnen und Zuschauer je entscheiden, dokumentiert der Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH im Internet (als Buch ist Terror als "ein Theaterstück und eine Rede" bei Piper 2015 erschienen). Bis heute haben 59,4 % der Besucher vor der Bühne auf Freispruch plädiert. 

Terror gemahnt an ähnlich ethisch provokante Gedanken- und fiktionale Fallbeispiele, in denen Terrorismus eben nicht nur als besondere sicherheitspolitische oder ideologische, sondern vor allem auch als ethisch-moralische Herausforderung deutlich wird. Zu nennen ist das klassische "ticking time-bomb"-Szenario und die Frage, wie weit man beim Verhör mit einem gefangenen Terroristen gehen darf, um Menschenleben zu schützen. Bis hin zur Folter? Ein Film, den ich dahingehend HIER schon wie in meinem Buch behandelt habe, ist UNTHINKABLE, ein ähnlich gelagerter Fall die Entführung des jungen Jakob von Metzler und die Folterandrohung des Polizeipräsidenten Wolfgang Daschner gegen den (damals mutmaßlichen) Kidnapper samt anschließenden Prozess gegen den Beamten 2004.

Unter der Regie von Lars Kraume (Der Staat gegen Fritz Bauer) ist nun Terror als Fernsehfilm für das Erste (ARD) abgedreht worden. Burkhart Klaußner spielt den Richter, Florian David Fitz den angeklagten Piloten. Mit dabei auch Martina Gedeck und Lars Eidinger. Auch das Fernsehpublikum ist wie die Theaterbesucher gefordert: per Telefon und Soziale Medien wird abgestimmt. (Mehr dazu HIER.) Was ein interessantes Fernsehexperiment verspricht - eines freilich, das in Sachen Publikumseinbezug an ähnliche TV-Experimente im letzten Jahrhundert anschließt. Und eines, das in Zeiten von Facebook-Populismus und schein-enagiertem, wohlfeilem "Click-" und "Slacktivism" in Verbindung mit einem solchen Thema schon wieder ein mulmiges Gefühl erzeugen kann. Aber die Vorstellung, dass in absehbarer Zukunft per Hotline- und Twitter-Volksvotum über den Abschuss eines entführten Terroristen-Lufthansaflugs beschlossen wird, ist wohl allzu dystopisch.
Hoffentlich.

14.04.2016

ZDF-Film zum Rohwedder-Attentat 1991


Hier die Pressemeldung des ZDF:

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"Der Mordanschlag" – ZDF verfilmt Rohwedder-Attentat / Koproduktion von Network Movie und Senator Film 

Vor 25 Jahren wurde Detlev Rohwedder, der damalige Chef der Treuhandanstalt, von der RAF in seinem Wohnhaus erschossen. Die Frage nach dem Hintergrund der Tat stellt sich bis heute – erst recht nach den jüngsten ungeklärten Raubüberfällen der dritten RAF-Generation.

Für das ZDF greift Network Movie, Jutta Lieck-Klenke, dieses Thema nun auf und entwickelt derzeit in Zusammenarbeit mit Senator Film Produktion einen Event-Zweiteiler mit dem Arbeitstitel "Der Mordanschlag" nach dem Buch von André Georgi.

Wer steckt wirklich hinter diesem Mord? 1991 ist Rohwedder einer der meistgefährdeten Männer des wiedervereinigten Deutschland: Zielscheibe der RAF, verhasst bei Teilen der DDR-Bevölkerung und im Konflikt mit westdeutschen Unternehmen, die alles dafür tun, dass ihnen im Osten keine Konkurrenz erwächst. An Rohwedders Seite: seine junge Assistentin Sandra Wellmann, die – plötzlich im Zentrum der Macht – an dem zu zweifeln beginnt, wofür sie eigentlich steht.

Für das Fernsehen inszeniert wird der brisante Stoff von dem Regie-Duo Cyrill Boss und Philipp Stennert, die für Network Movie bereits bei den Start-Filmen der ZDF-Krimireihe "Neben der Spur" erfolgreich Regie führten. Produzenten sind Jutta Lieck-Klenke, Dietrich Kluge und Ulf Israel. Die Redaktion im ZDF hat Wolfgang Feindt. Die Dreharbeiten finden voraussichtlich im Herbst 2016 statt.

02.04.2016

CFP: Radicalisation in culture and media

Call for papers

Tuesday 28th June 2016 – De Montfort University
To mark the launch of the newly formed Race, Ethnicity and Postcolonial Network, the group invites people to a one day conference to explore the media and cultural responses to the issue of radicalisation.

The concept and representation of radicalisation has been at the heart of various interrelated media discourses on terrorism and radical Islam in recent years, with equations often implied as well as overtly stated.  As a result a semantic shift has taken place in the words and concepts of radical/radicalisation with huge political implications for the current political context and civil society.

New legislation places a statutory duty on public bodies, including schools to prevent what is perceived as extremist radicalisation taking place within their walls. The scale of these new duties is vast and potentially very intrusive and has led to some unusual media stories, including claims that a 10 year old Lancashire boy was interviewed by police after misspelling ‘terraced house’ as ‘terrorist house.’

This conference aims to explore what radicalisation and radical means by critically examining the Government’s agenda, the media discourses and affected communities’ perspectives, especially the much targeted Muslim communities.

Confirmed Keynote speakers

  • Professor Bob Brecher
    Centre for Applied Philosophy, Politics and Ethics (CAPPE), University of Brighton.
  • Dr Mark Devenney
    Centre for Applied Philosophy, Politics and Ethics (CAPPE), University of Brighton.

We welcome contributions on topics such as but not limited to:

  • What is radicalisation or extremism? How and why has the definition evolved and changed?
  • How is the media communicating ideas about radicalisation, terrorism and extremism?
  • Media representations of ‘radicalised’ young people
  • The implications and impact of the Counter-Terrorism and Security Act 2015 on public bodies (schools, universities, prisons, etc.) and ordinary people
  • Media representations of government policies on terrorism and radicalisation
  • The equation of ‘radical’ with religion, especially Islamic forms
Please submit your abstract of 200 words by Thursday, 7 April to:
Gurvinder Aujla-Sidhu, gaujla-sidhu@dmu.ac.uk
Rinella Cere, r.cere@shu.ac.uk

16.03.2016

Veranstaltung: "Kunst in Zeiten des Krieges", 15.-17. April, Ev. Akademie Tutzing


Die Evangelische Akademie Tutzingen veranstaltet von 15. bis 17. April 2016 zusammen mit der Deutschen UNESCO-Kommission e.V. eine Tagung zum Thema "Kunst in Zeiten des Krieges"

Mit ZDF-Reporter Martin Niessen trage ich dabei im hübschen Schloß Tutzing am Ufer des Starnberger See zum Thema "Einsatz von und medialer Umgang mit Kriegsbildern und Propaganda" vor. Anmeldungen sind noch bis 8. April möglich.

Mehr Informationen (inkl. Tagungsprogramm) finden Sie HIER.  


Zum Inhalt hier aus der offiziellen Ankündigung:

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Die Buddhastatuen in Bamiyan, die Bibliothek von Timbuktu, der Markt von Aleppo, die Tempelanlagen von Palmyra – Extremisten attackierten in den letzten Jahren Menschen und jahrtausendealte Kulturschätze gleichermaßen.
 
Gezielte Zerstörungen wie sie vom IS als Machtdemonstrationen inszeniert werden, schrecken die Weltgemeinscha auf und lenken den Blick darauf, dass Krieg auch immer die Vernichtung von Kulturgütern bedeutet. Plünderung und Raub sind an der Tagesordnung, Länder wie Syrien verlieren ihre Schätze, ihre Kunst, ihre Geschichte und damit Teile ihrer Identität. Nicht zuletzt deshalb bezeichnet die UNESCO die Zerstörungen von Palmyra und weiteren Welterbestätten als Kriegsverbrechen und setzt sich für ihre Ahndung ein.
 
Doch auch das kulturelle Leben und seine Infrastruktur kommen im Kriegsfall zum Erliegen. Einst lebendige Spielstätten stehen leer, werden umfunktioniert oder zerstört. Künstler und Kulturschaffende werden verfolgt, getötet, verstummen oder verlassen das Land. Inmitten von Angst und Gewalt erscheinen Malerei, Theater, Musik und Poesie absurd. Und doch sind es oft genug die Künstler, die sich zu Wort melden und Gehör finden – vor Ort und im Exil. Sie machen aufmerksam auf die Geschehnisse im Land, sie dokumentieren und verarbeiten, sie schaff en Momente der Hoffnung für sich und andere.
 
Diese Hoffnung mit Blick auf Gegenwart und Zukun zu nähren und Verantwortung zu übernehmen für Kulturerbe, kulturelle Vielfalt und Kulturscha ende, liegt auch in der Verantwortung der Weltgemeinschaft. Der Maßnahmenkatalog von international tätigen Organisationen und lokalen Initiativen reicht dabei von präventiven Dokumentationsprojekten und dem Wiederaufbau von Infrastruktur und zerstörten Stätten bis hin zur Förderung kultureller Vielfalt und Unterstützung von Künstlern.
 
In der Tagung „Kunst in Zeiten des Krieges“ beschäftigen wir uns mit den Auswirkungen aktueller Kriege auf Kunst und Kultur. Was bedeutet der Verlust wichtiger kultureller Stätten für die betroffenen Länder, was für die Weltgemeinschaft? Welche Auswirkungen haben die provozierenden Bilder des IS, wie gehen Medien und Öffentlichkeit damit um? Welche Maßnahmen kann die internationale Staatengemeinscha ergreifen, um zu bewahren und zu schützen? Wie schlägt sich die Kriegserfahrung der Menschen in den Künsten nieder? Und was kann mit Blick auf eine friedlichere Zukunft schon heute für Künstler und das kulturelle Leben von Ländern, die sich im Krieg befinden, getan werden?
 
Zu Diskussion, Gespräch und Begegnung laden wir herzlich in die Evangelische Akademie Tutzing ein.
 
 

07.03.2016

Problematische (Schau-)Werte-Verteidigung


Anfang Februar brachte das Erste in der Sendung titel thesen temperamente einen Beitrag über das IS-Online-Magazin DABIQ. In diversen Sprachen, darunter auch in Englisch, berichtet die PDF-Postille mit Hochglanzanmutung aus dem Inneren des „Kalifats“ und der ihm zugrundeliegenden Gedankenwelt. Mit Kriegs- und Märtyrerbildern wird vom Jihad erzählt, die neuesten Treueschwüre der sich dem IS anschließenden Gruppierungen werden vermeldet, dazu gibt es politische „Hintergrundartikel“ zur Weltlage, religiöse Rechtfertigungen mit zweckdienlichen Koran-Verweisen und Botschaften geistiger Führungspersonen. Doch auch die Propaganda-Videos von al-Hayat Media Center und Co. werden hier beworben, als seien es neueste Kino-Blockbuster.

DABIQ, so Evelyn Fischer in ihrer Anmoderation des ttt-Beitrags (noch hier bis zum 7. Februar2017 in der ARD-Mediathek verfügbar), sei eine „verstörende Lektüre“ und „von Sicherheitsbehörden als äußerst gefährlich eingestuft“.

Entsprechend interessant ist das Reportagestück nicht nur, weil Experte Asiem El Difraoui („Jihad.de“) anaylsierend zu Wort kommt oder Abdalaziz Alhamza und der aufklärerische Widerstand der Gruppe „Raqqa is Being Slaughtered Silently“ vorgestellt wird, der mit dem der „Weißen Rose“ in Nazi-Deutschland verglichen wird. 

Screenshot des ttt-Beitrags, Quelle: DasErste Mediathek

Bemerkenswerter noch ist, wie der TV-Beitrag die IS-Online-Propaganda und mithin das DABIQ-Magazin selbst inszeniert. Als wäre die Statik der Publikation eine eigene Provokation für das Medium Fernsehen werden Details mit Kameraschwenks abgetastet, werden Inhalte ins Bild gescrollt, ergänzend IS-Propagandavideoaufnahmen beigemengt. Besonders markant: Wie ein gefährliches lauerndes Raubtier, das einen in seinem Bann schlägt, dem man aber tunlichst nicht zu nahe kommen sollte, ist der bedrohlich-düster ausgeleuchtete Computerbildschirm, auf dem ein DABIQ-Titel zu sehen ist, präsentiert. Die Kamera umfährt ihn im Halbkreis (wie in „sicherer Distanz“ und zugleich um ihn aus mehreren Blickwinkeln zu bestaunen), springt auch mal kurz heran – oder springt uns der Monitor entgegen, mithin die IS-Propaganda, wie ein Tiger oder eine Kobra attackierend vorschnellt gegen die Gitterstäbe des Käfigs oder die Glaswand des Terrariums? Zu dieser Aufladung, dieser Dynamisierung und Ästhetisierung auf der Bildebene kommt die passende unheilverheißende musikalische Untermalung hinzu. Sie wird dann kontrastiert von den klagenden Klängen, die den „authentischen“ Aufnahmen aus Rakka (in denen die Menschen an der realen Versorgungslage zu leiden haben) unterlegt sind. Horrorthriller hier, Tragödie da.

Dass die Propaganda des IS hier selbst als solche ausgestellt und thematisiert wird, ist begrüßenswert. Dass die inhaltliche, kritisch-enthüllende Distanz (die besonders die Ausschnitte aus dem einordnenden Gespräch mit Difraoui bietet) ästhetisch bzw. gestalterisch selbst wieder insofern aufgegeben oder unterlaufen wird, als der Zuschauende sinnlich-affektiv diesen „bösen“ Botschaften und Bildern ganz nahe gebracht wird, ist ein Problem. Eines freilich, das nicht nur das von titel thesen temperamente oder sogar bloß des Fernsehens als berichterstattendem Medium ist. Der Propaganda des IS und mithin dem IS ist man in ihrer Faszinations- und Attraktionskraft erlegen – wenn und leider gerade auch in Haltung und Duktus der Dämonisierung. Dass dies hier unter Einsatz jener suggestiven Mittel geschieht, vor der man zwar gerne mahnt, die man gerne herausstellt, derer man sich selbst allerdings nur zu gerne bedient ohne sie zu reflektieren, verleiht dem Ganzen jedoch etwas fatal Ehrfürchtiges wie auch hilflos Blindes (oder Stummes).

Und wie soll man die IS-Propaganda entzaubern oder ihre Grenze aufzeigen, wenn man in einer Art Zerrspiegel sie und vor allem ihre Ausdrucks- und Gestaltungsweisen zurückwirft und damit – um im Bild zu bleiben – nur ins Unendliche vervielfältigt? Denn es ist ja nicht so, dass der IS bzw. die Bilder, die er von sich selbst mach, nicht selbst Wiederspiegelungen oder mediale Rückgaben wären. Die Formen und Mittel, die die Dschihadisten für die Attraktion und Faszination ihrer Botschaften und Sichtweisen nutzen, sind eben jene, die sie sich quasi von spektakulären TV-News und Werbeclips, von einer allgemeinen, dem aufmerksamkeitsheischenden Augensinn- und Nervenkitzel abgeschaut haben.

So ist die IS-Propaganda – wie auf einer etwas anderen Ebene der IS als diskursives Konstrukt insgesamt – deshalb eine besondere Herausforderung für seine Bewähltung und mediale Einhegung, weil in doppelter Hinsicht Projektionsfläche, und seine „Verführungskraft“ selbst in Ablehnung und Abscheu so schwierig zu brechen oder nur zu parieren weil in Material und Werkzeug viel zu gleichartig unserem eigenen Ausdrucksreservoir und -repertoire. Unsere eigenen populären Schau-Werte lassen sich gegen eine auf feindliche Indienstnahme schlecht verteidigen.

zyw

22.01.2016

IS nutzt Historienfilm für Propaganda


An dieser Stelle habe ich 2013 schon, im Kontext des online-verbreiteten "Hetz"-Films (bzw. Pseudo-Trailers) "The Innocence of Muslims", über den Kino-Epos THE MESSAGE von Moustapha Akkad geschrieben. 1977 in die Kinos gekommen behandelte dieses die Gründerzeit des Islam und führte seinerzeit zu einigen, teils gewalttätigen, Kontroversen.

Einige Jahre später brachte Akkad LION OF THE DESERT (dt.: "Omar Mukhtar – Löwe der Wüste", 1979 / 1981) als zweite und letzte Regiearbeit in die Kinos. Finanziert durch Muammar al-Gaddafi erzählt die US-libysche Produktion vom Widerstand des Omar Mukhtar gegen die Italiener im Jahr 1929. Anthony Quinn (der in THE MESSAGE schon des Propheten Onkel Hamsa darstellte) spielt iW THE DESERT den Freiheitshelden, Rod Steiger den italienischen Diktator und Oliver Reed dessen General Graziani. Weitere Stars und Schauspielgrößen: Irene Papas, John Gielgud und, in einer Nebenrolle, Sky Dumont. Ein weiterer Fall geschichtlich-nationalistischer Vereinnahmung des Kinos (oder des Versuchs), die, wie im Falle Gillo Pontecorvos LA BATTAGLIA DI ALGERI, freilich in eigenständigen, künstlerischen Werken resultieren kann (s. dazu etwa Kapitel 11.2 in meinem Buch).


Ausschnitte aus LION OF THE DESERT hat der sog. "Islamische Staat" nun in einem Video verwendet, mit dem Italien gedroht wird (Expansion bis dass das Banner des "Kalifats" über Rom flattert, siehe HIER). Dieser "aneignende" Rückgriff auf den den Film ist in seiner verdeckten Symbolik und Verweisdichte nicht nur unglücklich glücklich, sondern auch auf bitterste Weise ironisch: Regisseur Moustapha Akkad, der vor allem als Produzent später Erfolg hatte, kam im jordanischen Amman mit seiner Tochter 2005 bei bzw. in Folge eines Bombenanschlags auf das Grand Hyatt-Hotel ums Leben - verantwortet von "al-Qaida im Irak", der Vorgängerorganisation des "Islamischen Staats".

13.01.2016

Zum Buch: Bilderan- und -enteignung


Wie im letzten Beitrag erwähnt stelle ich hier unter dem Label "Zum Buch" Zusatzmaterial, Ergänzungen, Korrekturen u. Ä. zu meinem Buch Terrorismus im Spielfilm: Eine filmwissenschaftliche Untersuchung über Konflikte, Genres und Figuren (Springer VS, 2016) ein.

Im Kapitel zum Nordirlandkonflikt und zur IRA im Film (Unterkapitel 3.2.3.1: "Historisierungen, Zeitgeschichte(n) und Aufarbeitung") gehe ich darin auf Terry Georges SOME MOTHER'S SON (MUTTER UND SÖHNE, Irland/USA 1996) ein. Der Film handelt von zwei Müttern (Helen Mirren, Fionnula Flanagan), deren Söhne nach einer Guerilla-Aktion gegen das britische Militär zu langen Haftstrafen verurteilt werden und mit in den 1981er-Hungerstreik treten.

Obwohl Regisseur und Drehbuchautor George, selbst mit republikanischer Vergangenheit, sich in dem Film klar gegen die Hardliner-Politik der Thatcher-Regierung (die den politischen Status der Inhaftierten aufhob) wendet, ist SOME MOTHER'S SON geprägt vom Bemühen, beiden Seiten, der britischen und der irischen, Gerechtigkeit zukommen zu lassen bzw. die humanitäre Seite des Konflikts als menschliches Drama "entpolitisierend" in den Mittelpunkt zu stellen. Dabei wird auch die Vereinnahmung der Streikenden durch IRA und Sinn Féin kritisiert - derweil von deren Seite wiederum dem Film eine allzu weiche, liberale Haltung vorgeworfen wurde.

Es hinderte freilich Sinn Féin und Co. nicht, sich Bildern aus dem Film als Motivvorlagen zu bedienen, um auf Flugblättern (eines davon ist einzusehen in der Northern Ireland Political Collection der Linen Hall Library in Belfast) oder - wie hier zu sehen - auf Wänden für Gedenkveranstaltungen zum "opfermythischen" Hungerstreik zu werben.


Some Mother's Son, Screenshot / Videoaufzeichnung der ZDF-Fernsehausstrahlung

Quelle: Flickr, CC BY-NC-SA 2.0, Nutzer PPCC Antifa; aufgenommen am 10. August 2008)

Dieses Beispiel zeigt zum einen, wie Bildmaterial aus populären Filmen geeignet ist, erinnerungsfunktional an die Stelle von "authentischen" Aufnahmen zu treten, diese zu überlagern, vielleicht gar zu verdrängen. Und sei es nur, weil sie in ihrer Komposition besonders a-/effektiv sind und eine besondere "innere Wahrheit" jenseits bloßer Abbild- bzw. Beleghaftigkeit zum Ausdruck bringen

Zum anderen demonstriert das Beispiel, dass vielleicht um Repräsentationen, Handlungen und Bedeutungen von Filmen und ihre politische Linie gestritten werden mag, Filme aber doch immer ein so quasi indifferentes, gleichwohl attraktives Verfügungsmaterial liefern, dass man sich dessen für die eigenen Zwecke einfach und gerne bedienen kann, man es sich aneignen mag - unabhängig von der Intentionen der Filmemacher oder der Gesamt-Tendenz des "Films" (i.S.d. filmischen Erzählung mit all ihren weiteren gestalterischen Verfahren, der Story, Dramaturgie und Paratextualität) selbst.  

Zwischen bloßer Reinszenierung und blanker Stellvertreterschaft ist der erinnerungskulturelle und -politische Gebrauchs- und Bedeutungszusammenhang also bisweilen kein einfacher, weil nicht zuletzt ein mehrstufiger und dynamischer.


10.01.2016

Jetzt erschienen: TERRORISMUS IM SPIELFILM




Terrorismus im Spielfilm: Eine filmwissenschaftliche Untersuchung über Konflikte, Genres und Figuren ist nun im Januar 2016 bei Springer VS in Wiesbaden erschienen. Grundlage ist meine Dissertation, die 2013 an der Universität Tübingen (Institut für Medienwissenschaft) angenommen und verteidigt wurde.

Auf rund 600 Seiten befasst sich die Doktorarbeit, die für die Veröffentlichung stark bearbeitet und aktualisiert wurde, zentral mit
- der IRA und dem Nordirlandkonflikt im Film,
- dem Linksterrorismus im (west-)deutschen Kino,
- dem "Evil-Arab"-Stereotyp Hollywoods sowie
- politischen Konflikten Indiens v.a. in Bollywood-Filmen (v.a. Hindu-Muslim-Spannungen u. dem Kaschmir-Konflikt).

Dabei wurden jeweils auch geschichtliche, politische und mediale Kontexte berücksichtigt - sowohl die Konflikte wie die Spielfilme betreffend. So werden die Filme primär im Zusammenhang der jeweiligen gesellschaftlichen Terrorismus-"Stimmung" diskutiert.

Eine kleine Genre-Systematik, die erzählerische, dramaturgische und emotional-affektive Ansätze sowie Figuren-Typen herausarbeitet, baut auf diesen Einzelkonflikt- u. -kinematografie-Übersichten auf. Als theoretische Grundlage sind die Begriffe "Narrative" bzw. "Erzählungen" und "Frames" zentral. Allerdings verstehe ich bewusst diese Arbeit nicht in erster Linie als Terrorismusfilm-Theorie, sondern als explorative Studie, in die eine große Menge nicht nur eigener Filmbetrachtungen, sondern auch bestehender Texte eingeflossen ist, die in der Form noch nicht zusammengeführt und (auch kritisch) ausgewertet wurden.

Das Buch ist trotzdem (oder gerade deshalb) gedacht als Grundlagenwerk nicht zuletzt auch für Nicht-Film- u. -Medienwissenschaftler, die sich nur für einzelne Aspekte und Themen interessieren. Zudem entwirft es einen Ansatz, der für die Einordnung und Untersuchung weiterer Werke und (auch nicht-filmfiktionaler) Erzählungen zu den genannten sowie zu anderen Terrorismuskrisen und -konflikten dienen, der durchaus kritisiert, ergänzt bzw. weiterentwickelt werden kann.

Leider, aber naturgemäß konnte ich trotz des erheblichen Umfangs nicht alle relevanten und interessanten Filme sowie Gedanken, Beobachtungen und Schlüsse berücksichtigen und angemessen ausführen. Dementsprechend dient dieser Blog mit dazu, Ergänzungen, Korrekturen, Fortführungen und Hinweise zu Terrorismus im Spielfilm zu präsentieren. Beiträge diesbezüglich werde ich künftig unter der Rubrik "Zum Buch" hier veröffentlichen.

Terrorismus im Spielfilm: Eine filmwissenschaftliche Untersuchung über Konflikte, Genres und Figuren ist als gedrucktes Buch (etwa direkt HIER oder bei Amazon HIER) und als eBook zu beziehen. Über diverse Universitäts-Bibliothekssystem steht es als PDF für Studierende und Mitarbeiter kostenlos (v.a. auch zum Download) zur Verfügung - an der Johannes-Gutenberg Universität Mainz etwa über diesen Link.